Sonntag, 10. Mai 2020 | 20 Uhr
Hallo ihr Lieben,
wir hoffen, ihr hattet einen schönen Muttertag. Viele Mütter sind aktuell stark beansprucht: Junge Mütter mehrfach, da sie gleichzeitig Home Office, Haushalt und Kinderbetreuung schmeißen müssen. Die Ältesten dadurch, dass sie oft nach wie vor nicht wirklich persönlich von ihren Kindern besucht werden dürfen. Der Balkon, das Fenster, das Telefon oder Skype bleiben doch Notlösungen, die man aber gerne nutzen kann und sollte!
Einen gemütlichen Abend zum Wochenausklang wünschen Euch
Claudia, Nils und das ganze angstfrei.news Team.
Noch ein paar Dinge, die ihr schon an dieser Stelle kennt: Abonniert doch den RSS-Feed für diese Seite und gebt uns Rückmeldung, ob es bei Euch klappt. Wie immer freuen wir uns über Ideen, Anmerkungen und auch Wünsche im Feedbackformular.
Die gute Nachricht des Tages
Dichter, Denker, Kaffeeklatsch
Bis jetzt waren wir alle ein bisschen Goethe. Na, wie dieses berühmte Bild im Städel-Museum Frankfurt eben, auf dem der Dichterfürst im Grünen grübelt, Blick entrückt und nicht stehen kann, auf seinen zwei linken Füßen (ja: der Künstler hat’s verbaselt und Goethe wirklich zwei linke Füße gemalt).
Corona hat unsere Füße auf Links gedreht. Jetzt endlich können wir sie wieder geradebiegen. Mit einem Museumsbesuch, zum Beispiel. Nichts hilft so sehr gegen gedankliches Humpeln wie Kunst. Etwa im Städel. Das hat seit gestern wieder offen, ebenso wie viele andere Kreativ-Tempel im Land. Mecklenburg-Vorpommern meint es besonders gut und spendiert Besuchern sogar zwei Wochen freien Eintritt in die Häuser. Sowieso: Da “MeckPom” eine vergleichsweise geringe Zahl an Corona-Fällen hat, durften dort am Wochenende Restaurants und Kaffees wieder öffnen. Natürlich unter Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln. In Hessen öffnet die Gastro übrigens am 15. Mai wieder. Dann heißt es auch da: Auf ein Käffchen mit Johann Wolfgang. Wir freuen uns!
→ dpa | Süddeutsche
→ Blogeintrag des Städel-Museums (Für alle, die sich für die linken Füße des Herrn Goethe interessieren)
Wichtige Entwicklungen seit heute Früh
RKI meldet Reproduktionszahl bei 1,1
Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) sei die statistisch ermittelte Ansteckungsrate wieder über den kritischen Wert von 1 angestiegen. Man müsse die Entwicklungen nun aufmerksam beobachten. Da die absolute Zahl der Neuinfektionen aktuell gering sei und statistische Schwankungen vorlägen, lasse sich nicht sagen “ob sich der während der letzten Wochen sinkende Trend der Neuinfektionen fortsetze oder es zu einem Wiederanstieg der Fallzahlen komme”.
→ Tagesschau
Eine Frage des Vertrauens
Die verfassungsrechtliche Legitimation der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie behandelt auch ein Artikel der Tagesschau, wenn er den Unterschied zwischen einem förmlichen Gesetz und den Rechtsverordnung der Bundesländer diskutiert. Diese sollten breit debattiert, und unter Einschätzung der sich ständig verändernden Situation immer wieder hinterfragt werden, um diese Diskussion nicht Verschwörungstheoretikern zu überlassen.
