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Freitag, 31. Juli 2020 | 8 Uhr

Stephanie
Anne
Katharina

Schönen guten Morgen, ihr Lieben,

Wochenende. Ein Glück, wenn ihr mich fragt! Übrigens: Jahrelange Studien besagen, dass immer, wenn Montag bis Freitag vor bei sind, Samstag und Sonntag kommen. Ganz zuverlässig - für die meisten von uns bedeutet das ein kleines Durchatmen, eine Pause, Familienzeit oder wenigstens Wochenendzuschlag, sofern wir doch arbeiten.

Das Durchatmen dürfen wir aber auch mal zwischendurch haben - nein, wir müssen es sogar! Das schreibt Stephanie in ihrem Text vom 30. Mai 2020 aus überzeugender Selbsterfahrung. Ihr Ausgangspunkt: Eine Denkblockade. Was dabei raus kommt, ist alles andere als das. Und mit dieser Offenheit, Gefühle, Pausen und Bedürfnisse anzunehmen laden wir Euch ein, den berührenden Text von Anne (3. Juni 2020) zu lesen: Sie schreibt über den Sterbeprozess ihres Vaters und lädt uns ein, das Thema raus aus dem Tabu und hinein in die Welt zu holen (ich habe mir hier auch ein Beispiel daran genommen). Berührend und lesenswert.

Damit wünschen wir Euch einen guten Start in ein Wochenende zum Durchatmen.

Katharina und das Team von angstfrei.news

P.S.: Wir hoffe euch gefällt das aktuelle Format während unser Redaktionsferien. Wir freuen uns sehr über Feedback hierzu. Ab dem 3. August geht es dann in gewohnter Manier, aber mit neuem Schwung weiter.

Denkblockaden

von Stephanie

Ganz ehrlich? Ich weiß gar nicht was ich schreiben soll. Jetzt echt nicht. Vor mir und um mich herum liegen bestimmt 10 handschriftliche Versuche für ein Mensch zu Mensch. An Ideen und Themen mangelt es mir nicht, in meinem Kopf existiert eine große Auswahl an (Angst- ) und Alltagsgeschichten, die mit Sicherheit Berechtigung auf einen Platz in dieser Kategorie hier hätten. ABER, sie wollen einfach nicht raus. Nicht raus aus meinem Kopf und aufs Papier, zum Geier nochmal, sie wollen einfach nicht. Ich kann mich noch so sehr anstrengen, kein Wort fließt heraus. Es fühlt sich an, als würden sie feststecken. Und ich dachte das wäre einfacher. Viel einfacher. Tja falsch gedacht.

Und jetzt sitze ich hier und schreibe diese Zeilen und eigentlich wollte ich doch ganz andere Sachen schreiben. Über meinen Umgang mit der Angst. Über meine erste Panikattacke vor fast 15 Jahren. Über meine Panikstörung allgemein und über die ein oder andere Phobie. Über meinen Umgang mit Stress. Meinen Therapieerfahrungen. Meiner Genese. Über meinen Alltag als Mama, Ehefrau, Selbstständige, Haushälterin, Freundin und neuerdings auch Lehrerin und Erzieherin. Meine Geschichte und meine Erfahrungen teilen, damit jemand anders daraus vielleicht etwas Mut und Hoffnung schöpfen kann. Das alles wollte ich.

