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(Un)Abhängigkeit | 18. September 2021

Anne

Liebe Leser:innen,

unabhängig sein, frei sein, das ist ein großes Bestreben. Schon als Kinder, in dem Moment in dem wir ein eigenes Bewusstsein für unser eigenes Sein entwickelt haben, streben wir Unabhängigkeit an und koppeln uns langsam, mit jedem Schritt, den wir lernen, jedem Weg, den wir gehen, langsam ab. Und mit dem Bewusstsein für unser Selbst wird Kindern auch die Abhängigkeit von uns zu den Bezugspersonen, den Eltern, klar, auch wenn Kinder dies natürlich nicht so in Worte fassen können. Das Abkoppeln fällt mal schwerer, mal leichter, wenn wir uns des Rückhaltes unserer Eltern bewusst sind. Und dieser Prozess beschreibt anschaulich das Zusammenspiel von Abhängigkeit und Unabhängigkeit.

Weil wir Mensch sind, fordern wir beides ein; den Rückhalt und die Unabhängigkeit und wir wissen, dass vollständige Unabhängigkeit, eben weil wir Mensch und soziale Wesen sind, nie vollständig erreicht wird. Weil wir in Beziehungen leben, zu unseren Eltern, zu unseren Freund:innen, zu unseren Partner:innen, aber auch zu unseren Arbeitgeber:innen, oder als Selbstständige zu unseren Kund:innen, usw.

Und von diesem Wechselspiel aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit und der Abhängigkeit, handeln auch unsere Beiträge von Mensch zu Mensch. So beschreibt uns Laura, wie sie Unabhängigkeit anstrebt, von dem, was ihre Mitmenschen um sie herum von ihr fordern, Unabhängigkeit von dem Bild ihrer selbst, welches Mitmenschen von ihr haben, um so Glück und Zufriedenheit zu erlangen. In meinem (Annes) Text spielt die Verantwortung mit rein, die auch ein gewisses Maß an Abhängigkeit mit sich bringt, auch wenn wir die Verantwortung gerne und mit Liebe tragen. Tina blickt auf eine ganz andere Abhängigkeit, eine die sich entwickeln kann, wenn wir versuchen unsere Ängste zu betäuben. Und Annika bericht von dem Drang der Unabhängigkeit, dem Auszug aus dem Elternhaus und der Unsicherheit, die das auch mit sich brachte.

Im Schwarzbrot geht es auch diese Woche wieder um Achtsamkeit und dafür hat Steffen wieder einmal ein interessantes Interview geführt. Im Anschluss daran findet ihr natürlich wieder unseren Nachrichtenüberblick.

Eine umfangreiche Ausgabe erwartet euch also. Ganz viel Freude beim Lesen und eine gute Woche wünschen euch Anne und das Team von angstfei.news

Ganz wichtig: Was meint ihr zum neuen Konzept und zu dieser Ausgabe? Bitte gebt uns ein kurzes Feedback - das wäre hilfreich und sehr nett.

Übrigens nehmen wir unser Motto ernst: Angst hat eine Stimme - Deine. Wir sind ein Team von Freiwilligen und schreiben über unsere Angst-, Lebens- und Alltagserfahrungen, ohne ein Richtig oder Falsch, oft mit Verstand und immer mit Herz. Wir freuen uns über dich in unserem Team. Trau dich einfach und schreib uns eine Mail an angstfrei.news@gmail.com, oder über Instagram.

Die gute Nachricht der Woche

Indien: 18 Mio. Impfungen an einem Tag
Indien hat an einem Tag mehr Menschen gegen Corona geimpft als je an einem anderen Tag zuvor. Das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt impfte am vergangenen Freitag (17.9.) mehr als 18 Millionen Menschen. Erst vor zwei Wochen war dem Land der Rekord von 10 Millionen geimpften Menschen an einem Tag. In Indien leben aktuell 1,3 Milliarden Menschen. 40 Prozent von ihnen sind mindestens einmal gegen Corona geimpft. 

Unterdessen meldet Frankreich eine aktuelle Impfquote von 86 Prozent. Damit haben in unserem Nachbarland 50 Millionen Menschen ab zwölf Jahren mindestens eine Impfdosis erhalten. 

Tagesschau (Liveblog, 17.9.)
ZDF

Schwarzbrot Interview: ,,Raus aus dem Fluchtmodus und die Situation so annehmen, wie sie ist’’

Steffen

Bereits in der letzten Ausgabe haben wir uns mit dem Thema Achtsamkeit näher beschäftigt. Um noch ein wenig tiefer in die Materie einzusteigen, habe ich mich mit einer weiteren Expertin auf diesem Gebiet unterhalten. Maren Schneider hat schon mehrere Bücher über Achtsamkeit, Meditation und Buddhismus veröffentlicht und verfügt zusätzlich über jahrzehntelange Übungs- und Lehrerfahrung. Im Interview erzählt sie uns unter anderem, wie sie mit Hilfe von Achtsamkeit besonders herausfordernden Lebensphasen bewältigen konnte.

angstfrei.news: Schönen guten Tag Frau Schneider. Vielen Dank vorab, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns über Achtsamkeit zu sprechen. Wie haben Sie persönlich den Weg zur Achtsamkeit gefunden?

Schneider: Mitte 20 erlebte ich eine tiefe Krise in fast allen Lebensbereichen, sowohl beruflich als auch privat. Nach Antworten suchend fiel mir ein Buch über den Zen-Buddhismus in die Hände, mit dem Titel ,,Jenseits aller Worte’’. Auch wenn ich nicht wirklich verstand, worum es darin ging;, es brachte in mir etwas zum Schwingen, dem ich auf den Grund gehen wollte. Wie der Zufall es wollte, lernte ich dann einen Buddhisten kennen und verliebte mich. Er hatte sich jedoch bereits entschieden buddhistischer Mönch zu werden. Auch wenn ich sehr traurig darüber war, bot sich mir nun die Chance, tief in den buddhistischen Weg einzutauchen. So folgte ich ihm ins Kloster und hier begann dann auch meine Praxis.

angstfrei.news: Und wie sieht Ihre persönliche Achtsamkeitspraxis heute aus?

Schneider: Mittlerweile gibt es für mich keinen Unterschied mehr zwischen formeller und informeller Achtsamkeitspraxis, also ob ich jetzt beispielsweise im Sitzen meinen Atem beobachte oder einen Tee trinke. Ich versuche in jedem Moment, beziehungsweise jeder Tätigkeit mit offenem Gewahrsein zu begegnen und dabei vollkommen präsent und wach zu sein. Das hat natürlich sehr viel und vor allem regelmäßige Übung gebraucht und war auch ein sehr anstrengender Weg. Aber so ist das ja mit allem, was man neu lernt. Man muss sich immer wieder daran erinnern. Irgendwann geht dann das Tun oder bewusste Üben ins Sein über. Und dann wird es leichter.

angstfrei.news: Wie hat sich dadurch Ihre Lebensqualität verändert?

