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Freiheit | 30. Januar 2021

Tina

Liebe Leserinnen und Leser!

„FREIHEIT“ was für ein großes Wort. Dieser Begriff ist schwer zu definieren, weil er so überaus komplex und facettenreich ist. Wenn ich dieses Wort höre oder lese, denke ich sofort an Unabhängigkeit. Selbstbestimmt ohne Druck oder Zwang Entscheidungen zu treffen.

Doch ab wann ist der Mensch frei? Ist es überhaupt möglich, vollkommen frei zu sein? Und, bedeutet das höchste Maß an Freiheit automatisch auch das höchste Maß an Glück?

Dieses Thema wirft unglaublich viele Fragen auf.

Grundsätzlich versteht man unter Freiheit zunächst die Option, unter verschiedenen Möglichkeiten auszuwählen um entscheiden zu können. Freiheit wird individuell empfunden und ist deshalb von vielen Faktoren abhängig. Unsere Gesellschaft gibt ein großes Maß an Traditionen, Normen und Regeln vor. Somit wird uns ein gewisses Quantum an Anpassung auferlegt, ob wir wollen oder nicht. Das jedoch finde ich notwendig und zumutbar, denn sonst würde die Menschheit  im Chaos versinken. Es gibt viele Aspekte von individuellen Freiheiten zu denen u.a. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Entscheidungsfreiheit, Willensfreiheit, Handlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Bildungsfreiheit, finanzielle Freiheit und Religionsfreiheit zählen.

Es gibt also nicht nur eine Freiheit, die umfassend ist, sondern verschiedene Freiheiten, die auf gewisse Teilbereiche des Lebens zutreffen. Unsere individuelle Freiheit bedeutet auch, dass wir keinem Zwang anderer Menschen unterliegen. Wir verwirklichen unsere eigenen Lebenspläne und führen sie zum Erfolg. Trotz aller Freiheitsliebe sollten wir allerdings nicht die Verantwortung unserer gesellschaftlichen Pflicht vergessen.

Wir haben für Euch wieder eine abwechslungsreiche Wochenausgabe zusammengestellt. In unserem spannenden und informativen Schwarzbrot, diesmal von Katharina, geht es um Verschwörungserzählungen. In unseren Nachrichten findet ihr u.a. neue Regeln im Homeoffice, die in Kraft treten. Und natürlich gibt es auch wieder persönliche Mensch zu Mensch-Beiträge. Annika ist auf der Suche nach Antworten, Anne versteht die Welt nicht mehr und Tina behütet ihre Freiheit wie ein wertvoller Schatz. Und - nicht zu vergessen - erhaltet ihr natürlich auch wieder eine kleine Prise wertvolle Tipps und ein Quentchen von Dies und Das.

Lehnt euch entspannt zurück und habt viel Spaß beim Lesen!
Eure Tina und das Team von angstfrei.news

Ganz wichtig: Was meint ihr zum neuen Konzept und zu dieser Ausgabe? Bitte gebt uns ein kurzes Feedback - das wäre hilfreich und sehr nett.

Übrigens nehmen wir unser Motto ernst: Angst hat eine Stimme - Deine. Wir sind ein Team von Freiwilligen und schreiben über unsere Angst-, Lebens- und Alltagserfahrungen, ohne ein Richtig oder Falsch, oft mit Verstand und immer mit Herz. Wir freuen uns über dich in unserem Team. Trau dich einfach und schreib uns eine Mail an angstfrei.news@gmail.com, oder über Instagram

Die gute Nachricht der Woche

Neues Corona-Medikament für Deutschland
Die Bundesregierung hat 200.000 Dosen zwei neuer Corona-Medikamente gekauft. Mit den monoklonalen Antikörpern Casirivimab/Imdevimab der US-Firma “Regeneron” wurde auch schon Ex-US-Präsident Trump im Rahmen seiner Corona-Infektionen behandelt. Zudem wurde Bamlanivimab vom US-Pharmaunternehmen “Eli Lilly” gekauft. Wie eine „passive Impfung“ wirken diese Medikamente, so Gesundheitsminister Spahn (CDU). „Die Gabe dieser Antikörper kann Risikopatienten in der Frühphase helfen, dass ein schwerer Verlauf verhindert wird.“ Ärzt*innen sollen das Medikament, das 2000€ pro Dosis kostet, nach individueller Nutzen-Risiko-Abschätzung anwenden.

Ab Ende Januar werden die Medikamente zunächst in Uni-Kliniken eingesetzt und nach und nach spezialisierten Kliniken kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Mittel ist in der EU noch nicht zugelassen, kann aber auch ohne Zulassung verabreicht werden, da es bisher noch keine bereits zugelassene Therapie gegen COVID-19 gibt.
Tagesschau
ZDF

Schwarzbrot: Verschwörungserzählungen I

Katharina

In dieser Rubrik möchten wir etwas tiefer in die Nachrichtenlage der Woche einsteigen. Mal eher hintergründig, mal eher serviceorientiert recherchieren wir für euch selbst, statt wie im darunter folgenden Nachrichtenblock Nachrichten auszuwählen und in eine angstfreie Sprache zu übersetzen. Wir hoffen, es mundet euch.

Im Zuge der Corona Pandemie gibt es eine ganze Menge zu wissen; über das Virus, über politische Entscheidungen, darüber, was andere Länder (nicht) machen, wie das ganze weitergehen kann und was wir daran (nicht) beeinflussen können. Aus psychologischer Sicht kommt diesem Wissen eine wichtige Rolle zu: Es gibt Sicherheit in einer Situation, über die wir an sich wenig Kontrolle haben. Neben Fakten aus Wissenschaft und politischen Entscheidungen kursiert aber auch eine Informationsform, die vermehrt Menschen aktiviert und auf die Straße oder sogar ins US-Kapitol zieht: Verschwörungsmythen. Was das (nicht) ist, warum Menschen davon angezogen werden und wieso das alles auch etwas mit jeder:m Einzelnen von uns zu tun hat, lest ihr in den kommenden beiden Ausgaben des Schwarzbrotes. Heute geht es los mit einer kleinen Einführung und der Frage danach, warum Verschwörungsmythen gerade jetzt Hochkonjunktur haben.

Verschwörungs"Erzählungen" bitte!

