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Montag, 21. September 2020 | 8 Uhr

Wolfgang

Liebe angstfrei-Leserinnen und angstfrei-Leser,

wir begrüßen Euch aufs Herzlichste an diesem Montag zum Start in die 39. Woche des historischen Corona-Jahres 2020. COVID-19 scheint so wie Omas kostbares Silberbesteck Patina angesetzt zu haben. Außer dem üblichen Karussell nichts wirklich richtig Mitteilungswertes aus der Politik.

Deshalb haben wir in diese Edition viel Wissenschaft gepackt. Auch für sie dürfen wir mit Bertolt Brecht getrost reklamieren: „… sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“ (Der gute Mensch von Sezuan).

Wie Ihr an unseren Beiträgen erkennt, lässt auch Wissenschaft vieles offen auf der Suche nach Fakten, Wahrheit, Sicherheit im Umgang mit unseren Leben. Dieses unser Ur-Bedürfnis kann sie oftmals nur unbefriedigend erfüllen. Forschung ist immer nur vorläufig, macht Fehler, wird gemeinhin überschätzt – ist aber des Menschen bester Instrumentenkoffer für die Suche nach den Gesetzen unserer Schöpfung.

Einen kritisch-fragenden Start in einen landauf, landab sonnig-strahlenden Spätsommertag wünschen euch Wolfgang und das gesamte angstfrei.news-Team!

Übrigens nehmen wir unser Motto ernst: Angst hat eine Stimme - Deine. Wir sind ein Team von Freiwilligen und schreiben über unsere Angst-, Lebens- und Alltagserfahrungen, ohne ein Richtig oder Falsch, oft mit Verstand und immer mit Herz. Wir freuen uns über dich in unserem Team. Trau dich einfach und schreib uns eine Mail an angstfrei.news@gmail.com.

Gefällt euch, was ihr lest? Was würdet ihr anders machen? Teilt es mit uns im Feedback.

Die gute Nachricht des Tages

Großaktion Mentale Gesundheit: „Begib Dich auf die Suche nach Deinem Leben!“

Überfällig: Mental Health, unsere geistig-seelische Gesundheit, kommt in diesen Tag in Gänze zu ihrem Recht. Die Deutsche Angst-Hilfe DASH e.V., das Bündnis gegen Depressionen sowie viele andere Einrichtungen, Blogger und Service-Dienste, darunter auch angstfrei.news haben sich verbündet zum Aktionsmonat pro Mental Health. Dieser Begriff benennt im angelsächsischen Sprachgebrauch die psychische Gesundheit, weniger stigmatisiert und mythologisiert als Psyche und Seele. Mit kreativen Podcasts und Events machen die Veranstalter auf den labilen Seelenzustand vieler Mitmenschen aufmerksam.

Die COVID-19 Pandemie und Quarantänemaßnahmen haben ja eher nicht zu einer Verbesserung beigetragen. Der Aktionsmonat ermutigt Betroffene, sich nicht zu verstecken, weder vor sich selbst noch vor der Öffentlichkeit, sondern Behandlung und solidarische Hinwendung zum Thema zu suchen. So macht sich DASH seit seiner Neugründung als e.V. vor zwei Jahren für eine Enttabuisierung von Angst in der Gesellschaft stark. angstfrei.news hat eigens für den Aktionsmonat eine Podcastserie produziert, in der die Best-of „360° Von Mensch zu Mensch“ aus den letzten sechs Monaten stimmlich erklingen.

Seit gestern, Sonntag, läuft die zweite Episode. Gelesen von Katharina, unterm Bett, weil es dort im Rummel von Berlin offensichtlich am leisesten ist. Mit ihrer audiophilen Stimme hören wir u.a. Yvonnes ergreifende Flüchtlingsstory von Deutschland zu Deutschland aus dem Jahre 1988, niedergelegt in den angstfrei.news am 7. Juni 2020. Nach vielerlei Irrungen und Wirrungen in ihrem Leben ist Yvonne endlich zu Hause angekommen, einer lauschigen Laube im Brandenburgischen. „Wir lernen aus Krisen“, schrieb sie im Zenit des Corona-Ausnahmezustands und empfahl: „Verlieren wir nie den Mut, Neues zu wagen“. Wer sich in eine Sackgasse verirrt, sollte zurückgehen und den ersten Abbieger nehmen. Ihr Anliegen an uns alle: „Begib Dich auf die Suche nach Deinem Leben!“

