angstfrei.news Feed abonnieren Teilen auf Facebook Teilen auf Twitter Teilen auf WhatsApp Teilen auf Xing Teilen auf Linkedin
« »

Dienstag, 28. Juli 2020 | 8 Uhr

Katharina

Einen schönen guten Tag ihr Lieben!

Es ist raus: Schokolade ist gut für's Herz (zumindest in Maßen). Wer ein paar Mal die Woche zum Süßkram langt, der reduziert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (berichtet z.B. der Deutschlandfunk).

Mit dieser Wohlfühlnachricht geleiten wir Euch in einen Lesedienstag mit zwei Texten, denen man aufmerksam zuhören muss: -Annika berichtete am 21. Mai von ihren Erfahrungen aus der Arbeit mit Gewalttätern und nimmt uns auf eine intensive Reise in ein Gruppentraining mit, in der es viel darum ging, sich selbst zuzuhören. -Annes Text nahm am 24. Mai auch das Zuhören ins Zentrum. Sie fordert einen gesellschaftlichen Resonanzraum - ein spannender Gedanke für jede*n Einzelne*n, gerade auch nach dem Text vorab.

Habt einen guten Dienstag und wohlige Leseerfahrungen!

Viele Grüße von
Katharina und dem ganzen Team von angstfrei.news

P.S.: Wir hoffe euch gefällt das aktuelle Format während unser Redaktionsferien. Wir freuen uns sehr über Feedback hierzu. Ab dem 3. August geht es dann in gewohnter Manier, aber mit neuem Schwung weiter.

Von Gewalt- und Gefühlskreisläufen

von Annika

In meinem „richtigen Leben“ arbeite ich mit straffällig gewordenen Menschen, unter anderem als Anti-Gewalt-Trainerin. Insbesondere innerhalb dieser Trainings stellt die Kommunikation über eigene Gefühle einen großen Bestandteil dar. Den Teilnehmern (tatsächlich handelt es sich dabei in erster Linie um Männer) soll es dadurch ermöglicht werden, ein Gefühl von Empathie gegenüber den Betroffenen der eigenen Gewalttaten entwickeln zu können. 

Die Bilder und Erlebnisse, die sich dabei ergeben, ähneln sich oftmals sehr stark. Da es sich um ein Gruppentraining handelt, beginnen die Trainings in den ersten Sitzungen zumeist damit, dass sich die Teilnehmer gegenseitig beweisen wollen, wie „stark“ oder „gefährlich“ sie wären. Sie berichten fast mit Stolz über ihre Gewalttaten. Schwäche? Kennen sie nicht. Sie sind schließlich stark und unverwundbar. "Richtige Männer“ also.

So?

Im Laufe der Sitzungen weichen diese Muster dann langsam auf. Die Teilnehmer lassen an der einen oder anderen Stelle durchblicken, dass sie etwas emotional bewegt (und sei es „nur“ die Tatbeschreibung eines anderen Teilnehmers, der seine Freundin oder sein Kind verletzte - hoch emotional besetztes Thema!). Diese Momente sind kurz. Sie werden schnell wieder von der Fassade des unnahbaren Mannes abgelöst. Aber sie sind da.

Mein erstes Training habe ich noch als Zuschauerin innerhalb einer Justizvollzugsanstalt begleitet. 15 Teilnehmer, die Körperverletzungen, Raubdelikte und Morde begangen haben. Und ich, gerade 23 Jahre alt geworden, mittendrin. Einerseits voller Neugier auf das, was mich erwarten sollte, aber gleichwohl auch voller Respekt vor dem, was das Ganze wohl mit mir machen würde.

