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Hilft Sport tatsächlich gegen Angst?

Das neue Schwerpunktthema Angst und Sport

Die Ängste im Fitness-Studio wegtrainieren? Die Depression durch Jogging loswerden? Was sich auf den ersten Blick unglaubhaft anhört, hat doch einen wahren Kern: Sport, allgemeiner gesagt Bewegung, kann gegen Angst und Depression helfen. Denn nicht nur für die körperliche Gesundheit ist Bewegung gut, sie hat auch positive Auswirkungen auf die Psyche. Sie verbessert das seelische Wohlbefinden und kann sogar eine deutliche Verminderung von Angstsymptomen bewirken. Das ist inzwischen durch Studien eindeutig wissenschaftlich erwiesen. Und so wird Sport sogar explizit als Verfahren bei der Therapie von Angststörungen in den Behandlungs-Leitlinien erwähnt – wenn auch nur zusätzlich zu Psychotherapie oder medikamentöser Behandlung.
In diesem Schwerpunkt erfährst du alles Interessante zum Zusammenhang von Angst und Sport: Wie wirkt Sport gegen Angst? Was ist Sporttherapie? Welcher Sport ist am effektivsten? Was kann ich für mich selbst tun und wie finde ich die richtige Sportart?

01.10.2023 – Deutsche Angst-Hilfe e.V.

Sport und Bewegung

Sport soll in diesem Schwerpunkt in einem weiten Sinne verstanden werden. Also nicht nur als Training zur Verbesserung der Fitness und der körperlichen Leistungsfähigkeit, sondern jede Art von Bewegung, von körperlicher Aktivität ist gemeint. Denn jede Art von Bewegung im Alltag hat positive Wirkungen, nicht nur für unsere körperliche Gesundheit, sondern auch für die Psyche. Schon dreimal wöchentlich 20-30 Minuten im Grünen spazieren gehen senkt nachweislich die Menge des Stresshormons Cortisol um über 20%. Daher ist in diesem Schwerpunkt unter Sport und Bewegung jede Aktivität gemeint, die einen positiven, angst- und stressreduzierenden Effekt auf die Psyche hat.

Wie wirkt Sport gegen Angst?

Die Frage, welche Mechanismen genau hinter der Wirkung von Sport auf Angst und andere psychische Erkrankungen stehen, ist im Detail noch nicht geklärt. Studien zeigen zwar einen eindeutigen Zusammenhang zwischen körperlicher Betätigung und Angstreduktion, doch die kausalen Wirkzusammenhänge sind noch nicht restlos entschlüsselt und bedürfen weiterer Untersuchungen.

Die Forschung auf diesem Gebiet unterscheidet zwischen physiologischen und psychologischen Erklärungsansätzen.

  • Physiologische Erklärungen: Diese suchen nach direkten, durch Sport ausgelöste biochemische Veränderungen im Körper, die vermutlich eine positive Auswirkung auf die Psyche haben. Als Beispiel sei genannt, dass körperliche Tätigkeit zur vermehrten Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin führt. Da sich Angsterkrankungen und Depressionen oft durch einen Mangel dieser Substanzen auszeichnen, könnte ihre vermehrte Freisetzung zu einer Verbesserung des Wohlbefindens führen.
  • Psychologische Erklärungen: Der positive Effekt von Sport wird hier über psychologische Änderungen bei der betreffenden Person erklärt. So ist offensichtlich, dass sportliche Betätigung zu einer Verbesserung der körpereigenen Wahrnehmung beiträgt, die bei Angsterkrankten oft reduziert und verzerrt ist. Außerdem bringt Sport positive Emotionen hervor. Erlebnisse von Selbstüberwindung (statt Vermeidung) und Selbstwirksamkeit (statt Ohnmacht und Hilflosigkeit) verändern das Selbstbild und stärken das Selbstvertrauen.

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Für die Psyche ist es wichtig, körperlich aktiv zu sein.

