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Samstag, 23. Mai 2020 | 8 Uhr

Nicholas
Katharina
Nils

Bonjörnchen allerseits,

wünschen wohl geruht zu haben! Heute Morgen gibt’s das volle Programm: Neben den, wie üblich, aktuellsten Nachrichten hat Nils eine ausführliche 360 Grad-Sicht aufs Thema Corona. Für Nerds und Ordnungsfreuer*innen gibt es "Bookporn" im Tipp des Tages und im Mensch zu Mensch lädt Nicholas zur friedlichen Koexistenz mit der Angst ein und erklärt plastisch, warum das garnicht so leicht ist.
Euch wünschen wir einen schönen Tag mit allem, was ihr braucht und nix, was ihr nicht wollt. Für uns klingt das wie ein Plan!

Gehabt euch bestens.
Nicholas, Katharina, Nils
und das Team von angstfrei.news!

Und wie immer freuen wir uns über Ideen, Anmerkungen und auch Wünsche im Feedbackformular.

Die guten Nachrichten des Tages

Grünes Rettungspaket der EU-Kommission
Einem ersten Entwurf zur Stärkung der europäischen Wirtschaft zufolge, setzen die EU-Kommissar*innen auf einen überraschend grünen Ansatz, der nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem Klima helfen soll. So sind, neben der Förderung erneuerbarer Energien und Wasserstofftechnologien, mehr als hundert Milliarden Euro als Investition in die Verkehrswende vorgesehen. DER SPIEGEL berichtet dazu wie folgt aus dem europaweiten ‘Recovery Plan’:

  • 40 bis 60 Milliarden sind vorgesehen, um schadstoffreiche Benziner und Diesel durch emissionsfreie Fahrzeugantriebe zu ersetzen.
  • Auch eine Art Kaufprämie ist angedacht: Mit 20 Milliarden soll in den nächsten zwei Jahren der Kauf von "sauberen" Autos gefördert werden.
  • Rund zwei Millionen Ladesäulen für E-Autos sollen errichtet werden.
  • Neben Autos sollen laut dem Papier auch 40 Milliarden in die "Renaissance der Schiene" gesteckt werden. Sogar ein Comeback europäischer Nachtzüge erwähnt das Papier.
  • Neben dem Verkehr will die Kommission auch die derzeitige Renovierungsrate bei Gebäuden verdreifachen: Für klimafreundliche Sanierungen wie Dämmung und erneuerbare Wärmeversorgung sollen pro Jahr 91 Milliarden Euro bereitstehen.

Der Energieexperte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin nennt dies “Den ersten konkreten Schritt des europäischen ‘Green Deal’” und ein Zugeständnis an das Versprechen der EU-Kommision, gerade in der Coronakrise in klimafreundliche Infrastruktur zu investieren. Die Zahlen seien allerdings noch mit einem gerüttelt Maß an Vorsicht zu behandeln, das Papier sei zunächst nur ein Entwurf und an einigen Stellen noch nicht eindeutig.
Spiegel

Fahrradinfrastruktur wächst dank Corona
Das Fahrrad erlebt einen Aufschwung zu Corona. "Das merken wir eben nicht nur auf den Straßen, sondern auch beim Ansturm auf die Fahrradläden.", sagt David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Das hilft nicht nur gegen den Heimkoller oder den Bewegungsmangel, viele entgehen mit dem Rad auch öffentlichen Verkehrsmitteln. "Deswegen steigen momentan auch Leute aufs Fahrrad auf oder auch um, die vielleicht vorher mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren sind.", so Eisenberger. Das hat Auswirkungen auf die Fahrradinfrastruktur in mehreren deutschen Großstädten, wo die Fahrradwege ausgebaut wurden. Die Verkehrsforschung sieht in dieser Entwicklung eine enorme Chance für die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur nach europäischen Vorbildern.
DW | DW (Kommentar) | DW (was wir von anderen lernen können)

Entwicklungen seit gestern Abend

Recht auf Homeoffice: Altmaier und Heil uneinig
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich gegen ein gesetzlich verankertes Recht auf Arbeit von zu Hause ausgesprochen. „Staatliche Gängelei wäre grundfalsch.“, so Altmaier. Er habe volles Vertrauen in Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsräte, dass vor Ort die richtigen Lösungen gefunden werden. „Ich bin überzeugt, dass viele Betriebe von sich aus mehr Homeoffice ermöglichen, aber es passt eben nicht überall, vor allem wenn der direkte Kontakt zu Kunden und Mitarbeitern notwendig ist.“

