Mittwoch, 22. Juli 2020 | 8 Uhr Sommerzeit
Guten Morgen liebe Leser*innen,
heute nähern wir uns an und zwar an die Zahl Pi. Nein, werden jetzt einige Mathematikliebhaber*innen sagen - der internationale Pi-Tag ist doch am 14.3 oder in der amerikanischen Schreibweise 3/14 an dem die besonders Zahlenverliebenten um 1:59:26 einmal in einem Kreis mit einem Durchmesser von 5,359 Metern rennen (Zur Erinnerung: die irrationale Zahl Pi beginnt mit 3,14159265359). Natürlich ist dieser festliche Tag in diesem Jahr schon längst vergangen. Heute ist deshalb auch nicht der Pi-Tag, sondern Pi-Annährungstag weil 22 durch 7 dieser besonderen Zahl schon verdammt nahe kommt - probiert es mal aus.
Während unser viermonatigen Redaktionszeit hat auch Birgit versucht sich anzunähern - und zwar dem Umgang mit sorgenvollen Zeiten. Ihre Lösung: “Leben, lieben lachen”. Katharina und Nicholas hingegen haben sich in Ihrem “Lagerkoller” wahrscheinlich nicht nur sprachlich umarmt - und sich somit auch maximal angenähert. Wir hoffen, dass diese beiden Texte auch euch nahe gehen, während wir gerade unsere Redaktionsferien machen. Wir versorgen euch natürlich weiter mit einer Auswahl aus unseren besten Texten und sind dann am 3. August mit neuem Schwung für euch zurück.
Viel Freude beim Reinlesen sowie einen sonnigen Mittwoch wünschen euch Tim, Markus und das ganze Team von angstfrei.news.
Ihr habt Lob, Kritik oder Anregungen für uns? Schreibt uns gerne Euer Feedback.
Leben, lieben, lachen
von Birgit
Beim Aufräumen fiel mir ein kleines Heftchen entgegen, eine Replik der Broschüre „How to keep well in Wartime“, ursprünglich herausgegeben für das britische Ministerium für Gesundheit durch das Ministerium für Information (1943). Das Heft umfasst gerade einmal achtundzwanzig Seiten und ist trotzdem vollgepackt mit Ratschlägen zu allem, was Körper und Geist in Krisenzeiten guttut.
Jedes einzelne Kapitel hat auch in unserer momentanen Situation Gültigkeit – Habe einen geregelten Tagesablauf, Achte auf genügend Schlaf, Sorge für Luft und Sonnenschein, Halte Körper und Geist aktiv, Wähle das richtige Essen, Sei in allen Dingen gemäßigt, Bekämpfe Krankheiten mit Hygiene, Hindere Keime an der Ausbreitung. Es gibt einen eigenen Abschnitt „A Word to Those Who Worry“, also Gedanken für jene, die sich besondere Sorgen machen, und der beginnt so:
„Generally speaking, before the war (setzt hier gerne „pandemic“ ein) there was an increase in the number of „worriers“, of people who felt anxious about nothing in particular. During the war there seems to have been fewer of these people, less personal anxiety. This may be because the real danger we all face is bigger than the imaginary dangers that make people nervy. And there is a closer feeling of unity, of being together.“
„Generell hat vor dem Krieg die Anzahl der „Schwarzseher“ zugenommen, von Menschen, die sich um nichts Besonderes besorgt fühlten. Während des Krieges scheint es weniger dieser Menschen gegeben zu haben, weniger persönliche Ängste. Dies kann daran liegen, dass die wirkliche Gefahr, der wir alle ausgesetzt sind, größer ist als die imaginären Gefahren, die die Menschen nervös machen. Und es gibt ein engeres Gefühl der Einheit, des Zusammenseins. “
Diese erstaunliche Gelassenheit von Angstpatient*innen beschreibt auch Ulrike Sckaer, ärztliche Psychotherapeutin, im Gespräch mit der Journalistin und Bloggerin „Frau Nora“, hier nachzulesen: → Informationen sind Schnuller für Erwachsene
Im Abschlusskapitel der britischen Broschüre fordert das Gesundheitsministerium auf: Help Yourself to be Well. „What you think and how you think about your health is important. Obviously no one who is always brooding over disease can really feel well or be well, even though his organs are perfectly sound.“ (…) „To get the most out of life you must put the most into it. To live, to love, to laugh, to labour to the fullness of your capacity, get fit and keep fit“
„Was Sie denken und wie Sie über Ihre Gesundheit denken, ist wichtig. Offensichtlich kann sich niemand, der immer über Krankheiten grübelt, wirklich gut fühlen oder gesund sein, obwohl seine Organe vollkommen gesund sind.“ (…) Um das Beste aus dem Leben herauszuholen, müssen Sie das Beste daraus machen. Leben, lieben, lachen, an der Fülle Ihrer Fähigkeiten arbeiten, fit werden und fit bleiben.“
Falls Ihr mehr davon lesen wollt, ich habe das ganze Heftchen heute auch online entdeckt: → How to keep well in wartime
Lagerkoller
von Katharina und Nicholas
Eine Erkenntnis ist dieser Tage genau so wichtig, wie sie anstrengend ist. Eins ist sie vor allen Dingen: Menschlich!