Schneider: Hammermäßig. Ich bin von Natur aus ein stressanfälliger Mensch und gerade deswegen ist es für mich essentiell, immer wieder bei mir selbst anzukommen und auf mich zu achten. Mein Umgang mit Stress hat sich durch meine langjährige Achtsamkeitspraxis grundlegend verbessert, sodass ich mittlerweile auch in kniffligen Situationen nicht mehr so schnell den Boden unter mir verliere. Durch Achtsamkeit habe ich nach einem Vollburnout mit 31 wieder zurück in die Spur gefunden, bin von einem acht Jahre andauerndenm Schmerzsyndrom genesen und seit mittlerweile sechs Jahren frei von Depressionen. Ich habe auch noch eine Autoimmunerkrankung, mit der ich dank Achtsamkeit besser lebe.

angstfrei.news: Die Achtsamkeitslehrerin Laurette Bergamelli meinte im Schwarzbrot- Interview letzte Woche: ,,Wenn man über Achtsamkeit spricht, erscheint sie trivial; sie wird erst brisant wenn man sie lebt.’’ Noch einmal sei an dieser Stelle angemerkt, dass es hierbei nicht darum geht, so viele Leser:innen wie möglich von der Wirkung von Achtsamkeit zu überzeugen. Es geht darum, ein besseres Verständnis für Achtsamkeit zu entwickeln, da sie auch im psychotherapeutischen Kontext immer größeren Anklang findet. Wieso erklären Sie sich diese Entwicklung?

Schneider: Ich glaube, dass es den Menschen nach Sicherheit dürstet, was zunächst einmal ein grundlegendes Bedürfnis ist. Da sich unsere Welt, vor allem auch durch den Einfluss der Medien, gefühlt immer schneller dreht und wandelt als je zuvor, wird dieses Bedürfnis nach Sicherheit stärker. Achtsamkeit bietet Raum und Zeit für Stille, Präsenz, eine gewisse Langsamkeit und Echtheit in einer Welt, die zunehmend plastikartig erscheint.

angstfrei.news: Was können sich Menschen mit Leidensdruck jeglicher Art von einer regelmäßigen und ehrlichen Achtsamkeitspraxis erhoffen? Frau Bergamelli meinte letzte Woche in diesem Zusammenhang, dass ihr ihre Achtsamkeitspraxis regelmäßig Illusionen raube.

Schneider: Das lässt sich vielleicht ganz gut mit einem kleinen Ausflug in den Buddhismus veranschaulichen. Buddha wollte ja keine neue Religion erfinden sondern ein Mittel zur Überwindung des leidhaften Daseins. Und genau da setzt Achtsamkeit an; aus dem Kopfkino aussteigen und hin zu dem kommen, was gerade ist. Und das mit bewusster Akzeptanz. Wir alle streben nach etwas, das wir uns als so schön ausmalen. In der Wirklichkeit kommt es dann sehr häufig anders und das führt zu Stress in uns, weil wir gegen etwas ankämpfen oder davor flüchten. Durch Achtsamkeit steigen wir aus dem Kampf- oder Fluchtmodus aus und nehmen die Situation so an, wie sie ist.

angstfrei.news: In wie fern hilft Achtsamkeit im Umgang mit starken Ängsten? Welche Erfahrungen haben Sie persönlich und in derIhrer Arbeit mit Ihren Klienten gemacht?

Schneider: Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass Angst keine leichte Sache ist. Sie verleitet uns ständig dazu, zu flüchten oder auch uns irgendwie zu betäuben. Das hilft jedoch nur kurzzeitig bis gar nicht. Der Weg der Achtsamkeit ermutigt uns stattdessen, uns die Angst genau anzusehen und zu erkennen, was gerade wirklich geschieht und nicht was wir uns imn Kopf ausmalen. Wir lernen unser Kopfkino von der Realität zu unterscheiden und das unangenehme Gefühl da sein zu lassen ohne darin zu schwelgen oder es zu dramatisieren. Ich hatte schon mehrere starke Panikattacken. Das hat sich bei mir dann wie ein Schuss ins Herz angefühlt. Ich wollte diesen Schmerz in dem Moment kontrollieren und hatte dabei gleichzeitig Angst vor dem nächsten Schuss, was es letztlich nur noch schmerzhafter gemacht hat. Es wurde erst besser, als ich die Angst zugelassen und mich nicht mehr dagegen gesperrt hab.

Für Menschen, die noch wenig Erfahrung in Sachen Achtsamkeitspraxis gesammelt haben, ist es jedoch wichtig zu wissen, dass es sich dabei um kein Akutprogramm handelt, das sich in besonders belastenden Situationen mal eben abspulen lässt. Wir müssen unsere Fähigkeiten eine gewisse Zeit anuftrainieren um von der Wirkung zu profitieren. Achtsamkeit trainiert auch unser Gehirn und wie es auf Eindrücke reagiert. Das braucht Zeit. Dies setzt eine gewisse Lernfähigkeit voraus, was unter anderem auch bei akuten Lebenskrisen, psychischen Erkrankungen und bei Langzeitgestressten nicht der Fall ist. Stattdessen sollte ein maximal mittelgradiges Stressniveau für einen Lernerfolg gegeben sein

angstfrei.news: Kommen wir zum Abschluss noch auf unser Ausgabenthema (Un)Abhängigkeit. Wann fühlen Sie sich unabhängig?

Schneider: Ich fühle mich immer unabhängig, beziehungsweise frei. Ein wichtiger Part von Unabhängigkeit ist es, seine eigenen Entscheidungen zu fällen und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Damit nehme ich auch gleichzeitig die Verantwortung fürüber mein Leben an. Die meisten Menschen wollen maximale Unabhängigkeit, tun sich aber im Gegenzug schwer damit, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen.

Dieser Artikel ist Teil der losen Reihe von Basisinformationen zur COVID-19-Pandemie, in der wir etwas tiefer in die Nachrichtenlage der Woche einsteigen. Mal eher hintergründig, mal eher serviceorientiert recherchieren wir für euch selbst, statt wie im darunter folgenden Nachrichtenblock Nachrichten auszuwählen und in eine angstfreie Sprache zu übersetzen. Wir hoffen, es mundet euch.

Nachrichten

angstfrei.news ist gestartet als ein Projekt, das unaufgeregt die Neuigkeiten des Tages - jetzt der Woche - zusammenfasst. Ihr habt uns bestärkt, dass dieser Service wichtig ist, daher bleiben wir ihm treu für all jene, denen die Flut an Nachrichten zu viel wird. Deswegen fassen wir hier für euch die wichtigsten Entwicklungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in der vergangenen Woche zusammen.

