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Wochenende | 22. und 23. August 2020

Johannes
Anne
Katharina

Hallo ihr Lieben,
es ist Wochenende - endlich? Zum Glück? Oh nein? Mit welchen Gefühlen wir starten, hängt von der Woche ab, die hinter uns liegt und von der, die uns erwartet. Wenn ihr Euch weder mit dem Blick zurück noch mit jenem voran beschäftigen wollt, dann ist diese Wochenendausgabe genau richtig. Am Montag ging es bei Johannes um die Realität, die erlebt werden muss, nicht um das Problem, das wir lösen wollen. Anne spricht vom los- und zulassen. Gastautorin Simone dichtet vom Verstehen. Und Musik gibt es auch.
Wir wünschen Euch viel Freude beim Meandern durch diese wundervollen Texte und eine schöne Verarbeitung der letzten und Vorbereitung auf die kommende Woche.

Katharina
und das Team von angstfrei.news

Übrigens: Wir nehmen unser Motto ernst: Angst hat eine Stimme - Deine. Wir sind ein Team von Freiwilligen und schreiben über unsere Angst-, Lebens- und Alltagserfahrungen, ohne ein Richtig oder Falsch, oft mit Verstand und immer mit Herz. Wir freuen uns über dich in unserem Team. Trau dich einfach und schreib uns eine Mail an angstfrei.news@gmail.com.

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Montag

Trau dich!
von Johannes

"Das Geheimnis des Lebens ist kein Problem, das gelöst werden kann, sondern eine Realität, die erfahren werden muss."

Dieses Zitat stammt von Alan Watts, der ursprünglich Priester war und später zu einer Hippie-Ikone wurde. Von ihm gibt es einiges an denkwürdigen Zitaten, die ich unterschreiben kann. Unter anderem auch folgendes:

"Wer vom Tod Angst hat, der soll sich auch fürchten. Worauf es ankommt ist, sich nicht dagegen zu wehren, sich allem zu überlassen – der Angst, den Geistern, den Schmerzen, der Vergänglichkeit, der Auflösung und was noch sei. Dann kommt die Überraschung, die einem bisher unglaubwürdig erschien: du stirbst nicht, weil du nie geboren wurdest. Du hattest einfach vergessen, wer du bist."

Aus persönlicher Erfahrung kann ich bestätigen, dass dies stimmt. Hinter allen unseren Befürchtungen und Ängsten steht eine simple, banale und einfache Wahrheit, die jeder erfahren kann. Dir passiert nichts.

Mein Tipp des Tages lautet daher: Trau dich!

Trau dich, dich nicht gegen deine Angst zu wehren. Trau dich, zu vertrauen. Trau dich, loszulassen. Trau dich, nicht zu grübeln, sondern das Leben einfach zu erfahren. Es ist gegen die Intuition, aber es lohnt sich.


Dienstag

Ta-ta-ta-taaaaaa!
von Johannes

2020 ist Beethoven-Jahr. Der Komponist wäre in diesem Jahr 250 Jahre alt geworden. Bevor die Corona-Krise losging, war ich mit meiner Frau im Frühjahr in Beethovens Geburtshaus in Bonn und habe mir die dazugehörige Ausstellung in der Bundeskunsthalle angesehen. Unter anderem gab es dort auch Informationen zu Beethovens Krankheitsgeschichte.

Viele Menschen wissen, dass Beethoven fast völlig taub war und dennoch weiterhin komponierte. Weniger wissen, dass Beethoven 1827 im Alter von 56 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung starb. Das war damals nicht selten.

Es gab zu der Zeit keine vernünftigen Medikamente und selbst Krankheiten, die heute belanglos sind, konnten damals zum Tod führen. Cholera und Typhus waren häufig und auch den Masern fielen sehr viele Menschen zum Opfer. Man vergisst es leicht: Die Masern sind eine hochansteckende Infektionskrankheit an der selbst im Jahr 2018 noch 140.000 Menschen weltweit gestorben sind. Für die Zeitgenossen von Beethoven wäre die aktuelle Corona-Pandemie vermutlich kaum der Rede wert gewesen.

