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Dienstag, 21. Juli 2020 | Sommerzeit

Tim
Markus

Guten Morgen liebe Leser*innen,

während unserer sommerlichen Redaktionspause bis zum 3. August versorgen wir euch auch heute mit einer Auswahl an 360°-Geschichten, die wir in den vergangenen vier Monaten als besonders bereichernd wahrgenommen haben.

Um den Rückblick zu erleichtern listete Rich für uns Ende März alle möglichen und unmöglichen Typen auf wie mit der Corona-Situation umzugehen ist - manchmal mit leichtem Spott, manchmal einem Schmunzel, doch manchmal mit ganz ernsten Tönen.

Einen heiteren Rückblick gestattet uns auch der Text von Nicholas: Er prophezeite schon zu Beginn der Pandemie: “Was werden wir gelacht haben!” Vor allem über die kleinen und großen Unsinnigkeiten wie den Kampf um genügend Toilettenpapier, die wohl doch unser Menschsein ausmachen.

Ob ihr euch in den Texten selbst oder andere erkennt oder sie einfach nur mit einem wissenden Lächeln lest - Wir wünschen euch in jedem Fall einen wunderbaren Tag.

Euer Tim, Markus und das ganze Team von angstfrei.news.

Mit frischem Wind in den Segeln geht's dann hier am 3. August nach der Sommerpause weiter. Ihr habt bis dahin Lob, Kritik oder Anregungen für uns? Schreibt uns gerne Euer Feedback.

Was werden wir gelacht haben!

von Nicholas

Stellt euch mal vor, wie wir uns erinnern werden! Wir werden uns erinnern an eine Zeit, in der - neben den wahrlich großen Allgegenwärtigkeiten dieser Tage, wie Sorge um Gesundheit und Kapital - vor allem eine Sache uns umtrieb und um den Schlaf brachte: Klopapier, verdammt! Das weiße Gold. Das sanfte Kissen, auf dem wir in unsteten Zeiten ruhen, wenn alles andere zusammenfällt und nichts mehr sicher ist. Stuhlgang ist immer und darauf wollen wir doch vorbereitet sein!

Eine Theorie besagt, dass der Mensch gerade in derart neuen und ungewissen Zeiten gerne dazu tendiert wenigsten das zu kontrollieren, was in seiner/ihrer Macht liegt. Da wir nun eben alle wissen, dass wir - je nach Verdauung mal seltener mal häufiger - Häufchen müssen, legt uns das den Impuls nahe, dafür vorzusorgen. Wenigstens eine Funktion, in der es keine Variablen geben soll. Und irgendwie schneidet unser Gewissen das auch alles noch mit und findet’s ok, weil die ganzen Witzchen über den wunden Pöter vom rauen, aus der Zeitung gerissenen Substitut eben nur Witzchen sind, irgendwie.

Und wer auch immer im Auftrag der englischen Stadt Redding den Clip zusammengeschustert hat, in dem in einem Labor-Becherglas das Auflöseverhalten von Kackwatte (hochauflösend!) im Vergleichen zum gemeinen Küchenkrepp (katastrophal konsistent!) demonstriert wird, um die Bevölkerung davon abzuhalten, weiter wie die Verrückten alles im Pott runter zu spülen, was nicht bei drei auf’m Baum war, wird auch geschmunzelt und somit ein paar gute Minuten gehabt haben. Erklär den Beruf mal deinen Großeltern! Die haben doch schließlich die elf Semester Studium mitfinanziert!

Selbst der schon fast manisch vor sich hin kichernde Gabelstaplerfahrer aus den Niederlanden, der in einem Video quer durch eine Halle mit geschätzt elf Millionen Gebinden des Wickelzellstoffs fährt und konstatiert, dass Engpässe ganz sicher nicht stattfinden würden, beruhigt uns nicht. Wir kaufen Klopapier! Immer noch! Wo geht das alles hin? Ist doch Noro und mir hat einfach keiner bescheid gesagt? Spannend!

Ich war heute morgen kurz im Drogeriemarkt, Küchenreiniger kaufen. Meinem Konsumbedürfnis nachgeben, weil ich irgendwie doch sonst auch immer irgendwas gekauft hab, der Kühlschrank aber schon Oberkante Unterlippe voll war und ich nicht weiter Teil der tausendsten Bezos-Milliarde werden wollte. Ich hab eh ein Tinnefproblem. Und so stand ich da, gedankenverloren, mit Abstand von mindestens zwei Metern in jede Richtung und meine Augen streiften in Fettschrift bedruckte orangefarbene Zettel mit einigen Ausrufezeichen.