Altmaier reagiert damit auf den Plan von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bis zum Herbst ein neues Gesetz zur gesetzlichen Verankerung von Homeoffice vorzulegen. „Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können - auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist“, so Heil gegenüber der „Bild am Sonntag“. Denkbar sei sowohl, komplett auf Homeoffice umzusteigen oder auch nur für ein oder zwei Tage in der Woche. Aktuellen Studien zufolge sind im Rahmen der Corona-Krise zwei Drittel der Arbeitnehmer*innen ins Homeoffice gewechselt.
FAZ | Saarbrücker Zeitung (Paywall / originaler Artikel)

Lufthansa-Hilfen sollen zeitlich begrenzt werden
Im Falle eines Hilfspaketes für die Lufthansa werde sich der Staat so schnell wie möglich wieder zurückziehen. Es sei wichtig, dass Unternehmen zügig wieder alleine zurechtkommen, so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gegenüber der Saarbrücker Zeitung. Dies gelte auch für andere Pakete an Unternehmen, die in Zukunft verabschiedet werden müsst. Gestern berichteten unterschiedliche Medien, dass die Verhandlungen mit der Lufthansa bereits weit vorangeschritten seien. Demnach soll der Bund neun Milliarden Euro bereitstellen und eine Minderheitsbeteiligung von 20 Prozent der Anteile erhalten.

Kritik an der Hilfe weist Altmaier zurück. Er habe noch keine ernstzunehmende Stimme vernommen, die dafür plädiere, die Lufthansa und all ihre Beschäftigten in die Insolvenz zu schicken. Außerdem lehnt er es ab, Bedingungen an die Hilfe für den Fluganbieter zu knüpfen - beispielsweise in Richtung Klimafreundlichkeit. Wenn man mit Auflagen für einzelne Unternehmen anfange, verschwimme die Grenze zum staatlich gelenkten Konzern sehr schnell.
Deutschlandfunk | Saarbrücker Zeitung

Arbeitgeber fordern Überbrückungshilfefonds
Der Arbeitgeberverband (BDA) hat die Bundesregierung möglichst schnell wirksame Hilfen einzurichten. Über einen Überbrückungshilfefonds könne die Finanzhilfe bereits im Juni ausgezahlt werden. Das forderte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des BDA, in einem Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Das Konjunkturpaket müsse zudem für langfristiges Wachstum sorgen und dürfe keine "branchenspezifischen Strohfeuer" entfachen.
DLF

Neuansteckungen nach Restaurantbesuch
Durch einen Restaurantbesuch haben sich offenbar sieben Menschen mit Covid-19 infiziert. Das teilte der Landkreis Leer (Ostfriesland) mit. Bis dato gelte ein Zusammenhang mit dem gemeinsamen Besuch in dem Lokal als sehr wahrscheinlich. Eine Aussage, an welcher Stelle Hygieneregeln nicht eingehalten wurden, konnte noch nicht gemacht werden. 50 Kontaktpersonen der Betroffenen wurde in Quarantäne verordnet. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass sich die Zahl der Infizierten noch erhöhe, sagte ein Sprecher des Landkreises. Der Leeraner Landrat Matthias Groote sagte, der Ausbruch führe deutlich vor Augen, dass Corona nicht vorbei sei. Das Virus könne sich jederzeit weiter verbreiten.
NDR

Blick ins Ausland

WHO: Besorgniserregender Anstieg von Coronafällen in Südamerika
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt Südamerika ein neues “Epizentrum” des Corona-Virus. Besonders Brasilien bereitet der WHO Sorge. Nach aktuellen Angaben hat das flächenmäßig größte Land die zweitmeisten Infizierten Weltweit. Damit hat sich das Land binnen weniger Tage zu einem zentralen Krisenherd der Pandemie entwickelt. 