→ Tagesschau
Langsame Öffnung der Kirchen
An vielen Orten in Deutschland konnten Gläubige heute wieder Gottesdienste besuchen, so beispielsweise im evangelischen Berliner Dom. Gemäß der aktuellen Vorgaben zur Eindämmung des Virus waren hier maximal 50 Gläubige zugelassen. Auch im katholischen Mainzer Dom fand der erste Gottesdienst mit einer größeren Öffentlichkeit, aber auch mit Desinfektionsmittel, Mundschutzpflicht und Abstandsregeln statt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm an einem Gottesdienst in Berlin teil. Anschließend bedankte er sich bei Kirchen und Religionsgemeinschaften für das vorbildliche Verhalten in der Krise.
→ Tagesschau
Myanmars Armee erklärt eingeschränkten Corona-Waffenstillstand
Im Bürgerkrieg in Myanmar hat die myanmarische Armee eine teilweise Waffenruhe verkündet. Vier Monate, bis zum 31. August, sollen ethnische Milizen nicht bekämpft werden, um besser gegen die Coronavirus-Pandemie vorgehen zu können. Diese gelte jedoch nicht gegenüber Milizen, die als Terrororganisationen eingestuft seien, heißt es in einer von der Armee veröffentlichten Erklärung. Damit ist auch die größte ethnische Armee, die Araken Army, nicht vom Waffenstillstand betroffen.
→ Ticker Zeit Online
Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen
Bei Demonstrationen gingen deutschlandweit am Wochenende Menschen gegen Corona-Maßnahmen auf die Straßen, etwa in Stuttgart, München, Köln, Berlin und Frankfurt. Friedlich und meist unter Einhaltung der Abstandsregeln demonstrierten etwa 10.000 Menschen auf den Stuttgarter Wasen. In Berlin war es weniger ruhig. Da Menschen zu dicht drängten, wurden 30 Demonstranten festgenommen. Etwa 3000 trafen sich in München, 500 in Frankfurt. In beiden Städten kam es nicht zu Zwischenfällen. Die Stadt Dortmund untersagte derweil eine Demo. Hintergrund da war allerdings, dass “gesicherte Erkenntnisse darüber vorlagen, dass vom Verfassungsschutz beobachtete Rechtsextremisten versuchen werden, bereits angemeldete Demonstrationen zu unterwandern", so die Polizei. Insgesamt wächst die Sorge vor einer verborgenen Bewegung von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern bei diesen Demonstrationen.
→ Tagesschau
Die Sache mit den Verschwörungstheoretikern
Nicht nur bei Demonstrationen zeigen sich bei einigen Teilnehmern bedenkliche Gedankenmuster hinsichtlich der Corona-Maßnahmen. Sie kommen auch von Promis, Halb-Promis, Internet-Influencern oder, ja, von katholischen Bischöfen. Etwa Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Er sieht hinter der Eindämmung eine Weltverschwörung mit dem Ziel, persönliche Freiheiten dauerhaft einzuschränken. In einem in mehreren Sprachen veröffentlichten Aufruf warnen er und seine ähnlich denkenden Kollegen davor, "dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik zu erzeugen".
Das Schreiben stößt auf heftige Kritik - auch innerhalb der katholischen Kirche. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing betont gegenüber der “Tagesschau”, “dass sich die Bewertung der Corona-Pandemie durch die Deutsche Bischofskonferenz grundlegend von dem gestern veröffentlichten Aufruf unterscheidet". Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, wird deutlicher. Er sei "einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: Krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden mit einer rechtspopulistischen Kampfrhetorik, die beängstigend klingt".
Mehrere Tageszeitungen und Internetportale beschäftigen sich aktuell mit den Thesen dieser Verschwörungstheoretiker - und widerlegen sie. Das ARD-Magazin “Monitor” etwa, der Bayerische Rundfunk. Die Sueddeutsche versucht herauszufinden, “Warum so viele Menschen Corona-Quatsch verbreiten”. Auch Medienfrau und Komikerin Sophie Paßmann hatte nun genug und veröffentlichte ihre Ansicht zu Verschwörungstheorien. Das Video machte die Runde in Mediendeutschland und wurde viel kommentiert. Schaut es euch an - wir finden, es lohnt sich!
