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Samstag, 25. Juli 2020 | 8 Uhr Sommerzeit

Anne

Guten Morgen liebe Leser*innen,

Wir starten ins Wochenende. Ins erste Ferienwochenende unserer Redaktion. Genießt die Zeit mit hoffentlich zufrieden stellendem Wetter und eventuell einer Tasse Kaffee/Tee auf Balkon oder Terrasse, während ihr diese Ausgabe lest.

In dieser Ausgabe haben wir einen Beitrag von Felix vom 1. Mai für euch. Darin geht es um Druck, von Innen wie von Außen, um Krisenbewältigung und Solidarität. was das ganze mit Kreise malen zu tun hat, lest selbst.

Außerdem gibt es noch einen Text von mir, Anne, vom 8.5. der den Zusammenhang von Mut und Angst beleuchtet, mit dem Weitblick der Kinderaugen.

Wir hoffe euch gefällt das aktuelle Format während unser Redaktionsferien. Wir freuen uns sehr über Feedback hierzu. Ab dem 3. August geht es dann in gewohnter Manier, aber mit neuem Schwung weiter. Jetzt wünschen wir euch erstmal viel Spaß beim Lesen und einen guten Start ins Wochenende

Eure Anne und das ganze Team von angstfrei.news.

Von Held*innen, inneren Krisen und wunderschönem Faulsein

von Felix

Ich lasse mich oft unter Druck setzen oder: Ich setze mich oft unter Druck. Oft auch schneller als es von meinem Umfeld beabsichtigt wäre.

Ich bin ein Mensch, dem es vielleicht mehr Kraft kostet als anderen den Alltag zu bewältigen, in soziale Interaktion zu treten, ein Mensch, der viel über sich nachdenkt, über seine Auswirkung auf sein Umfeld, das eigene Verhalten, das Gewissen, Antriebe, Bedürfnisse, Gefühle in sich drinnen und das Zusammenbringen eben dieser im Spannungsfeld alltäglicher Erlebnisse. Und Erwartungen. Erwartungen, die es immer gibt. Und die ich oft sogar spüre, wenn es sie nicht einmal gibt, jedenfalls nicht außerhalb meines Kopfes.

Neulich habe ich einen Kommentar unter einer Solidaritätsaktion mit Geflüchteten in Griechenland gelesen, der mich stutzig gemacht hat. Es gibt genug Kommentare unter humanen Projekten, die einen stutzig machen können. Von Verharmlosungen, rassistischen Äußerungen, über Verschwörungstheorien und persönlichen Beleidigungen. Umso trauriger, dass man dagegen oft fast abstumpft. Doch mit dem Kommentar, den ich dieses Mal gelesen habe und der ich verwirrt hatte, war was anders. Auch weil ich demder Verfasserin grundsätzlich zustimmte. Im Kern war die Botschaft die Freude über das Engagement, ungefähr wie folgt formuliert: „Gut, dass es noch Menschen gibt, die gerade noch etwas anderes machen als einkaufen, chillen und Fernsehgucken“.

Auch ich finde es stets gut, wenn es Menschen gibt, die auf Missstände hinweisen, die sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit engagieren, die nicht die Augen verschließen. Trotzdem traf mich der Kommentar. Weil ich sogar dort, wenn vielleicht auch völlig unbeabsichtigt, etwas fand, was mich immer wieder beschäftigt: die Diskreditierung des „Nichtstuns“, gar nicht mal nur des politischen Nichtstuns, sondern allgemein, des „Chillens“. Auch jetzt in Corona-Zeiten.

Der Komiker und Autor Ralph Ruthe hat neulich auf Twitter die folgenden Zeilen geschrieben,

Falls euch jemand einzureden versucht, dass ihr momentan "normal zu funktionieren" habt, egal ob in Job, Schule oder Beziehung - das stimmt nicht. Wir alle haben momentan mindestens eine Krise mehr zu bewältigen als sonst. Und es ist 100% menschlich, unsicher + besorgt zu sein.

Ralph Ruthe auf Twitter

Wir alle haben oft mehrere Krisen zu tragen. Das können äußere Krisen wie die Corona-Pandemie sein, aber auch innere Krisen, die man von außen nicht unbedingt sieht. Krisen, die uns fordern, vielleicht auch überfordern, manchmal vielleicht auch banal scheinende Alltagskrisen, auch wenn wir wissen, dass es uns vielleicht strukturell gerade gut geht oder gut gehen müsste. Oder vielleicht nicht einmal das. Wir alle haben auch beschränkte Kapazitäten. Das ist Fakt. Trotzdem haben wir oft das Gefühl weitergehen zu müssen, mehr zu schaffen, „besser“ zu sein als wir es gerade leisten können.

Wie gesagt, ich schätze jeden Menschen, der Kapazitäten frei hat, um auch groß zu denken, mitzugestalten, zu verändern. Trotzdem ist es okay, die Kapazitäten auch mal für sich zu verwenden. Oder fürs direkte Umfeld. Auch für die erkrankte Oma einkaufen zu gehen oder dem psychisch erkrankten Freund ein offenes Ohr zu schenken, hilft. Das ist toll. Genauso okay ist es, sich für die eigene Seele zu engagieren, sich und den eigenen Bedürfnissen ein offenes Ohr zu schenken, für sich selbst zu sorgen, ja vielleicht auch mal für sich selbst einzukaufen, oder einfach zu entspannen.

Hannes Wittmer, für mich mit seinem idealistischen Ausstieg aus der Verwertungsgesellschaft fast so etwas wie ein Held, hat mal so schön gesungen: „Scheiß auf die Helden, weil sowieso niemand so ist, wie das alle erzählen“. Alles, was wir unseren Mitmenschen Gutes tun, ist toll. Das muss ich hier wahrscheinlich niemandem erzählen.

