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Eigenheim und Kinder haben wir schon abgehakt

Mein Blick in eine unsichere Zukunft

Ich erinnere mich noch gut an den Morgen im Februar 2022, als in der Nacht zuvor Russland die Ukraine überfallen hatte. Müde saß ich an meinem Schreibtisch im Homeoffice, als mein Ehemann ins Büro kam und mir schockiert die Nachricht brachte. Für mich erschreckend, doch irgendwie auch nicht ganz greifbar. Natürlich, die Ukraine ist nicht allzu weit von uns entfernt – und dennoch, ein Krieg war für mich bisher etwas, das in der Vergangenheit passiert ist oder, so bitter und traurig die Erkenntnis für mich auch ist, „weit weg“ geschieht. Mein Sicherheitsgefühl hatte einen tiefen Riss bekommen.  

21.10.2022  –  Autorin: Melanie

Alles begann mit der Flutkatastrophe

Bereits in den vergangenen Jahren habe ich mit immer mehr Sorge in die Zukunft geschaut. Durch meine Angststörung hat mich eine permanente Befürchtung verfolgt, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Und tatsächlich geschehen immer wieder Dinge auf der Welt, welche diese Angst nicht unbegründet entstehen lassen. Naturkatastrophen, Terrorismus und individuelle Schicksalsschläge sind nichts, was nicht jeden Einzelnen von uns betreffen kann.

Seit die Coronapandemie 2020 auch Deutschland fest im Griff hatte, habe ich mich aber zum ersten Mal damit beschäftigt, was da draußen in der Welt alles wirklich passiert – und vor allem, wie wir Menschen damit umgehen. Extremismus bei der Debatte um Masken- und Impfpflicht, Regelverstöße und auch Kämpfe um die letzte Packung Toilettenpapier im Supermarkt – zum ersten Mal war ich, damals gerade einmal 21 Jahre alt, mit einer für mich empfundenen Katastrophe konfrontiert.

Als sich im Jahr 2021 dann die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ereignete, fühlte ich mich machtlos. Der Klimawandel zeigte, was uns allen passieren könnte. Diese schreckliche Tragödie lähmte mich, da sich alle Geschehnisse für mich einfach zu groß anfühlten, als dass ich etwas dagegen ausrichten könnte. Kennt ihr den Gedanken? Sich ausgeliefert und schwach fühlen? Dass der eigene Beitrag nichts wert sein kann? Da ich das Gefühl hatte, oft gegen Windmühlen zu kämpfen, tat ich in dem Moment etwas, was sich für mich richtig anfühlte. Ich schnappte mir einen Einkaufswagen und kaufte in der Drogerie, dem Tierbedarfsladen und im Supermarkt alles ein, was den Menschen dort vor Ort helfen könnte. In Umzugskisten gepackt brachte ich mit meiner Mutter alles an eine Sammelstation und hoffte inständig, dass ich so wenigstens einen winzigen Beitrag leisten konnte. Dennoch blieb ein Gefühl von Angst, Hilflosigkeit – und auch Scham. Hatte ich die letzten Jahre doch selbst oft kurze Strecken aus Faulheit mit dem Auto zurückgelegt, auf Lebensmittelverschwendung nur bedingt geachtet und die Vermeidung von Plastik war für mich auch kein beachtenswertes Thema gewesen. Ökologischer Fußabdruck? War für mich etwas, worüber ich mir, in meiner privilegierten Situation doch keine Gedanken, geschweige denn Sorgen, machen muss.

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Seit dem Ukrainekrieg fühle ich mich nicht nur machtlos, sondern auch schutzlos.

Nach der Flutkatastrophe begann ich jedoch, mehr über mein Handeln nachzudenken. Und mit einem Mal wurde mir eine Sache bewusst, welche ich vorher nie in einem Zusammenhang betrachtet habe: Wenn ich beispielsweise das Auto einmal stehen lasse und zum Supermarkt spaziere, spare ich Geld, tue der Umwelt etwas Gutes und fördere gleichzeitig meine Gesundheit. Wenn ich auf Plastik verzichte, produziere ich weniger Müll, welchen ich im gelben Sack in den Keller tragen muss, sorge ebenfalls damit für die Umwelt und besonders für die Weltmeere, und kann gleichzeitig auf wiederverwendbare Materialien setzen. So setzte bei mir ein Umdenken ein. Ich erkannte, dass es nicht ausreichend ist, seit einigen Jahren auf Fleisch zu verzichten; dass ich mich deshalb nicht zurücklehnen darf. Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass meine Angst auch etwas stiller wurde, denn ich kam ins Handeln und fühlte mich nicht mehr machtlos ausgeliefert.

Die nächsten Monate begann ich also, auf meinen Konsum zu achten und ging öfter zu Fuß zum Einkaufen. Ich schuf mir Jutebeutel und Obstnetze an und überlegte gezielter, welche Lebensmittel wir wirklich benötigen. Anstatt Kleidung im Schrank liegen zu lassen, sortierte ich regelmäßig aus und verkaufte die Stücke Second-Hand oder spendete diese. Diese kleinen Dinge machten mir Mut, doch nicht handlungsunfähig zu sein.