Gestern reichte die Opposition den ersten kollektiven Antrag zur Amtsenthebung von Präsident Jair Bolsonaro ein. Sie werfen ihm unter anderem Verbrechen im Amt vor, die eine Ausbreitung des Coronavirus im Land gefördert und damit Menschenleben aufs Spiel gesetzt hätten. Bolsonaro hatte die Krise heruntergespielt und geriet durch Verhalten wie öffentliche Umarmungen und gefährlichen Medikamentenratschlägen in Kritik.
Tagesschau (Video) | Deutschlandfunk (Bolsonaro)

Frankreich meldet erneut sinkende Zahlen
In Frankreich sinkt die Zahl der an oder mit Corona verstorbenen Personen weiter. Auch die Zahl jener, die auf der Intensivstation behandelt werden, sinkt deutlich. Innerhalb von Europa gehört Frankreich zu den besonders von der Corona-Krise betroffenen Ländern. Vor rund eineinhalb Wochen lockerte die Regierung die strengen Ausgangsbeschränkungen. Trotzdem bleiben einige Einschränkungen bestehen: so sind Reisen mit einer Entfernung von über 100 Kilometern nur bei besonderen beruflichen oder privaten Anlässen erlaubt.
Tagesschau (Newsticker)

Briten führen Quarantäne bei Einreise ein
Ab dem 8. Juni müssen Reisende, die aus dem Ausland nach Großbritannien einreisen, in eine verpflichtende 14-tägige Quarantäne gehen. Verstöße werden mit einer Strafe in Höhe von 1000 Pfund rechnen, sagt Innenministerin Priti Patel. "Jetzt, da wir den Höhepunkt dieses Virus' überschritten haben, müssen wir Maßnahmen ergreifen, die vor einem Wiederaufleben dieser tödlichen Krankheit [...] schützen." Ausgenommen sind unter anderem Lkw-Fahrer, Speditionsmitarbeiter, Saisonkräfte in der Landwirtschaft, medizinisches Personal sowie Reisende aus Irland, der Isle of Man und den Kanalinseln. Alle anderen müssten bei der Einreise ihre Kontaktdaten bekannt geben und würden in den zwei Wochen regelmäßig kontrolliert, sagte Patel. Außerdem werde man alle auffordern, eine App herunterzuladen, mit der die Regierung Kontakte nachverfolgen will - sollte die App funktionieren.
Tagesschau 

Trump fordert Öffnung von Gotteshäusern gegen Widerstand
US-Präsident Donald Trump fordert eine sofortige Öffnung von Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen Gotteshäusern. Eine rechtliche Basis für diese Forderung hat er nicht - diese Entscheidung obliegt den Gouverneuren. Sollten diese die Öffnung abnehmen, will Trump "die Gouverneure überstimmen". Trump hat sich wiederholt mit verschiedenen Gouverneuren angelegt, weil er deren Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus ablehnt. 
WELT

Corona in Zahlen
In Deutschland sind 177.212 Menschen als infiziert getestet worden (Stand: 22.05.2020 00:00 Uhr, Quelle: RKI), das sind 460 Personen mehr als am Tag zuvor.

Warum diese Zahlen? Wir zitieren hier die offiziellen Zahlen des RKI, diese werden einmal täglich – immer um Mitternacht – veröffentlicht und um 10 Uhr morgens online bereitgestellt. Das bedeutet für unsere Webseite, dass ihr immer Abends aktuelle Zahlen bei uns abrufen könnt. Und warum gibt es hier nicht mehr davon?  Es ist wichtig, die aktuell angeratenen Verhaltensweisen zu befolgen, das wissen wir alle. Zahlen über Neuerkrankte helfen uns dabei nicht. Achtet aufeinander und haltet Distanz.

Gesundheitsticker: 2.160.043 Menschen sind weltweit wieder genesen, das sind 37.644 Personen mehr als gestern Abend. Davon 159.000 in Deutschland (Stand: 23.05.2020 04:50 Uhr, Quelle: Worldometers).

Tipp des Tages

Sortier mal deine Bücher!
(Oder erfreu dich daran, wie andere das gemacht haben.)

Ach, ich liebe Bücher! Ich bin einfach nicht dazu in der Lage, sie - einmal gelesen - zu verschenken, verleihe sie nur höchst ungern und halte es für ein ausgemachtes Sakrileg, wirft irgendwer sie einfach achtlos in den Abfall. Einige meiner Lieblingsbücher besitze ich sogar mehrfach, in unterschiedlichen Auflagen, Übersetzungen und Sprachen. Bücher sind toll, sie sind stumme Freunde voller großartiger Ideen und sie sind, nicht zuletzt, auch hervorragende Möbelstücke.

