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Montag, 24. August 2020 | 8 Uhr

Wolfgang

Liebe angstfrei-Leser*innen

Für viele beginnt jetzt die schönste Jahreszeit. Der Übergang vom Spätsommer auf den Frühherbst gilt als fünfte Jahreszeit. Kurt Tucholsky schrieb eine Eloge darauf. Auf unserem Weg dorthin schlagen wir einen Pfad durch die Corona-News. Deutschland wird von der Welt nach wie vor als Corona-Sieger und Bezähmer bewundert. Doch die Zahlen sprechen eine leicht andere Sprache. Deshalb Holzauge, sei wachsam. Bitte!

In „Unserem Dschungel-Camp 2.0“ berichte ich über meinen Tagesablauf im Corona-Exil: Was mich ätzend nervt, woran ich (hoffentlich) wachse, und komme zu einem auch mich überraschenden Schluss. Als ob mein ehemaliger Chef Michael Regie geführt hätte, mit seinem Leitspruch: Spiel gerne alle Molltonleitern durch, aber am Ende muss immer die Sonne aufgehen!

Euch allen einen günstigen Sonnenlauf für den Wochenstart und die ganze letzte Augustwoche wünschen Wolfgang und das gesamte angstfrei.news-Team!

Übrigens nehmen wir unser Motto ernst: Angst hat eine Stimme - Deine. Wir sind ein Team von Freiwilligen und schreiben über unsere Angst-, Lebens- und Alltagserfahrungen, ohne ein Richtig oder Falsch, oft mit Verstand und immer mit Herz. Wir freuen uns über dich in unserem Team. Trau dich einfach und schreib uns eine Mail an angstfrei.news@gmail.com.

Die gute Nachricht des Tages

Welt goes virtuell
Vorerst ist mit keinem Ende der COVID-19 Pandemie zu rechnen. Deshalb setzen immer mehr große gesellschaftliche Institutionen auf virtuelle Kommunikation. Endlich, nachdem viele Einrichtungen mit der Digitalisierung auf Kriegsfuß stehen. Und Deutschland bisher auch sonst kein großes Vorbild für digitale Zukunft gewesen ist.

So hat die größte Wissenschaftskonferenz der Welt, die in Berlin stattfindenden „Falling Walls“ für den November eine REMOTE 2020 Veranstaltung ausgerufen. Der Event ist bekannt für die Präsentation der bedeutendsten wissenschaftlichen Durchbrüche aus aller Welt. Wir dürfen gespannt sein auf die forscherischen Meilensteine in diesem Jahr, wo bisher doch alles im Schatten der Pandemie stand. Vom 1. bis 10. November heißt es wieder, wie seit zehn Jahren: „Falling Walls Breakthroughs – and which are the next walls to fall“, erstmals am heimischen Bildschirm.

Diesem Signal für weltweit virtuelle Kommunikation und Fachgespräche folgt jetzt auch die eher konservative deutsche Ärzteschaft und der Therapiebetrieb. Gerade in der Psychologie und Psychiatrie, kurz Mental-Gesundheit, setzte man bisher auf den direkten Austausch von Person zu Person. Die Veranstaltung „E-Mental-Health: Gemeinsam Weiterdenken!“ lässt aufhorchen: „Dialog von Praxis, Wissenschaft und Wirtschaft für neue digitale Lösungen zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen.“ Der Online-Termin lädt auch Betroffene und Erfahrungsexperten ein: „Ärzte, Psychologen, Pflege- und Gesundheitsfachberufe, Unternehmen aus dem Bereich Digital Health, sowie Betroffene von psychischen Erkrankungen und deren Angehörige sind herzlich eingeladen mitzudiskutieren und Ansätze für eine Verbesserung von Prävention und Versorgung psychischer Erkrankungen, mittels digitaler Lösungen, zu erarbeiten.“ Am 8. und 9. Oktober, mitveranstaltet von der renommierten Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie DGPPN, gratis!