Bundesweite Impfwoche mit durchwachsener Bilanz
In der bundesweiten Aktionswoche für Corona-Impfungen ist die Zahl der verabreichten Dosen leicht gestiegen. Allein bis Donnerstag (16.09.) wurden 937.000 Dosen verabreicht - 50.000 mehr als in der Vorwoche. Ursächlich hierfür sind vor allem Zweit- und Drittimpfungen. Die Erstimpfungen gingen hingegen leicht zurück auf 73.000 pro Tag. Allerdings sank die Zahl langsamer als in den Vorwochen.

Insgesamt sind in Deutschland gut zwei Drittel der Menschen mindestens einmal geimpft. Viele Expert:innen halten das für zu wenig, um weitere Infektionswellen zu vermeiden. Bundesgesundheitminister Spahn (CDU) hatte deshalb zu einer bundesweiten Aktionswoche aufgerufen, in der Menschen besonders leicht Zugang zu Impfungen erhalten sollen.
Deutschlanfunk
t-online.de
Tagesschau.de

Facebook sperrt “Querdenken”-Bewegung
Facebook hat über 150 Konten und Seiten gelöscht, die der Konzern der “Querdenken”-Bewegung in Deutschland zuordnet. Es sei weltweit die erste gezielte Aktion, die sich gegen eine Gruppierung richte, die eine "koordinierte Schädigung der Gesellschaft" hervorrufe, sagte Facebook-Sicherheitsmanager Nathaniel Gleicher. Die “Querdenken”-Bewegung habe wiederholt gegen Standards wie “die Veröffentlichung von gesundheitsbezogenen Falschinformationen, Hassrede und Anstiftung zur Gewalt" verstoßen. Betroffen von der Löschung sind Facebook und Instagram, nicht aber das ebenfalls zum Konzern gehörende WhatsApp.

“Querdenken”-Gründer Michael Ballweg kündigte rechtliche Schritte gegen die Löschungen an. Seine Organisation kritisiert die staatlichen Corona-Maßnahmen auf Basis von Verschwörungserzählungen. Weil von einzelnen Mitgliedern mehrfach Gewalt gegen Polizist:innen, Journalist:innen oder Ärzt:innen ausgeübt haben, beobachtet der Verfassungsschutz die Organisation.
Tagesschau.de

Bundesregierung: Kurzarbeiter:innen-Regelung bis Jahresende verlängert
Die Bundesregierung hat den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeiter:innengeld bis Jahresende verlängert. Das Kabinett stimmte einer entsprechenden Verordnung des Bundesarbeitsministers Heil (SPD) zu. So müssen weiterhin nur zehn Prozent der Mitarbeiter:innen eines Unternehmens vom Arbeitsausfall betroffen sein, damit die Unterstützung beantragt werden kann.

Beschäftigte, die von Kurzarbeit betroffen sind, erhalten mindestens 60 Prozent des ausgefallenen Nettolohns, mit mindestens einem Kind sind es 67 Prozent. Das Geld steigt stetig mit der Bezugsdauer - auf maximal 87 Prozent mit Kind. Die Mehrausgaben werden auf rund 1,2 Milliarden Euro beziffert. Zusätzlich werden die Sozialabgaben durch das Jobcenter getragen. Ziel des Kurzarbeiter:innengeldes ist es kurzfristige Entlassungen zu vermeiden.
Tagesschau.de

Rechtsstreit: Österreich lehnt Vergleich wegen Ischgl ab
Der Staat Österreich hat einen Vergleich im Rechtsstreit zum mögliche Fehlverhalten seiner Vertreter in Ischgl abgelehnt. Die Angehörigen eines Österreichers, der sich im vergangenen Jahr bei seiner Abreise aus dem Skiort mit dem Virus angesteckt hatte und daran verstarb, forderten 100.000 Euro Schadenersatz vom Staat. Die österreichische Regierung behauptet mit dem damaligen wissen über das Virus richtig gehandelt zu haben. Deshalb sei die Klage daher grundlos sei.

Im vergangenen Jahr haben sich etwa 6000 Menschen aus 45 Ländern in Ischgil und anderen Tiroler Urlaubsorten mit dem Coronavirus angesteckt. Neben der aktuellen Klage warten noch weitere 14 aus Österreich und Deutschland auf ihre Verhandlung. Insgesamt werden bis zu 3000 Ansprüche an den Staat Österreich erwartet.
Tagesschau

Italien: Impf- oder Testpflicht für Arbeitnehmer:innen
Ab 15. Oktober müssen alle Italienier:innen aktuelle Tests oder Impfung am Arbeitsplatz nachweisen. Wer den sogenannten “Greenpass” nicht zeigen kann oder will, werde nach fünf Tagen ohne Lohn suspendiert. Das beschloss die Regierung am 16.9. Alternativ sei Homeoffice möglich. Test- oder Impfverweigerer können allerdings nicht gekündigt werden.

Bereits jetzt benötigen Menschen in Italien den “Greenpass” für verschiedene Freizeitaktivitäten wie Kino oder Theater. Die jetzt beschlossene Ausweitung des Greenpasses auch auf die Arbeitswelt diene in erster Linie dem Gesundheitsschutz, betonte der zuständige Gesundheitsminister Roberto Speranza nach der Kabinettssitzung.

In Italien sind 68 Prozent doppelt geimpft. Die Regierung erhofft sich von der Maßnahme auch mehr Impfungen.
Tagesschau.de

Israel: Hoher Schutz für Ältere durch Drittimpfung
Ältere Menschen scheinen stark von einer Auffrischungsimpfung mit dem BioNTech-Vakzin zu profitieren. Das legt eine Studie aus Israel mit über eine Million Drittimpfungen bei über 60-Jährigen nahe. Nach der Drittimpfungen traten bei den über 60-Jährigen zehn mal weniger Infektionen und 20 mal weniger schwere Verläufe als bei den nur zweifach Geimpften Geschlechtsgenossen auf. Die Nebenwirkungsquote sei im Vergleich zur Zweitimpfung nicht erhöht.

In Israel kann sich mittlerweile jede:r frühestens fünf Monate nach der zweiten Impfung eine Drittimpfung geben lassen. Mehrere Bundesländer bieten für bestimmte Risikogruppen bereits Drittimpfungen an. Die Ständige Impfkomission hat hierzu bisher keine Empfehlung ausgesprochen.

tagesschau.de

Hamburger Handballer setzen auf 2G
Der Handball Sport Verein Hamburg (HSVH) lässt nur noch Geimpfte und Genesene zu seinen Heimspielen zu. "Aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen sind wir gezwungen, unter 2G-Bedingungen die Möglichkeit zu nutzen, mehr Zuschauer in die Halle zu bekommen, um unsere laufenden Kosten über die Saison decken zu können“, erklärte HSVH-Präsident Marc Evermann. "3G-Heimspiele" seien mit all ihren Beschränkungen für den Club wirtschaftlich nicht darstellbar, ergänzte der Vereinsboss.