Wenn ich an das damalige Training denke, ist mir eine Sitzung davon besonders in Erinnerung geblieben: Es ging es um den Lebenslauf eines Teilnehmers. Und zunächst zurückhaltend, begann er nach und nach zu erzählen. Gewalterlebnisse in der Kindheit, der abwesende Vater, Mobbing und Gewalt in Kindergarten und Schule. Der typische Inhalt dessen, was bei medialen Berichten zu Strafprozessen gern als „typische schlechte Kindheit“ betitelt wird. Keine Entschuldigung für die späteren Straftaten – aber durchaus eine Erklärung dafür, weshalb sich gewaltfördernde Ansichten und Fassaden in ihm aufgebaut haben. Dieser Mensch hatte seit seiner Kindheit eine Mauer um sich herum aufgebaut. Eine Mauer, die von außen aus Stein bestand und alles und jeden abwehrte, der oder das ihm zu nahe kommen wollte.

Als er sich als junger Erwachsener in einer Situation zu stark bedrängt und überfordert fühlte, fehlten ihm die notwendigen Fähigkeiten, das auch zu kommunizieren. Aus eigener Hilflosigkeit und dem drängenden Bedürfnis nach Freiraum erschlug er letztendlich eine Frau - und wurde deshalb zu lebenslanger Haft verurteilt. Und während er nun dort saß und von seiner Vergangenheit erzählte, verstand er plötzlich den Zusammenhang zwischen seiner eigenen Sozialisation, seinen erlernten Verhaltensweisen und den durch ihn begangenen Straftaten. Und nun saß dieser körperlich große Mann vor seiner auf einem großen Stück Papier verbildlichten Biografie und weinte. Echte, ehrliche Tränen. Und in demselben Raum, in dem kurz zuvor noch jeder Teilnehmer dem anderen beweisen wollte, wie unnahbar er doch sei, herrschte nun völlige Stille. 

Im weiteren Verlauf des Trainings habe ich dann auch verstanden, wieso: die Biografien ähnelten sich. In allen Lebensläufen fanden sich Kreisläufe von Gewalt wieder, aus denen sie es bisher nicht schafften, auszubrechen. Keiner dieser Männer hatte je gelernt, Gefühle zuzulassen, zu spüren und zu kommunizieren. Stattdessen wurde ihnen vermittelt, dass es etwas Negatives sei, Gefühle von Schwäche, Trauer oder Schmerz zuzugeben. Dass sie dadurch weniger „Mann“, weniger wert wären.

Und so fern mir ihre Lebenswelt auch manchmal sein mag, ertappe ich mich doch hin und wieder dabei, dieses Muster auch bei mir anzuwenden - wenn auch ohne Gewaltkreisläufe. Ich mag mir oftmals auch keine Schwächen eingestehen und so sehr sie auch ein Teil meines Lebens ist, zähle ich meine Angst oft dazu. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, eine Fassade um mich herum aufzubauen und Menschen nur selten an mich heranzulassen. Ich möchte nicht „enttarnt“ werden und schäme mich für meine Gefühle. Also gebe ich nicht zu, dass ich Angst habe, sondern reagiere in Situationen, in denen ich sie empfinde, mit abweisendem Verhalten. Mit Aggressionen.

Sicher – glücklicherweise habe ich irgendwann in meinem Lebenslauf gelernt, dass Gewaltdelikte oder Mord keine Alternative sind, um Probleme zu lösen. Aber wie sähe mein Leben jetzt wohl aus, wenn ich nicht so privilegiert aufgewachsen wäre? Wenn es in meinem Leben keine liebevolle Mutter und keine umsorgenden Großeltern gegeben hätte? Ich kann nicht dafür garantieren, dass ich dann nicht auch irgendwann in einer Justizvollzugsanstalt vor meiner aufgemalten Biografie gesessen und ehrliche Tränen geweint hätte.

Es liegt noch eine Menge Arbeit vor mir, bis ich irgendwann hoffentlich so mit meinen Gefühlen und meiner Angst umgehen kann, wie ich das gern hätte. Und auch, wenn mein Weg dahin wahrscheinlich anders aussieht, als der meiner Teilnehmer, ist er doch genauso lang und steinig.