Zum Thema schreibt uns der DHL CEO Frank Appel ins Stammbuch: „Wir müssen den Menschen die Angst vor der Digitalisierung nehmen. Die Technik ist weder gefährlich noch schwierig. Was man braucht, ist einen offenen Geist. Wenn man sagt, ich will keine Veränderung, dann wird es schwierig.“
→ Falling Walls | → Healthcapital | → Facebook

Nachrichten Update

Kurzarbeitergeld bis 2022
Aufatmen bei durch die Corona-Krise besonders getroffene Arbeitskräfte. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will die Zahlung des Kurzarbeitergeldes bis ins Jahr 2022 verlängern. In der Großen Koalition findet der SPD-Mann dafür breite Unterstützung. "Kurzarbeit ist im Moment unsere stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal, um Arbeitsplätze zu sichern", sagt Heil.
→ Tagesschau

Maskenpflicht am Arbeitsplatz
Gesichtsmasken gehören zu den wirksamsten Mitteln der Seucheneindämmung. Derzeit steigen die Neuinfektionen. Für letzten Freitag meldete das Robert Koch Institut RKI über 2000 Neuinfektionen in Deutschland (bei weltweit mittlerweile 800.000 Toten). CDU Vorsitzende Annegret Kamp-Karrenbauer befürwortet deshalb eine bundesweite Maskenpflicht am Arbeitsplatz.
→ DFL

Von Japan lernen
Japan gilt als erfolgreich beim Eindämmen des COVID-19 Virus. Statt viel und ungezielt zu testen, setzte das Land von Anfang an darauf, sogenannte „Übertragungscluster“ zu unterbinden. Das ist der Name für eine auffällige Häufung von Infektionen. Die Behörden erstellen Listen von typischen sozialen Situationen, die eine solche Häufung fördern. Mit der breiten Veröffentlichung werden die Menschen davor gewarnt. Das Modell setzt auf große Eigenverantwortung der Bürger*innen. Damit hat Japan bisher den Lockdown und heftige wirtschaftliche Einbrüche verhindert. Der Virologe Christian Drosten hat dieses Modell jetzt für Deutschland ins Gespräch gebracht, falls es zu einer zweiten Welle kommen sollte.
→ GMX-News

Neue Auslastungsanzeige bei der Bahn
Überfüllte Bahnzüge bleiben ein Infektionsrisiko. Zur Vermeidung solcher Situationen hat die Bahn eine Auslastungsanzeige eingeführt. "Kunden sehen auf bahn.de und in der DB Navigator-App, sobald ein Fernverkehrszug über Vorabbuchungen zu mehr als 50 Prozent ausgelastet ist und können sich so gezielt für weniger ausgelastete Züge entscheiden“, erklärt ein Bahn-Sprecher die Funktion.
→ Bahn

New Work: Bedingungsloses Grundeinkommen – Testkandidat*innen gesucht!
Diese New Work Idee begleitet uns seit Jahren und ist hochkontrovers. Mit 1200 Euro pro Monat in die soziale Hängematte und faulenzen – oder Ansporn für ungeahnte freiwillige Leistungen, Kreativität, Entlastung des Sozialsystems? Corona-Dynamik macht’s möglich – die endlose Nein-Doch-Debatte geht ins empirische Stadium. In drei Tagen haben sich eine Million Bewerber gemeldet. Daraus werden über 100 Testteilnehmer ermittelt. Sie erhalten drei Jahre lang monatlich 1200 Euro. Bewerbungsfrist für Kandidat*innen: 10. November.
→ MDR | → XING

“Jede Schule einen Frei-Day“
Leistungsdruck und reine Wissensvermittlung sei nicht mehr zeitgemäß. Die Komplexität modernen Lebens verlange eine durchgreifende Reform veralteter Schulpläne. Ein Frei-Day soll Schulen zu Wirkstätten innovativen und kreativen Lernens machen. Das verlangt die Bildungsexpertin Margret Rasfeld zusammen mit dem bekannten Hirnforscher Gerald Hüther in der Initiative „Schule im Aufbruch“.
→ Frei-Day

Corona in Zahlen
In Deutschland sind 233.575 Menschen als infiziert getestet worden (Stand: 24.08.2020 00:00 Uhr, Quelle: RKI), das sind 711 Personen mehr als am Tag zuvor.