Einer ungewissen Zukunft ausgeliefert

Doch dann kam der Ukrainekrieg und seitdem fühle ich mich nicht nur macht-, sondern auch schutzlos. Auch wenn ich weiß, dass es die Bundeswehr, die NATO und andere Verteidigungsmechanismen gibt, so spüre ich doch jeden Tag indirekt die Auswirkungen des Krieges auf Deutschland. Die Tankpreise schießen in die Höhe, im Supermarkt ziehen die Produktkosten stark an, und ich fürchte mich zum ersten Mal wirklich vor der Zukunft. Trotz einer Vollzeitanstellung traue ich mich an manchen Tagen gar nicht, auf mein Bankkonto zu schauen. Haben mein Mann und ich anfangs immer Bio-Lebensmittel gekauft, greifen wir nun auch mal zu der günstigeren Non-Bio Variante. Schlechtes Gewissen hin oder her, aber unser Konto gibt es nicht mehr her, unser Leben so weiterzuführen wie bisher. Früher haben wir gerne Ausflüge in Städte gemacht, während wir heute mehrmals überlegen, ob das aufgrund der Kosten und der Umwelt überhaupt noch vertretbar ist.

All das prasselte die letzten Monate auf mich ein. Und doch ist es irgendwie nur die Spitze des Eisbergs. Denn Themen wie die eigene, private Altersvorsorge haben mich schon beschäftigt, seit ich volljährig wurde. Aus diesem Grund, auch von der Zukunftsangst getrieben, spare ich monatlich eine nicht unerhebliche Summe meines Monatsgehalts – und muss dafür heute auf einiges verzichten.

Seit mein Partner und ich geheiratet haben, drehen sich unsere Gespräche viel um das Thema Hauskauf und Kinderwunsch – und hinter beides haben wir gedanklich schon einen Haken gesetzt. So, wie sich die Welt in den letzten Jahren entwickelt hat, gehen wir beide davon aus, dass sich die Lage eher zuspitzen wird. Aus diesem Grund haben wir für uns entschieden, dass wir in diese Welt kein Kind setzen möchten. Eine Entscheidung, die schmerzt und mich wütend macht. Während wir täglich Befürchtungen haben, inzwischen ein E-Auto besitzen und mein Mann und ich auf viele tierische Produkte verzichten, ernten wir von unseren Eltern nur eines: Entsetzen und Unverständnis, warum wir ihnen die Enkelkinder verwehren möchten. Wie frustrierend das alles für uns ist, wie traurig ich darüber teilweise bin, ist außerhalb des Akzeptanzbereichs. Für uns ein nicht enden wollender Kreislauf aus Angst, Verzweiflung und langen, ermüdenden Diskussionen.

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Wir hoffen auf eine Zukunft, welche mehr für uns bereithält, als ständig in Sorge leben zu müssen und nur für unsere Lebenshaltungskosten arbeiten gehen zu müssen.

Träumten wir anfangs von einem Eigenheim, sind wir nun dankbar dafür, wenn wir eine einigermaßen bezahlbare Mietwohnung finden. Mein Mann und ich sind beide in sicheren, gutbezahlten Jobs und dennoch fürchten wir uns vor dem riesigen Schuldenberg und den hohen Zinsen, wenn wir nur daran denken, uns Immobilien zum Kauf anzuschauen. In unserem Freundeskreis hören wir Ähnliches. Während unsere Eltern in hübschen Eigenheimen wohnen, welche sie damals für einen Schnäppchenpreis ergattern konnten, kämpfen wir mit vielen anderen Bewerbern um eine Wohnung zur Miete – und hoffen auf eine Zukunft, welche mehr für uns bereithält, als ständig in Sorge leben zu müssen und nur für unsere Lebenshaltungskosten arbeiten gehen zu müssen.

Dieses Jahr hat uns wachgerüttelt – auf so viele Arten. Wir blicken nicht gerade zuversichtlich in die Zukunft und werden trotzdem nicht müde, unseren Beitrag für eine Verbesserung zu leisten. Denn wir geben unsere Welt, welche uns ein Zuhause bietet, nicht auf. Das hat die Welt und auch kein Mensch, kein Tier, keine Pflanze, kein Gewässer und keine Landschaft verdient. Und dennoch ist es auch okay, müde zu sein, keine Energie für den Umweltschutz zu haben oder auch einfach mal die Augen verschließen zu wollen. Nicht jeder von uns muss jeden Tag kämpfen, nicht jeder muss jeden Tag alles perfekt machen. Jeder von uns darf für sich die Entscheidung treffen, günstig produzierte Kleidung zu kaufen, Fleisch zu essen, mit dem Flugzeug zu reisen oder die Nachrichten im Fernsehen oder Radio zu ignorieren. Denn jeder von uns sollte nicht nur für die Welt kämpfen, sondern auch für sich selbst – was einem selbst guttut, was Freude bereitet und die eigenen Batterien wieder auflädt. Nur so können wir auf Dauer, trotz all der schwierigen Gegebenheiten, ein Leben führen, welches uns erfüllt und uns dadurch die Kraft schenkt, etwas verändern zu wollen.