Gerade heute ist mir ein Link in der Favoritenliste meines Browsers begegnet, mit dem ich zunächst mal gar nichts anfangen konnte: Bookshelf Porn stand dort, keine weitere Beschreibung. Zunächst war ich skeptisch, saß doch schließlich meine sechsjährige Tochter neben mir auf der Couch, die ich ungern einem Schamhaar-Scharmützel anheimfallen lassen wollte. Dann wieder hat mich die Neugier getrieben, außerdem hätte es mich schon sehr gewundert, hätte ich zu irgendeinem Zeitpunkt einen Link zu echtem Porno in meine Favoritenliste aufgenommen. Das wäre dann doch zu entlarvend, schließlich schauen sowas ausschließlich die anderen!

Was sich mir dann bot, war zugleich Freude, Augenweide, Inspiration und jeden Tipp wert: Sortiert eure Bücher! Nach Farbe, Größe, Dicke, Thema, Autoren, liegend, stehend, schwebend, wie es beliebt! Eine einfachere, noch wunderbar nerdigere und ästhetischere Änderung am eigenen Heim will mir gerade nicht einfallen. Und wenn’s gut läuft, geht dem Ganzen noch nicht mal eine nervige Fahrt in den nächsten Baumarkt voran, weil ihr alle Notwendigkeiten schon im Regal, in Kartons auf dem Speicher oder als Türstopper vor der blöden Quietschetür zum Wohnzimmer habt. 

Sollte dem nicht so sein, dann nutzt doch die Chance und besucht den nächsten Buchhandel, die Resterampe eurer Stadtbibliothek, den Trödler um die Ecke oder den im Internet. Und dann sendet eure Fotos an Bookshelf Porn! Ich freu mich schon so darauf! 

Bookshelf Porn: https://bookshelfporn.com/
Bezugsquellen für gebrauchte Bücher: http://www.medimops.de / http://www.rebuy.de 

Von Mensch zu Mensch

Das Leben ist;
von Nicholas

Ich bin jetzt schon ein paar Morgen in Folge aufgewacht und hab mir gewünscht, den ganzen Mist hier nur geträumt zu haben. Ich war so richtig frustriert, mit allem Zipp und Zapp. Depressive Verstimmungen, die sich bei mir seit ein paar Jahren immer über scheußliche Rückenschmerzen melden, schlechte Laune, Antriebslosigkeit und eine diffuse Angst, die mir gar nicht mal so diffuse Angst macht. 

Über ein Jahrzehnt habe ich mich durch zahllose Panikattacken hindurch mit mir selbst gestritten, habe etliche Therapiestunden auf mich verwendet und verwenden lassen, hab meinen Traumjob dadurch sausen lassen müssen und stand zwischenzeitlich knietief in einem innerstädtischen Singlewohnungs-Eremitentum, das man weniger verschwurbelt gerne auch ‘ätzende Einsamkeit’ schimpfen durfte. 

All das hab ich jetzt nicht mehr. Keine Panik mehr, keine Not nach Therapie - auch wenn’s mir und den meisten Menschen sicher nicht schaden würde gerade - ganz trostvolle Jobaussichten und eine wunderbare Freundin habe ich. Ich hab irgendwie nicht Nichts und alles ausreichend und dann auch von nichts zu viel. Ich hab noch nicht mal Covid-19 und das gibt’s gerade gefühlt an jeder Ecke. Brauch ich nicht, will ich nicht, ich könnte doch so dankbar sein. Ich will doch so gerne so dankbar sein! 

Aber, aber. Wie Nena schon wusste: Dass sowas von sowas kommt. 

Die Welt gibt sich gerade bucklig und hier und da ordentlich bedrohlich: Sei’s durch Viren, sei’s durch Existenzsorgen allerorts, sei’s durch Rechtsruck featuring saublödem Verschwörungsirrsinn, sei’s durch wirr- und sturköpfige Machthaber mit Milben-IQ, Mauerbauplänen, Weltraumspezialeinsatzkräften und Allmachtsfantasien. Es ist ein ruppiger Ort hier und jetzt, da müssen wir uns nichts vormachen. Und dieses ‘Hier’, das ist gerade immer überall.