Warum diese Zahlen? Wir zitieren hier die offiziellen Zahlen des RKI, diese werden einmal täglich – immer um Mitternacht – vom RKI aktualisiert und um 10 Uhr morgens online veröffentlicht. Und warum gibt es hier nicht mehr davon? Es ist wichtig, die aktuell angeratenen Verhaltensweisen zu befolgen, das wissen wir alle. Zahlen über Neuerkrankte helfen uns dabei nicht. Achtet aufeinander und haltet Distanz.

Gesundheitsticker: 16.090.981 Menschen sind weltweit wieder genesen, das sind 6.423 Personen mehr als gestern Früh. Davon 209.600 in Deutschland (Stand: 24.08.2020 07:51 Uhr, Quelle: Worldometers).

Tipps des Tages

Schlacht der Impf-Titanen
Russland will sechs Millionen Dosen seines Impfstoffes „Sputnik“ herstellen. US-Präsident Trump verstärkt seinen Druck: Er will eine Impfung bis Oktober, um damit seine Wiederwahl im November zu sichern. Und natürlich ist auch China an dem Rennen beteiligt. Ob die Qualität des künftigen Impfstoffs von den nationalen Alleingängen profitiert, ist fraglich. Die Großmächte sind in eine „geostrategische Schlacht“ eingetreten. Risiken und Nebenwirkungen?
→ JPG

Günstige Antikörper aus Pferden
Es gibt aber auch günstige Impfstoff-Alternativen. Der Scientific American berichtet ausführlich über aus Pferden gewonnenen Antikörpern als günstige COVID-19 Therapie.
→ Scientific American

Naturmedizin gegen das Virus
Indigene aus dem Amazonasgebiet gehen mit traditionellen Mitteln gegen das Virus vor. Betty Souza vom Stamme der Tikuna Yoi bekämpft Symptome unter anderem mit einem Tee aus der traditionellen Naturheilpflanze „Yerbaluisa“, zusammen mit drei Aspirintabletten. Amazonien mit seiner großen Artenvielfalt gilt als größte Naturapotheke der Welt.
→ AA

360° - Von Mensch zu Mensch

Unser Dschungel-Camp 2.0 (oder wieviel Bequemlichkeit tut mir gut?)

von Wolfgang

Ich habe schlecht geträumt. Dass ich mit einem Skorpion, fest umschlungen, geschlafen hätte. Luz hatte am Abend in der Finca-Wohnung eines dieser Giftstacheltierchen gesichtet. Glücklicherweise ein ungefährliches schwarzes. Zusätzlich zur Kröte. An die haben wir uns gewöhnt. Dass sie im Wohnzimmer einen stechenden Geruch hinterlässt.

Eigentlich will ich um sechs Uhr früh auf den Beinen sein. Heute ist Einkaufstag. Mein kolumbianischer Ausweis endet mit einer geraden Zahl. Damit habe ich überallhin Zutritt. Juchhe! Nur, es regnet, eine äquatoriale Sintflut. 20 nasse Minuten bis zum Haltepunkt des Pickups gehen? Der um sieben über den schlagloch-übersäten Feldweg ins Dorf hinunterrumpelt.

Ich wickele mich fest in meine drei Decken und schließe wieder die Augen. Es ist kalt und feucht.

Corona hat unser Leben komplett auf den Kopf gestellt. Eigentlich hätten wir zwei Fahrzeuge, einen Nissan Jeep Baujahr 1984 und einen TucTuc. Bei beiden ist der TÜV abgelaufen. Er lässt sich nicht erneuern, weil die Gemeinden sich gegeneinander abschotten.

Da hilft kein Jammern, auch kein Beten: Wir müssen uns durch alle Widrigkeiten hier im Outback improvisieren! Darin sind die Hiesigen Meister, Deutsche wie ich eher strauchelnde Lehrlinge. Dann reißt auch noch das Internet ab. Opfer der Regenfälle. Luz unterrichtet gerade Englisch aus dem Finca Home Office und steht buchstäblich im Regen. Das mehrfach in der letzten Woche.

