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Angst – Hartnäckiges Unkraut oder Chance zum Wachsen?

Jeder, der schon mal Unkraut gezupft hat, weiß: Nur abreißen bringt nichts. Das Kraut ist in Nullkommanichts wieder da, schlimmstenfalls verbreitet es sich weiter. Möchte man nur für den Moment einen schicken Garten haben, reicht einem das vielleicht. Doch langfristig hilft es nicht. Man wartet nur darauf, dass es zurückkommt und beäugt kritisch seine Umgebung. Nein, es gibt nur eine nachhaltige Lösung: Man muss die Wurzel finden.

08.12.2022 – Autorin: Marilena Kipp

Unkraut mit tiefen Wurzeln

Was Löwenzahn und Giersch mit Angst zu tun haben? Auch Angst hält sich nicht immer so ganz ans Skript. Sie kann ganz schön gerissen sein und definitiv hartnäckig. Sie verzweigt sich mal hier hin und mal dort hin, sie hat oft sehr tiefe Wurzeln, die vielleicht ganz woanders beginnen, nur um dann in einer bestimmten Ecke zu erblühen. Sie kann lange unter der Oberfläche bleiben und wartet nur auf die perfekten Bedingungen, um sich zu zeigen. Was also tun? Ihre Samen kamen vielleicht woanders her, ok. Die Nachbargärten kontrollieren könnte also helfen, vielleicht liegt hier die Quelle. Das ist möglich, es lohnt sich auf jeden Fall, es im Blick zu haben und kritisch zu betrachten. Doch auch das allein bringt uns nicht weiter, denn schließlich ist das Unkraut in unserem Garten nun mal da und blüht fröhlich vor sich hin.

Es gibt nicht die eine Lösung und vielleicht ist genau das der Knackpunkt. Es geht nicht nur darum, nach vorne zu schauen und sich „mal eben“ zu überwinden, alles schick machen und gut ist es. Denn unter der Oberfläche sieht es ganz anders aus. Genau so wenig hilft es, die Ursache nur im Außen zu suchen oder nach Triggern Ausschau zu halten. Nein, ich denke es geht darum, die Angst an die Hand zu nehmen. Sich umzudrehen und gemeinsam mit ihr zu schauen, wo alles begann. Die harte Erde drum herum aufzulösen, vielleicht ein bisschen graben. Das ist anstrengend und sieht zwischendurch auch nicht mehr so schön ordentlich und glatt aus, aber nur so kommt man Wurzeln eben näher. Genauso ist es mit der Angst. Sich langsam zurückhangeln, Stück für Stück und dabei die Wunden finden, die gut versteckt in uns schlummern. Welche Wege hat sie genommen, um uns heute zu zeigen, dass etwas nicht stimmt? Vielleicht landet man ganz woanders, als man vorher dachte. Ist es wirklich Angst, die wir spüren oder andere Gefühle wie Wut? Die wir so gut unterdrückt und hinuntergeschluckt haben, dass erst die Angst auftreten muss, damit wir ihnen endlich Gehör schenken? Steht sie für unerfüllte Bedürfnisse, für zu wenig Nein-sagen und zu viel Ja?

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Vielleicht schafft man es sogar, das „Unkraut Angst“ nicht mehr als etwas so Störendes zu empfinden, was schnell entfernt werden muss. Wie Unkraut zu einem Garten gehört, so gehört die Angst zu unserem Leben.

Was die Angst dir sagen will

Zugegeben, dieser Prozess ist nicht einfach. Schicht für Schicht zu unserem authentischen Inneren vorzudringen, hinter alle Masken und Schutzvorkehrungen, die wir über Jahre getroffen und manifestiert haben. Nicht mehr den Ablenkungen zuzuhören, die immer passend vorbeikamen. Nicht den leichten und bekannten Weg zu gehen, sondern wirklich und wahrhaftig die Wurzel zu finden. Man macht sich die Hände schmutzig, man bekommt Rückenschmerzen von der ungewohnten Anstrengung. Man fällt abends vielleicht aber auch erfüllter und erschöpfter ins Bett, schläft besser. Bekommt mehr Appetit und verbindet sich mit seinem Körper. Muskelkater zeigt uns, dass wir Muskeln nutzen, die sonst eher selten zum Einsatz kamen. Man gestaltet seine Umgebung um, überprüft Beziehungen und Wachstumsbedingungen oder holt sich Hilfe, damit sich die Angst weniger wohlfühlt in unserem Garten. Vielleicht schafft man es sogar, das „Unkraut Angst“ nicht mehr als etwas so Störendes zu empfinden, was schnell entfernt werden muss. Wie Unkraut zu einem Garten gehört, so gehört die Angst zu unserem Leben. Ich will nicht so weit gehen und davon sprechen, dass sie auch etwas Schönes hat. Aber hey, selbst manche Unkräuter haben schöne Blüten. Das richtige Maß ist dabei der Schlüssel.

Und schließlich, ganz vielleicht, schaffen wir es: Wir sehen die Angst nicht mehr als Feind, sondern erkennen sie als das an, was sie ist: Ein Symptom. Ein Zeichen unseres Gartens namens Unterbewusstsein, dass etwas nicht stimmt. Dass etwas aus dem Lot geraten ist und dringend unsere Aufmerksamkeit verlangt. Dass wir uns auf die Suche machen sollten, nicht nur im Außen, sondern in uns selbst. Denn wie der bekannte Psychiater Günter Ammon schon sagte: Da wo die Angst ist, da geht es lang. Genauer hinzuschauen lohnt sich. Gleiches gilt übrigens auch für Unkraut.