Für uns ist das alles in weite Ferne gerückt. Während die Menschen früher täglich mit Krankheit und Tod konfrontiert wurden, haben wir diese unangenehmen Themen aus dem Sichtfeld gedrängt. Krankheit und Tod finden nicht mehr in der Öffentlichkeit statt. Krank ist man im Krankenhaus. Zum Sterben geht man ins Altersheim oder man macht es gefälligst alleine in der Wohnung. Aber bitte niemanden damit belästigen.

Und jetzt kommt diese Corona-Krise daher und erinnert uns daran, dass es diese Sachen gibt. Natürlich wurden auch vor Corona Menschen krank und starben. Nur dankenswerterweise in der Regel woanders.

Die Krise macht uns diese Selbsttäuschung deutlich. Auch für uns sind Krankheit und Tod Bestandteile des Lebens und normal. Es sind natürlich unangenehme Bestandteile, aber eben auch normale. Viele Probleme und unangenehme Erfahrungen kommen daher, dass wir diese simple Tatsache ignorieren und uns so verhalten, als wäre es anders. Und wie man derzeit sehen kann, sind Menschen sehr gut darin, Dinge zu ignorieren, wenn sie nur lange genug anhalten.

Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein Teil davon. Das zu sehen und sich entsprechend zu verhalten, macht viele Dinge einfacher. Wir müssen keine Angst vor der Welt haben, denn wir gehören dazu. Genau genommen sind wir die Welt.

Beethoven war ziemlich krank, aber das hat ihn nicht davon abgehalten, großartige Musik zu schreiben. Uns sollte die Corona-Krise nicht davon abhalten, zu leben, zu lieben, zu lachen und aufeinander zu achten. Das gilt für alle Probleme und Krisen. Es wäre schade um die schöne Zeit.
Beethovens Fünfte


Mittwoch

vom loslassen und zulassen - vom Leben
von Anne

Wir alle haben Angst. Und wir alle haben Angst vor dem Tod. Das finde ich völlig in Ordnung. Wer möchte schon, dass die Liebsten, dass Familienmitglieder Freund*innen, nahestehende Menschen sterben. Wer möchte schon selber sterben. Das Leben ist doch viel zu schön. 

Doch manchmal steht er einfach da, der Tod. Ohne vorher anzuklopfen, ohne zu fragen ob man denn Zeit hätte, ob man bereit sei. Und das in einem Alter, mit ende zwanzig, in dem man sich mit ihm noch nicht wirklich auseinander gesetzt hat. Wozu auch, man ist ja jung. Man weiß das es ihn gibt, das er täglich, minütlich irgendwo auf der Welt jemanden abholt. Aber doch nicht hier, bei uns. Nicht in unserer kleinen, jungen Familie. Macht er dann aber doch. 

Vor fast acht Jahren erging es mir so. Nach dem Tod meines Mannes folge eine Dunkelheit, gemischt mit dem üblichen Prozedere, von dem ich nicht die blasseste Ahnung hatte. Und es folgte eine furchtbare Sorge, dass meinem Kind etwas passieren könnte. Immer wenn sie dann mal bei der Oma war, wenn sie außer Sichtweite war, wenn sie nur einen Mittagsschlaf gemacht hat, war ich um ihr Wohlergehen besorgt. In dieser Situation war das, denke ich, durchaus verständlich. 

Ich habe, immer wenn sie schlief, ins Zimmer geschaut, ob es ihr auch gut ginge, ob sie wirklich friedlich schlief. Ich hätte sie am liebsten in Watte gepackt um sie immer jederzeit zu schützen, zu beschützen. 

Wir waren Schlitten fahren und ich sorgte mich, dass sie vom Schlitten fallen könnte, sie mit dem  Schlitten auf die Straße fahren könnte. Ich habe mir die schlimmsten Dinge ausgemalt und war doch stets darum bemüht ihr das nicht zu zeigen. Ich war bemüht sie auch vor meiner Angst zu beschützen. Mir war bewusst, ein Kind sollte diese existenzielle Angst noch nicht kennen, diese würde sie früh genug verspüren. 

