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Die Angst gemeinsam durchstehen

Über Angst und Panikattacken in der Beziehung – Ein persönlicher Erfahrungsbericht

18.08.2022 – Autorin: Lea Pomocnik

Ein ganzes Bündel an Ängsten

Es ist Donnerstagabend, wir sitzen beim Abendessen, ganz leise im Hintergrund läuft eine Tierdoku im Fernsehen. Leise, da mich laute Geräusche schnell überfordern und mich schiefe Töne bei Filmen oder Serien triggern. Sie lösen in mir ganz unschöne Gefühle aus, Angst und Bedrohung. Ich konzentriere mich auf mein Essen, fokussiere mich auf jeden Bissen und vor allem auf jedes Mal, wenn ich das Essen herunterschlucke. Bei jeder Mahlzeit ist sie da, die Angst mich zu verschlucken und dabei zu ersticken, in der Fachwelt Phagophobie genannt. Als ich mich vor einigen Jahren an einer Pommes verschluckte und keine Luft mehr bekam, geriet ich in Panik, hatte Angst, daran zu sterben. Seit diesem Tag fällt es mir schwer, ohne Angst zu essen. Mal läuft es besser, mal schlechter. An diesem Donnerstagabend ist es mal wieder etwas anstrengender zu essen. In meinem Kopf kreisen die ganze Zeit Angstgedanken. Draußen höre ich den Krankenwagen vorbeifahren. Ein weiterer Trigger. Ich versuche, mich zu beruhigen und mich aufs Essen einzulassen.

Mein Freund beginnt von seinem Tag zu erzählen, wir tauschen uns aus und ich bin froh, die Gabel kurz zur Seite legen zu können und nicht weiteressen zu müssen. Denn das bedeutet eine kurze Pause von den Angstgedanken beim Essen. Wir sprechen darüber, was wir am Wochenende alles machen können: Das Straßenfest um die Ecke, ein Ausflug zum See oder doch lieber Zeit in der Natur verbringen? Mir wäre es ehrlich gesagt am liebsten, einfach gar nichts zu machen und zu Hause zu bleiben. Unsere Wohnung ist mein sicherster Ort, hier fühle ich mich wohl, hier kann mir nichts passieren. Und falls doch, sind wir nicht weit vom Krankenhaus entfernt.

Diese Hilfe musste ich zum Glück noch nicht oft in Anspruch nehmen, doch tatsächlich kam es schon das eine oder andere Mal vor, dass der Krankenwagen kam oder wir in die Notaufnahme gefahren sind. Bis sich am Ende herausstellte, dass es doch wieder Symptome einer Panikattacke waren. Bei jeder Planung, die wir machen, bei allem was ich tue, ist es mir am wichtigsten, dass eine ärztliche Versorgung in der Nähe ist und mir im Notfall schnell geholfen werden kann. Diese Gedanken begleiten mich täglich.

So auch bei dem Gespräch, was wir am Wochenende unternehmen werden. Mein Partner erzählt, dass ein Bekannter seinen Geburtstag feiert, zu dem wir eingeladen sind. Meine erste Reaktion? Ich freue mich. Doch nach der Freude meldet sich direkt meine Angst: Halt, stopp! Geburtstage bedeuten viele Menschen, laute Musik, kein Rückzugsort, keine Stille, eine Autofahrt oder eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. All das sind Dinge, die Angst auslösen. Im schlimmsten Fall eine Panikattacke. Das möchte ich natürlich weitestgehend vermeiden. Die Lösung dafür? Am besten gar nicht erst auf den Geburtstag gehen. Aber ich würde so gerne.