Wie ihr lesen könnt, ist meine Liste ziemlich lang. Wahrscheinlich viel zu lang. Jetzt fällt es mir auf, was wahrscheinlich offensichtlich ist. Ich habe mich verzettelt. Aber so richtig verzettelt. Ich bin überfordert und Überforderung führt bei mir und wahrscheinlich vielen anderen Menschen dazu, dass nicht mehr viel geht. Gedanken vermischen sich zu einem undefinierbaren Brei. In solchen Phasen Ordnung in mein immer aktives Gedankenkonstrukt zu bringen, ist schier unmöglich. Und was meist als nächstes passiert, liegt für mich mittlerweile auf der Hand. Und das Erwartete geschieht seit ein paar Tagen wieder: Die Angst meldet sich. Zunächst ganz leise. Leichter Schwindel, etwas Bauchschmerzen. Sie sendet mir (noch liebevoll) kleine Warnungen. Ich mache weiter, einerseits weil ich im Moment vieles einfach nicht ändern kann. Andererseits weil es eines meiner Verhaltensmuster ist, dass ich doch so viele Jahre gepflegt habe und in das ich in Belastungsphasen immer wieder hinein falle, weil mir die Kraft zum Gegenhalten fehlt. Also mache ich weiter. Ich merke es, ich nehme in den letzten Tagen deutlich war, das mein psychisches Immunsystem geschwächt ist. Und das ist der Nährboden für: Die Angst. Sie meldet sich etwas deutlicher. Ihre Symptome sind mir bekannt. Stärkerer Schwindel, trockener Mund, der wackelnde Boden, kalte Hände, ein Taubheitsgefühl in den Gliedmaßen, die Sinne zum Zerbersten gespannt, ein Unwirklichkeitsgefühl, welches mich umgibt und dann kommt dieses Herzstolpern und der Glaube daran, jetzt und hier sterben zu müssen. Ich kenne das in- und auswendig und trotzdem erwischt sie mich meist eiskalt von hinten. Oft habe ich mich gefragt, WARUM? WARUM quält die Angst mich so? WARUM ich? WARUM??

Weil ich lange Zeit nicht hin hören konnte, nicht hin hören wollte und vielleicht auch nicht durfte. Früher durfte ich nicht schwach und verletzlich sein und später wollte ich es nicht sein.

Aber heute ist das anders. Heute kann ich schwach und verletzlich sein. Und es ist eine bewusste Entscheidung. Mittlerweile weiß ich, dass meine Verletzbarkeit, und die Fähigkeit diese auch zu zeigen, eine meiner größten Stärken ist. Und genau das hat mir die Angst beigebracht, sie ist mein Warnsignal, mein SOS in Seenot, meine innere 110 wenn ich mich mal wieder maßlos selbst überfordere. Sie warnt mich nicht vor äußeren Gefahren, sondern vor denen in meinem Inneren. Und das habe ich verstanden.

Und deswegen ziehe ich jetzt die Notbremse. Ich nehme mir Pausen. Lasse den Haushalt liegen und öffne eine Dosensuppe zum Mittagessen (die meine Kinder gewiss überleben werden), ich gehe in den Wald oder nehme ein Bad. Fahre mit meiner Familie übers Wochenende weg. Die Liste mit schönen Dingen, die mir gut tun, könnte ich noch erweitern. Ich weiß ziemlich genau was mir gut tut. Das wusste ich schon immer. Das Problem bestand eher darin, mir diese schönen Dinge zuzugestehen. Mir selbst die Erlaubnis zu geben diese Dinge zu tun. Sanft mit mir selbst zu sein.

Ich habe lange gebraucht, genau das zu lernen. Mir selbst Zeit und Raum zu geben. Auf mich und meine Empfindungen zu hören und als meine Wahrheit anzunehmen. Und vor allem, den Mut zu haben, danach zu handeln. Und genau aus diesem Grund bin ich meiner Angst dankbar. Danke Angst! Du hast mir genau das beigebracht, wenn auch mit dem Vorschlaghammer, aber der scheint wohl nötig gewesen zu sein.

Und weil ich das heute kann, endet dieser Text genau jetzt. Punkt. Schluss und Ende.

Eure Stephanie (mit Kaffee in der Hand und Sonne im Gesicht)

Okay, noch ganz kurz: Ist ja doch noch ganz ordentlich geworden mein Text, oder nicht? Es ist nicht immer so wie es (in unserem Kopf zu sein) scheint!

Pflege

von Anne

Derzeit wird und wurde viel über die Situation in Pflegeheimen gesprochen. Es wird diskutiert wie man verantwortungsvoll Besuch zulässt. Wie die Gratwanderung zwischen den so wichtigen zwischenmenschlichen Kontakten und dem Schutz vor Corona gestaltet werden kann. Und natürlich geht es auch um die Rolle des Pflegepersonals und auch dem was sie leisten. 

