Ängste entwickeln sich oftmals zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Sie lösen einen derartigen Stress aus und belasten die Psyche, dass eine Migräne-Attacke tatsächlich eintritt.
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Ein richtig starkes Gewitter mit Blitz und Donner im Kopf, Millionen kleiner Nadelstiche oder ein Vorschlaghammer, der immer wieder gegen die Schläfe schlägt – das sind nur einige Empfindungen, mit denen man Migräne beschreiben und das Leiden bildlich machen kann. Dass diese Symptome Ängste auslösen, was die Krankheit noch alles mit sich bringen wird, daran besteht kein Zweifel. Aber diese Ängste beeinflussen wiederum die Erkrankung – und machen sie schlimmer.
24.07.2023 – Autor: Thomas Mehr
Die Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung betrifft viele Menschen, die chronisch krank sind. Es ist absolut nachvollziehbar, dass wir uns bei einer chronischen Erkrankung Gedanken darüber machen, wie alles weiter gehen wird: Ob wir noch mehr Schmerzen bekommen, eines Tages im Rollstuhl sitzen oder ein Pflegefall werden. Die Angst hat einen realen Grund, denn unsere Gesundheit ist bedroht und beeinträchtigt. Andererseits sind die Angst und die Sorgen eine zusätzliche Belastung, die unsere Lebensqualität noch mehr einschränkt. Unsere Gedanken kreisen pausenlos um die Frage, wie alles weitergeht.
Abhängig von der Art der Erkrankung sorgen wir uns um unsere Arbeitsfähigkeit, die immer größer werdende Abhängigkeit von anderen oder von noch mehr Medikamenten. Wir fürchten mögliche Behinderungen, stärker werdende Schmerzen oder gar, bald sterben zu müssen. Vielleicht grübeln wir auch darüber, dass sich unsere Partnerschaft verschlechtern kann – oder wir nicht mehr für unsere Kinder da sein können. Wenn wir keinen Ausweg aus diesem Gedankenkarussell finden, fühlen wir uns hilflos, ohnmächtig und deprimiert. Es raubt uns wichtige Energie, wir ziehen uns von unserem Umfeld zurück, weil wir es nicht mit unserer Krankheit belasten wollen und versuchen, unser Schicksal mit uns selbst auszumachen. Wenn das auf Sie zutrifft, möchte ich Sie ermutigen, mit anderen über Ihre Ängste und Sorgen zu sprechen. Dies können unter anderem ein Seelsorger, Therapeut oder ein Arzt, eine Ärztin sein. Diese Gespräche können Sie entlasten und Ihnen Mut machen. Und das ist ganz wichtig!
Ich habe seit meiner Kindheit chronische Migräne. Ich habe mir während meiner Aufenthalte in der Psychosomatischen Klinik viele Gedanken gemacht, mir nicht nur in dieser Zeit, sondern schon viele Jahre vorher, Wissen rund um die Migräne und deren Zusammenhang mit Angst und Depression angeeignet. Meine Erfahrungen und Beobachtungen haben ergeben: Wer regelmäßig Migräne hat, leidet überdurchschnittlich oft auch unter Ängsten, Depressionen und weiteren psychischen Erkrankungen.
Bei meinem ersten Aufenthalt in der Psychosomatischen Klinik stellte sich heraus, dass ich neben meinen häufigen Migräne-Attacken – es waren zu diesem Zeitpunkt zwischen zwanzig bis zweiundzwanzig Attacken pro Monat – zusätzlich unter Ängsten und depressiven Verstimmungen litt. Warum das bei mir so war und warum diese sich gegenseitig verstärkten, wird leichter nachvollziehbar, wenn man sich den Verlauf meiner Migräne-Erkrankung mal genauer anschaut.
Alena Shekhovtcova/pexels.de
Ängste entwickeln sich oftmals zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Sie lösen einen derartigen Stress aus und belasten die Psyche, dass eine Migräne-Attacke tatsächlich eintritt.
In einer beruflich sehr stressigen und angstbelasteten Zeit kam immer wieder die Sorge auf, wegen der Migräne auszufallen oder mal wieder nicht an den Unternehmungen im privaten Leben teilhaben zu können. Dann spürte ich oft morgens schon die Vorboten einer heraufziehenden Migräne-Attacke. Doch ich dachte mir: „Ich muss das jetzt durchziehen, ausruhen kann ich mich später.“ Natürlich kommt eine Migräne-Attacke meistens zum ungünstigsten Zeitpunkt. Ich fragte mich dann oft: „Warum muss das ausgerechnet jetzt passieren?“
Jedes Mal hoffe ich, bloß nie wieder in die Situation zu geraten, eine Migräne-Attacke zu bekommen und fange insgeheim so schon an, die nächste Migräne-Attacke zu fürchten. Dazu kommen dann noch negativen Gedanken, die mich zusätzlich unter Druck setzen. Diese ständige Angst vor der Migräne begleitet viele Betroffene. Sie belastet die Psyche schwer, denn die heftigen Migräne-Attacken, gepaart mit Übelkeit oder visuellen Störungen, sind oftmals eine Qual. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen direkt nach einer überstandenen Migräne-Attacke Ängste entwickeln, dass sich bald wieder eine neue Attacke ankündigt. So sind sie innerlich dauernd angespannt und gestresst.
Je größer die Ängste, umso häufiger können Migräne-Attacken auftreten. Bei mir kann Angst durchaus als Trigger für Migräne fungieren und lässt deswegen die Attacken mittlerweile in immer kürzeren Abständen kommen. Durch diese Empfindung gerät der Körper in eine Stresssituation, was wiederum zu den Schmerzen führt.