Aus der Psychologie ist bekannt: Worte machen Wirklichkeit. Gelesenes oder Gehörtes wird zu Bildern in unseren Köpfen und diese bleiben ("Denken Sie nicht an einen pinken Elefanten."). Diese wiederum rufen verschiedene Autovervollständigungen in uns ab. Ein gutes Beispiel ist der Begriff "Virus-Mutationen". Er transportiert das Bild von unkontrollierbaren Organismen mit bösem Eigenleben - ganz unabhängig davon, was wir tatsächlich darüber wissen. Eine Formulierung, mit der wir besser umgehen können ist zum Beispiel "Virus-Varianten". Mit Verschwörungstheorien verhält es sich ähnlich, wenn auch weniger plakativ. "Theorien" sind per Definition mit Studien und Fakten gestützt, belastbar und wissenschaftlich erarbeitet. Das trifft auf die Erzählungen, die aktuell kursieren nicht zu. Daher ist es besser, von Verschwörungserzählungen oder -mythen zu sprechen - auch um ihnen nicht mehr Relevanz und Glaubwürdigkeit zu geben, als ihnen zusteht. In diesem Text werden außerdem keine Konzepte dieser Erzählungen wiederholt, da sich schon die Wiederholung in unseren Köpfen festsetzt. Warum? Sprache ist mächtig. Sie ist so tief mit unserem Denken verwoben, dass sie ein Bild festsetzt, selbst wenn wir nicht damit übereinstimmen (Sprache und Wirklichkeit / TedTalk zum Thema). Aber lasst uns zum Thema kommen.

Vorab: “Fake news” oder Verschwörung?

Einfach gesagt: nicht alles, was nicht stimmt, beinhaltet eine Verschwörungserzählung. Es gibt falsche Informationen, die anderen Zielen dienen - zum Beispiel dem Gewinnen von Wähler:innenstimmen (Bspw. US-Wahl). Das Trickreiche an Verschwörungserzählungen ist, dass sie nicht nur auf Falschinformationen setzen. Viele Inhalte dieser Mythen basieren auf Ausschnitten von Fakten. Das macht sie so gefährlich. Ein Beispiel: Tatsächlich gibt es Bill Gates und dessen Stiftung, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fördert und tatsächlich kann die Abhängigkeit der WHO von diesen Spenden in Frage gestellt werden. Verarbeitet in einer Verschwörungserzählung werden diese Informationen verwendet, um die Erzählung in der Wirklichkeit zu verankern und von dort weiter zu spinnen. Es fällt daher leichter, ihr Glauben zu schenken (Ein spannender Artikel über die Fehlanwendung dieser Fakten ist in der ZEIT erschienen).

Ok, und woran erkenne ich Verschwörungserzählungen? 

Wissenschaftler:innen geben uns sieben Punkte an die Hand, an denen wir konspiratives Denken (der Mechanismus hinter den Mythen) erkennen können: 

(1) Widersprüchlichkeit - Menschen haben gleichzeitig Annahmen, die nicht zusammenpassen. So denken etwa 10 Prozent der Befragten einer Studie der Universität Erfurt, das es das Virus COVID-19 gibt UND dass es eine Biowaffe aus einem Labor ist. 
(2) Generalverdacht - die Skepsis vor der Welt nimmt Überhand. 
(3) Unterstellen von üblen Absichten, zum Beispiel dass der Gesellschaft prinzipiell durch Mächtige geschadet werden soll. 
(4) Glaube daran, dass etwas Falsch sein muss, auch wenn einigen Ideen zugestimmt wird.
(5) Opferrolle - Menschen fühlen sich gleichzeitig als Opfer, wie auch als mutige Helden. 
(6) Immunität gegen Beweise - oft führen Beweise sogar dazu, dass diesen noch weniger geglaubt wird [siehe Punkt 4]. 
(7) Zufälligkeiten uminterpretieren - eigentlich Nebensächliches wird in die Erzählung eingepasst. Garniert werden diese Punkte durch eine bewusste Bevorzugung von unterstützenden Argumenten gegenüber Widersprüchen.

Erzählungen sind nicht Corona-exklusiv - aber schon immer gefährlich

Verschwörungsmythen sind weder ein Corona- noch ein Neuzeitphänomen. Zwischen dem 16. bis späten 20. Jahrhundert gehörten sie fest in das gesellschaftliche Miteinander (z.B. ging man davon aus, dass Mozart von den Freimaurern ermordet wurde) und haben sogar ganze Kriege ausgelöst (z.B. Prager Fensterstürze). Der Glaube an die jüdische Weltverschwörung etwa hat den Holocaust erst möglich gemacht. Kurzum: Verschwörungserzählungen wirken sich auf Wirklichkeiten aus. Verpönt sind sie trotzdem erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, genauer zum Ende des zweiten Weltkriegs. Aktuell nehmen sie wieder zu. Der Verein "Sekten-Info NRW" oder die Organisation "Der goldene Aluhut" verzeichneten im vergangenen Jahr einen deutlichen Zulauf. Neu sind die Erzählungen allerdings nicht. Corona schlage lediglich ein neues Kapitel in einer unendlichen Geschichte auf, so Wissenschaftler:innen, die sich mit dem Thema beschäftigen

Katalysator Internet - die Rolle der sozialen Medien

Obwohl die Studienlage eher dünn ist, ist davon auszugehen, dass das Internet den Umlauf der Erzählungen beschleunigt. Insbesondere soziale Medien bieten sich dafür an. Bei einer durchschnittlichen Vorbei-Scroll-Zeit von 30 Sekunden pro Beitrag ist dieser schneller geliked, geteilt oder kommentiert als kontrolliert oder reflektiert. In der Regel betrachten wir diese Inhalte in unserem privatesten Raum: in unseren Händen, durch den Handybildschirm oder auf unserem Laptop, dessen Desktop wir vor fremden Augen verbergen. Und die Erzählenden sind Freunde, Bekannte oder Medienpersonen, zu denen wir auf Grund der Häufigkeit des (einseitigen) Kontaktes eine Art Beziehung pflegen (parasoziale Beziehung). 

Der Algo-Rhythmus der Verschwörung

Dazu kommt, dass wir aufgrund unserer eigenen Filterstrukturen (bestimmt dadurch, wem wir folgen, was wir liken oder wie wir posten) in einer ziemlich eindimensionalen Medienumgebung unterwegs sind. Besonders zeigt das der Algorithmus auf Youtube: Sobald wir ein thematisches Video schauen, verändert sich die Reihe der vorgeschlagenen Videos drastisch. So dauert es nur wenige Videos um von "Sorge vor Impfung" bei "Die Weltgesundheitsorganisation gehört Bill Gates" zu landen. Eine Studie zum Thema Zika-Virus aus dem Jahr 2018 zeigt anschaulich, wie weit sich ungesicherte Informationen verbreiten, ohne dass das für die Nutzer:innen sichtbar ist. Forscher:innen haben die beliebtesten Youtube-Videos zum Thema untersucht. Das Ergebnis: in über 65% der Videos wurde vom Impfen abgeraten, obwohl es keine wissenschaftliche Grundlage dafür gab. 