Dankbarkeit und Schuldgefühle

Mein Freund und ich sprechen über meine Ängste bezüglich des Geburtstages. Wir reden darüber was wir tun, wenn ich Angst bekomme. Er ermutigt mich dazu, mich zu trauen, mich meiner Angst zu stellen und die Angst mitzunehmen, um ihr zu zeigen, dass nichts passiert. Fast den ganzen Abend geht es darum, was wir machen, wenn es mir auf dem Geburtstag zu viel wird. Mein Freund ist dabei unglaublich geduldig mit mir. Gleichzeitig ist es für ihn wichtig, dass ich ihm darüber erzähle, wovor genau ich Angst habe. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe, bei dem wir beide offen, ehrlich und sachlich miteinander sprechen. Wir finden gemeinsame Lösungen, Auswege und Möglichkeiten, dass wir beide auf den Geburtstag gehen können und es für mich angenehm wird. Mein Freund bietet mir an zu gehen, wenn es mir zu viel wird, dass wir uns zurückziehen können, wenn ich Angst bekomme und nicht zuletzt überlässt er mir die Entscheidung, ob wir überhaupt zum Geburtstag gehen oder nicht. Ihm ist es wichtig, dass ich mich wohlfühle. Das steht für ihn an erster Stelle. Doch nun sind wir mitten im Thema. Ich entscheide darüber, was wir machen, wie wir es machen und wie lange. Das ist nicht nur beim Geburtstag und den anstehenden Wochenendplänen so. Diese Situation gibt es fast täglich.

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Wir sprechen unglaublich viel über meine Angst, fast täglich. Wir reden darüber, wie wir gemeinsam mit der Angst umgehen. Es ist so, als würde es eine dritte Person geben, um die wir uns gemeinsam kümmern müssen. Auf die wir Rücksicht nehmen müssen. 

Mein Partner fährt mich zur Arbeit, wenn die Angst mit der Bahn zu fahren mal wieder so groß ist, dass schon der Gedanke daran Panik auslöst. Beim Familienessen stehe ich plötzlich vom Tisch auf und verschwinde um die Ecke, er begleitet mich dabei. Manchmal sagen wir Pläne kurzfristig ab und bleiben zu Hause. Auf der Fahrt in den Urlaub fahren wir alle 20 Minuten von der Autobahn und machen Pause, weil die Angst auf der Autobahn so groß ist. Das sind nur einige von ganz vielen Situationen, in denen mein Freund Rücksicht nimmt, mich unterstützt, mir gut zuredet und mit mir die Angst gemeinsam durchsteht.

Oft denke ich mir, dass wir nur nach mir leben. Dass wir unser Leben nach meiner Angst gestalten. Zu wissen, dass er so viel Rücksicht nimmt und so liebevoll mit meinen Einschränkungen umgeht, ist ein unfassbar schönes Gefühl. Gleichzeitig fühle ich mich oft so schlecht. Weil wir wegen mir viele Dinge nicht tun können, weil er wegen mir viele Dinge nicht tun kann. So viel Dankbarkeit und Schuldgefühle in einem, die ich gegenüber meinem Partner empfinde. Er macht so viel mit und hält so viel aus, dass ich das Gefühl habe, ich kann das alles nicht zurückgeben. Dabei sollte eine Beziehung doch ein Geben und Nehmen sein. Beiderseits. 

Da ich mich manchmal selbst nicht leiden kann und mir mit meiner eigenen Angst selbst auf die Nerven gehe, kann ich noch immer nicht glauben, wie mein Partner das mit mir aushalten kann. Ich nehme so viel Aufmerksamkeit und Energie meines Freundes in Anspruch, beziehe ihn in meine Entwicklung mit ein und brauche ihn als Stütze.  Er macht durch mich vieles anders, was er aber nicht als Einschränkung sieht, sondern als neue Möglichkeit. Diese Ansicht finde ich unglaublich wertvoll und ich glaube, dass diese Einstellung so wichtig für unsere Beziehung ist. Denn seine Sicht auf meine Angst ist nicht negativ, sondern sehr offen und wertschätzend.