Statt bisher 3000 können nun wieder 5000 Menschen in die Handballarena. Zahlreiche Sportvereine hatten bereits ähnliche Entscheidungen gefällt.
NDR.de

Von Mensch zu Mensch

Auch in dieser Woche haben wir uns wieder ausgiebig mit unserem Wochenthema beschäftigt und unsere Gedanken dazu aufgeschrieben. Dabei wird erneut mehr als deutlich, wie vielfältig unsere Erfahrungen zum Thema (Un-)Abhängigkeit aussehen. Vielleicht könnt ihr euch ja in dem ein oder anderen Text wiederfinden. Tina macht dieses Mal den Anfang und erzählt von ihren Erlebnissen mit einer speziellen Form der Abhängigkeit und davon, wie es ihre Oma geschafft hat, ihr dort heraus zu helfen.

„Benzodiazepine“ … no deal
Tina

Bei diesem Wochenthema fiel mir sofort ein Kapitel aus meinem Leben ein, in dem ich fast in eine Tablettenabhängigkeit gerutscht wäre, ohne es zu merken. Ich finde, dass Ärzte zum Teil viel zu schnell nach ihrem Rezeptblock greifen, um Tabletten zu verschreiben, anstatt erst einmal nach lösungsorientierten Alternativen zu schauen. Gerade hinsichtlich einer Angststörung gibt es verschiedene Alternativlösungen, anstelle dem sogenannten Angstlöser Benzodiazepine.

Aber gut, das weiß ich jetzt. Jedoch war ich zu Anfang meiner Angststörung mit diesem Gefühl völlig überfordert. Da lief ich noch blauäugig durch die Gegend und dachte, mit ein paar Tabletten wird meine Welt schon wieder in Ordnung kommen. Doch dem war nicht so und in Windeseile zerplatze diese Traumblase. In der Realität angekommen, lief ich einen Weg, der in eine Sackgasse führte. Mein Glück war, dass meine Oma am Wegesrand stand, um mich abzupassen. Sie holte mich von dem „no way“ der Hoffnungslosigkeit runter und lief mit mir einen neuen Weg, der in Richtung Zuversicht führte.

Mit 21 Jahren schickte mich meine Hausärztin aufgrund meiner Angststörung zu einem Neurologen. Ich brauchte Krankmeldungen für die Arbeit und freute mich, dass er meine Ängste gar nicht so ernst nahm. Das beruhigte mich ein wenig, denn dann schien meine Krankheit ja nicht so ernst. Er diagnostizierte Agoraphobie und verschrieb mir zwei Sorten Psychopharmaka. Eine davon war ein Benzodiazepin. Ich war erleichtert, denn ich unterlag dem Irrglauben, dass sich meine Ängste durch die Tabletteneinnahme in Luft auflösten. Doch das Gegenteil trat ein. Mit jedem weiteren Arztbesuch wurde die Dosis erhöht. Ich wusste gar nicht mehr, wie sich mein normaler Zustand ohne die Tabletten anfühlte. Und der Gedanke machte mir Angst, denn selbst mit Tabletten war meine Angst kaum auszuhalten. Ich war enttäuscht und beschämt.

Wie konnte ich nur so naiv sein zu glauben, dass es mit ein paar Tabletten getan ist. Längst war ich in dem Hamsterrad aus Angst und Tabletten gefangen. Ich drehte mich im Kreis und fand keinen Ausweg. Bei jedem Arztbesuch wimmerte ich verzweifelt, dass meine Ängste unerträglich werden. Doch er wimmelte mich nur mit den Worten ab, dass diese Krankheit ihre Zeit braucht. Er strich eine Tablette, doch dafür erhöhte er erneut die Benzodiazepine. Inzwischen ging es mir so schlecht, dass ich zu Hause mein Zimmer kaum noch verließ. Ich hatte das Gefühl, dass die Angst mich auffraß. Und das wohlgemerkt mit Tabletten. Der Gedanke wie meine Ängste sich ohne die Tabletten anfühlen, brachte mich fast um den Verstand. Ich spürte nur noch Angst und ich wusste nicht, vor was oder wem und warum ich Angst hatte. Ich wusste nur eines: Ich brauchte meine Tabletten. Ich bildete mir ein, dass ich ohne sie vor Angst überschnappe. Denn selbst mit ihnen war es kaum zu ertragen.

Inzwischen war ich in einem besorgniserregenden Zustand, der natürlich meiner Familie nicht länger verborgen blieb. In kürzester Zeit war ich ein Schatten meiner selbst. Essen wurde zum Fremdwort und von meiner positiven Ausstrahlung fehlte jede Spur.
Eines Tages schlug meine Oma vor, mit ihr zum Heilpraktiker zu gehen. Sie war schon seit Ewigkeiten bei ihm in Behandlung und schwörte auf seine Fähigkeiten. Sein Steckenpferd lag in der Akupunktur. Meine Oma war unglaublich strukturiert. Wenn sie sich etwas vorgenommen hatte, dann zog sie das auch durch. So auch ihren Vorschlag, den sie bis ins kleinste Detail zu Ende gedacht hatte. Sie bot mir an, mehrere Wochen bei ihr zu wohnen. In dieser Zeit würden wir dann regelmäßig zwei Mal pro Woche ihren Heilpraktiker aufsuchen.

Ich war mega unsicher über diesen Vorschlag, denn ich müsste mein Elternhaus samt mein schützendes Zimmer verlassen. Aber hatte ich denn eine andere Wahl? Nein, denn ich wollte endlich wieder frei sein. Und wenn das eine Chance ist, um von meinen Ängsten befreit zu werden, so musste ich diese nutzen. Also quartierte ich mich für einige Wochen bei meinen Großeltern ein. Ich weiß noch, wie aufgeregt und ängstlich ich das erste Mal beim Heilpraktiker saß. Es haute ihn fast aus dem Kittel, als er hörte, dass ich schon über Monate Psychopharmaka schluckte. Er war sehr charmant. Seine witzige, lockere Art gefiel mir. Als ich ihm von meinem Leidensweg erzählte, den er schon teils von meiner Oma kannte, verlor ich die Beherrschung und ließ meinen Tränen freien Lauf. Er sprach mir Mut zu und die Aussicht auf gesundheitliche Besserung. Dass aber meine Ängste durch die Akupunktur verschwinden, das versprach er nicht. Mit einem ernsten und bestimmenden Ton verordnete er mir eine langsame Entwöhnung von meinen Psychopharmaka. Jeden Tag sollte ich eine halbe Tablette weniger einnehmen, sodass sich mein Körper sowie meine Psyche schonend auf den Medikamentenentzug einstellen konnten. Panisch von diesem Gedanken wehrte ich mich aufs Äußerste gegen diese Maßnahme. Doch er verdeutlichte mir den Ernst der Lage. Er erklärte mir präzise, wie schädlich Psychopharmaka sind und welche Auswirkungen sie auf die Gesundheit haben. Eine der schlimmsten Folgen sei die Abhängigkeit, so der Heilpraktiker.