“Du kommst hier nicht rein!” - Die Rolle von Gatekeepern*

Aber warum verbreiten sich Informationen dann? Eine einfache Antwort aus der Kommunikationswissenschaft lautet: Weil es keine Gatekeeper gibt. *Gatekeeper? Das sind diejenigen, die Informationen sortieren, bewerten und für die Verbreitung auswählen. Klassischerweise sind das Medienschaffende, Wissenschaftler:innen oder generell Gestalter:innen öffentlicher, massenmedialer Kommunikation. Auf den sozialen Medien können wir alle zu diesen Schnittstellen werden. Monika Taddicken von der TU Braunschweig macht das ganz klar: "In den sozialen Medien wird eine Menge von Inhalten generiert, die auf traditionellem Wege keinen Zugang zum öffentlichen Diskurs gehabt hätte“. Besonders plakativ zeigt das der Fall Donald Trump - seit er nach Schließung seines Twitter Accounts wieder massenmedialen Regeln unterliegt, ist es still um ihn geworden.

Von Misstrauen zur Verschwörungserzählung

Fast jede:r zweite Deutsche glaubt, dass es geheime Organisationen gibt, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben; das ergab eine repräsentative Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019. Das zeigt, wie groß das Potential in der deutschen Gesellschaft ist, sich Verschwörungsmythen zuzuwenden. Der eigentliche Einstieg ist oft niederschwellig. Es reicht eine Nachricht, die sich an einen Zweifel oder ein Fragezeichen anschmiegt und vielleicht von vertrauten (Medien)Personen verstärkt, wiederholt oder plausibilisiert wird. Es folgt ein Rückzug aus klassischen Medien, der auf lange Sicht zu einem Umzug in eine Medienumgebung abseits klassischer Medien führt (Polarisierungsforschung). Oft ist das der Moment, an dem Menschen nicht mehr zugänglich sind für andere Informationen. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass sie ein starkes Gruppengefühl entwickelt haben, das zur Abgrenzung zum Außen und Überhöhung des Inneren führt. 

Wer ist denn nun Verschwörungsmythiker:in?

Zwar glauben Männer stärker an Verschwörungen als Frauen (Mitte Studie), die “typischen Verschwörungsgläubigen” gibt es aber nicht. Spätestens in der Vielfalt von Hygienedemonstranten oder Betrachtungen von QAnon-Anhänger:innen ist sichtbar geworden: Es handelt sich um sehr diverse Gruppen. Zum Teil ist es übrigens gerade das, was Menschen bestärkt, auf dem 'richtigen' Weg zu sein. Verschiedene Studien belegen die Diversität der Anhänger:innen. Verschwörungsglaube hat nichts mit psychischen Problemen oder bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zu tun, auch Alter, Intelligenz, Geschlecht, Religion und Bildung spielen kaum eine Rolle. Trotzdem gibt es Haltungen, die Verschwörungsmythiker:innen teilen: Entscheidend zu sein scheint, ob sich Menschen machtlos fühlen oder Schwierigkeiten damit haben, Unsicherheit zu akzeptieren. Forscher:innen sprechen bei dieser Persönlichkeit von einer Verschwörungsmentalität. Sie zeichnet sich außerdem durch ein größeres Misstrauen gegenüber "denen da oben" aus. Politiker:innen und andere Führungspersonen werden als Marionetten der dahinter stehenden Mächte verstanden (Mehr dazu).

Das sind doch nur die anderen! (Oder?)

Die psychische Veranlagung für Verschwörungsglauben tragen wir alle in uns - das zeigte schon eine Studie aus dem 1994 (Ted Goertzel) - denn wir sind nicht rational. "Die Menschen denken zwar, sie seien rational. Die Veranlagung an Verschwörungen zu glauben, stecke aber in uns allen" sagt zum Beispiel Katharina Nocun, Autorin des Buches „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ (dlf Kultur). Laut Mitautorin Pia Lamberty ist das ein globales Phänomen: Jede:r zweite US-Amerikaner:in glaubt an mindestens eine Verschwörung, 18 Prozent der Deutschen glauben an eine Impf-Verschwörung, laut 17 Prozent ist die Corona-Krise nur ein Vorwand der Politik, um Freiheitsrechte auf Dauer einzuschränken. Jede:r Fünfte glaubt, dass Migrant:innen nach Deutschland gebracht würden, um die Bevölkerung „auszutauschen“. (Hertie Stiftung / taz). Wenn ihr nun in Euch hinein horcht und feststellt, Ihr seid auch nicht frei von solchen Gedanken: das ist ok. Es ist menschlich, sich Autovervollständigungen zu bedienen, Ängste zu haben oder sich Sorgen über Themen zu machen, die wir nicht völlig durchdringen. Wichtig ist, wie wir mit diesen Gedanken umgehen.

Was fangen wir nun damit an?

Wir bleiben sensibel. Wer versteht, woher Verschwörungsmythen kommen und wie sie funktionieren, kann sie besser reflektieren, bewerten und einordnen. Außerdem hilft es, sich vor Augen zu führen, dass wir alle empfänglich dafür sind. Welche Bedürfnisse Verschwörungserzählungen befriedigen, die wir alle in uns tragen, erklären wir in der kommenden Woche an gleicher Stelle. 

Gebt uns bis dahin auch gerne Rückmeldungen, stellt Fragen oder sendet uns Eure Ergänzungen. Durch gemeinsames Denken und Reflektieren bauen wir Wissen auf, Misstrauen ab und bleiben vor allem im Gespräch. Warum das besonders wichtig ist, lest Ihr nächste Woche an dieser Stelle.

Weitere Quellen
Quarks (Übersicht) | Quarks (Warum Verschwörung?)
ZDF (Interview mit Katharina Nocun und Prof. Dr. Monika Taddicken)
Netzpolitik.org (Übersicht)
Mitte Studie (Friedrich Ebert Stiftung)
taz (Hygiene Demos)
BR (Verschwörungsglaube)
dlf Kultur (Interview mit Katharina Nocun)
Landeszentrale für politische Bildung
Hertie Stiftung (Interview mit Pia Lamberty)
Gesundheitsstadt Berlin (WHO - Impfgegner)

Dieser Artikel ist Teil der losen Reihe von Basisinformationen zur COVID-19-Pandemie. Es folgt ein weiterer Beitrag zum Thema Verschwörungserzählungen und Texte zur Akzeptanz von Maßnahmen und weitere Themen. Gern könnt ihr uns Feedback geben, welche Themen euch besonders interessieren.