Die Angst – wie eine dritte Person im Raum 

Wir sprechen unglaublich viel über meine Angst, fast täglich. Wir reden darüber, wie ich an mir arbeiten kann, welche Fortschritte ich schon gemacht habe und wie wir gemeinsam mit der Angst umgehen. Es ist so, als würde es eine dritte Person geben, um die wir uns gemeinsam kümmern müssen. Auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Nur dass diese dritte Person, die Angst, in mir steckt und zu mir gehört. Niemand sonst, außer ich selbst natürlich, kennt meine Angst so gut, wie er. Nicht einmal meine Therapeutin. Mein Freund ist Begleiter, Unterstützer, Seelsorger, bester Freund und ein liebevoller Partner zugleich. Eine schöne aber auch anstrengende Rolle.

Da mein Freund mit mir und meiner Angst so viel erlebt hat, haben wir eine ganz besondere Art der Beziehung. Unsere Partnerschaft wurde sehr schnell sehr tiefgründig. Zwischenmenschlich bewegten wir uns schon zu Beginn der Beziehung auf einer sehr vertrauten Ebene. Ich habe schon beim ersten Date von meiner Angststörung erzählt und so war sie schon immer ein Teil unserer Beziehung. Für ihn war es hilfreich, dass ich meine Angst zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens bereits in und auswendig kannte. Ich konnte ihm viel erklären, viele Fragen beantworten, was in mir vorgeht. Kommunikation in einer Partnerschaft ist extrem wichtig, insbesondere in einer Beziehung, in der eine Person von einer Angststörung betroffen ist. Beide müssen bereit sein, Gefühle, Gedanken und Stimmungen zu äußern, denn nur so kann man als Paar gemeinsam wachsen und sich einspielen.

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Kommunikation in einer Partnerschaft ist extrem wichtig, insbesondere in einer Beziehung, in der eine Person von einer Angststörung betroffen ist. Beide müssen bereit sein, Gefühle, Gedanken und Stimmungen zu äußern, denn nur so kann man als Paar gemeinsam wachsen und sich einspielen.

Die Angst nicht zum Mittelpunkt der Beziehung werden lassen

Mir ist es von Anfang an wichtig gewesen, dass ich nicht alles auf meinen Partner übertrage, ihn verantwortlich mache für meine schlechten Launen oder meine Stimmungen. Das gelingt mir nicht immer. Umso wichtiger ist es, nach Angstphasen darüber zu sprechen. Ihm zu erklären was in mir vorging, damit er nachvollziehen kann, dass die negative Stimmung nicht gegen ihn geht, sondern ich wütend auf meine Angst bin. Außerdem finde ich es super wichtig, dass die Person in der Beziehung, die nicht betroffen ist, auch Grenzen setzt und sich selbst nicht übernimmt, wenn es um die Angst des Partners geht. Darüber sprechen wir ganz offen. Freiraum und Zeit für sich selbst ist ebenfalls wichtig, um die Angst nicht zum Mittelpunkt der Beziehung werden zu lassen. Meinen Partner alleine auf den zu Beginn angesprochenen Geburtstag gehen zu lassen, damit er eine gute Zeit hat, gehört da auch dazu. Jeder für sich ist trotz allem ein eigenständiger Mensch. Ich mit meiner Angst, mein Partner ohne. Ich versuche,  einiges mit mir selbst auszumachen, bevor ich um Hilfe bitte. Mein Partner ist kein Therapie-Ersatz und deshalb versuche ich so viele Gedanken und Bewältigungsmechanismen bei mir zu behalten. Ich möchte mich nicht abhängig machen von der Hilfe meine Partners, denn nur so können wir beide eigenständige Personen bleiben. 

Wir werden immer weiter wachsen, denn die Angst verändert sich ständig. Es wird in Zukunft viele Gespräche, viele Strategien und viel gegenseitige Rücksichtnahme erfordern. Die Angst wird immer da sein, mal mehr mal weniger. Auch wenn die Angst oft mein größter Feind ist, beschert sie mir auch schöne Momente. Wenn mal wieder eine acht Stunden lange Autofahrt ohne Angst geschafft ist, mein Freund stolz auf mich ist und ich auch stolz auf mich sein kann. Genauso stolz wie auf unsere Beziehung und alles, was wir schon geschafft haben.