Das ist ein Fass, welches ich eigentlich gar nicht aufmachen möchte. Mir fehlt es an Details. Mir fehlt es an Expertise. Natürlich kann man eine Meinung dazu haben, aber man sollte auch hin und wieder abklopfen auf welchem Hintergrundwissen diese basiert.

Mein letzter Besuch in einem Alten- und Pflegeheim ist schon ein paar Tage her. Es war im Januar 2017. Also allzu aktuell ist mein rudimentäres Wissen, welches man sich als Gast, als Besucher, aufbaut nicht. 

Was ich aber weiß ist Folgendes: Damals bewohnte mein Vater für ca. ein halbes Jahr ein Altenstift und das Pflegepersonal war stets bemüht, stets freundlich, aber bestimmt. Ich empfand meinen Vater als gut aufgehoben und er fühlte sich, glaube ich zumindest, (ich kann ihn nicht mehr fragen) auch gut aufgehoben. Auch wenn es natürlich nicht zu Hause war. Ganz ehrlich, ich glaube das war es für keinen der Bewohner. Auf mich machte es den Eindruck, irgendwas zwischen Kinderferienbetreuung und Wartezimmer. Und das ist nicht despektierlich gemeint, es war nur eine Assoziation die sich mir aufdrängt. 

Meine Besuche versuchte ich immer so zu timen, dass nicht mit dem Essen, Tischkegeln oder anderen Tagesprogrammpunkten und dem Fernsehprogramm kollidierten. Dies gelang mir eigentlich nie. Ich hatte aber den Eindruck das mein Vater darüber meistens ganz froh war. 

Das Pflegepersonal war, wie schon gesagt, freundlich und empathisch, aber auch immer ein wenig gehetzt, ob der ganzen Arbeit der sie nachkommen mussten. Ich hatte einen großen Respekt vor der auch körperlich schweren Arbeit, der psychischen und physischen Belastung die diese mit sich bringt und der riesigen Verantwortung die sie tragen. 

Aber auch für die Angehörigen ist es, je nach Pflegegrad, eine belastende Situation. Jetzt wahrscheinlich noch mehr als zu Vor-Corona-Zeiten. Und ich denke dass es durchaus Sinn macht, sich damit auseinander zu setzten. 

Wenn man dabei ist, wenn ein*e Pfleger*in auf den*die Bewohner*in einredet, dass er*sie sich jetzt nun mal auf die Seite legen müsse, weil er*sie nicht die ganze Zeit auf dem Rücken liegen könne, er*sie wüsste doch wozu das führt, dann fühlt man sich als Angehöriger auch irgendwie hilflos. Man versucht die*den Pfleger*in mit wohlwollenden Worten zu unterstützen und denk gleichzeitig wie schrecklich es ist, wenn man völlig fremdbestimmt in regelmäßigen Zeitabständen „gewendet“ zu werden. Ich weiß das das wichtig ist, mein Vater wusste es. Scheiße finden kann man das aber trotzdem. 

Irgendwann kam ein Anruf vom Heim, “Ihr Vater muss ins Krankenhaus”. Damit beginnt, und ich weiß das es bei vielen so ist, eine mal längere mal kürzere Odyssee, für alle. Es ging in Wellen stetig bergab. Und seit diesem ersten Krankenhausaufenthalt bekam ich Herzrasen bei jedem klingeln meines Telefons. Was ist jetzt schon wieder? Bitte nicht schon wieder das Heim! Ich habe zwischen kochen, Hausaufgaben und Leichtathletiktraining der Kurzen nicht noch Zeit da wieder vorbei zu fahren. Natürlich bin ich doch gefahren. Und rückblickend frage ich mich, wo ich diese Zeit hergenommen habe. Ich weiß es nicht. In dieser Zeit muss man sich mit Dingen auseinandersetzen und Fragen beantworten, über die man erstmal drei Wochen in Ruhe nachdenken möchte. Fragen die ganze Philosophie Semester füllen ohne beantwortet werden zu. Aber Zeit hat man nicht. Man muss sofort antworten, sonst erübrigt sich dieses von selbst. Das will man ja nun auch nicht. Oder doch? 