→ Bericht über Paßmann beim mdr | Hier das ganze Video
→ ARD
→ Faktenfuchs beim BR
→ Sueddeutsche
Wenig Entlassungen im Mittelstand
Obwohl aktuell viele Firmen mit finanziellen Problemen kämpfen, gibt es erfreulich wenige Kündigungen. Stattdessen setzen Unternehmen auf Kurzarbeit oder alternative Arbeitsmodelle. Eine Umfrage der DZ Bank unter über 1000 repräsentativ ausgewählten Mittelstands-Firmen zeigt: Jedes fünfte Unternehmen hat bereits Förderkredite beantragt (21 Prozent), mehr als die Hälfte hat Mitarbeiter in Kurzarbeit (54,5 Prozent), aber bislang baut nur knapp jeder zehnte Mittelständler (8,2 Prozent) Stellen ab. “Es ist erfreulich, dass sich der Mittelstand trotz des schwierigen Marktumfelds kämpferisch zeigt und mehrheitlich nach alternativen Lösungen sucht, um Umsätze zu sichern”, fasst DZ-Bank-Vorstand Uwe Berghaus zusammen. Etliche Unternehmen haben zum Beispiel ihre Produktion umgestellt. Zudem helfen vergleichsweise dicke Eigenkapitalpolster den Unternehmen. (Quelle: dpa)
Dämpfer für Bundesliga-Pläne
Eigentlich sollte Ende Mai in Deutschland wieder Profifußball gespielt werden, natürlich ohne Publikum. Nun könnte sich das verzögern: Denn zwei Sportler des Zweitligavereins Dynamo Dresden sind positiv auf Corona getestet worden - und das gesamte Team muss nun zwei Wochen daheim in Quarantäne bleiben. Das erste Spiel fällt also aus, den beiden betroffenen Kickern geht es aber gut. (Quelle: dpa)
Europatag: Kommissionschef zeigt Zuversicht
Anlässlich des gestrigen Europatages äußerte sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Junker positiv über die Richtung, die die Europäische Union einschlagen könnte. So glaubt er nicht daran, dass die Corona-Krise einen Zerfall der Gemeinschaft vorantreibt. Damit widerspricht er einigen Länderchefs, die sich besorgt gezeigt hatten. Bei den Gesprächen anlässlich des 70. EU-Geburtstages hieß es auch: Um die Krise zu bewältigen, sei ein politisches Umdenken nötig. Auch solle das Länder-Genesen nach dem Virus nicht zu einem Aufschieben der Bekämpfung des Klimawandels führen. Die EU müsse vielmehr ihre "wirtschaftliche Erholung auf den europäischen Green Deal aufbauen".
→ Tagesschau
Corona in Zahlen
In Deutschland sind 169.218 Menschen als infiziert getestet worden (Stand: 10.05.2020 00:00 Uhr, Quelle: RKI), das sind 667 Personen mehr als am Tag zuvor.
Warum diese Zahlen? Wir zitieren hier die offiziellen Zahlen des RKI, diese werden einmal täglich – immer um Mitternacht – veröffentlicht und um 10 Uhr morgens online bereitgestellt. Das bedeutet für unsere Webseite, dass ihr immer Abends aktuelle Zahlen bei uns abrufen könnt. Und warum gibt es hier nicht mehr davon? Es ist wichtig, die aktuell angeratenen Verhaltensweisen zu befolgen, das wissen wir alle. Zahlen über Neuerkrankte helfen uns dabei nicht. Achtet aufeinander und haltet Distanz.
Gesundheitsticker: 1.463.012 Menschen sind weltweit wieder genesen, das sind 19.815 Personen mehr als gestern Abend. Davon 144.400 in Deutschland (Stand: 10.05.2020 16:58 Uhr, Quelle: Worldometers).