→ angstfrei.news-Podcast | → Mental Health 2020 Agenda

Nachrichten Update

Herzschäden durch COVID-19
Die so oft zitierte leichte Erkältung war eine Mär: Science Magazine berichtet über die Evidenz von Herzschädigungen als Folge der Infektion und wie Wissenschaftler darum ringen, diese Rückkoppelungen zu verstehen. Auch die Riffreporter bleiben investigativ: Sie dokumentieren Spätfolgen und Chronifizierung der Infektionskrankheit.
→ Science Magazine | → Riffreporter

Impf-Zweifel
Nicht nur die erklärten Impfgegner, auch die allgemeine Öffentlichkeit diskutiert, ob die angekündigten Impfungen wirklich sicher und wirksam sind, angesichts rekordverdächtig kurzer Forschungs- und Entwicklungszeiten.
→ Pew Research Center

Wissenschaft der Überredungskunst
Wer wundert sich nicht, dass Masken, Abstand, Händewaschen für viele so schwer zu befolgen sind? Basale Verhaltensänderungen seien für die Allgemeinheit grundsätzlich schwer, kommentiert die Wissenschaftskommunikatorin Dominique Brossard, und empfiehlt eine weiche Überredungsstrategie. Drei ihrer wichtigsten Regeln: Mache den Start ins neue Verhalten leicht, belohne die Wiederholung, webe das neue Verhalten ins bestehende ein.
→ Jama Network

Immer mehr psychische Ausfälle
Die DAK verzeichnete in den Jahren 2000 bis 2019 einen Anstieg der Ausfalltage aufgrund von Depressionen um 184 Prozent. Die Fehlzeiten wegen anderer Angststörungen stiegen um 205 Prozent, Ausfälle wegen Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sogar um 332 Prozent. Mit Spannung erwarten wir die Daten für 2020.
→ Xing

Grün bleibt Hoffnung
Bloomberg Wirtschaftsdienste prognostizieren, dass die weltweiten CO2-Emissionen in diesem Jahr um 8 Prozent sinken. Aber: Wenn ein monatelang „induziertes Corona-Koma“ einen so geringen Abfall bewirkt, wie sollen bei Rückkehr zum Wirtschaftsalltag die Emissionen bis 2030 auf 7,6 Prozent sinken – notwendig für die Begrenzung des weltweiten Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad?

Der Wechsel zu neuen Energien, schreibt das Medium mit Blick auf Holz-Kohle-Öl-Transitionen und deren wirtschaftswissenschaftlichen Durchdringung, sei historisch immer in Boom-Zeiten erfolgt. Jetzt, in der ökonomischen Talsohle, werde der Markt den Übergang zu grünen Energien nicht richten. Hierfür sei mehr Intervention und Lenkung durch den Staat erforderlich.
→ Bloomberg Opinion

Hau-Drauf-Wettkampf
Trump bleibt Trump, ein Hau-Drauf: Er auf alle seine Kritiker, diese auf ihn. Das schlägt sogar Friedenswellen. Ein rechtspopulistischer norwegischer Politiker nominierte ihn für den Friedensnobelpreis. Anders die heimische Columbia-Universität. Sie rechnet regelmäßig vor, wie viele Corona-Todesfälle der US-Präsident durch eine strikte Durchsetzung von Präventionsregeln hätte verhindern können: aktuell 58.000. Damit spielt Steingarts Pioneer News Service: Herrschten bei uns US-amerikanische Verhältnisse, „müsste die hiesige Statistik nicht 9412, sondern 48.942 Todesfälle ausweisen“.
→ The Pioneer

Corona in Zahlen
In Deutschland sind 3.773.875 Menschen als infiziert getestet worden (Stand: 03.08.2021 00:00 Uhr, Quelle: RKI), das sind 1.766 Personen mehr als am Tag zuvor.

Warum diese Zahlen? Wir zitieren hier die offiziellen Zahlen des RKI, diese werden einmal täglich – immer um Mitternacht – vom RKI aktualisiert und um 10 Uhr morgens online veröffentlicht. Und warum gibt es hier nicht mehr davon? Es ist wichtig, die aktuell angeratenen Verhaltensweisen zu befolgen, das wissen wir alle. Zahlen über Neuerkrankte helfen uns dabei nicht. Achtet aufeinander und haltet Distanz.