Trotzdem ist es genauso wichtig, gut zu uns selbst zu sein. Dazu gehört auch, dass man nicht immer perfekt sein muss, auch moralisch nicht. Das ist niemand von uns. Das heißt auch, dass es okay ist, dass man Grenzen hat, dass es okay ist, die Grenzen nicht ständig überwinden oder erweitern zu müssen, dass es auch okay ist, sich mal dafür zu entscheiden, nicht bis diese Grenzen zu gehen, sondern auch mal zu genießen, dass man gerade für sich selbst da ist.

Gerade haben wir alle eine Krise mehr zu bewältigen als sonst. Sonst haben wir oft schon genug Grenzen zu bewältigen.Deshalb sollten wir uns auch mal den Rückzug gönnen, die Entspannung, die völlige Unproduktivität. Denn ja, Entspannung muss nicht immer einen Nutzen habt. Sie kann auch einfach mal dem Bedürfnis nach Ruhe, vielleicht auch nach Faulheit folgen.

Trauen wir uns mal mehr auf unsere Bedürfnisse zu hören. Auch, wenn es vielleicht inmitten fremder Erwartungen, Pflichten und Deadlines manchmal leichter ist, sie beiseite zu schieben Wenn das Bedürfnis ist, nach draußen zu gehen (wenn auch momentan eher virtuell) und etwas zu verändern, super! Wenn das Bedürfnis ist, sich einfach mal ein paar Tage, oder nach der Arbeit, oder am Wochenende im Bett zu verkrümeln und die ganze Welt um einen herum zu vergessen, ist das genauso gut und völlig menschlich. Auch Inkonsequenz ist menschlich, wir sollten versuchen, dabei weniger hart mit uns selbst zu sein.

Macht das, was euch gut tut. Lehnt auch mal Tipps ab, wenn ihr merkt, dass sie gerade für euch nicht passen. Vielleicht fühlt derdie eine sich beim Sporttreiben gut, und derdie andere beim An-die Wand starren und träumen.

Wie sagt Max Prosa so schön. „Hör nicht auf Kreise zu malen, wenn das ist, was dich glücklich macht“.

Und denkt dran: Auch Ratschläge sind immer individuell. Wir sind alle genauso fehlerhaft, inkonsequent und perfekt wie ihr. All das, was ich geschrieben habe, ist mir so durch den Kopf gegangen. Es ist mein Weg zu versuchen zu verstehen und auch in Krisen mit mir selbst glücklich zu sein.

Vielleicht ist etwas von diesem Weg jemandem einen Gedanken wert, vielleicht nicht. Viel Spaß auf eurem ganz persönlichen Weg oder Irrweg!

Küchentisch Philosophie die Zweite

von Anne

Dieser Artikel ist etwas anders als die bisherigen. Er ist vor allem etwas kurz geraten. Ich habe zuvor den Text auf eine „normale Länge“ gestreckt. Hier einen Nebensatz zugefügt, dort ein Adjektiv. Am Ende war ich furchtbar unzufrieden. Vor lauter Worten ging die Aussage unter. Also alles gelöscht und den neuen Text lest ihr gerade.

Zurück zum wesentlichen, zurück zum Küchentisch.

Hier saß ich mal wieder mit meiner Tochter und wir sprachen über dies hier, warum ich für die Angstfrei.news schreibe und warum es diese überhaupt gibt. Wir sprachen über Ängste und Furcht.

„Die Menschen, die sagen, sie wären total mutig und hätten vor nichts Angst, die machen sich doch selber etwas vor. Jeder hat doch vor irgendetwas Angst und das ist doch vollkommen in Ordnung, ja sogar wichtig! Keine Angst zu haben, ist doch auch unklug und gefährlich.“ Ich bin mir sicher, sie hatte bei diesen Sätzen Szenen vom Schulhof im Kopf, vom Klassenzimmer oder vom Spielplatz. Ich habe aber nicht nachgefragt. Ich wollte den Gedankenfluss nicht unterbrechen.

„Also wenn es doch so uncool ist und man deswegen auch von manch einem ausgelacht wird, wenn man zu seinen Ängsten steht, dann ist doch derjenige, der dazu steht und laut sagt, wenn er Angst hat, derjenige der wirklich mutig ist. Mutig und klug.“

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Außer dies vielleicht noch: Die Worte meiner Tochter hallten bei mir noch lange nach. So stolz ich über diese simple Erkenntnis war, so sehr erschütterte sie mich auch. Weil sie mir indirekt sagte, was wir unseren Kindern über Gefühle lehren. Dass wir diese in gute und schlechte aufteilen. Gute, wie zum Beispiel Freude und Liebe. Diese zeigt man gerne, diese nehmen wir auch gerne, nicht nur bei den Kindern, wahr. Solche Gefühle wie Angst, aber auch Wut verstecken wir. Diese Gefühle werden nicht gerne gesehen. Es sind Gefühle, die jeder Mensch hat und die alle ihre Berechtigung haben. Nicht nur das: Die Angst ist auch ein wichtiger Schutzmechanismus, warnt sie uns doch vor Gefahren. Sie schafft es unseren Körper zu mobilisieren, um sich der Gefahr entgegen zu stellen, beziehungsweise vor der Gefahrenquelle zu flüchten und befähigt uns so zu unglaublichen Leistungen.

Fazit: Es sollten alle Gefühle gezeigt werden dürfen und angesprochen werden dürfen.

Wir sollten aufhören Gefühle zu werten, sondern mutig sein und über sie sprechen, damit dies irgendwann Normalität wird.