Tipps des Tages
Was für den Körper: Bewegung, wie sie zu dir passt oder „dance it out“
Na gut, das Rad wird hier jetzt nicht neu erfunden. Das Bewegung gut tut, hat ja nun wirklich jeder schon mal gehört. Die positive Wirkung und konkrete Tipps dazu finden regelmäßig in Apothekenzeitschriften oder Wochenblättern ihren Platz.
Bewegung baut Stresshormone ab, die sich bei Angst und Panik anstauen. Aber wenn wir doch darum wissen, warum fällt es uns dann manchmal so schwer, unseren „inneren Schweinehund“ zu besiegen? Den Schweinehund, der uns rät, andere Dinge zu priorisieren und der uns dazu bringt, uns für Bewegung wenig Zeit zu nehmen.
Ich - Stephanie - glaube, was oft zum Sieg des inneren Schweinehund führt, sind Vergleiche, Druck und was wir unter Bewegung verstehen. Meiner Ansicht nach ist Bewegung alles, was uns (be)wegt, innerlich und äußerlich. Es geht nicht darum, die fünf Kilometer in 30 Minuten zu laufen, auch muss es keine 15-Kilometer-Wanderung am Sonntagnachmittag sein. Das HIIT-Homeworkout via youtube? Nein, das muss es auch nicht sein. Was natürlich nicht heißt, dass es nicht sein darf. Frei nach dem Motto: Alles kann, nichts muss.
Vielleicht ist es der kleine Spaziergang um den Block oder in die Natur, das Musizieren, eine Runde Yoga, das Streicheln eines Haustieres oder aber, und das ist mein absoluter Anti-Angst-Bewegungstipp: „dance it out“. Ja genau, intuitives Tanzen nach Musik deiner Wahl. Wenn mich die Angst überkommt, dann mache ich Musik an, ich singe und tanze, genau so wie es aus mir herauskommt. Ganz intuitiv. Gerne auch mal peinlich, wie meine fast neunjährige Tochter findet 😉
Probiere es doch einfach mal aus. Vielleicht, wenn niemand zuschaut?
Was für die Beine
Apropos Bewegung: Die britischen Über-Komiker Monty Python haben es in ihrem Sketch "The Ministry of Silly Walks" („Das Ministerium für alberne Gänge“) 1970 vorgemacht: Richtig bescheuert laufen, das hebt die Stimmung. Eine Familie im US-amerikanischen Michigan hat vor ihrem Haus ein Schild aufgestellt: “Ab hier bewegen Sie sich bitte dämlich”. Dann haben sie die Passanten gefilmt. Zum Schreien! Die Clips gibt es auf Instagram. Übrigens: Mittlerweile machen das viele Familien nach, auch in Evas kleinem Wohnkaff haben Kinder mit Kreide auf den Asphalt gemalt: „Sie betreten das Ministerium, bitte laufen sie albern“.
→ Instagram
Was zum Lachen
Falls ihr fleißige Leser seid – oder einfach fix oben auf unsere Ausgabe vom 19. April klickt (und dann natürlich brav wieder hierher zurückfindet!): Damals hat Eva die britische Serie „Good Omens“ empfohlen - nach einem Roman von Terry Pratchett und Neil Gaiman. Dieses Buch ist vor wenigen Tagen 30 Jahre alt geworden. Zur Feier des Tages haben die beiden Hauptdarsteller ein wirklich witziges Lockdown-Video spendiert. Leider nur auf Englisch, aber wer die Serie geschaut hat (nachholen!), der lacht!
→ YouTube
Von Mensch zu Mensch
Die Größte aller Notlügen
von Eva
Du sollst nicht lügen. Als Katholik weiß ich das. Als Mensch auch. Aber was ist, wenn die Wahrheit niemand hören möchte? Schlimmer: Wenn sie mir gefährlich werden kann?
Ich bin ein Meister. Ein Meister im Schwindeln. Im Flunkern.
Mir geht es gut.
Die größte Notlüge von allen.
Dass es mir gut zu gehen hat. Als Mensch weiß ich das. Dass niemand wirklich hören will, was mir auf der Seele drückt. Ich weiß, dass man auf: Wie geht es dir? Immer brav zu antworten hat: Danke gut. Super, danke. Irgendwas in diese Richtung.