Gesundheitsticker: 180.561.655 Menschen sind weltweit wieder genesen, das sind 456.134 Personen mehr als gestern Früh. Davon 3.659.900 in Deutschland (Stand: 04.08.2021 05:27 Uhr, Quelle: Worldometers).

Tipps des Tages

Sonnenstürme und Moskitos – „Corona ein Kinderspiel dagegen“

Unser schöner blauer Planet bleibt intern und extern gewaltigen Risiken ausgesetzt. Das sollten wir auch jetzt während der abebbenden Corona-Krise nie vergessen. Pandemien wie die Pest haben in der Vergangenheit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung weggefressen. Und nicht zu vergessen die Moskitos. Malaria, Gelbfieber und die vielen anderen von ihnen verbreiteten Krankheiten sind lange nicht passé.

Ein neues Buch hierzu bespricht der „New Yorker“ mit folgender Titelei: „Wie Moskitos alles veränderten. Sie schlachteten unsere Vorfahren und ließen unsere Geschichte entgleisen. Und sie sind noch lange nicht mit uns fertig.“ Buchauthor Timothy C. Winegard, Professor der Geschichte und Politologie, schätzt, dass die gefährlichen Plagegeister im Laufe unserer Geschichte die Hälfte der Weltgesamtweltbevölkerung seit Entstehung des Homo sapiens ausradiert hätten. 52 Milliarden Menschen.

Zur anhaltenden Bedrohung durch Infektionen kommen die externen Einwirkungen, nicht allein durch Kometen- und Meteoriten-Bombardements, sondern auch durch die eher harmlos erscheinenden Sonnenstürme. Die Zeitschrift „Semana“ beschreibt in der aktuellen Ausgabe ein Szenarium, gegen das „Corona ein Kinderspiel“ war. Mächtige Eruption auf unserem Zentralgestirn können das uns schützende Magnetfeld durchbrechen und wie Giga-Blitze auf die Erde schießen. Sie sind imstande, innerhalb von Stunden die Elektronik in allen Satelliten im All sowie die Transformatoren auf der Erde zu zerstören. Eine solcher Einschlag würfe die Erdbevölkerung auf vorindustrielle Zeiten zurück. Hochvolatile Ausbrüche mit Störungen auf der Erde in 2012, 2019 wie auch jüngst im August 2020 machen ein globales Überwachungs- und Abwehrsystem notwendiger denn je, verlangen Atmosphärenforscher.

Aber auch die scheinbaren Grundwahrheiten unseres Lebens sind nicht in Marmor gemeißelt. „Das Golfstromsystem macht schlapp“ verkündete in der vergangenen Woche der SPIEGEL. Die Strömung ist uns seit langem geläufig als „Zentralheizung Europas“. Aber gibt es den Golfstrom überhaupt? Seit Jahrzehnten äußern Meeresforscher Zweifel. Und wenn das unseren Kontinent umstreichende Wasser abkühlte, könnte dieser Kühleffekt nicht auch der Klimaerwärmung entgegenwirken?

Drei Fälle, die zeigen, dass Corona andere Krisen folgen werden, vielleicht schon anklopfen. Und dass Wissenschaftsleugner und Fake Scientists auf schmelzendem Eis stehen. Statt weniger Wissenschaft brauchen wir mehr. Dass sie oft unvollkommen und widersprüchlich ist, ist ein Gesetz von Wissenschaft und unserer Welt.

→ New Yorker | → Semana | → Amazon | → DER SPIEGEL

Wissenschaftler in der Krise
“Unser wissenschaftliches Wissen zu Corona ist wirklich dünn“, bedauert MDW in „dokurona“. Der habilitierte Chemiker, Philosoph und Kommunikationsforscher organisiert Wissenschaftsevents für die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech. Allein die Wirkung von Corona-Schutz-Masken, zeigt der auf den bürgerlichen Namen hörende Marc-Denis Weitze an diversen Quellen, sei wissenschaftlich und medial hochkontrovers. Öffnet Kabarett neue Erkenntniswege? Der Autor, passionierter Kämpfer für Solar 5.0, Künstliche Photosynthese, wie auch Science Slamer ist Mitherausgeber des Ende 2020 im Springer Wissenschaftsverlag erscheinenden „Kann Wissenschaft witzig? Wissenschaftskommunikation zwischen Kritik und Kabarett“.
→ Dokurona | → Springer

