Burnout sollte treffender "burn out oneself" heißen, was eine völlige Selbstverausgabung meint. Das trifft den Kern der Sache besser.
Das Online-Magazin der Deutschen Angst-Hilfe e.V. für Betroffene von Angststörungen
Nataliya Vaitkevich/pexels.de
Im neuen ICD-11 der WHO (gültig seit Anfang 2022) ist Burnout nun offiziell als Erkrankung anerkannt. Allerdings ist sie strikt auf den Arbeitsplatz beschränkt und definiert als Syndrom aus körperlichen und seelischen Beschwerden. Zentrale Elemente des „Ausbrennens“ (to burn out) sind totale Erschöpfung und innere Ohnmacht. Man könnte auch sagen, Burnout ist eine Mischung aus Angst und Depression und es stellt sich die Frage: Ist Burnout eine Mogelpackung?
09.06.2022 – Autor: Roland Rosinus
Meine Betrachtung ist nicht fachlich und medizinisch korrekt. Ich kann keine Studien vorlegen, die meine Thesen begründen. Meine Expertise ergibt sich ausschließlich aus meinem Erfahrungswissen. Ich bin kein Therapeut oder Arzt, doch rede ich nach meinen Vorträgen zum Thema Angstbewältigung und Depression, die ich seit 20 Jahren aus eigener Betroffenheit halte, längere Zeit mit meinen Zuhörern. Ich bin gewissermaßen „live vor Ort“. Ich habe mehr als 20.000 Zuhörer bei meinen Vorträgen erreicht, mittlerweile drei Bücher geschrieben. Ich habe meine Ängste gut bewältigt, und mir geht es wieder sehr gut.
Meine Absicht, in irgendeinem Lehrbuch aufzutauchen und/oder recht zu haben, ist sehr begrenzt. Ich bin mir meiner Verantwortung, über medizinische Themen zu schreiben, voll bewusst. Wenn meine Überschriften zuweilen polarisieren, ist dies nur ein sprachliches Stilmittel der bewussten Übertreibung und der sprichwörtliche Spiegel, der vorgehalten wird, um zum Nachdenken anzuregen.
Eins ist klar: Burnout ist ernst zu nehmen, denn die betroffenen Personen leiden unter den Symptomen des Krankheitsbildes sehr. Relativ oft ist eine langfristige Arbeitsunfähigkeit die Folge. Hinzu kommt die Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung.
Einfach ausgedrückt, entsteht der meist berufliche Stress durch Druck in Verbindung mit eigenem Perfektionismus, der Suche nach Anerkennung, Nicht-Nein-Sagen-können und der Unfähigkeit, sich selbst und anderen Grenzen zu setzen. Überspannt wird das ganze „Rezept“ von dem täglichen Antrieb der eigenen Anforderungen „gut anzukommen“ und so „positiv auf sich aufmerksam zu machen“. Burnout kommt also nicht von einem Zuviel an Arbeit, es sind die eigenen inneren Antreiber, die in die Abwärtsspirale führen. Es sollte daher treffender „to burn out oneself“ heißen, das einer völligen Selbstverausgabung entspricht und mehr den Kern trifft.
Hinzu kommen die Ansprüche von Vorgesetzten, die selbst auch einem gewissen Erfolgsdruck unterliegen: „Wir müssen gut dastehen“ und „Das kommt oben gut an“. Im neuen Sprachjargon müssen Mitarbeiter „funktionieren“. Funktionieren im Zusammenhang mit Menschen halte ich für sehr unmenschlich. Selbst in der Sportberichterstattung ist ein häufig gebrauchtes Wort „liefern“. Es wäre fatal zu sagen: „Burnout betrifft ja nur den Beruf“. Ich gebe zu bedenken, wie viele Arbeitnehmer fast die Hälfte des Tages „auf der Arbeit“ sind und zu Hause nicht abschalten können. Jemand, der zu Hause die Kleider der Berufstätigkeit ausziehen kann, ist in einer glücklichen Lage und wird kaum ein Kandidat für einen Burnout sein.
Was oft verkannt wird: Die Probleme im Berufsleben werden sehr häufig mit nach Hause in den Alltag genommen und betreffen bald das ganze soziale Umfeld. Ein scheinbar nicht mehr zu stoppender Kreislauf entsteht. Viele haben ein Bewältigungssystem, das ihnen ermöglicht, damit umzugehen, viele andere nicht. Sie greifen nach Krücken wie Alkohol, Drogen und Medikamenten, die kurzfristig beruhigen, aber nicht lösen. Symptome verschwinden, aber meist nur, um mit Verstärkung wiederzukommen.