“Bin ich das etwa schon?”, fragte ich mich. Bei meiner hysterischen Reaktion ließ ich diese Frage nicht mehr außer Acht. Bestätigen ließ ich mir eine mögliche Abhängigkeit allerdings nicht. Zu groß war die Angst vor einem aussagekräftigen “Ja”. Diesen zusätzlichen Angstfaktor wollte ich mir ersparen. Nachdem das ausgiebige Gespräch stattgefunden hatte, setzte er mir die Akupunktur und ließ mich eine halbe Stunde alleine. Ich war nervös, doch die Aufregung legte sich. Der Heilpraktiker hatte mir durch sein verständnisvolles Auftreten einen Teil meiner Angst genommen. Vielmehr nun beschäftigte mich der Gedanke, seinen Rat zu befolgen! Doch wieder hatte ich keine andere Wahl. Schließlich wollte ich nicht als Angstpatientin und als Süchtige gelten. Mir wurde bewusst, dass ich meinen puren Zustand bekämpfen musste und nicht meinen betäubten. Aber genau das machte mir Angst! Was für eine Welle von Panikattacken würde nun auf mich zurollen?

Am darauffolgenden Tag, fing ich an, meine Tabletten zu reduzieren. Jeden Tag eine halbe weniger. Bis schließlich nach Tagen nur noch eine halbe Tablette übrig blieb. Noch immer war ich bei meinen Großeltern und fleißig hielte ich jede Akupunktur Sitzung durch. Aber es vergingen noch Tage, bis ich den Mut fand, auch die halbe Tablette wegzulassen. Ich weiß es noch wie heute.

Mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn als ich die halb leere Packung in den Mülleimer warf. Mir war schlecht und ich zitterte am ganzen Körper. Der Verzicht verbreitete so viel Unruhe in mir, dass ich sie wieder aus dem Mülleimer heraus holte. Wie in Zeitlupe griff ich nach den Tabletten, während ich mich an die Ermahnung erinnerte. Erschrocken ließ ich die Verpackung fallen und zog blitzschnell meine Hand aus dem Mülleimer. Zerstreut lief ich durch die Wohnung. Ich hatte unglaubliche Angst vor der neuen Situation, vor dem Ungewissen der Entwöhnung. Ängstlich blickte ich dem Tag entgegen. Meine Gedanken waren kaum zu bändigen. Was wird heute noch auf mich zukommen? Panik, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung? Wenn doch bloß schon Abend wäre! Ich brauche meine Tabletten, sonst überstehe ich den Tag nicht! Ich muss mich zusammenreißen. Ich habe Angst!

Zerrissen von meinen Gedanken stolperte ich über meine Naivität. Ich ärgerte mich über meine Leichtgläubigkeit den Ärzten gegenüber. Sicherlich schöpfte ich Hoffnung durch die Psychopharmaka, trotzdem fuchste es mich, trotz der nicht zutreffenden Besserung meiner Ängste die Tabletten weiterhin leichtsinnig geschluckt zu haben. Und nun musste ich versuchen, ohne Psychopharmaka auszukommen. An diesem Tag stand ich noch öfter vorm Mülleimer und rang mit meinen Ängsten. Doch ich blieb standhaft.

Die Wochen bei meinen Großeltern vergingen schnell. Diese Zeit tat mir gut und ich war sehr dankbar, dass meine Großeltern mir die Behandlung beim Heilpraktiker ermöglicht haben. Meine Angststörung ist dadurch zwar nicht geheilt, doch meine Psyche erholte sich. Ich wurde ruhiger, stärker und vor allem war ich frei von Psychopharmaka. Ich war wieder ich und nicht gesteuert von Medikamenten.

Ich finde es unverantwortlich, wie schnell und verantwortungslos Psychopharmaka verschrieben werden. Sicherlich wird es gravierende psychische Krankheiten geben, sodass Medikamente erforderlich sind. Aber doch bitte nicht bei Angststörungen. Der Radius an Behandlungsmöglichkeiten ist immens groß und weitaus effektiver als Psychopharmaka.

Nach diesen Wochen stand ich wieder vor einer Weggabelung. Und diesmal entschied ich mich den Weg der Verhaltenstherapie zu gehen. Dieser Weg war zwar mit sehr viel Kraft und Schweiß und bitteren Tränen verbunden, aber die Anstrengungen waren es durchaus wert. Für mich war diese Entscheidung die richtige, um meine Ängste zu begreifen und mit ihnen umzugehen.

Tina hat uns auf eine Reise in ihre Vergangenheit mitgenommen und davon erzählt, wie sie es geschafft hat, eine Form der Abhängigkeit zu überwinden. Anne erzählt uns nun von ihrer persönlichen Tetris-Version und einer Vielzahl an empfundenen Abhängigkeiten, die sich scheinbar ineinander verstricken und sie davon abhalten, Zeit für sich zu erleben. Was sie dagegen tut? Lest selbst:

Tetris im Hamsterrad - warten auf die Post
Anne

Unabhängigkeit, ach wie wäre das schön. So mein erster Gedanke. Danach ploppen auch schon sämtliche Abhängigkeiten in meinem Hirn auf. Ich bin abhängig. Ein Satz, der sich schmerzlich schreibt und unschön zu lesen ist. Aber so ist es nun mal. Ich bin abhängig von so vielen Kleinigkeiten. Angefangen bei der Kinderbetreuung, ohne die Arbeiten nicht möglich wäre. Ich bin abhängig vom Wohlwollen und Verständnis meines Arbeitgebers, wenn mal wieder ein Kind krank ist (momentan dürfen die Kinder schon beim kleinsten Anzeichen eines Schnupfens nicht in die Kita, verständlich), oder wenn der Kindergarten mal wieder einen Schließtag hat. Dann heißt es immer für alle Beteiligten: umorganisieren. Nervig. Wahnsinnig nervig ist das.

Ich bin abhängig von meinem Terminkalender, der sich scheinbar von selber füllt und so kaum Raum für unabhängiges Tun lässt.

Meine Kinder sind abhängig von mir und davon, dass es mir gut geht, damit ich gut für sie da sein kann; sie sind abhängig von meinem Funktionieren, auch wenn sie mit jedem Jahr unabhängiger werden.

Damals, als man noch jung/jünger war, mit 16, 17, 18, da dachte man noch, dass mit dem Erwachsensein und dem selbstverantwortlich sein die Unabhängigkeit auf einen wartet. Und dann muss man schnell feststellen, dass dem nicht so ist. Irgendwie gewöhnt man sich daran. Und vieles ist ja auch gut und wichtig und richtig. Wir Menschen sind soziale Wesen und schon dadurch entsteht eine Abhängigkeit voneinander, damit das gesellschaftliche Gefüge funktioniert. Und was mich im gesellschaftlichen Miteinander stets nervt und bisweilen wütend macht, sind scheinbar unabhängige Menschen, die die Abhängigkeiten von anderen übersehen und egoistisch mit Füßen treten.