Nachrichten

angstfrei.news ist gestartet als ein Projekt, das unaufgeregt die Neuigkeiten des Tages - jetzt der Woche - zusammenfasst. Ihr habt uns bestärkt, dass dieser Service wichtig ist, daher bleiben wir ihm treu für all jene, denen die Flut an Nachrichten zu viel wird. Deswegen fassen wir hier für euch die wichtigsten Entwicklungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in der vergangenen Woche zusammen.

Inland

Einreisebeschränkungen wegen Corona-Varianten
Ab Samstag (30.1.) gilt eine Einreisesperre für sieben Länder, in denen sich Corona-Varianten ausgebreitet haben. Bis zum 17. Februar besteht dann ein Beförderungsverbot für Fluggesellschaften, Bahn-, Bus- und Schiffsunternehmen. Die Regelung gilt für Irland und Portugal, Großbritannien, Südafrika, Brasilien sowie die afrikanischen Staaten Lesotho und Eswatini. Ausnahmen gelten für Deutsche oder in Deutschland lebende Migrant:innen oder Transitpassagiere und den Warenverkehr. Begründet wird die Entscheidung mit der besonderen Dynamik der Verbreitung von Virus-Varianten. Kritik erntet die Bundesregierung für die mangelnde Abstimmung mit EU-Partner:innen. Auch deswegen soll es zunächst keine Kontrolle an den Landesgrenzen geben. 
Tagesschau

Neue Home-Office-Regeln in Kraft
Arbeitgeber*innen sind verpflichtet, wenn möglich, Home-Office zu erlauben. Bundesarbeitsminister Heil (SPD) hat eine entsprechende Verordnung vergangenen Mittwoch (27.01.) verabschiedet. Demnach gelten in Betrieben nun auch strengere Arbeitsschutzregeln. Ab einer Betriebsgröße von zehn Personen müssen Mitarbeiter*innen in feste Gruppen eingeteilt werden. Wenn mehrere Arbeitnehmer*innen in einem Raum arbeiten, benötigt nun jede*r zehn  Quadratmeter Platz. Ist so viel Platz nicht verfügbar, sollen Arbeitsnehmer*innen mit medizinischen Masken versorgt werden.

Auffällig ist, dass Arbeitnehmer*innen in vielen Fällen trotz Home-Office-Option am Arbeitsplatz präsent sind. Nur 25% der Beschäftigten, die über diese Option verfügen, arbeiten in Heimarbeit. Experten schätzen, dass es 56% sein könnten. Die Verordnung soll Abhilfe schaffen und gilt zunächst befristet bis zum 15. März.
→ Tagesschau (Hintergrund)
Tagesschau
→ Bundesregierung (mit FAQs zur Arbeitsschutzverordnung)

Höhere Sozialleistungen gefordert
Soziale Organisationen fordern mehr finanzielle Hilfen für Benachteiligte. Die 36 Organisationen verlangen in ihrem Papier u.a. die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes und der Grundsicherung auf 600€. Auch fordern die Unterzeichner*innen weitere Corona-Soforthilfen von monatlich 100€ für coronabedingte zusätzliche Ausgaben für Menschen mit geringem Einkommen.

Zusätzlich sollen Schüler*innen versprochene Laptops erhalten und Mieter*innen, die pandemiebedingt in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, einen Kündigungsschutz. Die bisherige fehlende Unterstützung benachteiligter Menschen käme einem „armutspolitischen Offenbarungseid“ gleich, so die Verbände. Auch SPD-Politiker*innen haben Unterstützungsvorschläge erarbeitet, die noch mit dem Koalitionspartner besprochen werden.

Weltweit hat COVID-19 soziale Ungleichheiten verschärft. So haben laut OXFAM-Report hunderte Millionen Menschen ihre Arbeit verloren und 33 Mio. Kinder ihren Bildungsweg abgebrochen. Reichere Länder sollen laut Bericht künftig stärker in die Pflicht genommen werden und ärmere unterstützen.
Tagesschau
Tagesschau (OXFAM-Report)
Süddeutsche (OXFAM-Report)

Merkel zieht kritisch Corona-Bilanz 
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) blickt kritisch auf ihr Vorgehen zur Pandemiebekämpfung. Auf dem diesjährigen Wirtschaftsforum von Davos, welches rein virtuell stattfand, zog Merkel rund ein Jahr nach den ersten Coronainfektionen in Deutschland ein Resümee: Viele Prozesse seien in Deutschland aufgrund bürokratischer Gegebenheiten zu langsam abgelaufen. Die Digitalisierung sei nicht ausreichend, vor allem bei der Vernetzung der Gesundheitsämter und in den Schulen.  

Merkel forderte zudem eine faire und gerechte internationale Impfstoffverteilung und eine Unterstützung der ärmeren Länder. 
Tagesschau 

Ausland

EU-Zulassung für AstraZeneca - aber Streit um die Verträge
Die EU-Kommission hat dem Impfstoff von AstraZeneca die Zulassung erteilt. Die Entscheidung erfolgte auf Empfehlung der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ohne Altersbeschränkungen. Die Ständige Impfkommission in Deutschland hatte hingegen geraten, den Impfstoff nur Menschen zwischen 18 bis 65 Jahren zu injizieren - für höhere Altersgruppen würden zu wenige Daten vorliegen. 

Unabhängig von der Zulassung gibt es Streit zwischen der EU und dem britisch-schwedischen Pharmaunternehmen um die Lieferverpflichtungen: Da ein Werk in Belgien nicht die geplanten Impfdosen produzieren kann, will AstraZeneca statt 80 Millionen nur 31 Millionen Dosen liefern. Andere Staaten wie UK erhalten aber die vollen Liefermengen. 

AstraZeneca behauptet, nur versprochen zu haben “sein Bestes zu geben” und verweist darauf, dass UK die Lieferverträge drei Monate früher abgeschlossen habe. Die EU-Kommission drohte im Gegenzug mit Exportbeschränkungen und kündigte bereits entsprechende Kontrollen an. Zudem veröffentlichte sie Teile der Verträge mit AstraZeneca, um ihre Ansprüche zu untermauern. 

Die EU-Kommission hatte die Entwicklung und den Aufbau von Produktionskapazitäten unterstützt und verschiedenen Pharmaunternehmen Abnahmegarantien im Falle einer Zulassung versprochen. AstraZeneca will die Lieferengpässe nun innerhalb von drei Monaten beheben. 
tagesschau.de 

Portugal mit sehr hohen Infektionszahlen 
In Portugal sind die Infektionszahlen weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden haben sich allein am Donnerstag (28.01.) 16.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Etwa jede:r zehnte Infizierte habe sich dabei mit der etwas ansteckenderen Virusvariante B1.1.7 angesteckt. Gesundheitsministerin Marta Temido zufolge können öffentliche Krankenhäuser kaum mehr neue Patienten aufnehmen. Daher werden diese von großen militärischen Gesundheitseinrichtungen in Lissabon und Porto unterstützt. 