An einem Tag, ein paar Wochen nach dem Tod meines Mannes, ein paar Wochen in denen mich diese Sorge um mein Kind begleitete, machte Sie mal wieder Mittagsschlaf. Und ich war mal wieder auf dem Weg zu ihrem Zimmer um nachzusehen, ob es ihre denn auch gut ginge. Doch mitten im Flur blieb ich stehen und mich überkam der Gedanke „Was machst du hier eigentlich?“ Es fühlte sich an wie eine Weggabelung. Wenn ich jetzt ins Zimmer gehen würde, nachsehen würde, wäre das der Weg voller Angst und Sorge davor, dass ihr etwas passieren könnte. Aber wenn ich möchte das sie lebt, dass sie das Leben spürt, genießt und in Fülle wahrnimmt, dann wäre das der falsche Weg. Also drehte ich mich rum, kochte einen Kaffee, setze mich an den Tisch und war glücklich. Glücklich, dass ich nicht ins Zimmer gegangen bin. Glücklich, dass ich es geschafft hatte, dass es mir bewusst geworden ist, dass ihr etwas passieren muss, weil dass das Leben ist. 

Getreu dem Motto von Dory aus Findet Nemo : „Du kannst doch nicht zulassen, dass ihm nie etwas passiert. Dann passiert ihm doch nie etwas!“ Ja, das ging mir tatsächlich durch den Kopf. 

An viele Momente aus dieser Zeit erinnere ich mich nur verschwommen und diffus, aber dieser Moment ist fest in meiner Erinnerung verankert. Diesen Moment krame ich immer wieder hervor, wenn mich heute Sorgen begleiten. Sorgen, ob sie denn wirklich schon groß genug und in der Lage ist diesen oder jenen Weg alleine zu gehen, alleine mit der Bahn zu fahren usw. Und diese Erinnerung ist wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, der mir sagen will ich solle Vertrauen. Vertrauen, dass nicht alles schief gehen muss, mit dem Wissen, dass das aber durchaus möglich ist. Diese Erinnerung schafft es, dass ich loslassen kann, sie ihre eigenen Wege gehen lassen kann. 

Dieser Moment, diese Erkenntnis hat es geschafft, dass sie, dass ich, dass wir das Leben genießen. Dass wir das Leben zulassen. Und auch den Tod. 


Donnerstag

Das muss jetzt nicht sein
von Johannes

Vor einiger Zeit schrieb ich unter der Überschrift "Ja, es tut weh" darüber, dass Schmerz und Leid ein normaler Bestandteil des Lebens ist. Akzeptiere ich das, dann kann ich besser damit umgehen.

Es gibt allerdings auch Schmerzen, die völlig unnötig sind. Bei diesen unnötigen Schmerzen habe ich es in der Hand, ob ich leide oder nicht. Es ist selbst erzeugter Schmerz. In der Regel entsteht dieser selbst erzeugte Schmerz durch meine eigene Einstellung und meine Erwartungshaltung.

Wenn meine Erwartungen und Ansprüche nicht erfüllt werden, dann bin ich traurig, wütend oder beides. Zum Beispiel: Meine Mitmenschen behandeln mich nicht so, wie ich meine, es verdient zu haben? Schlecht! Mein Nachbar verdient mehr als ich, obwohl ich der Ansicht bin, dass ich mindestens ebenso gut bin? Schlecht! Jemand anderes erhält viel Beachtung, obwohl ich doch auch Tolles leiste? Schlecht! Ich habe meine Ziele nicht erreicht, obwohl ich alles gegeben habe? Schlecht! Und so kann man ewig weiter machen.

All diese Sachen kommen daher, dass die Welt nicht so ist, wie ich sie gerne hätte. Diese fiese Welt aber auch. Hält sich einfach nicht an meine Anforderungen und Wünsche.

Das heißt aber nicht, dass die Welt schlecht ist. Viel wahrscheinlicher ist, dass meine Erwartungen nicht realistisch sind. Vielleicht bin ich auch einfach nur gierig oder neidisch. Vielleicht habe ich auch einfach ein paar offensichtliche Sachen übersehen. Möglich ist auch, dass ich anderen etwas vorwerfe, was ich eigentlich mir selbst vorwerfe, mir aber nicht eingestehen kann. Vielleicht will ich einfach zu viel.

