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Angst im Gepäck

Meine Flugangst und ich auf Reisen

Ängste begleiten mich schon mein ganzes Leben. Auch die Flugangst gehört dazu. Meine Eltern sind mit mir nie geflogen, dazu hörte ich über die Jahre immer wieder von Flugunfällen, turbulenten Flügen oder auch Terrorismus. So wurde aus anfänglichem Respekt vorm Fliegen erst Angst und schließlich Panik – Panik bei dem bloßen Gedanken, in ein Flugzeug zu steigen und darin tausende Meter über dem Erdboden eingesperrt zu sein.

01.12.2023 – Autorin: Melanie

Flugangst und Reiseträume

Einige Zeit kam ich damit auch ganz gut durch. Da meine Familie für Urlaube kein Geld zur Verfügung hatte, war ich mit Flugreisen nicht konfrontiert, sondern konnte die Flugzeuge mit skeptischer Neugier aus weiter Ferne beobachten. So weit, so gut! Doch zum Realschulabschluss verkündete meine Klassenlehrerin ganz glücklich, dass unsere Abschlussfahrt nach Irland geht – mit dem Flugzeug. Als ich dies hörte blieb mir schlagartig die Luft weg. Nach wochenlanger Verzweiflung erlaubten mir meine Eltern, zuhause zu bleiben und diese sicher großartige Reise zu verpassen. Während meine Schulklasse also Dublin unsicher machte, saß ich allein in der Schule, nahm mit anderen Jahrgangsstufen am Unterricht teil und arbeitete einsam an unserer Abschlusszeitung. Ich schämte mich, vor mir selbst, meiner Lehrerin, den anderen Mitgliedern der Klasse. Galt ich sowieso aufgrund meiner Ängste oft schon als sonderbar, stellte mich diese Entscheidung erst recht ins Abseits.

Danach war ich wieder für lange Zeit von potenziellen Flugreisen verschont – und träumte gleichzeitig davon, irgendwann fliegen zu können, die Ängste regelrecht am Boden zu lassen und dadurch die Welt bereisen zu können. Nicht unbedingt förderlich für diesen Traum war mein Umfeld, denn es gab nur zwei Reaktionen: Entweder „Ich finde Fliegen auch schrecklich. Wenn da was passiert, bist du tot!“ oder „Fliegen ist super, mach‘ das einfach mal“. Jeder, der mit Ängsten zu kämpfen hat, weiß, wie schwer bis unmöglich dieses „einfach mal machen“ sein kann.

Manchmal, wenn es mir gut ging, suchte ich mir einen kurzen und günstigen Flug im Internet, nur um die Idee, es einfach mal auszuprobieren, schnell wieder zu verwerfen. Zu groß waren meine Ängste, und in meinem Umfeld konnte niemand so wirklich nachvollziehen, dass ich eben nicht nur etwas nervös war, sondern mich die Angst regelrecht lähmte.

Aufgrund meiner generalisierten Angststörung begann ich 2018 eine Therapie – und lernte in über 100 Sitzungen, meine Ängste zu verstehen und Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen.

Mein erster Flug: Vorbereitungen

Letztes Jahr bekamen mein Mann und ich einen Gutschein für ein Wochenende in Berlin geschenkt. Ich wollte nicht mehr vor der Angst davonlaufen und daher beschlossen mein Partner, der mich bedingungslos unterstützt, und ich: Wir werden mit dem Flugzeug anreisen. Dabei beruhigte mich der Gedanke, dass ich – rein theoretisch – nur den Hinflug meistern müsste und im Zweifel mit dem ICE, Zug oder auch Fernbus zurück nach Hause fahren könnte.

Als wir die Flüge verbindlich buchten, raste mein Herz, mir wurde übel und ich hatte nur ein Bedürfnis – diese Entscheidung zurückzunehmen. Aber das war nicht möglich, ohne auf den Kosten für die Flüge sitzen zu bleiben.

Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich noch in einer Verhaltenstherapie und thematisierte dort die anstehende Flugreise, um hilfreiche Tools und Übungen zu erlernen. Bereits Wochen vorher stellte ich mir eine kleine Notfalltasche mit Hilfsmittel zusammen. Unter anderem packte ich folgende Dinge ein:

  •  Akkupressurbälle
  • Eine Mülltüte als Absicherung bei Übelkeit
  • Reisetabletten
  • Kaubonbons für den Druckausgleich
  • Ein kleines Fläschchen Lavendelduft
  • Einen persönlichen Gegenstand als „Anker“
  • Traubenzucker
  • Karteikarten mit Anleitungen zu Atemübungen
  • Kopfhörer, um meine Lieblingsmusik zu hören

Diese Tasche hatte ich zu jedem Zeitpunkt griffbereit in meinem Rucksack und legte sie in meinen Schoß, sobald ich angeschnallt auf meinem Platz saß. Der Akkupressurball drückte sich bereits seit der Wartezeit aufs Boarding in meine Hand und die Reisetabletten drehte ich minutenlang in meinen Fingern, ehe ich mich vorerst dagegen entschied.

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Manchmal suchte ich mir einen Flug im Internet, nur um die Idee, es einfach mal auszuprobieren, schnell wieder zu verwerfen. Zu groß waren meine Ängste, und in meinem Umfeld konnte niemand so wirklich nachvollziehen, dass ich eben nicht nur etwas nervös war, sondern mich die Angst regelrecht lähmte.

Mein erster Flug: Panik, Erschöpfung und ein bisschen Faszination 

Wir hatten noch viel Zeit am Flughafen, welche wir damit verbrachten, in ruhigen Ecken zu sitzen und das Treiben um uns herum zu beobachten, Flugzeuge im Landeanflug anzuschauen und unsere Tage in Berlin etwas zu planen. Mein Magen spielte verrückt, worauf ich glücklicherweise vorbereitet war, da ich meinen Körper inzwischen ganz gut einschätzen kann.

Beim Boarding warteten wir, bis ein Großteil der Passagiere schon eingestiegen war und der erste Ansturm sich gelegt hatte. Mein Partner überließ mir den Fensterplatz, da in unserer Sitzreihe noch ein Geschäftsmann eifrig an seinem Laptop arbeitete und ich möglichst viel Abstand brauchte, um mir meinen eigenen kleinen Raum zu schaffen. Die Enge des Flugzeugs und die lauten Gespräche der anderen Passagiere machten mich nervös. Der Flieger war bis auf den letzten Platz ausgebucht.

In dem Moment, in dem das Flugzeug vom Gate wegrollte und es für mich endgültig nicht mehr möglich war, das Flugzeug zu verlassen und mich dieser Situation zu entziehen, bekam ich Panik. Glücklicherweise hatte ich in den letzten Jahren gelernt, dass mich meine Angst nicht umbringen wird, auch wenn sich eine Panikattacke manchmal wie Sterben anfühlt.

Die nächsten Minuten waren für mich schlimm, das kann ich nicht leugnen. Zu meiner großen Erleichterung rollte das Flugzeug nicht lange, sondern steuerte direkt auf die Startbahn zu und lenkte, ohne anzuhalten, auf die Gerade zum Beschleunigen. Nur wenige Augenblicke später hoben wir ab – was ich nicht mitbekam, da ich die Augen krampfhaft geschlossen hielt und nur versuchte, zu atmen. Der Akkupressurball drückte sich in meine Hand, ich schwitzte und mein Hals war wie zugeschnürt.

Erfreulicherweise gab es für jeden Passagier eine Flasche stilles Mineralwasser, welches ich in kleinen Schlückchen trank, um mich abzulenken und mir selbst zu zeigen, dass ich schlucken und atmen kann. Auch unser Sitznachbar war freundlich und humorvoll und ich fühlte mich direkt etwas wohler – wenn auch lange noch nicht entspannt. Ich blieb den ganzen Flug über angeschnallt, um mich sicherer zu fühlen. Immer wieder wagte ich einen Blick aus dem Fenster und war eingeschüchtert, gleichzeitig aber auch fasziniert und ehrfürchtig vor dem Ausblick, der sich mir bot. Es war keine einzige Wolke am Himmel, die Sonne schien und ich hatte eine fantastische Sicht auf die Landschaft unter uns.

Der Flug von Frankfurt nach Berlin dauerte knapp 50 Minuten – danach war ich so erschöpft, dass ich in der Ferienwohnung über zwei Stunden mit starken Kopfschmerzen erstmals tief geschlafen habe, ehe ich bereit war, die Eindrücke wirklich zu verarbeiten und mich auf den eigentlichen Urlaub einlassen zu können.

Und die Heimreise? Habe ich mich erneut in ein Flugzeug getraut. Und trotz Turbulenzen sowie Stress und Hektik am Flughafen habe ich den Flug überlebt und es geschafft, meine Angst angeschnallt auf einem Sitz irgendwo einige Reihen hinter mir zu halten.