360° - Von Mensch zu Mensch

Wir Kletterkönige

von Wolfgang

Morgens nach dem Aufstehen einen Kaffee oder Tee machen und dann sofort eine Geschichte schreiben. Ohne viel nachzudenken, einfach flüssig, in einem Rutsch. Das empfehlen Profi-Schreiber, darunter Filmemacherin und Kreatives-Schreiben-Lehrerin Doris Dörrie. Schreiben ist Labsal für die Seele. Therapie und Entspannung. Zukunftsimpuls. Besonders im Stress, bei Ängsten, während der Corona-Erschütterung mit ihren weiterhin großen Fragezeichen für die Zukunft. Jede Beobachtung, jeder Gegenstand, selbst Einkaufszettel sind Stoff für Geschichten. Ein fruchtbarer Humus sind Vergangenheit und Kindheit. Hier meine Baumkletterei Erinnerungen.

Ich wuchs in einer Gartenstadt auf. Eigenheime mit üppigen Gartenflächen rundherum, darauf viele Bäume. Für uns Kinder war jeder Baum eine Herausforderung. Die begann am Stamm. Wie kam man daran hoch bis zu den rettenden untersten Zweigen der Krone? Zum Beispiel mit einer Räuberleiter, Handflächen der Mitstreiter, die in Brusthöhe eine Stufe zum Hinaufsteigen formten. Beliebt waren die langen Kerle unter uns, auf deren Schultern stehend wir selbst höhere Stämme spielend überwanden.

Einige pfiffen auf so viel Umstand. Sie besaßen das Talent von Affen, die den Baumstamm mit Armen und Beinen einfach umschlangen und ratzfatz hochrobbten. Solche geborenen Kletterkünstler genossen unser aller Bewunderung.

Waren wir erst mal im unteren Geäst der Krone, war kein Halten mehr. Es gab nur noch einen Weg, den in die Höhe. Unsere Kletterbäume waren die ortsüblichen Sorten wie Eichen, Kastanien, Apfel-, Birnen-, Kirschbäume. Die hatten meistens so viele Äste und Zweige, dass man in Reichweite der Arme immer einen fand, an dem man sich weiter hochziehen und dann darauf abstützen konnte.

Durchlebte Cliffhanger am Baum, Beinah-Abstürze, lehrten uns Griff- und Trittsicherheit. Die Festigkeit bzw. den Grad von Morschheit des Holzes vorher stets zu überprüfen. Weiteres Risiko: Manchmal wiesen arg zerzauste Kronen längere Strecken ohne abzweigende Nebenäste auf. Dann musste man sich zum Himmel strecken und wie unten am Stamm ein Stück hochrobben. Das war fast alpin.

Irgendwie – erinnere ich mich jetzt beim Schreiben, mit kribbeliger Lustangst – waren wir kleinen Baumstürmer alle im Kletter- und Höhenrausch. Es war ein Riesending, diese Bäume zu bezwingen. Baumalpinisten, die den Bergkletterern im Ausstoß von Endorphinen vermutlich wenig nachstanden. Diese Momente des Erkletterns und Bewältigen eines Baumes waren erhabene. Manchmal nur, um ein paar Äpfel aus den Wipfeln zu klauben, meist: Just for Fun.

Mit Schrecken entsinne ich mich der Baumklettereien, bei denen wir uns verklettert hatten. Mit dem Kopf stets nach oben gerichtet verloren wir das Gefühl für die Höhe. Oben angelangt, Glückstaumel, dann: Oh Schreck, der Blick in die Tiefe. Aus zehn Meter, fünfzehn Metern – huch, wie klein die Welt plötzlich schien. Und, wie beklemmend, aus luftiger Baumwipfelperspektive wurden plötzlich all die schwierigen Stellen für den Abstieg sichtbar.

Da taucht vor meinen Augen das Bild eines klamm-nebeligen Herbsttags auf. Wir Freunde hatten für den Nachmittag einen Streifzug durch Wiesen und Felder verabredet, die an unserer Gartenstadt angrenzten. Durch hohes Gras, über Zäune und Knicks, durch weidendes Vieh. Darunter auch Stiere, die plötzlich auf uns losgaloppierten, so dass wir die Beine in die Hände nehmen und über den nächsten Zaun hechten mussten. Das war fast wie Stierkampf.