Dafür hat der Regen draußen aufgehört. Für zehn Uhr bestelle ich ein Motorradtaxi und fahre als Sozius ins Dorf hinunter. Was für ein grandioser Ausblick! Die majestätischen Kordilleren schmiegen sich in Wolkenzuckerwatte. Dazwischen Wolkengeschwader, von weiß bis schwarz, in allen Nuancen dazwischen, die sich über den Himmel wälzen.

Großes Anden-Kino! Dass Mateo über Stock und Stein einhändig fährt, mit der anderen Hand telefoniert, keinen Helm für mich hat, stört mich nur, wenn ich ums Gleichgewicht ringe.

Erste Station in San Jerónimo: Einkauf von Baumaterialien für die Finca. Damit unsere Arbeiter weiterkommen mit Reparaturen und Umbauten des einstigen Hostels – Zukunft ungewiss. Oft bringen sie uns Bananen und Avocados aus ihren Gärten. Pünktlich um sieben Uhr früh legen sie los, singend und scherzend, handwerklich perfekt, enorm flott. Beim Materialnachschub kommen wir kaum hinterher. So fix schießen die Preußen hier, pardon Campesinos, auf spanisch: Rapidones Antioqueños.

Das Bestellen geht ruckzuck. Aufwendiger war das „Bio-Sicherheits-Protokoll“ beim Betreten des Baugeschäfts: Aufschreiben der Ausweis- und Telefonnummer, Desinfektion, Fiebermessung. Komisch, immer unter 35 Grad. Obwohl Typus Schwitzer, eher nervös, bin ich temperaturtechnisch offensichtlich Kaltblüter und unterstresst.

Kommunikation bleibt ein Kopfschmerz in Corona-Zeiten. Die Campesinos in ihrem typischen Singsang klingen durch die Masken noch vernuschelter. Ich muss oft nachfragen. Sie auch bei mir mit meinem ungewohnten Akzent. Telefonieren im oberdrein verrauschenden WhatsApp Modus ist wie „Stille Post“.

Vorm Geschäft wartet im TucTuc bereits Uriel, Mateos Papa. Wir verladen Farbeimer, Bürsten, Nägel, Stangen, Säcke. Ein Fanfarensignal, Anruf. „Hijo de pucha“, entfährt es Uriel. Er muss von jetzt auf sofort einen weiteren Auftrag annehmen, will aber gleich wieder zurück sein. Gleich heißt hier eine Stunde, ein Tag … Wir laden alles wieder aus. Der Firnisbehälter ist schlecht verschlossen. Igitt, meine Finger verfärben sich dunkel und kleben.

Nach bereits 15 Minuten kommt Uriel zurück. Hinter ihren Masken erkennt man die Menschen kaum. Meinen Chauffeur nur durch den aufgedruckten Kieferknochen mit Riesenzähnen auf dem „Maulkorb“. So heißt hier der Mundschutz. Nächster Halt ist D1, der hiesige Aldi. „Ruf mich an, wenn du fertig bist“, sagt Uriel beim Absetzen. Kruzifünferl, mein Handy funktioniert doch nicht!

Ich bin der vierte in der Warteschlange. Nach 20 Minuten werden selbst die geduldigen Kolumbianer unruhig. Warum stehen wir uns weiterhin die Beine in den Leib? Wenn drinnen kaum mehr ein Kunde ist? Die Sonne hat die Wolken weggebrannt. Ihre Strahlen schießen wie glühende Pfeile fast senkrecht von oben, bei sieben Grad nördlicher Breite und 800 Höhenmetern. Scheiß- äh Schweißtropen.

Endlich: Einlass. Meine Temperatur ist nur um 0,1 Grad gestiegen. Die Regale biegen sich, Kunden schwatzen entspannt. Beim Auschecken meckert die Kassenelektronik. Meine Spardagirokarte, auch die Visa-Schwester sind ihr nicht genehm. Sei auf der Hut, habe immer eine dritte parat! Die einheimische funktioniert.

Uff! Die Kassiererin und ich lächeln. Sie blickt mir aus fast schwarzen Pupillen tief in die Augen. „Wo bist du her?“ „Deutschland.“ „Mich entzückt dein Akzent“, ertönt es aus dem visierartigen Vollgesichtsschutz. Ich danke. So viel Charme erlebe ich im Münchner Aldi nie. Dort sind meine blauen Augen auch nicht so sehenswert.