Ich verbringe den ganzen (Arbeits-)Tag damit, andere Menschen dabei zu unterstützen, einen Zugang zu ihren Gefühlen zu finden. Ich ermutige sie dazu, diese Gefühle nach außen zu tragen. Allerdings gibt es immer wieder Trainingssitzungen, in denen ich spüre, dass ich das, was ich dort predige, manchmal selbst nicht einhalten kann. Je nach Gruppendynamik gebe ich das dann auch zu - und ernte damit meistens erstaunte Gesichter unter den Teilnehmern. Die „allmächtige Trainerin“ soll also diese Gefühle auch kennen? Auch sie fühlt sich manchmal schwach oder schämt sich für das, was in ihr vorgeht? Tja. Leider ja.

So manches Mal hat diese Situation schon zu einer verbesserten Arbeitsbeziehung in den kommenden Sitzungen geführt. Und komischerweise wird dem, was ich ihnen vermitteln möchte, plötzlich viel aufmerksamer zugehört. Es fühlt sich an, als wäre eine Barriere zwischen uns verschwunden, die im Vorfeld verhindert hat, dass sie das, was ich ihnen erzähle, auch annehmen können. Auf einmal werde ich nämlich nicht mehr als „allmächtig“ wahrgenommen, sondern kann authentisch von meinen eigenen Gefühlen berichten. Und diese sind nun einmal auch nicht durchweg positiv. Dafür muss ich den Teilnehmern auch nichts von Psychologie und Krankheitsbildern erzählen - das beklemmende Gefühl von Angst kennen sie selbst.

Und wenn sie das Training am Ende dann mit Erkenntnissen über ihre eigenen Gefühle verlassen und diese Erkenntnisse zukünftig auch nur eine einzige potenzielle Gewaltstraftat verhindern, hatte meine Offenheit über meine eigenen Dämonen auch einen Sinn. 

Die vorhin beschriebene Sitzung klang übrigens musikalisch aus. Nach der Verabschiedung lief im Trainingsraum „Hey“ von Andreas Bourani, in der Version von Yvonne Catterfeld:

„Wenn die Angst dich in die Enge treibt, es fürs Gegenhalten nicht mehr reicht, du es einfach grad’ nicht besser weißt, dann bleib’. 
Es geht vorbei.
Es geht vorbei.

Hey, sei nicht so hart zu dir selbst.
Es ist ok, wenn du fällst.
Auch wenn alles zerbricht, geht es weiter für dich.

Hey, sei nicht so hart zu dir selbst.
Auch wenn dich gar nichts mehr hält - du brauchst nur weiter zu gehen.
Komm nicht auf Scherben zum Stehen.“
(Yvonne Catterfeld - „Hey“)

Eure Annika

Smalltalk, oder von der Kunst des Zuhörens

von Anne

In all meinen Gesprächen begegnet mir in letzter Zeit immer eine Frage „Wo führt das noch hin?“ Ich weiß es nicht. Aber je mehr ich drüber nachdenke desto sicherer bin ich mir. Wenn wir auf das Danach Einfluss nehmen wollen, dann müssen wir einfach mal anfangen und vorleben was wir uns erwünschen. Bei uns anfangen. Klar, das klingt erstmal sehr einfach und ist natürlich leicht gesagt. Aber wir wissen auch alle wie schwierig es dann doch in der Umsetzung ist, wenn man alte Muster durchbrechen will. Es ist eine Kraftanstrengung und die Gewohnheit flüstert einem zu, wie leicht und bequem man es doch haben könnte. 

Aber wie wäre es, wenn wir mit einer Kleinigkeit anfangen? Mit dem guten alten Smalltalk. Meist beginnt man mit der Frage: „Wie geht es dir?“. Wie wäre es, wenn wir uns mal die Zeit nehmen und diese Frage ehrlich beantworten und sie auch ehrlich stellen? Das ist schon wieder sowas, was furchtbar einfach klingt, aber dann doch so schwierig ist. Denkt nur mal zurück an Donnerstag und den Artikel von Annika, in dieser Rubrik. Sie beschrieb wie schwierig es ist über die eigenen Gefühle zu sprechen, statt sie hinter einer Fassade zu verstecken. 