Der landesweite Lockdown gilt noch bis Mitte Februar. Zusätzlich verkündete Kabinettsministerin Mariana da Silva am Donnerstag (28.01.) ein 15-tägiges Reiseverbot in andere Länder für portugiesische Staatsbürger*innen. Reisen nach Spanien sind nur noch für den Warentransport oder aus Gesundheitsgründen erlaubt.
fr.de 
zeit.de (Ausreiseverbot)
zeit.de (Militärunterstützung)

Proteste in Niederlande
In den Niederlanden ist es zu gewaltsamen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gekommen. Die Krawalle dauerten mehrere Nächte an und richteten sich vor allem gegen die nächtliche Ausgangssperre, die seit dem 23. Januar von 21 bis 4:30 Uhr gilt. 

Die Demonstrant*innen beschädigten Geschäftsräume, sowie ein Corona-Testzentrum in der Stadt Urk nahe des Ijsselmeers. 

Premierminister Ruthe verurteilte die Sachbeschädigung: “Das ist absolut unzulässig, das hat nichts zu tun mit Protesten, sondern ist kriminelle Gewalt." Laut Polizeiangaben waren die meisten Demonstrant*innen junge Erwachsene, unter anderem aus der rechten Szene, Corona-Leugner*innen und Fußball-Hooligans. 
Tagesschau 
Tagesschau

Sport

Sportpause nach Corona-Infektion
Nach leichten und auch milderen Verläufen einer Corona-Infektion ist eine mehrwöchige Sportpause äußerst ratsam. Sportkardiologe Prof. Martin Halle von der TU München warnt vor dem Risiko für Herzmuskelentzündungen, wenn Betroffene nach überstandener Krankheit zu früh wieder mit dem Training beginnen. Herzrasen und Luftnot seien hierbei zwei häufig berichtete Symptome. Halle rät daher auch nach einem symptomfreien Verlauf zu einem zweiwöchigen Sportverzicht. Bei milden Verläufen mit Fieber und Husten sollten Personen nach der Genesung bis zu vier Wochen keinen Sport betreiben. 
Redaktionsnetzwerk Deutschland

Corona in Zahlen
In Deutschland sind 3.773.875 Menschen als infiziert getestet worden (Stand: 03.08.2021 00:00 Uhr, Quelle: RKI), das sind 1.766 Personen mehr als am Tag zuvor.

Warum diese Zahlen? Wir zitieren hier die offiziellen Zahlen des RKI, diese werden einmal täglich – immer um Mitternacht – vom RKI aktualisiert und um 10 Uhr morgens online veröffentlicht. Und warum gibt es hier nicht mehr davon? Es ist wichtig, die aktuell angeratenen Verhaltensweisen zu befolgen, das wissen wir alle. Zahlen über Neuerkrankte helfen uns dabei nicht. Achtet aufeinander und haltet Distanz.

Gesundheitsticker: 180.561.655 Menschen sind weltweit wieder genesen, das sind 456.134 Personen mehr als gestern Früh. Davon 3.659.900 in Deutschland (Stand: 04.08.2021 05:27 Uhr, Quelle: Worldometers).

Von Mensch zu Mensch

Dem Begriff Freiheit kann man sich von verschiedenen Seiten nähern. Annika tut dies in ihrem Text und schlägt einen Bogen, fügt eins zum Anderen: Von der individuellen Freiheit, die in die gesellschaftliche greift. Warum Freiheit unterschiedlich wahrgenommen wird, wie die Angst ihre Freiheit einschränkt und warum sich ein Blick mit Kinderaugen lohnt, lest ihr im folgenden Text.

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Anarchie und Fremdbestimmung
Annika

„Das ist eine Einschränkung der Persönlichkeitsrechte!“ oder „Das ist ein Eingriff in unsere persönliche Freiheit!“. Zumindest in meiner Lebenswelt (ich war ein „Nach-der-Wende-Baby“) habe ich diese Sätze noch nie in so einer Häufung und einer Überzeugung gehört, wie im vergangenen Jahr. Und das will was heißen - in meiner Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen und besonders in der Umsetzung von Bewährungsauflagen steht die Diskussion über die potenzielle Einschränkung der eigenen Freiheit nämlich auf der Tagesordnung.

Ob die eigene Freiheit nun dadurch bedroht wird beim Einkaufen eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen oder davon, aufgrund einer richterlichen Anordnung einmal monatlich eine Suchtberatung aufsuchen zu müssen, entscheidet am Ende wahrscheinlich jede Person individuell. Und meine individuelle Einstellung zum Freiheitsbegriff? Tja. Ich finde, er ist ziemlich schwammig. 

Ist es Freiheit, wenn jeder Mensch komplett frei und ohne Regeln durch die Welt ziehen kann? Ist es Freiheit, wenn ich meinem Nachbarn aus einer Laune heraus einen Hammer auf den Kopf schlagen kann? Ist es Freiheit, wenn es keine rechtlichen Vorgaben für unser gesellschaftliches Miteinander mehr gibt und demnach auch niemand mehr etwaige Konsequenzen für sein Handeln fürchten muss? Klingt ein wenig nach Anarchie. Aber bedeutet Anarchie automatisch Freiheit? Nun ja, das kommt wahrscheinlich auf die Perspektive an. Für die Person, die freimütig mit dem Hammer herumläuft und jeden Menschen niederschlägt, der es aus ihrer Sicht verdient hat, vielleicht schon. Die Person, die den Hammer abbekommt, würde dem allerdings wahrscheinlich widersprechen.

Das Niederschlagen anderer Personen mit einem Hammer hat sich jedenfalls gesellschaftlich nicht durchgesetzt. Irgendwann in der Geschichte der Menschheit setzte also der Grundgedanke ein, dass ein individuelles Verständnis von Freiheit nicht über das Wohlergehen anderer Menschen gestellt werden darf.

In meiner Kindheit gab es einen dazu passenden Spruch: „Meine Freiheit hört dort auf, wo die Freiheit des Anderen anfängt.“. Demnach würde es, um diesen auf unsere momentane Situation herunter zu brechen, also auch bedeuten, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung meine Freiheit nicht einschränkt, solange ich dadurch die Gesundheit (und damit auch Freiheit) meiner Mitmenschen schützen kann. 

Ich fühle mich durch das politische Vorgehen zur Eindämmung der Pandemie nicht in meiner Freiheit bedroht. Allerdings bin ich auch nicht selbstständig oder in einem Bereich tätig, in dem momentan nicht gearbeitet werden kann. Ich bange nicht um meine Existenz. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie dieser Text ausgesehen hätte, wenn es anders wäre. 