Dass man nie so Sachen antworten darf, wie: Ich habe Angst.
Ich schlafe schlecht.
Manchmal weiß ich gar nicht mehr.
Manchmal stehe ich vor dem Spiegel und denke, scheiße, was soll das alles hier. Nein. Das darf man nicht. Alles was ich sagen kann und darf und sollte: Danke. Gut. Manchmal träume ich davon, wie sich dieses Wort in meinen Körper frisst. Gut.
Es frisst und frisst und am Ende bleibt nichts mehr von mir, außer einem durchgekauten Gefühl. Das klebt dann und stinkt und wenn ich die Augen zumache, kann ich mir einbilden, das müsste so. Das müsste so und eigentlich und überhaupt im Grunde geht es mir doch total - gut.
Meine Therapeutin hat zu mir gesagt: Wann hören Sie auf zu lächeln, um sich zusammenzuhalten? Aufhören zu lächeln. Hah. Der war gut. Warte, da muss ich kurz drüber lachen. Mundwinkel hoch und so. Ich meine: Aufhören zu lächeln, wie könnte ich. Lächeln, das heißt doch: Mir geht es gut. Dass es mir gut zu gehen hat, als Mensch weiß ich das. Danke. Super. Wiedersehen.
Noch mehr Dinge, die ich weiß: Ich sollte froh sein, dass es mit Corona jetzt langsam wieder anders wird. Dass die Läden öffnen, dass ich wieder Kaffee mit Freunden trinken kann. Aber: Ich bin es nicht. Ich kann nicht aufhören, meine Gedanken durchzukauen, dieses ätzende Was-Wäre-Wenn. Doch statt etwas zu sagen, da fresse ich lieber weiter meine Wahrheit auf. Bis ich ganz voll bin. Bis ich glauben kann, das müsste so.
Im Job ist es doppeltschlimm. Das mit dem Lächeln. Wie geht's Ihnen? Ach, alles superfein. Dieses Corona, pah. Das fliegt schon wieder vorbei. Lassen Sie uns über etwas anderes reden. Vor drei Wochen konnte ich das nicht mehr. Kurz vor meinem Urlaub ist mir dieses durchgekaute Gefühl in den Rachen gestiegen und hat mich ein bisschen erstickt. Ich dachte, es würde keiner merken. Lächeln. Lächeln kann ich gut. Weg mit der Wahrheit. Wiedersehen.
Meine Kollegen, die haben es bemerkt. Haben sich „Sorgen“ gemacht, wie sie betonen. Das Schlimme ist: Ich war nicht dankbar. Im ersten Moment habe ich mich bloß geschämt. Wie konnte mir das passieren? Wie konnte da ein bisschen Wahrheit durch das Lächeln brechen? Ich will nicht, dass andere von mir denken, ich sei schwach. Also Zähne beißen, lächeln, lächeln, lächeln. „Geht es dir gut?“, fragten die Kollegen. „Wir haben uns Sorgen gemacht. Aber: Geht es dir gut?“ Was hätte ich sagen sollen. Was. Ja klar. Das habe ich gesagt. Ja, danke, gut. Und so breit gegrinst, dass es garantiert jeder über meiner Maske sehen konnte.
Sicherlich würden mir keine arbeitsrechtlichen Schritte drohen, wenn ich die Wahrheit nach draußen lassen würde. Vermutlich wäre mir niemand böse. Vermutlich wäre alles halbsowild. Aber mein Kopf, der kann das gut. Das Doppeltsowilddenken. Also traue ich mich nicht. Weil Angst und Traurigkeit und all der alte Seelenmief eben so arg stinken, dass andere es doch an mir riechen würden. Vielleicht rieche ich es auch bloß selbst. Achweißdochnicht. In meinem Kopf aber, vielleicht auch außerhalb, da wäre ich: Die da. Die, die nicht belastbar ist. Die mit der Angst. Die mit der Depression. Die, die nicht funktioniert.
