Elina Sazonova/pexels.de

 

Als die Angst mich fast zerstörte

Mein Leben mit Panikattacken

In unserer Rubrik “Erfahrungsberichte” erzählen Betroffene aus ihrem Leben mit Angst und Panik. Es sind persönliche Geschichten – von Menschen und ihrem Weg durch die Angst.

16.06.2023 – Autorin: Julia Burghardt

Wann merkt man das erste Mal, dass Angst für einen selbst etwas ganz anderes bedeutet als für die übrigen Menschen? Wann wird aus Angst unwiederbringlich eine Bürde? Bei mir ist dieser Schlüsselmoment knapp zehn Jahre her. Damals, noch junge Studentin und voller Vorfreude auf das Leben, änderte sich innerhalb eines halben Jahres alles. Mein Lebensmittelpunkt, meine Perspektiven, mein Sinn. Es begann vollkommen unvorbereitet mit einer ersten Panikattacke, die meinen Kreislauf beim weihnachtlichen Familienessen in den Keller rasen ließ. Ich bekam keinen Bissen mehr runter, ich zitterte am ganzen Leib, mein Kopf rauschte. Ich war überzeugt, dass mir in diesem Moment etwas Schlimmes passierte.

Dass ich gerade meine erste Panikattacke durchlitt, wurde mir erst viele Monate später bewusst. Aber ich ahnte, dass etwas anders war. Irgendetwas in meinem Körper – in meinem Kopf – hatte sich verändert. Aber eigentlich begann alles schon viel früher. Schon seit Jahren lebte ich nur scheinbar ein unbeschwertes und normales Leben. Ich liebte es, langsam erwachsen zu werden. Mit allem, was dazugehörte. Aber immer wieder durchbrachen Anfälle voller Trauer und Überforderung meinen Alltag. In regelmäßigen Abständen brach ich weinend zusammen und wusste, dass mir alles zu viel wurde. Ich spürte schon damals, dass in mir eine Angst schlummerte, die sich von anderen unterschied.

Und trotzdem brauchte es mehrere, immer schwerer werdende Panikattacken, um mir bewusst zu machen, dass etwas nicht stimmte. Als ich dann nach zahlreichen Untersuchungen bei einer neuerlichen Attacke im Wartezimmer meiner Ärztin zusammenbrach, stand die Diagnose offen im Raum: generalisierte Angststörung.

Und so begann ein Leidensweg, den ich selbst kaum für möglich gehalten hätte. Schon vor zehn Jahren wartete ich unverhältnismäßig lang auf einen Therapieplatz. In der Zwischenzeit verschlechterte sich mein Zustand so rapide, dass ich nicht mehr allein leben konnte. Ich verließ also meine Unistadt, zog wieder bei meiner Mutter ein und unterbrach mein Studium. Am Ende würde ich es nie wieder aufnehmen. Ich erlitt täglich mehrere, teils sehr schwere Panikattacken und konnte das Haus kaum mehr verlassen. Als ich später einen Therapieplatz in der näheren Umgebung gefunden hatte, war allein der Weg dorthin undenkbar. Über zwei Jahre hatte ich nichts außer Spaziergänge zur nächsten Kreuzung. Weiter schaffte ich es nicht. Die Attacken und der Leidensdruck wurden mit der Zeit so groß, dass ich mehrere weitere Erkrankungen entwickelte. Schnell litt ich auch unter einer Depression und einer immer schwerer werdenden Agoraphobie. Zudem begleiteten mich ständige Zwangsgedanken. Meine erste Attacke während eines Essens, führte dazu, dass auch später kaum eine Mahlzeit ohne Anfall verlief. So nahm ich dramatisch an Gewicht ab.

Gaspar Zaldo/pexels.de

 

Ich bin nicht vollkommen frei von Panikattacken, Depressionen oder der Agoraphobie, aber sie bestimmen nicht meinen Alltag. Ich entscheide, wie viel Macht ich ihnen zuschreibe.

Da war ich also, Mitte 20, kaum fähig, allein zu leben und ohne Perspektive auf Verbesserung. Ich hatte mein eigenständiges Leben verloren, kaum noch Freunde und vor allem das Gefühl, dass es nie wieder besser werden würde. Doch es wurde besser. Zwar sehr langsam und mit vielen Rückschlägen, aber ich schaffte es, der Angst den Schrecken zu nehmen. Irgendwann versuchte ich einfach alles. Nicht für mich, sondern eher für die Menschen, die noch in meinem Leben übrig geblieben waren. In der Therapie erlernte ich zahlreiche Methoden, die meine Attacken bändigen. Medikamente halfen mir lange Zeit dabei, überhaupt genügend Kraft für den Kampf aufzubringen. Eine Selbsthilfegruppe zeigte mir, dass ich nicht allein war. Und meine Lieben standen mir jede einzelne Stunde zur Seite. Diese Mischung und der unbedingte Wille, dass das nicht das Ende sein kann, gaben mir das nötige Durchhaltevermögen.

Und heute? Heute bedeutet Angst für mich noch immer etwas anderes als für die meisten Menschen. Ich habe viele Jahre gekämpft und musste viele Umwege gehen. Auch jetzt gibt es gute und schlechte Tage. Manchmal denke ich, dass ich es vielleicht doch nicht schaffe. Aber die meiste Zeit bin ich einfach nur stolz und dankbar. Ich hatte die richtigen Mittel zur Verfügung und vor allem meinen Kampfgeist, der nicht kleinzukriegen war. Zehn Jahre später stehe ich nun doch im Leben. Von Außen betrachtet würden wahrscheinlich die wenigsten Menschen denken, dass mir die Angst beinahe mein Leben genommen hätte. Man merkt mir nicht an, dass ich psychische Erkrankungen mit mir trage, wenn ich es nicht zulasse. Das habe ich über die letzten Jahre trainiert und beherrsche mein Handwerk gut. Ich bin nicht vollkommen frei von Panikattacken, Depressionen oder der Agoraphobie, aber sie bestimmen nicht meinen Alltag. Ich entscheide, wie viel Macht ich ihnen zuschreibe und wann ich wieder in den Kampf ziehen muss. Ja, mein Leben ist manchmal schwerer als es sein sollte, aber ich habe noch ein Leben. Das hätte ich vor zehn Jahren selbst nicht geglaubt.