Da, wo solch rationale Angst ihren berechtigten Raum findet, findet meine innere Furcht vor einem Rückschritt ins alte Panikzimmer festen Tritt und Boden, beschreitet mein Territorium und will da siedeln, wo ich vor Jahren MEINE Mauern hochgezogen habe. Farbenfroh lackiert und mit Sinnsprüchen an allen Seiten. Hierhin kommt die Angst nie wieder! So ist’s der Plan und der ist ambitioniert, wie er wunderbar ist. Aber lässt sich das wirklich umsetzen? 

Blöde Frage, kann ich nicht beantworten. Wenn, dann mit einer Gegenfrage:  “MUSS ich das denn überhaupt?”

MUSS ich diesen Plan umsetzen und im Zuge dessen einen steten Kampf führen oder kann ich auch eine friedliche Koexistenz anstreben, bei der ich Tür an Tür mit der Angst und der Erinnerung daran lebe, ohne sie wieder vollends in mein Leben zu lassen? Wie ungeliebte Verwandtschaft, einen lieblosen Prügelonkel, der mir in Kindertagen die Ohren langgezogen hat und sich jetzt nicht mehr traut, weil ich ihm über den Kopf gewachsen und überlegen bin. Schimpfen kann er noch und drohen, aber die Hand, die erhebt er nicht mehr, aus Furcht vor einer Echo-Schelle. 

Der Witz ist: Genau diese Frage habe ich mir schon vor drei Jahren selbst beantwortet. 2017 wurde mein erstes Buch veröffentlicht. Es geht um Angststörungen und mein Leben. Lange Jahre fühlte es sich so an, als wäre das dasselbe. 

Und weil ich mich selber einigermaßen schlau fand, als ich heute diese Zeilen las, und das nicht ganz so häufig vorkommt, möchte ich die gerne mit euch teilen. Angeführt von diesem Vorwort - das länger ist, als der Text selber - hier die letzte Seite meines Buches, gefolgt von der Erkenntnis: Das gilt noch immer. All dem Quatsch, der gerade die Welt beherrscht zum Trotze. Wenn das mal keine gute Nachricht ist!

Nichts ist immer für immer.

Ich habe mir mal die Rede eines Motivations-Coaches angeguckt. Einer von der Sorte, die ein beschissen albernes Mikrofon am Schädel tragen und gestikulieren, als gäbe es einen Wettbewerb im Bescheuert-Sein zu gewinnen. Der schwadronierte vom Guten im Schlechten, von der Schönheit der Chance, vom Gewinnen im Scheitern. Wäre er ein Strauß Blumen oder eine Flasche Schnaps zum Trost gewesen, ich hätte es ihm direkt verziehen. Hätte ihm seine Heile-Welt-Attitüde gelassen. Aber bitte, sei doch ehrlich. Auch du sitzt abends in deinem Wohnzimmer und wirst dir deiner Mängel bewusst und zweifelst. Erzähl doch keinen haltlosen Mist.

Freunde, das Leben besteht aus Tod und Steuern. Aber dazwischen, in den bunten Lücken, in diesen wunderbaren Momenten, da ist es bahnbrechend schön. Wann immer ihr zum ersten Mal küsst, wann immer ihr zum nächsten Mal herzt, wann immer ihr euch groß fühlt, obwohl ihr naturgemäß klein seid in dem Kosmos, von dem niemand weiß, ob er schrumpft oder sich ausdehnt, dann seid euch dessen bewusst. Bahnbrechend schön ist das Leben.

Und dazwischen seid stark und groß und neugierig und klebt euch ein beklopptes Mikrofon an die Backe und postuliert es euch ins Hirn: Ihr seid so normal, wie man es nur sein kann, wenn es kein Normal gibt. Jedenfalls kein universelles, keines, das gesetzmäßig oder in Stein gemeißelt ist. Wer maßt sich an, euch überzeugen zu wollen, dass etwas so nicht stimmt? Also das fände ich nicht normal. Hah! Wisst ihr, ihr seid nicht alle wunderbar. Ein paar, so befürchte ich, sind auf dieser Welt sogar ganz schlimme Arschlöcher. Aber das lässt sich ja ändern. Was uns eint ist, dass wir alle ungleich sind. Und das macht uns grenzenlos ähnlich. Sprecht, schreit, singt, schreit darüber und fasst unbändige Freude und Verzweiflung und schüttelt sie, bis sie eins werden. Macht Grau aus Macht Grau aus Schwarz und Weiß und nennt es Mitte.