In allem, was wir gerade empfinden, sollten wir immer einrechnen, dass dies hier irgendwie eine neue Situation für jeden ist. Gut, gut: Eine Pandemie ähnlichen Ausmaßes ist im Grunde genommen freilich nichts wirklich neues. Wir wissen von der Spanischen Grippe, der Asiatischen Grippe, von SARS - und all das allein in den letzten hundert Jahren. Die Welt halt all das überstanden und das wird sie auch weiterhin. Alles eine Frage von Geduld, den richtigen, wichtigen Maßnahmen, vom Ruhe bewahren, vom achtsam und vorsichtig miteinander umgehen. Infektionsschutz ist schnell erklärt.
Aber was vor der Haustür gilt, gilt ebenso in den eigenen vier Wänden. Hier fliegen vielleicht nicht unbedingt Tröpfchen und wenn, dann ist das Teil des vielzitierten Lebens im Kontaminationskreis. Was aber, wenn ständig die Funken fliegen? Wir können uns ja noch so sehr lieben und schätzen, für das konstante Aufeinanderhocken sind wir dann doch nicht geschaffen. Wir brauchen unsere Freiräume, im Geiste und in der Bude. Die allerwenigsten können mal eben vom Nord- in den Südflügel umziehen, wenn die Luft dick wird. Und ganz ehrlich, irgendwie kann ich mir vorstellen, dass es noch unangenehmer ist, wirft man sich Sachen wie “Du nervst!”, “Lass mich in Ruhe!” und “Wenn ich ein Umzugsunternehmen fände, das gerade noch arbeitet, ich würde aber sowas von sofort ausziehen!” über längere Distanzen zu, mit Marmorflur und Kaskadentreppen dazwischen. Das muss doch tierisch hallen!
Spaß beiseite: Lagerkoller - the struggle is real!
Du sagst es, Nicholas. Aber ich finde, das hat auch etwas ungemein Positives: Manchmal muss es widerhallen. Erstmal in uns, und dann auch zwischen einander. Wie soll es brennen, wenn wir keine Funken schlagen? Klar gibt es angenehmere Situationen, um mal wieder so richtig ins Gespräch zu kommen als dann, wenn man muss. Aber gleichzeitig gilt doch irgendwie: Wenn man muss, dann kann man doch auch. Denn wie du schon richtig sagst: “Wir können uns ja noch so sehr lieben und schätzen” - das können wir. Und manchmal hat das damit zu tun, dass auch mal die Fetzen fliegen. Wir sind miteinander menschlich.
Nehmt Euch Zeit für Euch allein. Ob mit Youtube-Videos, im Garten oder einer Joggingrunde. Sprecht auch mal mit anderen, als dem Partner, Vereinbart ein Date, macht gezielt etwas Besonderes zu zweit - Kochen, Film gucken, Scrabble. Dazu: Raus aus dem Schlumperpulli und rein in was Hübsches! Und vor allem: Habt realistische Erwartungen. Mehr Zeit zu zweit ergibt nicht automatisch “Quarantäne-Flitterwochen” - es darf auch mal die Luft raus sein. Wir dürfen nur nicht verlernen, wieder einzuatmen. Also lasst das mit dem Möbelwagen. Nehmt Euch Zeit für euch und dann in den Arm.