Symptome von Burnout:
Roland Rosinus
Burnout sollte treffender "burn out oneself" heißen, was eine völlige Selbstverausgabung meint. Das trifft den Kern der Sache besser.
Wenn ich Burnout genau betrachte, bin ich unmittelbar im Gender-Problem. „Frauen haben mehr Ängste und Depressionen als Männer“. Genau an dieser Stelle werde ich immer misstrauisch. Stimmt das so? Frauen sind offener im Umgang mit Problemen und ihrer Kommunikation als Männer. Unter Männern gibt es immer noch genug, die sich nicht öffnen und sich als schwach erleben. Dabei ist das „Geheimhalten“ einer psychischen Erkrankung über einen längeren Zeitraum rein energetisch fast unmöglich. Es sei denn, über die oben angesprochenen Krücken.
Drängt sich da nicht der Verdacht auf, Burnout könnte ein Angst- und Depressionsproblem sein, das permanent schöngeredet wird? „Männer wie wir“ haben kein Angstproblem, sondern einen „Burnout“ vom vielen arbeiten. Im Grunde genommen sind wir „Helden“. Klingt sehr viel besser als „Angst“ und „Depression“.
Doch wie ist das, wenn ich ein rostiges Geländer mit schönem rotem Lack überstreiche? Ich habe eine Zeit lang Ruhe. Und dann kommt der Rost wieder raus! Hilfreich wäre, wenn Männer ihre Ängste und Depressionen als solche benennen und nicht schönreden, vor dem Klarlack den Rost entfernen und vor dem Anstrich grundieren. Wenn ihnen das klar ist, erfahren sie etwas über die Ursachen und können alsbald mit ihrer Bewältigung anfangen.
Die Möglichkeiten der Bewältigung sind vielfältig. Fachliche Hilfe anzunehmen, wird mehr und mehr in der Gesellschaft anerkannt.
Ist sich jemand unsicher, ob seine Ängste und/oder Depressionen therapiebedürftig sein könnten, kann er sich an folgenden Punkten orientieren:
Im Bereich der Stressbewältigung werden in der Hauptsache zwei Typen beschrieben: der planlose Hektiker und der passive Erleider. Das Entstehen von Stress, die Reaktion auf kognitiver, vegetativer und muskulärer Ebene und die Stressbewältigung sind in jeder Hinsicht individuell.
Kurzfristig geht es darum, in Stresssituationen handlungsfähig zu bleiben. Möglichkeiten sind die innere und äußere Ablenkung, die Abreaktion, das Relativieren einer Situation oder eines Problems, die Verminderung der Stressdosis und die positive Selbstinstruktion.
Mittel- und langfristige Bewältigungsmöglichkeiten sind die systematische Problemlösung, die Einstellungsänderung, das Erlernen einer Entspannungsübung und ein genaues Hinschauen auf meine Kommunikation.
Immer geht es um die eigene Mitwirkung. Lösungen, dargeboten auf dem Silbertablett mit möglichst wenig Aufwand, gibt es nicht. Folgende Lebensweisheit von Albert Einstein trifft den Kern: „Probleme kannst Du niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“.
Burnout ist ein Oberbegriff und enthält hauptsächlich Schnittmengen aus Angst, Depression und negativem Stress. Die Krankheitssymptome sind sehr unangenehm und können in einen Kreislauf körperlich-geistiger Erschöpfung und Ohnmacht münden.
Burnout ist geeignet, den „Kindern“ Angst, Depression und Stress schönere Namen zu geben.
Die Behandlungsmöglichkeiten sind gut; meist ist eine gründliche Ursachenerforschung notwendig und die innere Bereitschaft, an seinen Lebenseinstellungen zu arbeiten und sie gegebenenfalls zu verändern.
Fotografie Andreas Henn, Mannheim
Polizeihauptkommissar i. R., 65, St. Ingbert/Saar
Buchautor im Bereich Angstbewältigung, Vorträge mit mehr als 20.000 erreichten Zuhörern
Psycho-Sozialer Onlineberater (DGOB) für die Deutsche Angst-Hilfe e.V. (Peer-to-Peer), Psychologischer Ersthelfer des Zentralinstituts für Psychische Gesundheit in Mannheim