Wenn ich mich nach dem Befinden erkundige und mein Gegenüber antwortet, brav und ganz konform mit „Gut“, entgegne ich in der letzten Zeit immer, dass ich auch Zeit für eine ehrliche und ausführliche Antwort habe. Denn uns allen ist doch klar, dass sich nur in den seltensten Fällen das menschliche Befinden in nur einem Wort ausdrücken lässt. Und wenn wir doch mal mit einem Wort eine ehrlich Auskunft über unseren Gemütszustand geben, dann ist dieses sehr wahrscheinlich eher „Scheiße“. Doch zurück zum Smalltalk. Das Gesicht des Gegenüber schwankt meistens zwischen erwischt, erschrocken, Erleichterung und Lachen. Meistens folgt ein langes intensives Gespräch, manchmal auch ein „du ich ruf dich die Tage mal an, das dauert ein bisschen länger, es ist halt alles was viel im Moment.“ 

Aber dieser kleine Selbstversuch geht weiter. Zu einem Gespräch gehören ja mindestens zwei Menschen. Also muss ich, wenn ich eine ehrliche Antwort erwarte, wohl oder übel auch selber ehrlich aussprechen was mich umtreibt. 

„Hallo Anne, wie geht es dir?“ Ich: „ Keine Ahnung. Das Corona-Hamsterrad hält mich ordentlich auf Trab, so richtig Zeit darüber nachzudenken hatte ich noch nicht. Die Wohnung sieht aus wie nach ner Hausdurchsuchung…“ Gegenüber: „ Ach ja kenn ich. Aber du bekommst das ja hin. Ich weiß nicht wie du das machst, aber du wuppst die Sachen ja immer mit einer Gelassenheit. Super. Bin ein wenig neidisch. Klasse wie du das machst! Tschüss dann, bis bald.“ 

Ich stehe etwas perplex da und wundere mich. Eigentlich war mein Satz noch gar nicht zu Ende. „Die Wohnung sieht aus wie nach ner Hausdurchsuchung, und mein Innerstes eigentlich auch.“ 

So, oder so ähnlich verlaufen die meisten Gespräche und ich wundere mich jedes Mal. Zum einen darüber, dass mein Gegenüber gar nicht richtig zuhört und zum anderen darüber was sie über mich denken.

Was haben die Leute für ein Bild von mir. Ich Frage eine Freundin und sie meint das wäre doch ein super Bild, was sie von dir haben. Es wäre doch toll als stark wahrgenommen zu werden. 

Aber das ist doch viel zu eindimensional. Kein Mensch ist immer nur stark und kein Mensch muss immer stark sein. Wir alle haben doch unsere Schwächen und müssen auch die Möglichkeit haben diese zeigen zu können. Fehlt uns die Möglichkeit dazu, werden wir uns wahrscheinlich nur darin versuchen die Erwartungen der Mitmenschen zu erfüllen und möglichst dem vorgezeichneten Bild zu entsprechen.

Gefühle darstellen und verbalisieren zu können ist also so ein wichtiger erster Schritt. Es braucht einen gesellschaftlichen Resonanzraum. Sonst gleicht es einem Maler, dessen Ausstellungen nicht besucht, dessen Bilder nicht angesehen werden. Oder einem Musiker, der alleine in einer riesigen Halle spielt. Oder einem Fußballbundesligaspiel, was in einem leeren Stadion stattfinden. (Entschuldigt den Fußballvergleich, aber das ist noch eine Sache die ich derzeit völlig absurd finde. Das hat nichts mit dem Fußball zu tun, wie ich ihn kennen und lieben gelernt habe. Aber das steht auf einem anderen Blatt.)

Wir sind soziale Wesen und möchten wahr- und angenommen werden. 

Also hört euren Mitmenschen zu! Nehmt euch die Zeit! 

Eure Anne