Die. Die. Die.
Also lieber lügen. Lieber: Ja klar, mir geht‘s gut.
Was hätte ich denn machen sollen.
Was mir noch viel mehr stinkt als all die Angst in mir?
Dass ich glaube, in einer Welt zu leben, in der ich lächeln muss. Weil sie alles andere nicht versteht. Ich wünschte, das wäre nicht so. Ich wünschte, ich könnte auf die „Wie geht es dir?“-Frage ehrlich antworten. Sowas sagen wie: Nein, sorry, gar nicht gut. Ich habe Angst. Ich hatte schon Angst, als das mit Corona losging. Seither habe ich stets das Gefühl, einen halben Meter neben der Realität zu laufen. Sicherheitsabstand. Ich habe Angst vor Veränderungen, ich habe Angst, dass alles für immer so bleibt. Ich bin ein Widerspruch und nichts an mir fühlt sich auch nur ansatzweise „gut“, „okay“, oder nach „super danke“ an. Und jetzt? Jetzt wo wieder alles so normal werden soll? Jetzt habe ich noch mehr Angst, dass alles viel zu schnell geht. Dass die Zahlen steigen und ich diese Bilder wieder sehen muss. Die aus Italien und die aus Amerika. Und gestern, da ist von unserem Kühlschrank dieser New-York-Magnet runtergefallen, den wir in den USA gekauft haben. Mittendurch ist er gebrochen. Ich habe Angst, dass meine Welt von nun an so ist. So mittendurch. Dass ich den Riss immer sehen muss, dass ich ihn nicht mehr wegbekomme. Davor hab ich solche Angst.
All das würde ich gern sagen.
Ich sage nichts davon, weil ich nichts davon sagen darf. Nicht, wenn ich weiter in dieser Welt irgendeine Chance haben will. Das mag vielleicht auf meiner Arbeitsstelle nicht so sein. Aber da draußen, da ist es auf jeden Fall oft genug so.
Stattdessen rede ich also lieber stets einen halben Meter neben der Wahrheit. „Danke, gut“, sage ich. Sorgen? Ach Nein, doch nicht um mich. Lächeln. Weiter.
Ich habe die leise Hoffnung, dass diese Welt, die gerade eine Zeit der kollektiven Angst erlebt, ein wenig mehr Akzeptanz lernt. Aber um das wirklich zu glauben, dazu fehlt mir der Mut. Ich wünschte, ich hätte nicht so ein verdammtes Herzstolpern dabei, dieses Mensch-zu-Mensch mit meinem Namen zu unterschreiben. Es wäre so leicht, oder? Einfach einen anderen darunter setzen. Hach, im Internet kann man so herrlich lügen. Man muss dabei nicht mal lächeln. Nicht mal bei einem Text wie diesem.
Die Angst sagt: genau das. Der Kopf sagt: Sei mal nicht feige. Und das Herz: tock, tock, holper, tock. Weil ich fürchten muss, irgendwer könnte mich entdecken, wissen, ahnen, verurteilen. Schlimmer noch: Weil ich fürchten muss, jemand könnte mich darauf ansprechen, mich fragen, wie es mir geht.
Alles. Nur das nicht. Bitte.
Macht‘s gut, seid doch mal zur Abwechslung ganz wahr.
Eure Lügnerin (heute mal oben ohne, ohne Lächeln, maskenfrei. Also: Eva)
Feedback: Was mir - Niels - dazu noch eingefallen ist
Eine häufig genutzte Antwort, um die Frage “Wie geht es dir?” zu beantworten ist “Muss”, “Muss ja” oder Ähnliches. So lässt sich eine Notlüge umgehen. Auch ich wähle gelegentlich diese Formulierung, wenn es mir gerade nicht so gut geht. Mit dieser Aussage drücke ich so viel aus, wie “ich weiß, dass von mir erwartet wird, dass es mir gut geht”. Über meine tatsächliche Verfassung mache ich keine Aussage, allerdings wird die Antwort meist so hingenommen. Vielleicht zeigt das auch einmal mehr, dass die Frage “Wie geht es dir?” im Gebrauch vor allem eine Floskel ist. Denn wenn man sie wörtlich nimmt, ist sie doch eine sehr intime Frage.