Sporttherapie – keine neue Erfindung

Im Unterschied zum Alltagssport, der vor allem zur Verbesserung des eigenen psychischen Wohlbefindens und zur Vorbeugung gegen psychische Tiefs betrieben wird, geht es in der Sporttherapie um Sport als Mittel der gezielten Verbesserung von psychischen Störungen, in erster Linie von Angst und Depression. Dieser Ansatz ist einerseits uralt, andererseits relativ neu. Schon immer war den Menschen der Zusammenhang, die untrennbare Einheit von Körper und Psyche präsent – wahrscheinlich sogar in früheren Zeiten präsenter als bei uns heute mit unserer immer noch bestehenden dualistischen Körper-Psyche-Scheidung. So glaubten die Ärzte der Antike, über Veränderungen im Körperlichen das psychische Befinden beeinflussen zu können. Selbst der gezielte Einsatz körperlicher Aktivität zur Therapie psychischer Krankheiten ist seit der Antike belegt. Schon damals wurde versucht, die Melancholie (Depression) u.a. mit Bewegung zu verbessern.

Eine Renaissance erfuhr die Bewegungs- und Sporttherapie im 19. Jahrhundert. In psychiatrischen Kliniken wird sie bei uns schon lange Zeit benutzt, primär jedoch als zusätzliche Maßnahme im Sinne einer allgemeinen Gesundheitsstärkung. Denn psychisch Erkrankte weisen häufig neben ihrer Krankheit einen ungesunden Lebensstil mit Bewegungsmangel auf (wegen sozialem Rückzug oder aus einer falsch verstandenen Schonung heraus). Der Einsatz von Sport als zentrales therapeutisches Mittel ist dagegen ein eher neues Phänomen, das erst in den letzten zwei Jahrzehnten intensiver wissenschaftlich erforscht und auch praktisch angewendet wird.

Was fällt unter Bewegungs- und Sporttherapie?

Die Begriffe Bewegungs- und Sporttherapie werden oft synonym verwendet. Bisweilen jedoch wird Bewegungstherapie als Oberbegriff verstanden, unter den alle Formen von Bewegung fallen, die zum Ziel haben, durch die Beeinflussung körperlicher Zustände eine positive Wirkung auf die Psyche zu erreichen. In diesem weiten Sinne lassen sich dann unter Bewegungstherapie einerseits sporttherapeutische Verfahren subsumieren, andererseits auch körpertherapeutische Ansätze, die ja ebenfalls psychische Veränderungen mit Hilfe körperlichen Maßnahmen bewirken wollen.

Körpertherapie geht davon aus, dass psychische Probleme sich direkt auf der körperlichen Ebene zeigen. Angst etwa führt zu Anspannung und einem Zusammenziehen des Körpers, mit der Zeit zu Dauerverspannungen und zu einer für jeden Menschen typischen körperlichen Erstarrung. In der Therapie geht es darum, durch körperliche Bearbeitung der Dauerverspannungen die Erstarrung und damit die Angst aufzulösen. Dazu müssen diese bewusst gemacht werden. Es geht somit vor allem um Körperbeobachtung, Körperwahrnehmung und Achtsamkeit auf körperliche Prozesse. Sport im Sinne von Ausdauer- oder Krafttraining spielt hier keine Rolle. Aus diesem Grunde sollen Körpertherapien in diesem Schwerpunkt nicht behandelt werden, in dem es mehr um sportliche Aktivität geht. In der Mitte zwischen Sporttherapie und Körpertherapie lässt sich Yoga mit seinen Körperübungen verorten, auf das wir daher einen Blick werfen wollen.

Sport im Alltag

Wenn also die Vorteile von Sport und allgemein von Bewegung auf unsere Psyche so klar belegt sind, stellt sich die Frage, wie es uns leichter gelingen kann, Bewegung in unseren Alltag zu bringen. Wenn wir ehrlich zu uns sind, gibt es viele Möglichkeiten, aktiver zu sein: Das Fahrrad statt das Auto nehmen, die Treppe statt den Aufzug benutzen. Dabei gilt die Formel: „Jeder Schritt zählt!“ Es geht nicht um ein „alles-oder-nichts“. Das Nachdenken über mehr Bewegung lässt uns vielleicht neue kreative Möglichkeiten entdecken, aktiver zu werden. Wenn z.B. der Arbeitsweg mit dem Fahrrad zu lang ist, könnte man zumindest eine Teilstrecke auf diese Weise zurücklegen. Wichtig sind die Offenheit, sich auf Verhaltensänderungen einzulassen, und eine spielerische Herangehensweise an das Thema Sport im Alltag zu bewahren.

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und beim Erproben eines aktiven Lebensstils!

Literatur:
Patientenleitlinie zur Behandlung von Angststörungen:
https://register.awmf.org/assets/guidelines/051-028p_S3_Behandlung-von-Angststoerungen_2022-07.pdf