Zeichnung: Ingmar Decker

 

 

 

Angst und so?

Wie ich dazu kam, Cartoons über die Angst zu machen

14.07.2023 – Autor: Ingmar Decker

Es begann Anfang der 10er Jahre. Ich musste einfach mal anerkennen, dass ich verdammt viel Angst mit mir herumschleppe. Damit meine ich weniger ausgeprägte Phobien als vielmehr diverse diffuse, unterschwellige, quasi chronische Ängste vor seelischem Leid: Angst vor Zurückweisung, vor Ablehnung, Liebesentzug, Verurteilung, Wertlosigkeit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit… Wenn man’s weiterdenkt, steckt dahinter vermutlich irgendwo die Angst vor dem Ende, dem Tod – aber das ist eine andere Geschichte.

Gelegentlich bekam ich einen Draht dazu und merkte, wie stark die Angst mein Verhalten beeinflusst, ja sogar steuert. Ich tue etwas so oder so – oder eben genau nicht –, weil ich Angst habe, dass … und daraus würde folgen, dass … Ganz so konkret war das damals noch gar nicht, aber es gab eine Ahnung davon.

Es wird immer wieder gesagt, man solle sich seiner Angst stellen. Sie nicht weg machen, sondern wahrnehmen, akzeptieren. Der Angst in die Augen schauen.
Hm…
Zum „in die Augen schauen“ brauche ich ein Gegenüber…

Dann wird gerne gesagt, dass ich mich mit meinen Emotionen und Ängsten nicht identifizieren muss. Das meiste davon kommt von außen – und dort sollte es auch wieder hin.
Also Angst nach draußen stellen, anschauen, in die Augen schauen…

Als Cartoonist bin ich schnell dabei, Dinge wörtlich zu nehmen und die wörtliche Bedeutung in Bilder umzusetzen. Wie sieht das jetzt also genau aus? Wie sieht so ’ne Angst eigentlich aus? Und was macht die so den ganzen Tag? Sie muss mindestens Augen haben, in die ich schauen kann. Sie hat einen ängstlichen Blick oder einen bösen, denn sie ärgert mich ja ständig. Sie hat einen Mund und mindestens Arme, denn sie spricht ja mit mir und gestikuliert dabei. Insgesamt bleibt sie diffus, nicht leicht zu greifen. Irgendwas zwischen Monster und Geist. Die graue Schatten-Monster-Gestalt, die hinter mir steht und mir ins Ohr flüstert, entstand.

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Ich glaube, der erste Cartoon damit war tatsächlich der: „Du bist also meine Angst…?! Du siehst echt scheiße aus!“
Klar. Ist so. Zu akzeptieren, dass man Angst hat, ist schwer.

 

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Mit dieser Figur öffnete sich dann ein schöner kreativer Raum. Und die Möglichkeit, mit dem Thema spielerisch zu arbeiten. Auf der Suche nach einer Pointe oder einer illustrativen Darstellung führe ich ja Dialoge mit der Angst. Solche Dialoge sind oft ziemlich skurril. Es ist lustig – und brutal zugleich. Lustig ist es eigentlich nur von außen. Von innen ist es brutal.

Mit dem Zeichnen stelle ich die Angst nach draußen, wo sie hingehört. Ich bin nicht die Angst.
Jetzt kann ich schmunzeln.

Nun bemerke ich Mechanismen. Und wenn ich sie zeichne, werden sie sichtbarer und bewusster. Und mit dem Bewusstsein kriegt die Angst mich beim nächsten Mal nicht mehr ganz so leicht! Ich kann mich ein Stück lösen und freier werden.

Und dann kann ich ja gleich noch ein bisschen damit spielen. Ein bisschen ausschmücken, übertreiben, Spaß haben. Dann ist die Angst z.B. zu fett geworden und beklagt sich selbst darüber…

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Mache ich mich über Angst lustig? Natürlich. Aber das möge niemand verwechseln: Ich mache mich über Angst lustig, aber nicht über die Menschen, die sie haben! Dieser Unterschied ist wichtig.

Das mit Angst und so ist ja schon ein ziemliches Drama. Mit Humor bekommt das Drama etwas Leichtigkeit. Ich finde, das ist viel wert.