“LIEBE KUNDEN! ES WIRD KEINEN TOILETTENPAPIER-ENGPASS IN DEUTSCHLAND GEBEN! BITTE BLEIBEN SIE VERNÜNFTIG! BLEIBEN SIE DOCH UM HIMMELS WILLEN VERNÜNFTIG! WAS IST DENN MIT IHNEN LOS?”

So stand das da. Zumindest sinngemäß. Die wackeren Damen und Herren aus der Hygieneabteilung waren noch nicht zur Kapitulation bereit und appellierten an den gesunden Menschenverstand. Ich wiederum fand eine merkwürdige Ruhe beim Blick auf die leeren Regale:

Ich hab mir vorgestellt, wie schön das wird, wenn das hier alles vorbei ist und wir uns zu ausgiebigen Umarmungsparties mit unseren Freunden treffen und erst mal alle aus Prinzip aus einer Limoflasche trinken. Und wie wir uns dann unterhalten werden über alles, was nicht schwer ist, weil wir das dringende Bedürfnis haben, uns vor lauter Lachen aus Versehen gegenseitig anzuspucken. Vielleicht finden wir sogar wieder kindliche Freude darin, uns gegenseitig mit Popeln anzuschnipsen, wir werden sehen.

In meiner Phantasie werden wir dann jedenfalls unsere Smartphones zücken und Fotos von unseren Kellern und Voratsräumen zeigen, bis zur Decke voll gestapelt mit Rollen, die wir alle Zeit unseres Lebens nicht mehr - mit Verlaub - wegscheißen können werden. Und die ganz Coolen werden weiter ganz cool sein und erzählen, wie sie’s immer gewusst haben und sowieso ganz cool geblieben sind und immer erst beim letzten Blatt der letzten Rolle zum Supermarkt schlenderten, nicht rannten! So wird das sein.

Und dann wird’s eben nicht mehr nur die Zeit gewesen sein, in der wir alle Sorge und Angst um alles mögliche hatten, sondern auch die Zeit, in der wir absurd viel Klopapier gekauft haben und der einzige Grund war, der uns einfiel, dass wir nun mal auch nur Menschen sind und irgendeine Sicherheit brauchten. Wie ok wird das denn?

Was werden wir gelacht haben!

Die Corona-Typen - vom Umgang mit einer belastenden Situation

von Ritch

„Quer“ gedacht oder mehr gemacht? Derzeit gibt es nach meiner Wahrnehmung viele unterschiedliche Corona-Typen:

Der Verschlinger

Nichts und niemand ist vor mir sicher. Zwölf Stunden pro Tag am Bildschirm und im Internet, dazu Text im TV, Hauptunterhalter in den sozialen Medien. Einer muss es ja sagen. Ich! Ich brauche Input, Input und nochmal Input.

Der Katastrophendenker

Wir müssen alle sterben, mein Haus geht drauf und die Wirtschaft liegt am Boden. Die Menschheit geht unter.

Der unterwürfige Vernünftige

Ich mache alles, was mir gesagt wird. Zum Wohle aller! Ich halte mich an alle Regeln und überlege nicht groß. Die werden schon das Richtige für mich entscheiden.

Der denkende Vernünftige

Ich mache alles, was mir gesagt wird. Zum Wohle aller! Ich halte mich an alle Regeln. Ich denke aber noch, habe eine eigene Meinung. Meine Informationen sind breit aufgestellt. Ich spüre mein Unbehagen, benutze dennoch meinen gesunden Menschenverstand.

Der Verschwörer

Alles hausgemacht von den Mächtigen dieser Erde. Wir sind jetzt nahe davor, einen Chip eingepflanzt zu bekommen. Kommt alles von den Russen. Von wem sonst? In Wirklichkeit ist die Pandemie eine Panem-Demie. Ab 2021 gibt es die Hungerspiele für alle.

Der Wirtschaftskritische

Wer verdient an den Tests, an den Hygieneartikeln, am Klopapier? Die WHO und die Forschung sind nicht unabhängig. Noch in diesem Jahr gibt es eine Zwangsimpfung für alle. Das belebt bestimmt die Börse und wer profitiert wieder? Die Reichen!

Der „Alles Quatsch-Typ“

Alles Unsinn. Es gab schon wesentlich Schlimmeres. Ich mache mein Ding, mache, was und wann ich es will.

Der Hobby-Virologe und Meinungsbildner in sozialen Netzwerken

Ich sage denen jetzt mal, wie ich mir das vorstelle. 95 % können nicht irren. Der Zeigefinger muss her. Diese Deppen halten sich an nichts! Es gibt nur eine Meinung!