Und dann stießen wir auf diese mächtige Kastanie in der Mitte von Nirgendwo. Unser gemeinsamer Reflex: Die ist unsere. Allein der Aufstieg am Stamm bis zum Beginn der ausladenden Krone gestaltete sich ungeheuer schwierig. Mit Räuberleitern, Schultern und zu Seilen umfunktionierten Anoraks schafften wir diese Einstiegshürde. Dann „easy going“, Endorphin-selig, mit stierem Blick in die Höhe. Oben blankes Entsetzen. Wie komme ich hier je wieder runter?

Der Ast, auf dem ich gelandet war, hatte eine starke Spreizung nach außen, weit weg vom Hauptstamm. Unter mir, ganz hässlich, der Boden. In 20 Metern Tiefe.

Es war schiere Angst, die ich damals erlebte. Die Freunde waren weiter unten in sichererem Geäst geblieben. Was für ein Idiot ich war! Ich erinnere mich, wie wir überlegten, ob sie nicht absteigen sollten, um die Feuerwehr zu benachrichtigen. Aber es war schon späterer Nachmittag und bald dämmerte es. Ich hier oben in der jetzt spürbar werdenden Kälte auf dem nebelfeuchten Ast, bald in rabenschwarzer Dunkelheit?

Ich überlegte kurz zu springen. Auf dem Gelände unserer Grundschule hatten wir noch alte Kriegsbunker stehen gehabt, ca. fünf Meter hoch, von denen ich als kleiner Knirps vor einer Traube schaulustiger Mitschüler heruntergesprungen war. Nein, das war echt zu hoch, sodass nur eine Option blieb. Der vorsichtige Rückzug über den freischwebenden Ast, fast ohne Zweige, zurück zum ca. drei Meter entfernten Hauptstamm.

Ich weiß nicht, wie, aber es gelang. Die Freunde streckten ihre Hände empor und formten eine Art Räuberleiter. Das half beim Abstieg über diesen vermaledeiten Ast. Irgendwann standen wir alle wieder sicher auf festem Boden, schnell zurück in die Zivilisation strebend, im Wettlauf mit der einbrechenden Dunkelheit und einem Termin, so zwingend wie damals der sonntägliche Kirchgang. Bei aller Freiheit, die unsere Eltern uns gaben, für die ich ihnen ewig dankbar sein werde: Um Punkt sechs Uhr abends mussten wir zuhause sein. Das gemeinsame Abendessen war heiliges Familienritual.

Dieser angstbesetzte Aufstieg hat uns nicht davon abgehalten, weitere Bäume zu besteigen, doch mit viel mehr Augenmaß. Die freie Natur war unser aller Abenteuerspielplatz. Heutige Mütter einschließlich meiner eigenen Töchter würden ihre Hände übern Kopf zusammenschlagen. Für uns ganz normal, auch keine Mutprobe, und auch unsere Eltern fanden unsere Streifzüge ziemlich normal.

Wieviel Sicherheit und Unabhängigkeit wir für unsere späteren Leben gewannen! Gerade auch für das Bewältigen von Angst. Streben nach Freiheit und deren Verteidigung. Sowie auch die Erkenntnis: Es gibt immer einen Ausweg, du musst ihn nur suchen.

Autoren-Kommentar: So, das war ziemlich flüssig, mit ein paar Unterbrechungen von außen. Schreibzeit für ca. 6500 Zeichen ca. eine Stunde. Für die Veröffentlichung dreimal durchredigiert, dabei gestrichen, Sätze verkürzt, bildhaftere Worte und Formulierungen gesucht. Der Ursprungstext blieb dabei erhalten, wurde quasi nur mit Sandpapier durchgeschliffen. Lesbare Texte müssen ein Bild im Kopf ergeben, müssen sich von Bild zu Bild fortschreiben, sich somit zu einem kleinen Film fügen.

„Es gibt immer eine Lösung“, sagt übrigens auch unser Gärtner Isaias, wenn wir uns im Finca-Leben mit himmels-türmenden Problemen konfrontiert sehen. Seine Bäume sind die Herausforderungen eines 48 Jahre langen Campesino-Lebens in Kolumbien. Im Vergleich damit werden wir in Deutschland durch unsere Leben gepampert. Ich habe in meiner Geschichte am Ende die Botschaft noch mal herausgeschrieben. Eleganter ist, sie in den Text so einzuweben, sie von einem Akteur zitieren zu lassen, so dass sie implizit mit dem Geschriebenen zu einer Einheit verschmilzt. Ich fixiere im Folgenden die Botschaft noch einmal, weil sie explizit für manche vielleicht auch eine Anleitung sein könnte.