Von denen will ich keine:r sein. Ganz bestimmt nicht. Dennoch ist mein Wunsch nach Unabhängigkeit groß und wächst beständig. Aber damit meine ich gar nicht die oben genannten Abhängigkeiten, die von und mit und durch meine Kinder. Was ich damit meine und woran ich diesen Wunsch festmache und wie er umgesetzt und ausgestaltet werden könnte, kann ich nicht mal benennen. Es ist ein Wunsch nach Freiheit, der Wunsch, meine Zeit freier gestalten zu können, mit den Dingen, die da so halb erledigt, angefangen oder nur in der Idee vorhanden, geschaffen und umgesetzt werden wollen. Der Wunsch, bei allem nicht ständig auf die Uhr blicken zu müssen oder in den Kalender, damit ja kein Termin vergessen wird. Der Wunsch, eine Sache anzufangen und ohne Unterbrechung zu erledigen. Der Wunsch, einfach mal spontan mit Freund:innen eine Kaffee trinken zu können, ohne dass im Hintergrund des Hinterkopfes schon überlegt wird, wie ich dann alle anderen Aufgaben verschiebe.

Mein Hinterkopf spielt endlos Tetris mit Terminen, Aufgaben, to-do's und freier Zeit für mich, um dann zum Beispiel diesen Text schreiben zu können. Und Tetris habe ich nur so halb gerne gespielt. Ich empfand es als frustrierend, weil schier unlösbar, weil immer neue Steine dazu kommen, weil eine Sysiphus- Arbeit, die nie enden will. Und so ist es auch jetzt, mit dem Kopf-Aufgaben-Tetris. Ich habe darauf einfach keine Lust mehr. Aber einfach das Spiel aufhören ist auch nicht möglich. Und irgendwo kommt es mir auch zynisch vor, dass so zu schreiben, weil meine Termine und Aufgaben dann doch überschaubar sind; andere haben da viel mehr zu bewältigen. Meist verschnellert sich die Geschwindigkeit, in der die Steine kommen nur zeitweise und es folgen ruhigere Phasen. Doch genau in diesen ruhigeren Phasen ist der Wunsch nach Unabhängigkeit am größten. Vielleicht auch einfach aus dem Grund, weil ich dann Zeit habe, mir meiner Abhängigkeiten bewusst zu werden.

Spreche ich meinen Wunsch an, äußere ich ihn gegenüber Freund:innen, wird er auf ein später verwiesen, wenn die Kinder größer und selbstständiger und selber unabhängiger sind. Dann erlange ich auch mehr Freiheit. Richtig. Ich will aber nicht auf später warten. Ich will jetzt unabhängiger sein. Ich will jetzt auch mit meinen Kindern das Gefühl der Unabhängigkeit genießen und sei es nur durch einen Wochenendurlaub. Aber die lieben Verpflichtungen….

Spreche ich meinen Wunsch an, äußere ich ihn gegenüber Freund:innen, dann sagen diese häufig auch, du machst ja auch so viel. Dann lass das doch mit dem Schreiben, hier oder fürs Musikmagazin. Will ich aber nicht. Denn auch wenn das Schreiben natürlich Arbeit bedeutet und Zeit in Anspruch nimmt, so ist es auch sowas wie me-time. Niemand sagt mir was, wie, wie lange, wie viel. Okay das stimmt nicht. Ein Thema ist schon vorgegeben, aber dennoch ist der Prozess des Schreibens für mich ein Ausdruck der Unabhängigkeit und ein Moment, in dem in der Regel der Terminkalender zweitrangig ist. Es sei denn, die Technik spielt nicht mit und zeigt uns auf wahnsinnig nervige Art und Weise, wie abhängig wir von ihr sind, wenn dieser verdammt Server scheinbar ein Eigenleben führt und die Bilder nicht hochgeladen werden können, so wie jetzt gerade.

Ein Problem was ich nicht lösen kann, was ich gar nicht lösen will, was aber gelöst werden muss, damit ich unabhängig sein kann und mich wieder der Musik und meinen Texten widmen kann. Es sei denn, ich warte schier endlose Zeit (eigentlich nur ein paar Tage) auf eine Platte, auf die ich mich schon sooo freue, um endlich darüber schreiben zu können, aber da ist man dann wieder abhängig von Presswerken, von Agenturen und schlussendlich von der Post, die scheinbar immer dann kommt, wenn ich gerade das Haus verlassen habe. Aber während ich nichts tun kann um das Problem zu lösen, kann ich immerhin diesen Text schreiben und ein wenig darüber nachdenken, was ich alles tun würde, wäre ich unabhängiger. Und was ich dafür tun kann. Viel ist das nicht, befürchte ich.

Fest steht, so lange zu warten, bis sich beim Tetris die Steine bis zum oberen Rand hin türmen, bis zum Game Over, ist keine Option. Zu spielen und zu jonglieren, bis die Batterien leer sind auch nicht, beides käme wohl auf’s selbe raus. Also bleibt mir nur, meinen eigenen slow-Modus in diesem Spiel zu finden und zu hoffen, dass das Schicksal, die Umstände, das Leben, nennt es wie ihr wollt, nicht wieder plötzlich eine Wagenladung voller Steine über mir auskippt, die ich dann schnell und präzise verbauen muss, damit sie mir nicht die Sicht versperren.

Anne hat uns von ihrem Tetris-Spiel mit all den Aufgaben, Verpflichtungen und Terminen berichtet, das ihr Gefühl von Abhängigkeit bestimmt. Laura hingegen erzählt uns nun von ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit von der Meinung und Wahrnehmung ihrer Mitmenschen. Weshalb sie ihre wahrgenommene Abhängigkeit gern loswerden würde und worin ihre Vorstellung von Freiheit liegt, könnt ihr in ihrem folgenden Text lesen.

Meine Lebensaufgabe
Laura

Tausende Gedanken schießen wie Blitze in meinen Kopf und laufen wie Kurzfilme ab.

Mir fallen so viele Assoziationen zum Thema Ab- bzw. Unabhängigkeit ein, dass ich erst einmal gar nicht genau weiß, womit ich anfangen soll.

Substanzabhängigkeit, emotionale Abhängigkeit, finanzielle Abhängigkeit und dann ist da ja noch die positive Seite, die Unabhängigkeit.

Ich beschließe, heute über Unabhängigkeit, in der ja doch auch das Wörtchen Abhängigkeit steckt, zu berichten.

Ich wünsche mir wohl nichts mehr, ich habe einen unheimlichen Drang unabhängig zu sein. Was stelle ich mir eigentlich darunter vor, unter Unabhängigkeit? Das überlege ich, als ich am Schreibtisch an meinem Laptop sitze.