Die Denunzianten

Ich habe eine Menge Abweichler festgestellt. Ein Skandal! Treten in Gruppen auf am See, im Park und in der Stadt. Ich habe sie fotografiert und stelle sie an den sozialen Netzwerk-Pranger. Ich rufe mal bei der Stadt an und beim Radio. Alle, die jetzt nicht mitmachen, sind Hohlbirnen mit wenig Intelligenz. Zur Not zeige ich meinen eigenen Arbeitgeber an

Die arbeitenden Menschen

Ich gebe alles, um die Gemeinschaft zu versorgen, ihre Gesundheit zu gewährleisten, die Sicherheit aufrechtzuerhalten. Ich bin Tag für Tag für die Menschen da.

Der „Alles-anders-Macher“

Ich würde … alles anders machen. Nur einmal die Woche einkaufen. Einmal im Monat der Oma eine Postkarte senden. Alle Abtrünnige gehören ins Gefängnis. Nach der Krise kriegen alle 500 Euro mehr.

Freie Fahrt dem mündigen Bürger. Wenn sich alle anstecken, ist das Problem kein Problem mehr.

Der Corona-Party-Geher

Nach mir die Sintflut. Was interessieren mich meine Mitmenschen? Mein Spaß ist wichtig, sonst nichts!

Der Resignierte

Egal, was wir tun: Alles hat keinen Sinn. Alles wird zusammenbrechen. Das ist das Ende!

Der Gelassene

Ich mache alles, was mir gesagt wird. Zum Wohle aller! Ich halte mich an alle Regeln. Es kommt, wie es kommt. Das Leben lässt sich nichts vorschreiben, und ich kann es nicht kontrollieren.

Der Verzweifelte

Ich mache mir Sorgen um meine berufliche Zukunft. Ich mache mir Sorgen um meine eigene Firma. Kein Geld für Miete, Angestellte, keine Einnahmen. Wie soll das weitergehen?

Der Statistiker

Die Zahlen sprechen für sich. Infizierte und Tote lügen nicht!

Der Politiker

Ich übernehme Verantwortung, ich bin die letzte Instanz. Ich kann nicht weglaufen. Ich muss Entscheidungen treffen. Schnell, zuverlässig, glaubwürdig und wirksam.

Ich beweise mich als Krisenmanager. Hoffentlich wird das von dem Wähler wahrgenommen. Ein bisschen Wahlkampf kann nicht schaden.

Der Journalist

Unsere Leser haben das Recht, umfassend, breit, objektiv und seriös informiert zu werden.

Jetzt gilt‘s! Wir steigern unsere Auflagen. Angst ist das Instrument der Stunde.

Der Gar-Nix-Versteher

Es gibt sie – die blöden Fragen! Ich habe das Virus nicht, meine Frau auch nicht. Kann ich trotzdem Corona bekommen, wenn wir uns küssen? Nun das erinnert an Dr. Sommer von BRAVO. Wer zu jung ist, um sie zu kennen… Frau Dr. Sommer beantwortete Jahrzehnte lang Fragen von Teenagern z. B. „Werde ich schwanger vom Küssen?“

Der Typ „Wer hat Recht und wer ist schuld?

Wir müssen das nachher alles komplett aufarbeiten. Wer hatte Recht und wer war/ist schuld? Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt. Alle müssen zur Verantwortung gezogen werden. Mit aller Härte, unnachsichtig!

Die Menschen, die von Ängsten und Depressionen betroffen sind

Der Virus macht mir zu meinen bestehenden Problemen noch viel mehr Angst. Ich bin zutiefst beunruhigt, verspüre noch mehr und stärkere Symptome. Gerade verliere ich den Boden unter meinen Füßen, weiß keinen Ausweg.

Ich dachte, ich hätte meine Ängste bewältigt. Nun kommen sie wieder. Was kann ich bloß tun?

Beim nochmaligen Lesen meiner Typisierung fiel mir mit einem Schmunzeln auf: Wahrscheinlich gibt es noch sehr viel mehr andere Typen und Untertypen. Meine Typisierung ist eine Beobachtung, keine Wertung. Mir geht es nicht um „gut“ oder „böse!“

Ich bleibe nun die Frage schuldig „Welcher Typ bin ich?“ Ich komme zu dem Schluss, das ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist mein Verhalten. Was tue ich, und was ist nur reden oder übernommen, eben nachgeplappert? Nur vom Reden wird nämlich der Reis nicht gekocht