Wie ein Packesel trete ich auf die Straße. Rucksack und über die Schultern gehängte Tragetaschen, alles proppevoll. So geht man hier nicht durch die Öffentlichkeit. Sondern winkt sich ein Taxi-TucTuc und lässt sich herumkutschieren. Spätkoloniale Gutsherrenmentalität! Ich schwitze den Berg hoch, habe noch eine Liste dringender Erledigungen.

Mein Handy kriegt endlich ein Checkup. Ich staune, mal wieder. Die Dame vom Tele-Shop bedient gleichzeitig fünf andere, hat aber umgehend spitz: Wenn ich die kolumbianische Ländervorwahl entferne, klappen meine Anrufe. Warum komme ich nicht selbst darauf?

Mir fehlt Improvisations- und Experimentiertalent für unser Dschungel-Camp-Leben. Wie so oft in den letzten Wochen trauere ich meinem geregelten Leben in München nach. Mittags Kiesertraining, danach in die Stabi, Weltpresse studieren, im Café eine saftige Mohnschnitte mit schaumigem Cappuccino, bis 23.45 Uhr auf der Empore, stets Platz 304 arbeiten, im Bierstübchen im Oly-Dorf noch ein Weizen zischen, sonntags rudern. Sehr – zu bequem?

Früher sind wir einfach durch die Weltgeschichte getrampt, mit einem Seesack, darin Zelt und Schlafsack. Haben geschlafen, wo immer wir abends landeten, in Holland mitten im Autobahnkreuz, im Royal Park von Edinburgh. Ohne viel Überlegen jahrelang in die Amerikas ausgewandert. Heißa, was kost‘ die Welt! Typen wie mich heute nannten wir damals „bürgerlich“.

Mittlerweile stehe ich vor den beiden einzigen ATMs im Dorf. Einer kaputt, vorm anderen eine Schlange. Warten. Vier Abhebungen á 600.000 Pesos, in Scheinen á 50.000, 20.000, 10.000. Das ist viel Papier und Kohle hier. Wohin damit? Ich stopfe sie in die weiten Hosentaschen. Die zehnköpfige Schlange schaut neugierig zu – wer noch? Samstagmittags zahlen wir unsere Arbeiter bar aus. Keiner hat ein Bankkonto. Soo umständlich … h-i-l-f-e.

Ein Anruf – funktioniert, welch Euphorie! Fünf Minuten später tuckelt mein treuer Uriel um die Ecke. Er und seine Familie kämpfen ums Überleben mit ihrem kleinen Fuhrpark. Seit März Quarantäne. Kein Mensch fährt größere Distanzen.

Hey, wie gut geht’s uns Deutsche! An denen der Corona-Kelch vorbeiging – bisher. Ich mit verlässlichen Kontoeingängen am Monatsersten. Worüber reg ich mich auf? Aber auch unser Gärtner Isaias kann nicht klagen. Wir haben ihn von Halb- auf Vollzeit befördert, zum Generalmanager. 250 Euro monatlich, über die Hälfte eines Lehrergehalts. Mit Arbeitsvertrag inkl. Kranken- und Altersversicherung. Ein sanftes Ruhekissen in einer Arbeitswelt mit 50 Prozent informell-prekär Beschäftigten, jetzt auch noch corona-rezessiv. Isaias‘ halbe Großfamilie ist mittlerweile auf unserer Baustelle beschäftigt.

Wir holpern im Dreirad-TucTuc den Feldweg hoch. Der Regen spült die Schlaglöcher immer tiefer aus. Eigentlich wären wir im Sommer. Der ist hier ausgefallen. Globaler Klimawandel! Mein armer vom vielen Sitzen bandscheiben-lädierter Rücken! Die Schläge muss ich ausgleichen, nicht steif wie eine deutsche Eiche, sondern biegsam wie ein hiesiger Bambus. So eine Art Salsa eben, auch nicht mein Fall.