Seid nicht wunderbar für die Welt, das wär des Anspruchs zu viel. Aber seid auch nicht furchtbar für euch selbst.

Seid.

Ja, richtig. Ich schließe dieses Buch mit der Erkenntnis, dass mich die Angst noch nicht verlassen hat. Dass die auslösenden Situationen gar nicht so ausnähmlich sein müssen, um mich hier und da in eine Panik zu treiben. Dass ich entweder noch daran zu arbeiten oder die Angst als Begleiter zu akzeptieren habe.

Für die bunten Lücken.
Und fürs Grau.
Für die Mitte.

Gehabt euch wohl. Bleibt gesund. Und lacht darüber. Das Leben ist;

(Aus “Ich bin mal eben wieder tot - Wie ich lernte, mit Angst zu leben” / Droemer*Knaur 2017)

daz - die angst zeitschrift

360 Grad

Ein Corona-Rundblick
Von Nils

Aktuell gehen die Corona-Infektionszahlen zurück, zumindest hierzulande. Es gibt eine gewisse Ermüdung zu dem Thema, zum Glück kommen gibt es mehr und mehr Lockerungen. So gab es Überlegungen innerhalb der Angstfrei News Redaktion, wie wir weiter berichten, ob wir unsere Nachrichten weiterhin auf dieses Thema beschränken.

Ganz im Sinne von „360 Grad“ habe ich etwas rekapituliert und festgestellt: Über Corona zu berichten, war bisher keinesfalls eine Einschränkung. Denn diese Pandemie betrifft alle Lebensbereiche, im Negativen wie manchmal auch im Positiven. Sie verdeutlicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, oftmals auch Probleme. Diese sind größtenteils nicht erst durch Corona entstanden, aber sie fanden oft wenig Beachtung. Nun gelangen sie durch diese Ausnahmesituation wie durch ein Brennglas ins zu größerer Aufmerksamkeit, da es schwerer wird, sie auszublenden:

So waren es plötzlich Mitarbeiter des Gesundheitswesens, aber auch Kassierer*Innen, denen als „systemrelevante“ Berufsgruppen Wellen der Dankbarkeit entgegenschlugen. Vorher bekamen diese kaum Aufmerksamkeit, ihre Bezahlung lässt leider nach wie vor Luft nach oben.

Auch verdeutlicht die Pandemie Folgen der Globalisierung, denn die rasante Ausbreitung von Covid-19 wurde nicht zuletzt durch die vielen Reisen, privat wie geschäftlich, begünstigt. Nun gibt es massive Reisebeschränkungen, wodurch die Branche vor großen Problemen steht.

Hierzulande gab es Sorgen, ob die Landwirtschaft den Ausfall von Erntehelfern abfedern könne. Diese reisen größtenteils aus dem Ausland an, was aufgrund der geschlossenen Grenzen in Frage stand. Nun wurden Ausnahmeregeln gefunden, doch mir stellt sich die Frage: Wie kommt es eigentlich, dass ein so grundlegender Bereich wie Anbau und Herstellung von Lebensmitteln für Einheimische kein attraktives Beschäftigungsfeld ist? Vor kurzem kam das Thema durch die hohen Infektionszahlen in Schlachtbetrieben nochmals ins Bewusstsein. Auch hier arbeiten viele Arbeitnehmer aus dem Ausland. Zudem sind die Arbeitsbedingungen so, dass die erhöhten Hygieneanforderungen schwer einzuhalten sind.

An vielen Stellen hat sich gezeigt, dass das Home-Office eine Alternative zur täglichen Fahrt ins Büro sein kann, wenn es auch seine eigenen Schwierigkeiten bietet.

Gerade läuft langsam, aber stetig der Schulbetrieb wieder an. Für viele Eltern, besonders Mütter, ist die Schließung von Schulen und Kindergarten eine große Herausforderung. Sie mussten plötzlich die Aufgabe von Lehrern mit übernehmen. Dass dies von Beginn an als Selbstverständlichkeit aufgefasst wurde finde ich auffällig, denn eine Kleinigkeit, die man so nebenbei erledigt ist, ist das nicht.