Vor Jahren veröffentlichte der britische „New Scientist“ einen Wissenschaftsbericht über die zunehmenden Allergien von Menschen. Einzelheiten habe ich vergessen, aber das Take-home-Bild begleitet mich. Früher durften Kinder im Dreck spielen (s. auch mein Von Mensch zu Mensch 14. September 2020). Keiner intervenierte, wenn sie sich ein Stück Dreck in den Mund steckten. Das trainierte die Abwehrsysteme ihrer Körper. Heute wachsen viele Kinder in Europa geradezu steril auf, mit der Folge, dass sie auf die zunehmenden Fremdkörper in unserer Umwelt mit übersteigerter Abwehr, allergisch reagieren. Die modernen Medien, verstärkt durch COVID-19 Quarantänen, begünstigen zunehmend auch die soziale Sterilität, den physischen Rückzug von unserem quirligen, oft konfliktreichen Miteinander. Das öffnet sozialen Allergien Tür und Tor. Vielleicht findet unsere technologie-getriebene Zivilisation für Allergien jeder Art Impfstoffe, auch gegen Ängste. Natürlicher und ganzheitlicher wäre, sich Allergieauslösern von klein auf zu stellen und daran zu wachsen, finde ich.

→ Einladung zum Schreiben

daz - die angst zeitschrift

Dies & Das

Klub 27 – 50. Jubiläum
Vor 50 Jahren starben die Rocklegenden Jimi Hendrix und Janis Joplin. Mitten im nicht-vollendeten Leben, nur 27 Jahre jung. Auch Stones-Gründer Brian Jones, Jim Morrison, Kurt Cobain, Amy Winehouse, starben mit 27, an Überdosen von Drogen und durch Suizid. Die Liste der so jugendlich Verstorbenen ist lang. Viel ist über den „27 Club“ spekuliert worden, etwa die magische Zäsur, von der Post-Pubertät ins Erwachsenenleben. Diese Schwelle besteht, ist für einige gewiss eine Stolperschwelle. Fakt ist aber auch, dass viele dieser Musiker in ihrer Ruhm wie eine Rakete in den Himmel schossen und daran scheiterten.
→ Wiki | → Rolling Stone

„Ich dachte, wir schenken uns nichts“
Weihnachten schickt seine Boten voran, nicht nur mit allgegenwärtigen Lebkuchen. Hier das launige Buch zum Fest der Liebe, für Lamettaliebhaber, Geschenkverweigerer.
→ Penguin/Randomhouse

… trotz allem, der ultimative Geschenk-Tipp
Wetterpate werden: Hoch- oder Tiefdruckgebiete verschenken (danke Axel für Immer-Kreatives auf Twitter)
→ FU

Garten der Lüste
Gärtnern in Corona-Zeiten und danach – die reine Lust! Mit dem taschenGARTEN 2021, Terminplaner für alles im Garten.
→ Oekom

Kündigungs-Knigge für Punks
Coronazeit – Jobwechselzeit. Wenn man/frau schon in den Sack haut, dann mit Schmackes: Kreativ-Trainer für Kündigungen, die sich gewaschen haben.
→ Business Punk

Freire 99
Paulo Freire, Schöpfervater der befreienden Pädagogik, wäre am gestrigen Sonntag 99 Jahre alt geworden: "Ich bin nicht auf der Welt, um mich einfach daran anzupassen, sondern um sie zu transformieren."
→ Blogspot

Heute ist dein Leben
Gegen Corona-Erschöpfung mit Psychotherapeutin Angelika Rohwetter:

„Erwarte nichts. Heute: Das ist dein Leben“ (nach Kurt Tucholsky).

→ Xing | → Psychologenakademie

Fertisch! Möge meiner und unser Erkenntnisgewinn auch Euer sein. Hoffen Wolfgang und alle angstfrei-Mitstreiter*innen.

Gerne hören wir auch über das Feedbackformular von Euch. Ihr wollt unsere Arbeit unterstützen: Spenden und Fördermitgliedschaft bei der Deutschen Angst-Hilfe e.V.

Quellen
Corona in Zahlen (RKI) | Gesundheitsticker | Über die Landesregierung NRW sind wir außerdem an den dpa-Nachrichten-Ticker angebunden, den wir immer als Quelle verwenden, wenn wir (dpa) schreiben.