Egal, was es ist: Es ist unnötig. Das alles sind Schmerzen, die komplett vermeidbar sind. Wenn ich meine Erwartungen an die Realität anpasse, dann rege ich mich weniger auf. Und wenn mir klar ist, dass Erwartungen nichts anderes sind als Wünsche, die entweder in Erfüllung gehen oder eben auch nicht, dann tut es auch nicht so weh, wenn etwas nicht klappt.

Ich kann selbst entscheiden, wie ich mit Schwierigkeiten umgehe. Ich kann auch selbst entscheiden, ob ich manche Sachen überhaupt als Problem betrachte. Und ich kann entscheiden, ob ich mich ärgere oder nicht.

Heute ärgere ich mich nicht. Vielleicht morgen wieder.

Dieser Gastbeitrag erreichte uns über Instagram. Wie Simone erzählte, schrieb sie das Gedicht, als sie sich gerade in einer Depression befand und  frisch vom Partner getrennt war, für ihre Tochter. 


Freitag

Gehen - Verstehen
von Simone

Ich musste gehen. 
Für Dich nicht zu verstehen.

Keine Wahl die mir blieb, 
ich hab Dich so unendlich lieb. 
Keine Kraft mehr, nicht mal mehr für mich. 
Ich will Dir alles geben, nur für Dich. 

Wie sollst Du begreifen, was los ist mit mir. 
Deine Gedanken so unschuldig und ich so leer.  
So  unbeschwert und leicht Deine Welt, 
so gerne will ich's mit Dir teilen, weils mir dort besser gefällt.

Meine Geschichten im Kopf, ich will alles verdrehn, 
halt sie von Dir fern, will Dich glücklich sehen. 
Du spürst es, wir sind uns so nah, 
Mama und Tochter, ich bin für Dich da. 

Wir überstehen die Zeit, ich bin stark für Dich. 
Uns wird nichts trennen, nur Du und ich.
Die Unwetter ziehen vorüber, der Himmel reißt auf, 
das unbeschwerte Leben nimmt seinen Lauf. 

Ein Geschenk bist Du mein Sonnenschein, 
nichts an Dir soll anders sein. 
Jeden Tag ein kleines Glück, 
mein Lachen kehrt zu uns zurück. 

Nur noch ein letzter Satz, 
Du bist mein allergrößter Schatz. 

Ich ♥️ Dich!!!

Geschichte aus dem Leben
von Anne

Treffen sich zufällig drei Menschen, finden sich sympathisch und beschließen spontan die Zeit miteinander zu verbringen. Der*Die eine spricht ausschließlich Spanisch, der*die andere ausschließlich Englisch und der*die dritte nur Deutsch. 

Und diese Drei verbringen einen wunderbaren Nachmittag miteinander. Sichtlich genießen sie den Moment. Lachen miteinander, helfen einander, wenn Hilfe nötig ist. Jede*r spricht einfach seine*ihre Sprache und dennoch funktioniert die Kommunikation problemlos. 

Ich sitze da, schaue zu und staune Bauklötze. Zugleich bin ich ein wenig beschämt. Warum bekomme ich das nicht hin. Warum bekommen so viele Menschen das nicht hin? 

Was machen diese drei Personen anders, als wir, die wir staunend und begeistert daneben stehen. 

Sie sind offen genug den*die Andere*n so zu akzeptieren, wie er*sie ist. Sie sind frei genug sich voll und ganz auf den*die Andere*n und die Situation einzulassen. 

Wann habe ich, wann haben die meisten von uns das verlernt? Ich weiß es nicht. Ich wünschte nur, ich könnte es wieder erlernen.

Und was machen diese Drei, wenn sie sich ansprechen wollen? Können sie einander doch nicht nach dem Namen fragen. Genau genommen machen sie nicht mal den Versuch den Namen des Anderen zu erfahren. Es ist ihnen völlig egal. 

Sie haben schon einen Namen für den*die Gegenüber. Amigo, Friend, Freund. 

Tatsächlich so erlebt vor ein paar Tagen. Auf einem Spielplatz.