Vielleicht hat meine vage Einstellung zum Freiheitsbegriff aber auch mit meiner Psyche zu tun. Denn als Mensch mit einer Angsterkrankung ist dieser meist ausgesprochen dehnbar. Ich fühle mich nicht frei, wenn mich meine Psyche von einer Autofahrt abhält, meinen Alltag bestimmt oder mich in ihren Hochphasen in eine Selbstisolation zwingt. Ich fühle mich fremdbestimmt. Fremdbestimmt vom eigenen Denken und Fühlen. Das ist frustrierend, denn ich habe in diesen Situationen niemanden, dem ich die Verantwortung und Schuld dafür zuschieben kann. Niemanden, gegen den sich meine Wut, Verzweiflung und mein Frust richten kann - außer mich selbst. Und aus meiner Sicht ist das eine der größten Herausforderungen in einem Leben mit Angst.

Vielleicht erklärt sich daraus aber auch, weshalb die Vorwürfe gegen die Bundesregierung in den letzten Monaten so laut geworden sind. Menschen sind frustriert, sie fühlen sich in einer bisher unbekannten Form fremdbestimmt - nur haben sie, im Gegensatz zu mir, einen Schuldigen für ihre subjektive „Freiheitsbeschränkung“ gefunden. Und den wollen sie nun anprangern. Laut und deutlich. Weil sie ausschließlich sich wahrnehmen - und die wahrgenommene Beschneidung ihrer Bedürfnisse. Weil die Bedürfnisse anderer auf einmal nicht mehr zählen - oder zumindest nicht so viel, wie die eigenen. 

„Meine Freiheit hört dort auf, wo die Freiheit des Anderen anfängt.“. Als ich meine heute zehnjährige Nichte kennen gelernt habe, war sie gerade im Kindergartenalter. Sie kannte den Spruch schon - für sie war der Inhalt selbstverständlich. Vielleicht sollten wir uns ab und an die Welt aus Kindersicht erklären lassen. Zur Auffrischung quasi. Wer weiß, wo wir dann stehen würden.

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Annika hat sie schon aufgegriffen: Menschen die sich unter anderem durch aktuelle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in ihrer Freiheit über die Maße eingeschränkt fühlen. Dieser Gedanke hat auch Anne nach dem Scrollen durch die Sozialen Medien umgetrieben. Fragen die sich ihr dadurch stellen (und ob sie Antworten darauf findet), könnt ihr im nächsten Text lesen. 

Die Quadratur des Kreises
Anne

Es ist Mittwoch Abend, der 27.1. Ich habe mit meiner Tochter zusammen die Nachrichten geschaut, der Holocaust- Gedenktag war eines der Themen. Das bedarf natürlich einer ausführlichen Nachbesprechung, ehe das Kind in Bett geht. Doch nun schlafen beide und ich gönne mir eine halbe Stunde Social Media, flitsche durch die Timeline und begehe den Kapitalfehler. Ich bleibe in einer Kommentarspalte hänge, lese, lese weiter. Starre perplex auf das Handy, komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Bin erschreckt, aufgeschreckt und lese dennoch weiter. 

„Okay, du musst hier raus, sonst regst du dich nur wieder auf.“ Dafür ist es längst zu spät, die Aufregung längst da. Und es wäre ja auch schlimm wenn nicht, wenn einen dieser Hass und diese Menschenfeindlichkeit kalt ließe. Und das alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, die anderen Menschen Freiheit abspricht. Dennoch lege ich das Handy beiseite. 

Ich schätze die Meinungsfreiheit als wahnsinnig wichtiges Gut unserer Gesellschaft und Demokratie. Ich schätze Diversität an Meinungen und in Meinungen und einen Diskurs. Wie sonst könnte man Dinge, Problem, Sachverhalte vielfältig und vielseitig betrachten in ihrer Komplexität. Wie sonst könnte Fortschritt sowohl im eigenen Hirn, als auch in der Gesellschaft generiert werden?

Aber davon ist in den Kommentaren nichts zu lesen, ein Diskurs nicht gewünscht. Müsste ich nicht etwas schreiben, dagegen halten? Oder ist das nur vergeben Liebesmüh? Ja. Nein. Vielleicht. Ich tue es nicht. Um mich nicht noch mehr aufzuregen und um nicht selber von Kommentaren dieser Art getroffen zu werden. Das sind mit Sicherheit gute und verständliche Gründe. Dennoch habe ich ein schlechtes Gewissen, wie einseitig diese Kommentare aussehen, was für ein Bild sie suggerieren. Aber das reale Leben, die reale Wirklichkeit sind so vielschichtiger, so diverser, so ambivalenter, als dieses zweidimensionale Bild, was sich auf meinem Smartphone abzeichnet. 

Dennoch gibt es Überschneidungen dieser beiden Welten, wenn sich diese Menschen, die sich mit vermutlich Unmut und Frust im Gepäck in Sozialen Medien austoben, im realen Leben ihrer Freiheit beraubt fühlen, durch Masken und weiteren Maßnahmen zu Pandemiebekämpfung, oder durch Menschen, die aus ihrem Heimatland geflohen sind, durch Menschen die ihrer Meinung nach die falsche Hautfarbe oder den falschen Glauben haben, die das falsche Geschlecht lieben, usw. Wenn ich dann Bilder in den Medien sehe, Berichte in Zeitungen lese, dann erschrickt es mich. Und ich sorge mich um meine Freiheit und die meiner Kinder, unserer gesellschaftlichen Freiheit und zugleich stelle ich mir immer und immer wieder die Frage: Wieso? Wieso denken und fühlen Menschen so scheinbar hassvoll, alles Andere und Fremde ablehnend? Ich würde es gerne verstehen, aber Verständnis für derartige Positionen ist völlig fern. Eine Antwort scheint mir so möglich und unmöglich wie die Quadratur des Kreises. 

Ich persönlich fühle mich nicht in meiner Freiheit durch eine Gesichtsmaske eingeschränkt. Klar, die Maske nervt, das Gummi zwickt hinterm Ohr und die Brille beschlägt. Bei anderen Maßnahmen sieht es anders aus, bei meinen privaten Kontakten, da werde ich eingeschränkt und fühle mich auch in meiner Freiheit eingeschränkt. Ich würde gerne mal wieder raus, mit Freunden einen Kaffee trinken, oder ein Bier, auf ein Konzert gehen, oder ins Kino, Familie besuchen. Aber die Gründe, dies zur Zeit zu unterlassen, wiegen stark genug. Ich nehme diese Freiheitsbeschränkung gerne hin, will ich doch selbst nicht erkranken oder jemanden anstecken.Und ich bin mir darüber im klaren, dass meine Freiheit auch immer Verantwortung mit sich bringt. Es ist nicht die Politik oder die Wissenschaft, die hier die Freiheit einschränkt, sondern das Virus. Diesem kann ich natürlich schlecht mit Wut, Parolen und einem handgeschriebene Plakat gegenübertreten. Aber deswegen dies alles auf andere abladen? 