Ich verbinde Unabhängigkeit mit Freiheit. Als ich diesen Satz schreibe, stimmt mein Körper mir zu, denn er atmet tief ein und aus. Das bedeutet wohl Unabhängigkeit für mich persönlich: Freiheit. Oder es ist viel mehr die Konsequenz.

Ich wünsche mir, dass ich als Person nicht abhängig bin von der Meinung andere Menschen. Dass ich auf die Stimme in mir höre, die mir den richtigen Weg weist und mir sagt, wie ich mich fühle. Ich wünsche mir, dass ich nicht länger angespannt hoffe, die Erwartungen der anderen zu erfüllen und dass ich mich von diesen lösen kann und mich damit unabhängig und frei mache. Ich möchte meine Laune nicht davon abhängig machen, wie die Laune einer anderen Person ist, ich möchte mich dem nicht anpassen, nicht in jedem Moment meines Lebens.

Ich möchte frei atmen und fühlen, wie es mir wirklich mir geht, unabhängig davon, wie es andere gerade gerne hätten. Ich möchte meine Entscheidungen treffen, wie ich sie für mich persönlich am besten empfinde, unabhängig von den Gedanken in meinem Kopf, die mir ständig die Erwartungen der anderen als Referenzpunkt nahelegen. Ich möchte mich frei fühlen zu entscheiden, ob ich am Wochenende ausgehe oder ob ich zuhause auf der Couch bleibe, unabhängig davon, was andere sich von mir wünschen.

Denn es ist nicht meine Aufgabe, die Erwartungen und Wünsche der anderen zu erfüllen, das ist deren Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, mich darum zu kümmern, was ich möchte, wonach mir ist, was mein Körper mir mitteilt und was mir gut tut, unabhängig davon, was das für eine Wirkung auf andere hat.

Und ich weiß, dieser Teil steckt in mir und das macht mich als Person auch eigentlich aus. Ich bin nicht kalt, verletzend oder ignorant, ich bin ehrlich und authentisch, wenn ich bin wie ich bin.

Doch mit der Zeit und den Jahren, durch Ereignisse, Umstände und Personen habe ich gelernt, mich ganz hinten anzustellen um andere glücklicher zu machen. Ein Problem hierbei ist, dass die anderen Menschen sich daran gewöhnen und ich mich auch, mich nicht an erster Stelle zu sehen.

Das soll gar nicht egoistisch klingen, aber ich bin überzeugt, dass ein gewisser Grad an Egoismus notwendig ist und dass jeder Mensch diesen in sich trägt, um glücklich zu sein. Denn es ist eines jeden erwachsenen Menschens eigene Aufgabe, für sein Glück zu sorgen, soweit es in seiner Möglichkeit steht.

Ich würde mich als privilegiert beschreiben, alle Möglichkeiten zu haben, um für mein eigenes Glück zu sorgen, und ich sehe es als meine Lebensaufgabe, dieses Ziel zu verfolgen, dabei andere nicht komplett zu ignorieren, aber vor allem mich dabei auch nicht zu vergessen.

Ich möchte „Ja“ und auch „Nein“ sagen, wenn ich mich danach fühle, ohne Angst davor zu haben, deshalb weniger gemocht zu werden. Denn nur so bin ich authentisch, nur so stehe ich für das ein, was ich wirklich will, nur so kann ich meine Grenzen abstecken und nur so kann ich mit mir zufrieden sein, und zwar ganz unabhängig davon, ob das auch andere mit mir sind. Denn das ist ihre Aufgabe, nicht meine.

Ich möchte nicht, dass dieses Leben, was ich habe, davon abhängt was andere Menschen über mich denken. Denn eins steht fest, es wird immer so sein: Es wird Menschen geben, die mich mögen; es wird Menschen geben die mich nicht mögen und es wird Menschen geben, denen ich egal bin. Das passiert immer, ganz unabhängig davon, ob ich ich selbst bin oder mich verstelle und verbiege, um einer gewissen Gruppe Menschen zu passen. Dann gibt es ja trotzdem noch eine Gruppe, die mich nicht mag, und zu denen gehöre mit hoher Wahrscheinlichkeit ich selbst.

Ich sollte und möchte mich so mögen, wie ich bin, denn so bin ich eben und wenn ich ehrlich zu mir bin und mit mir im Reinen, dann wird es wieder Menschen geben, die mich mögen, die mich nicht mögen und denen ich egal bin. Aber dann gehöre ich zu denen, die mich mögen und das macht mich glücklich, unabhängig und schließlich frei.

Laura beschreibt ihren Wunsch nach Unabhängigkeit, vor allem im Bezug auf die Meinung ihrer Mitmenschen ihr selbst gegenüber und den Erwartungen, die an sie gestellt werden. Annika nimmt uns mit in ihre Endadoleszens und dem damit eng verknüpften Wunsch nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit. Diese Gefühle kennen wir vermutlich alle sehr gut, gerad ein diesem Alter, schon volljährig, auf dem Weg das Erwachsensein zu vollenden. Und doch bringt dieser Schritt auch ein Sehnen nach Sicherheit, auch Sicherheit die das Elternhaus bietet mit sich. Von diesen Zwischenspalt handelt der folgende Text.

Von der Suche nach Unabhängigkeit
Annika

Als ich mein Studium begonnen habe, war in mir – neben einer ordentlichen Portion Unsicherheit – ein wahnsinniger Drang danach, „in die weite Welt“ aufzubrechen. So viele Abenteuer zu erleben, wie es mir nur möglich war. Eindrücke aus verschiedensten Gegenden und Regionen aufzusagen. Mich selbst weiter zu entwickeln.

Naja.

Für die ganz weite Welt hat es dann zwar nicht gereicht, aber zumindest verließ ich meine Heimatstadt um 100 Kilometer. Ich wollte unbedingt unabhängig sein. Meine eigenen Entscheidungen treffen können, ohne die mahnenden Worte meiner Familie im Hinterkopf zu haben (Spoiler: die hatte ich trotzdem ständig im Ohr). Und irgendwie reizte mich auch die Herausforderung, nun „mein eigenes“ Leben zu führen – und führen zu müssen. Mit allen Herausforderungen, die da so auf mich warteten (Spoiler: Ein paar weniger Herausforderungen wären auch komplett ausreichend gewesen, liebes Leben!).

So. Und nun saß ich da also in meiner winzigen Einzimmerwohnung in der – für mich – beängstigend großen Stadt. Und hatte Angst. Auf einmal klang die Vorstellung der auf mich wartenden Herausforderungen nämlich gar nicht mehr so romantisch für mich. Stattdessen fühlte ich mich plötzlich ziemlich einsam und irgendwie schien schon die erste Nacht in meiner eigenen Wohnung eine viel zu große Herausforderung für mich darzustellen.