Noch gehen wir schwanger: Was machen wir mit unserem ehemaligen Hostel, mittlerweile in „La Tal Finca“ umbenannt? Bei allen Widrigkeiten: 1500 Gäste in den letzten acht Jahren und mehrere tausend Follower mögen unser Anwesen. Der Erwerb war eine Schnapsidee bei einer Hawaii-Reise: Kolumbiens Schönheiten bieten mehr als die Vulkaneilande. Unsere Besucher gaben uns recht, nahmen verstopfte Klos und Insektenstiche in Kauf. Gerade huscht ein Spinnchen übern Monitor.

Für den Post-Lockdown denken wir an ein Zentrum für internationale Sprachferien, Kulturaustausch, Psychohygiene. Aber, ganz im Ernst, sollten wir nicht ein Dschungel-Camp ausschreiben? Nicht für TV-Promis, sondern Normalos? Selbst unsere pingelige Tochter hat hier zehn Monate gelebt, überlebt, erratischen Hostelbetrieb zeitweise solo gestemmt, fürs Leben gelernt. Ihr heutiger Mann hat internalisiert, dass ein kaputter Fahrradschlauch zehn Leben hat. Zum perfekten Abdichten lecker Leitungen taugt wie für fast schweißfeste Verbindungen. Um die Ecke denken und Humor richtet’s: die wichtigste Finca-Lektion.

PS: Wieder hatte ich so‘n komischen Traum. Dass meine Redaktion in einen Park verzogen war. Wir unter Wellblechdächern arbeiteten, bei Wind und Wetter. Im Postkörbchen fand ich statt meiner Zeitungen eine Pudelmütze. Absurd? So starteten 1945 „Süddeutsche“ und „Spiegel“. Um Überleben zu lernen musste man nicht nach Kolumbien reisen.

→ La Tal Finca | → VolunTourismus Generell | → VolunTorouismus Best Practice

daz - die angst zeitschrift

Dies & Das

Schuppentiere vorm Aussterben retten
Schuppentiere, auch Pangolins genannt, galten als Überträger des Corona-Virus. In China und anderen Teilen Asiens sind die Säugetiere als exotisches Nahrungsmittel begehrt. Das von großen Schuppen bedeckte Tiere mit dem langen Kopf und dem langen Schwanz erinnert an Ameisenbären. Durch das Bejagen und den Verzehr ist das Tier vom Aussterben bedroht. In Afrika wird es nachgezüchtet und dann in freier Wildbahn ausgewildert. Das soll der seltenen Spezies das Überleben ermöglichen.
→ Riff Reporter

Angst vor gar nix?
„Das ist doch alles Firlefanz, ich hab vor gar nix Angst“, sagt Franz. Kinderreime schaukeln sich immer weiter ins Thema hinein. Bis der vermeintlich so furchtlose Franz seine Angst erkennt. Auch Gegenmittel. Kinderängste werden oft verharmlost, sind aber riesengroß. Das neuaufgelegte Bilderbuch „Angst vor gar nix“ nimmt sie ernst – hilfreiche Lektüre auch für die Eltern und Erwachsene jeder Art.
→ Klett

Covid-19 Cocktails fürs Uni-Leben
Philipp Stelzel ruft seinen corona-gebeutelten Uni-Kolleg\innen „cheers“ zu mit 25 Cocktails für alle akademischen Misslagen im demnächst beginnenden Semester, darunter: „Zoom, Doom, Gloom“, „canceled conference“, „Self Isolation Productivity Angst“. Seine Rezeptur gegen letztere: „6 cl bourbon, 3 cl fresh orange juice, orange bitters, grenadine. Serve with orange zest.” PROST!
→ Twitter

Eloge auf die fünfte Jahreszeit
„Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es – wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat –: dann ist die fünfte Jahreszeit“: Kurt Tucholsky
→ Textlog

Mit diesem dichterischen Ausklang wünscht das gesamte angstfrei.news-Team Euch ein behaglich-wachsames Hineingleiten in die fünfte Jahreszeit!

Quellen
Corona in Zahlen (RKI) | Gesundheitsticker | Über die Landesregierung NRW sind wir außerdem an den dpa-Nachrichten-Ticker angebunden, den wir immer als Quelle verwenden, wenn wir (dpa) schreiben.