Dies und Das
Songtipps zur Quarantäne: „Let’s all stay at home“/„Won’t go to the Mall“
Wer die Comedyserie „How I met your Mother“ gesehen hat, wird sich vielleicht noch an das Lied „Let’s go to the mall“ von Robin Scherbatsky, gespielt von Cobie Smulders, erinnern. In ihren Teenagerjahren hatte sie als Robin Sparkles die Freuden des Shopping-Center-Besuchs mit Freunden besungen. Nun hat Cobie Smulders den Song für die Zeit des Lockdowns zu „Let’s all stay at home“ umgedichtet und am Klavier neu vertont. Unabhängig davon hat der „Chor X“ aus Wien eine A Capella Version des Liedes namens „Won’t go to the mall“ für die Quarantäne aufgenommen, inklusive gesungenen Trommeln.
→ Chor X - Won't go to the mall
→ Cobie Smulders - Let's all stay at home
→ Robin Sparkles - Let's go to the mall (aus "How I met your mother")
Dies und Das
Heute ist Muttertag!
Auch, wenn es ursprünglich ein eher kommerzieller Tag ist: Ich kenne keine Mutter, die sich nicht darüber freut, wenn man an sie denkt. Also: Auf! Auf!
Dieser gestrige Satz von Katharina und Nicholas gilt ja heute noch immer, den lassen wir mal so stehen. Also: Auf! Auf! 🙂
“Done” Liste statt “To Do”-Listen
“To do”-Listen kennt wahrscheinlich fast jeder. Sie helfen, einen Überblick über Aufgaben zu bekommen und geben Struktur und Halt. Dinge, die gerade bei Angsterkrankungen oder auch Depressionen wichtig sind. Allerdings können sich Frustration und Resignation auch verstärken, wenn sich am Ende des Tages nicht hinter jedem “To Do” ein Haken befindet. Drehe den “Spieß” um und mache aus der “To Do” Liste einfach mal eine “Done”-Liste. Jedes Mal, wenn du etwas erledigt hast, schreibst du es auf die “Done”-Liste. Und zack, fühlt sich gleich ganz anders an 🙂
→ Diese wunderbare Idee haben wir hier gefunden
Was für die Seele
Wer gerade Probleme hat, nicht ununterbrochen im eigenen Kopf zu hängen, sondern in der Außenwelt anzukommen, dem könnte diese Übung helfen.
Egal, wo ihr gerade seid: Fünf Dinge aufzählen, die ihr seht. Fünf, die ihr hört. Fünf, die ihr riecht. Wenn ihr es gerade könnt: Fünf Dinge anfassen. Dann: Vier Dinge aufzählen, die ihr seht, vier die ihr hört… und so weiter. Bringt euch schön in den Moment zurück. Solltet ihr abschweifen, kein Problem, euch selbst nicht verurteilen – einfach weitermachen.
Fünf. Vier. Dreizweieins. Und jetzt: Kopf aus, tanzen!
Herzlichst
Nils, Claudia
und das Angstfrei Team.
(Und: hört auf zu googeln – das machen wir für Euch.)
Ideen, Anmerkungen, Wünsche? Gerne hören wir über das Feedbackformular von Euch. Ihr wollt unsere Arbeit unterstützen: Spenden und Fördermitgliedschaft bei der Deutschen Angst-Hilfe e.V.
Quellen
Corona in Zahlen (RKI) | Gesundheitsticker | Über die Landesregierung NRW sind wir außerdem an den dpa-Nachrichten-Ticker angebunden, den wir immer als Quelle verwenden, wenn wir (dpa) schreiben.