In folgenden Situationen machen sich Betroffene häufig angstvolle Gedanken und treiben damit die Migräne-Attacke erst voran:
So entwickeln sich Ängste oftmals zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Sie lösen einen derartigen Stress aus und belasten die Psyche, dass eine Migräne-Attacke tatsächlich eintritt. Es entsteht ein Teufelskreis, der sich nur schwer durchbrechen lässt.
Schwer heißt aber nicht unmöglich. Da Gedanken Ängste auslösen und damit Migräne-Attacken einen Vorschub leisten, kann man diesen Teufelskreis auch mit Gedanken wieder durchbrechen. Wie das geht, den Teufelskreis mit den Gedanken zu durchbrechen, beschreibe ich in meinem Buch.
Andrea Piacquadio/pexels.de
Wenn Sie es schaffen, Ihr ständiges Grübeln und die Angstgedanken effektiv auszuschalten, können Sie Ihr Leben nicht nur deutlich besser genießen, Sie entziehen auch ihren miesen Migräne-Attacken eine wesentliche Grundlage.
Zunächst möchte ich aber noch auf das Thema Medikamente bei Migräne zu sprechen kommen. Die Angst, aus dem Haus zu gehen und kein Schmerzmittel beziehungsweise ein spezielles Migräne-Medikament dabei zu haben, ist mit eine meiner größten Ängste. Denn Schmerzmittel und besonders die speziellen Migräne-Medikamente, sogenannte Triptane, versprechen schnelle Hilfe bei sich ankündigenden oder akuten Migräne-Attacken. Aber Vorsicht – die Einnahme von Medikamenten gegen Migräne sollte die Ausnahme bleiben und keinesfalls zur Regel werden. Denn bei einer häufigen Medikamenteneinnahme kann man schnell in eine Abhängigkeit und damit geradewegs in den nächsten Migräne-Teufelskreis hineingeraten. Das Paradoxe an Schmerzmitteln und Triptanen ist nämlich, dass sich bei einem Übergebrauch die Migräne verschlimmert, im Worst-Case-Szenario bleibt sie auch. Die Attacken können dabei sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Intensität zunehmen.
Wie gefährlich der übermäßige Gebrauch solcher Medikamente sein kann, habe ich selbst am eigenen Leib erfahren. Ich habe einen Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz provoziert, der einen Triptan-Entzug nach sich gezogen hat. Das war definitiv keine schöne Erfahrung. Vor der Einnahme einer Kombination verschiedener Medikamente sollte man immer zuerst den Arzt oder die Ärztin fragen. Keinesfalls darf man einfach alles miteinander mischen.
„Oh nein, nicht schon wieder Migräne!“ Diese eigenen inneren Dialoge und Gedanken sind häufig nicht nur der Vorläufer, sondern regelrecht der Trigger für Angst und Panik. Doch mit einem kleinen Trick und ein klein wenig Übung ist es möglich, eine aufkommende Angstattacke binnen Sekunden zu stoppen. Wenn Sie es schaffen, ihre Angst zu überwinden, verringert sich dadurch in aller Regel auch die Häufigkeit und die Intensität von Migräne-Attacken. Ich habe unter anderem durch mehr Achtsamkeit gelernt, meine Ängste vor einer erneuten Migräne-Attacke zu reduzieren. Wenn Sie es schaffen, Ihr ständiges Grübeln und die Angstgedanken effektiv auszuschalten, können Sie Ihr Leben nicht nur deutlich besser genießen, Sie entziehen auch ihren miesen Migräne-Attacken eine wesentliche Grundlage.
Thomas Mehr:
Migräne, Angst und Depression (2023)
„Ich möchte in diesem Buch Mut machen, offen über die Erkrankung zu sprechen, sich nicht zu verstecken und das Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Sie finden in diesem Buch meine Krankheitsgeschichte, wissenschaftliche Hintergründe und wertvolle Tipps Ihren Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.“
Angst löst Stress im Körper aus und alles im Körper ist dann in Alarmbereitschaft. Stress wird von Betroffenen mit Abstand am häufigsten als Trigger von Migräne genannt. Aber nicht nur Stress durch Angst, vor allem auch Belastungen im Beruf, aber auch Druck in der Freizeit sind Gründe, weshalb sich Betroffene oft gestresst fühlen. Dabei ist nicht das absolute Stressniveau entscheidend, ob sich eine Migräne durch Stress anbahnt, sondern die Veränderung des Stressniveaus. Beispielsweise kann sich in einer Phase der Entspannung nach einer stressigen Arbeitswoche eine Migräne ankündigen oder umgekehrt, wenn plötzlich eine unvorhergesehene Stresssituation eintritt.
Versuchen, Sie ihr Leben nicht komplett nach ihren Ängsten zu gestalten. Wenn Sie aufgrund einer Migräne-Attacke Verabredungen absagen oder auf jede kleine kulinarische Sünde verzichten, weil Sie Angst vor einer erneuten Attacke haben, leidet ihr Sozialleben und ihre Lebensqualität darunter. Das führt wiederum zu Verspannungen, Missmut und Unzufriedenheit.
Machen Sie Entspannungsübungen. Um die Angst vor Migräne zu bewältigen, lassen sich die gleichen Übungen und Techniken wie zum Stressabbau verwenden. Entspannungsverfahren wie Autogenes Training, Yoga oder Meditation stehen zur Auswahl. Sie können auch die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson erlernen, um Körper und Geist etwas Gutes zu tun. Man kann inzwischen viel im Internet nachlesen, wie Entspannungsverfahren helfen können, mit der Krankheit besser umzugehen und Stress, Angst und Depressionen zu reduzieren. Probieren Sie es einfach mal aus!