Bei allen Problemen, die die Pandemie mit sich bringt, zeigt sich ebenfalls viel Solidarität. Sei es in Form von Einkaufshilfen für Risikopatienten, offen gezeigter Dankbarkeit und Beratungsangeboten von Psychologiestudent*innen. Auch Künstler, die durch die Einschränkungen von Auftritten große wirtschaftliche Probleme haben, stellten trotzdem unentwegt Angebote, die uns die uns die Quarantäne erleichtern. „Freude schöner Götterfunken“ war nach entsprechendem Aufruf aus vielen Fenstern zu hören.

Die Umwelt konnte durch das Zurückfahren von Wirtschaft und Reiseverkehr etwas aufatmen, was vorher undenkbar schien. Viele Menschen sind der Natur wieder näher gekommen, da Spazieren gehen und Radfahren von den Beschränkungen hier nicht betroffen sind.

Was man bei einem „360 Grad“-Blick über diese Krise sieht ist einiges Beängstigendes, aber auch viel, was Hoffnung schöpfen lässt. Ich finde, dass Wolfgangs Motto aus dem letzten “360 Grad” ein sehr guter Ansatz ist: „Denken wir uns neu“, anstatt unbedingt schnellstmöglich zu genau dem Zustand vor Corona zurückzukommen.

Dabei fällt mir das berühmte Gelassenheitsgebet von Theologe Reinhold Niebuhr ein. Dieses hat in seiner ursprünglichen Fassung den Fokus etwas stärker auf dem Aspekt des „Änderns“:

„Father, give us courage to change what must be altered,
serenity to accept what cannot be helped,
and the insight to know the one from the other.“

(„Vater, gib uns den Mut, das zu ändern, was geändert werden muss,
die Gelassenheit, das zu akzeptieren, wir nicht ändern können,
und die Einsicht, das eine vom anderen zu unterscheiden.“)

Reinhold Niebuhr, Theologe

Ausgabe von Angstfrei News mit dem letzten 360 Grad

Dies und Das

Corona Kinderleicht
So heißt ein von Suse und Daniel aus Kassel gestartetes Projekt, das den Jüngsten beim Verstehen der aktuellen Situation helfen sollen. “Kurzgeschichten, Hörspiele, Bastelsachen um Corona begreifbar zu machen” ist das Motto der Internetseite. Zum Start gibt es zwei Hörspiele für Kinder ab 3 bzw. 5 Jahren, die in der Tierwelt spielen. Wer selber etwas zum Projekt beitragen will, könne sich melden.
Corona Kinderleicht
Über die Seite und Möglichkeiten zur Mitarbeit

Orchestervideo für die NHS - und mit ihr
Das Kaleidoscope Orchestra hat zum Dank an die britische Gesundheitsorganisation NHS ein Musikvideo aufgenommen. Die Musiker*innen haben sich jeweils einzeln zu Hause beim performen des einer Orchesterversion des Dance-Songs „Titanium“ von David Guetta gefilmt. Dabei zeigen sie Plakate mit Botschaften. Das Besondere: Auch Mitarbeiter der NHS tanzen im Video zu der Aufnahme. Ihre gute Laune dabei ist hoch ansteckend und macht Mut!
Kaleidoscope Orchestra - Titanium (NHS Tribute)

Ein Lied über Systemrelevanz
Das beiden Liedermacherinnen vom Duo “Suchtpotenzial” singen in ihrem Song über systemrelevante Berufe. Genauer gesagt, darüber dass ihre Arbeit es nicht ist. Dafür sei Musik eher ein Luxusgut, sozusagen die “Sahne auf der Torte”. Schön anzuhören und sehr lustig!
Suchtpotenzial - Systemrelevant

Hiermit entlassen wir euch vorerst in einen hoffentlich wunderbaren Samstag. Ab 20:00 gibt’s wieder Aktuelles, betreut von Nils, der euch auch schon mit seinem 360 Grad-Blick erfreut haben dürfte. Genießt den Tag, Wetter ist immer. Macht das Beste draus!

Katharina, Nicholas, Nils
und das Team von angstfrei.news. 

Ideen, Anmerkungen, Wünsche? Gerne hören wir über das Feedbackformular von euch. Ihr wollt unsere Arbeit unterstützen: Spenden und Fördermitgliedschaft bei der Deutschen Angst-Hilfe e.V.

Quellen
Corona in Zahlen (RKI) | Gesundheitsticker | Über die Landesregierung NRW sind wir außerdem an den dpa-Nachrichten-Ticker angebunden, den wir immer als Quelle verwenden, wenn wir (dpa) schreiben.