Jetzt ist dieser Text um einiges politischer geworden, als geplant war. Aber wie heißt es noch „das Private ist politisch“ und der Begriff Freiheit ist für mich untrennbar mit Demokratie verbunden. 

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Von einem ungeplant politischem Text wird es nun musikalisch. Aus einem Lied heraus führt uns Tina in einen Käfig, der sowohl der Freiheit beraubt, als auch Sicherheit bietet. Doch mit dem wieder erlernten Fliegen findet sie ihren sicheren Hafen und würde diesen auch nicht für eine WG aufgeben. Aber lest selbst.

Freiheit, die ich meine…..
Tina

Bei diesem Wochenthema fällt mir sofort den Song „Freiheit“ von Curse ein.
Eine Textpassage lautet wie folgt:

Freiheit bedeutet sein wie ich bin,
Freiheit heißt für mich, Fehler machen wie ein Kind und wenn’s sein muss, fall ich halt hin
Doch ich steh wieder auf
Freiheit heißt, zöger nicht, sondern lauf
Wenn du weißt was du willst, dann tu’s, wenn nicht, dann tust du es auch
Freiheit bedeutet frei sprechen, frei machen, frei bleiben
Mauern die, die Angst vorm Versagen errichtet einreißen, Mut haben
Freiheit bedeutet auch zu enttäuschen, sich selbst zu erfüllen
Anstatt die Erwartungen von anderen Leuten
Freiheit heißt auch Entscheidungen treffen
Freiheit heißt sich hin und wieder die Freiheit zu nehmen die Meinung zu wechseln
Freiheit heißt es macht manchmal auch Sinn,
Dass meine Freiheit da enden muss, wo die Freiheit eines Anderen beginnt……

Ich liebe diesen Song und kann mich gut darin wiederfinden. Als Teenager wusste ich früh, dass ich später einmal ein freies und selbstbestimmtes Leben führen will. Ohne die Verpflichtung einer Ehe. Bis heute sehe ich die Ehe als eine Gefangenschaft, der man nicht so schnell entfliehen kann. Wie ein Vogel, der eingesperrt in einem geschlossenen Käfig umher flattert. Ich liebte meine Freiheit schon immer viel zu sehr,  als das ich mich freiwillig in diesem Ehekäfig hätte einsperren lassen. 

Doch dann sagte die Angst ein kurzes „Hallo“ zu mir. Und eh ich mich versah, war ich in ihrem Käfig  gefangen. Das war, ehrlich gesagt, auch kein vielversprechender Deal. Doch diese Käfigtür war nicht verschlossen. Sie stand ausnahmslos offen. Es lag an mir, ob ich den Mut habe, den Käfig zu verlassen um wieder in die Freiheit zu fliegen. Doch meine Selbstsicherheit auf ein unabhängiges Leben verkroch sich feige in die hinterste Ecke. Schlagartig saß ich zitternd wie ein kleiner ängstlicher Vogel auf dem Boden und war unfähig zu fliegen. Ich musste erst wieder lernen zu fliegen um durch die offenstehende Tür in die Freiheit zu gelangen. Jedoch waren meine Flügel erstmal gestutzt. Die Freiheit spielte sich vorerst außerhalb des Käfigs ab, während ich ihr sehnsuchtsvoll durch die Gitterstäbe hinterher schaute. Ein großer freier Adler wollte ich immer sein, stattdessen wurde ich ein kleiner ängstlicher Piepmatz, der sich zuweilen an seinen Käfig gewöhnt hatte und darin seine Sicherheit vor der großen weiten Welt fand. Doch eines Tages erhob sich das kleine Vögelchen und schlug mit den Flügeln. Denn es wusste, dass draußen die Freiheit wartete. Mutig stellte es sich seinen Ängsten und flog immer ein Stück weiter als am Tag zuvor. Doch immer im Blick, seinen schützenden Käfig. Aus dem kleinen Vögelchen wurde nie der ersehnte Adler, doch der ängstliche kleine Piepmatz bin “ICH” auch nicht geblieben.   

Vielleicht ist das mit dem Eheleben ja ganz genauso. Anstatt die Ehe als Käfig und die Freiheit nur außerhalb des Käfigs zu sehen, verbirgt sich in Wahrheit der berühmte Heimathafen einer Ehe dahinter. Hier wirft man gerne den Anker, weil genau das „Ankommen“ die Freiheit bedeutet. Hmm…….wie auch immer. Ehe hin oder her, ich liebe es einfach frei zu sein um meine privaten Entscheidungen selbstbestimmt treffen zu können. Seit meiner Angststörung wurden meine eigenen vier Wände wichtiger als jemals zuvor. Denn dort kann ich tun und lassen was ich will, ohne jemandem Rechenschaft abzulegen. Als Teenie fragten mich öfters Freundinnen nach einer gemeinsamen WG-Gründung. Horror! Der Schreck war mir jedesmal ins Gesicht geschrieben, mir entglitten sämtliche Gesichtszüge. Dieses Abenteuer ist für mich undenkbar. Bei dieser Vorstellung kommt mir sofort ein leerer Kühlschrank in den Sinn, weil jeder Mitbewohner immer nur rausnimmt, aber niemals nachfüllt. Dann dieser Stress, wer was putzt. Aber vor allem herrscht niemals Ruhe. Mit solchem Durcheinander assoziiere ich eine WG. Aber wie gesagt, es ist nur mein Kopfkino. Andere werden es ganz anders sehen als ich und wahrscheinlich geht es in der Realität keineswegs so chaotisch zu. Ich glaube, der leere Kühlschrank würde mich am meisten stören…grins. Trotz allem finde ich eine WG eine gute Sache, schließlich behüten nicht alle ihre Wohnung als wäre sie aus purem Gold, so wie ich das tue.