„Ihrem Vater geht es nicht gut. Er sollte ins Krankenhaus. Wir können ihn in diesem Zustand hier nicht ausreichend versorgen. Soll er ins Krankenhaus?“ Reflexartig antworte ich erstmal mit Ja. Jedes mal wenn diese Frage gestellt wird. Dann rufe ich meine Schwester an, erzähle es ihr und frage sie ob die Antwort richtig war. Wir wissen es beide nicht. Aber was soll man auch machen. Man nimmt sich vor das mal in Ruhe zu besprechen, um fürs nächste Mal gewappnet zu sein. Aber man hat ja auch noch den eigenen Haushalt, den Job, die Kinder. Und dann kommt schon der nächste Anruf. Immer zwischen Tür und Angel, wenn man gerade keine Zeit hat, auf dem Sprung ist. Wenn man am freien Tag beim Frühstück sitzt mit Freundinnen und es gerade richtig schön ist und die Sorgen mal in den Hintergrund rücken. Dann klingelt das Telefon, dann rast das Herz. Dann „entschuldigen sie die Störung, aber dürfen wir Ihren Vater intubieren? Wenn wir das nicht machen, wird er sterben.“ Ich: „Puh, ja. Keine Ahnung! JA!“ Das Telefonat ist beendet und ich fühle mich schlecht, weil ich glaube, dass es die falsche Antwort war. 

Dann wieder ein Gespräch mit meiner Schwester, die sich verständnisvoll zeigt, die dasselbe geantwortet hätte, obwohl sie sich auch unsicher ist, ob das die richtige Entscheidung war. 

Mein Vater berappelt sich wieder, er kommt wieder ins Pflegeheim und es folgt natürlich wieder irgendwann der Anruf, dass es ihm nicht gut ginge. Diesmal ist es anders, diesmal lasse ich ihn  nicht ins Krankenhaus bringen. Diesmal sage ich „Lassen sie ihn schlafen. Das ist schon in Ordnung. Und wenn er diese Nacht stirbt, dann rufen sie mich bitte erst morgen früh an. Ändern kann ich ja eh nichts mehr:“ Und dies ist die erste Nacht in dieser ganzen Odyssee, in der ich durchschlafe. Sogar mein Sohn meldet sich nicht. Am nächsten morgen kommt der diesmal erwartete Anruf und es fühlt sich vollkommen okay an. Und friedlich. 

Weshalb ich das hier alles aufgeschrieben habe? Weil ich weiß das dies kein Einzelfall ist. Keine außergewöhnliche Geschichte, sondern Normalität. Und deswegen halte ich es für wichtig darüber zu sprechen. Dann fällt es vielleicht etwas leichter diese Fragen zu beantworten, dann fühlt man sich vielleicht nicht mehr ganz so hilflos. Das Wissen, das es vielen in so einer Situation ähnlich geht ist erleichternd. Und wenn wir offen über Themen wie Tod und Sterben sprechen, dann fällt es auch leichter sich mit dem eigenen Sterben auseinander zu setzten. Dann fällt es leichter Maßnahmen in einer Patientenverfügung festzuhalten. Diese auszufüllen ist natürlich ein berechtigter Wunsch der Angehörigen, dazu benötigt es aber auch einen Zugang zu dieser Thematik. Vordrucke für Patientenverfügungen sind zum Teil äußerst Komplex und ich kann verstehen, dass manch einer lieber eine Steuererklärung macht. Als Kind über die Möglichkeiten von lebensverlängernden oder lebenserhaltenden Maßnahmen mit den Eltern zu sprechen ist nichts was man am Sonntags Kaffeetisch gerne tut. Aber vielleicht sollten wir das. Meine Mutter konnte das. Sie konnte ganz klar benennen was sie wollte. Und dafür bin ich ihr dankbar! Mein Vater konnte es nicht und das ist auch in Ordnung.

Aber lasst uns darüber sprechen um es für uns alle einfacher zu machen. Denn das der Zeitpunkt kommt, wo wir uns mit dem Sterben, mit dem Tod auseinandersetzen müssen ist gewiss.