Ich hatte mir meine Unabhängigkeit doch so sehr herbeigesehnt. Ich. wollte. das. hier. doch. genießen!

Spoiler: Meine Unsicherheit mit der neuen Unabhängigkeit blieb mir noch eine ganze Weile erhalten. Sie besserte sich zwar, als ich erste Kontakte in der neuen Heimat knüpfte und mir klar wurde, dass ich gar nicht so alleine mit meinem unsicheren Gefühl war. Aber um ehrlich zu sein, fährt sie mir auch heute – neun Jahre später – noch dann und wann in meine Knochen.

Dann, wenn auf einmal große finanzielle Brocken zu stemmen sind und ich mich frage, ob ich das schaffe.

Dann, wenn ich scheinbar lebensverändernde Entscheidungen treffen muss und einen der Menschen, die ich dabei so gern um Rat frage, eben nicht mehr fragen kann – weil er nicht mehr unter uns ist.

Dann, wenn ich mit mir selbst hadere, ob alles so richtig ist, wie es gerade ist. In diesen Momenten brauche ich eben doch die Menschen, von denen ich nach meinem Schulabschluss so sehr unabhängig sein wollte.

Und dann wird mir klar, dass unabhängig zu sein nicht zwangsläufig bedeutet, alles allein machen zu müssen.

Dass ich immer noch eigenständig und unabhängig sein kann, obwohl ich vielleicht um Rat frage oder um Unterstützung bitte. Dass eben all das zum Erwachsenwerden und Erwachsensein dazu gehört.

Tipp der Woche

Wie schreibt man einen Tipp zur (Un)Abhängigkeit? Von "mach Dich nicht abhängig!", über "das ist aber nicht von mir abhängig!" bis zu "dazu brauchen wir eine unabhängige Beratung" ist dieser Begriff unfassbar weit. Aber wir probieren es trotzdem – und schreiben einfach mehrere Tipps zu finanzieller, emotionaler und selbstbewusster Unabhängigkeit.

Finanzielle Unabhängigkeit
Wir alle sollten unsere Altersvorsorge und unsere Finanzen individuell im Griff haben, anstatt uns von unseren Partner:innen abhängig zu machen (das ist leider immer noch ein Frauenthema, betrifft aber alle Geschlechter und Gesellschaftsgruppen). Dass das garnicht so schwer ist, zeigt zum Beispiel der Blog Madame Moneypenny.
Mandame Moneypenny

Emotionale Unabhängigkeit
Wenn wir gebunden sind – an eine Person, ein Gefühl, eine Idee – dann fällt es uns oft schwer, uns zu lösen, wenn die Zeit reif ist. Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Es gibt aber ebenso viele Tipps, mit Hilfe derer wir diese Unabhängigkeit zurück gewinnen können. Wie so oft beginnen diese mit Selbstwahrnehmung, gehen weiter mit der Suche nach den Gründen und dem eigenen Selbstwertgefühl, dem Mut für Neues und einer Prise von Neuem. Mehr dazu lest ihr zum Beispiel auf der Webseite des Magazins Focus.
FOCUS

Selbstbewusste Unabhängigkeit
Unabhängigkeit und Freiheit bringen, auch wenn wir uns sie noch so sehr wünschen und anstreben, immer auch ein Risiko mit sich, ein verlassen der Komfortzone. Ein Mensch, die ihre Komfortzone verlassen hat und ein Buch geschrieben hat, in dem sie offen von ihrer Depression schreibt, ist Depridisco aka Eva Jahnen. Rund 200 Seiten Erfahrungsbericht über ihre Depression, nicht nur geschrieben, auch selbst illustriert, erscheint am 22.10. via Groh Verlag, mit dem Titel “die Gedanken sind Blei - Wie meine Depression die Dinge sieht”. Und auf ihrem Instagram-Kanal beschreibt sie auch wie aufregend und sorgenvoll diese Veröffentlichung für sie ist, auch weil die gefahr der Stigmatisierung durch den Schritt in die Öffentlichkeit ist. Und zugleich ist das sich der Stigmatisierung entgegenzustellen durch Erfahrungsberichte wie diese, oder auch unsere in unseren Beiträgen auch ein Stück Unabhängigkeit.
Instagram - Depridisco
zum Buch

Dies und Das

Die Unabhängigkeit von Hygieneprodukten
Vorsicht - nun wird es vielleicht für den:die ein oder andere:n unter euch ein wenig unangenehm - dabei geht es um ein Thema, das zumindest die Hälfte der Menschheit mehr oder weniger regelmäßig betrifft: die Menstruation, Tage, Periode. Nennt es, wie ihr möchtet. Fakt ist: Mittlerweile hat Frau* vielfältige Möglichkeiten, sich mit Hygieneprodukten zu versorgen: Tampons, Binden (sowohl als Wegwerf-, als auch als nachhaltiges Produkt), Menstruationstassen, Periodenunterwäsche… Aber nun erhält eine völlig andere Methode nach und nach immer mehr Aufmerksamkeit: “Free Bleeding”. Klingt absurd? Könnt ihr euch nicht vorstellen? Ist ja völlig realitätsfremd? Nicht ganz. Aber lest es doch einfach selbst nach:
Jetzt.de

Der große Wunsch nach Unabhängigkeit im eigenen Land
Zu der schwierigen Situation in Afghanistan hören wir in den Nachrichten täglich neue Informationen. Aber was genau bedeuten die Entwicklungen vor Ort nun für Menschen in Afghanistan und gibt es dabei einen Unterschied zwischen Männern* und Frauen? Die Frauenrechtlerin Fatima Alavi findet: Auf jeden Fall. Weshalb sich besonders die Situation für Frauen in Afghanistan momentan bedrohlich verändert und was das mit unserem Wochenthema zu tun hat, könnt ihr im Interview mit ihr nachlesen:
jetzt.de

Die Playlist zur (Un)Abhängigkeit
Ein weiter Begriff und somit findet ihr hier eine Fülle an Songs, die sowohl die Abhängigkeit, als auch die Freiheit und Unabhängigkeit thematisieren.
Destiny’s Child - Independent Woman Pt. 1
Sookee - Die Freundin von
P!nk - So what
Lesley Gore - You don’t own me
Pussycat Dolls - I don’t need a man
Meredith Brooks - Bitch
Pharrell Williams - Freedom
George Michael - Freedom
Orla Gartland - Things I’ve learned

Hiermit endet nun unsere Ausgabe zur (Un)Abhängigkeit. Wir - das Team der angstfrei.news - wünschen euch eine gute Woche!

Kleine Erinnerung
Wir freuen uns sehr, wenn ihr dieses neue Format mit einem Extra-Feedback bedenkt, nur so können wir lernen. Vielen Dank! Und wer Lust hat, täglich von uns zu hören und mit uns in Kontakt zu treten, der kann uns auf Instagram finden, folgen und Nachrichten schicken.

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