Vor einigen Jahren fragte mich erneut eine Freundin, ob wir uns als WG zusammen tun. Natürlich erst wenn unsere Kinder aus dem Haus sind. Inzwischen sind unsere Kinder aus dem Haus, doch noch immer ist die Vorstellung an eine WG ein beklemmendes Gefühl für mich. Der Gedanke an sich ist ja nicht verkehrt. Da die Mietpreise ins Unermessliche steigen, weil die Wohnungen inzwischen fast zu unbezahlbaren Luxusgütern geworden sind, hat man in einer WG geteilte Mietkosten. Ein anderer nicht unwesentlicher Aspekt wäre, dass man nicht alleine ist. Denn Einsamkeit wird in einer WG wohl kaum aufkommen. Doch für mich sind das alles keine Gründe um auch nur annähernd darüber nachzudenken bzw. in Erwägung zu ziehen, ein Stück von meiner Freiheit aufzugeben. Die Freiheitsliebe meines eigenständigen Lebens ist es aber nicht allein. Je älter ich werde, desto öfters merke ich, dass ich immer weniger bereit bin, Kompromisse einzugehen. Das Arrangieren miteinander, Kompromissbereitschaft, Diskussionen um die man nicht herum kommt, Rücksichtnahme, Streitigkeiten in dem auch mal Tränen fließen. All das gehört schließlich dazu, wenn man sich entschieden hat, seine Wohnverhältnisse zu teilen. Ganz gleich in welcher Form das Zusammenleben stattfindet.
Ich glaube, mir wäre das auf Dauer einfach zu anstrengend. Wir alle können frei über unser Leben verfügen und gewissermaßen nach unseren Vorstellungen leben. Und das ist es doch, was im Endeffekt zählt.    

Curse “Freiheit” (Youtube)

Tipps der Woche

Wir haben gelesen, was Freiheit für uns Redakteur*innen persönlich bedeutet und im Editorial konntet ihr auch einen allgemeineren Blick auf den schwierigen, komplexen Begriff werfen. Aber wie kann nun ein Tipp diesbezüglich aussehen, in Zeiten, wo wir schon durch die Coronamaßnahmen in unserer Freiheit eingeschränkt werden?

Vielleicht ist es eine Möglichkeit sich zu vergegenwärtigen, wann uns ein Freiheitsgefühl überkommt. Der Blick aufs Meer oder der Blick von einem Gipfel über eine hügelige Landschaft könnten dies sein. In diesen kleinen Momenten atmet man intuitiv tief ein und ist ganz in diesem Augenblick versunken. Diese Momente können wir uns wieder in Erinnerung rufen. Vielleicht können wir auch Situationen erschaffen, die diesen ähneln. Ans Meer fahren - wenn man nicht in Küstennähe wohnt ist derzeit schwierig. Aber für sich einen nahen Ort finden, der irgendwie eine Verbindung aufbaut, das können wir versuchen. Bei mir (Anne) ist dies zum Beispiel ein Spaziergang am Rhein. Spätestens, wenn mir hier eine Möwe über den Weg läuft (ja ein paar haben sich tatsächlich bis nach Köln verirrt), dann stellt sich bei mir Meeresfeeling ein. Wenn auch verbunden mit ein bisschen Sehnsucht. 

Office-Vibes für Zuhause
Euch fehlen die kleinen Schrulligkeiten der lieben Kolleg*innen? Nichts leichter als das. Befolgt einfach die Tipps aus dem folgenden Artikel und holt Euch etwas Bürofeeling an den heimischen Schreibtisch--inklusive passiv-aggressiver Post-its auf Joghurtbechern. Home-Office, nimm dies, mir fehlt nichts (mehr)!
Stuttgarter Zeitung

Frei drehen mit Musik
Einfach mal so richtig loslassen, auch wenn alles uns festhält? Das geht. Wie? Mit Musik! Egal, ob wir einen meditativen Klangrauschspaziergang machen (also mit Kopfhörern und Lieblingsmusik an die Luft gehen), mit der Haarbürste als Mikro durch die Wohnung springen oder frei von der Leber weg mitsingen, wenn das Lieblingslied ertönt. Wichtig ist, dabei mit ganzem Herzen dabei zu sein und sich einen achtsamen Moment zu gönnen. Aus dem therapeutischen Setting wissen wir außerdem, dass Klänge erzeugen auf Basis der eigenen Gefühlswelt Spannungen lösen, Emotionen zugänglich machen kann und uns uns selber näher bringen lässt. Probiert es doch einfach mal aus.
Zur Studie

Freiheit und Philosophie
Wir gehen mit dem Begriff Freiheit immer ganz selbstverständlich um. Freiheit ist etwas was man will, hat, verliert oder gewinnt. Etwas, das man sich gönnt oder nimmt. Für die Philosophie ist Freiheit eines der komplexesten Konzepte seit es sie gibt. Wer mehr darüber lernen und lesen möchte, der findet hier einen guten Anfang: Uni Hagen | Goethe Institut.

Dies und Das

Leipziger Buchmesse virtuell
Die alljährlich stattfindende Leipziger Buchmesse wird auch in diesem Jahr, genauso wie bereits 2020, in Form einer rein virtuellen Buchschau stattfinden. Zuvor hatten die Veranstalter die Messe schon in den Mai geschoben, in der Hoffnung, dass dann das Infektionsgeschehen geringer ausfallen würde. Traditionell findet die Messe immer im März statt. Nun ist die eigentliche Präsenzveranstaltung in Leipzig aufgrund der schwer einzuschätzenden Entwicklung hinsichtlich der verschiedenen Varianten des Corona-Virus abgesagt worden,. 

 „Im Mai wird es ein ausgewähltes Programm digital und an Leseorten in der Stadt Leipzig geben.“, so der Veranstalter. Auch die Preisverleihung soll stattfinden. In welcher Form diese umgesetzt werden wird, ist jedoch offen.
Deutschlandfunk Kultur

“Überall waren Schatten” - neues Video von Jupiter Jones
Am Freitag (29. Januar) feierten die neue Single “Überall waren Schatten” und das dazugehörige Video von Jupiter Jones (der Band von Angstfrei-Gründer Nicholas Müller) Premiere. Wir freuen uns nicht nur mit, wir möchten Euch das Lied auch aus inhaltlichen Gründen ans Herz legen: “Es dreht sich weder um Corona noch um Depression - und doch irgendwie um beides”, erklärte Nicholas im Rahmen des Live-Chats vorweg. Und da sind wir inmitten von angstfrei.news. Hört doch mal rein.
zum Video | Zum Q&A vorab

Superkraft und Happy Birthday
Zum Abschluss wollen wir euch noch ein empowerndes Zitat von Alicia Keys, die in der letzten Woche, am 25.01., ihren 40. Geburtstag feierte, mit auf den Weg geben: 

“Es ist solch eine Superkraft, sich so zu lieben, wie man ist.”

Auch ihre kürzlich veröffentlichte Autobiografie “ More Myself: Mehr ich selbst” greift diese Thematik auf.
hier gehts zum Buch
Deutschlandfunk Kultur/ Instagram

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Euer angstfrei.news Team.

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