Das Online-Magazin der Deutschen Angst-Hilfe e.V. für Betroffene von Angststörungen
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01.01.2023 – Deutsche Angst-Hilfe e.V.
Die Angst in der Höhe hat wohl jeder schon mal erlebt, etwa auf der Aussichtsplattform eines hohen Turms oder bei der Fahrt mit einem gläsernen Aufzug außen an einem Hochhaus hinauf. Der Blick in die Tiefe verursacht den meisten Menschen ein unbehagliches Gefühl. Solange noch ein Geländer oder eine Glasscheibe vorhanden ist, mag sich dieses auf ein Nervenkitzeln beschränken, ein leichter Schauer, der einem dem Rücken entlangläuft. Doch jetzt denke dir das Geländer oder die Glasscheibe weg, auch ein Griff zum Festhalten ist nicht mehr vorhanden, nur noch eine kleine Fläche, auf der du stehst und ein tiefer Abgrund davor. Und plötzlich geht die Atmung schneller, das Herz schlägt wie verrückt, Schwindel kommt auf und die Hände werden nass vor Schweiß – Höhenangst.
Offensichtlich ist es für Menschen äußerst unangenehm, keinen festen Halt mehr zu haben. Man muss die Situation dabei gar nicht selbst erleben, schon der Anblick einer Person am Abgrund oder eines Kletterers in der Steilwand genügt, um den Angstschweiß hervorzutreiben. „Den Halt verlieren“, „etwas nicht im Griff haben“ – diese Redewendungen scheinen von der Höhenangst inspiriert worden zu sein und jeder Mensch versteht sie intuitiv.
Höhenangst betrifft anscheinend so gut wie jeden Menschen und je ausgesetzter der eigene Standort, desto stärker die Angst. Aber ist das verwunderlich? Menschen sind Lebewesen des flachen Erdbodens. Spätestens seit wir uns von den Primaten, die auf Bäumen leben, getrennt hatten und zu Bewohnern des Bodens wurden, war das unbekümmerte Herumklettern in hohen Bäumen ein riskantes Unternehmen. Hinzu kommt noch, dass unsere Fortbewegung auf zwei Beinen grundsätzlich eine viel wackeligere Angelegenheit ist als die von Vierbeinern. Das sieht man schon daran, wie lange Kinder brauchen, um laufen zu lernen. Schon auf der flachen Erde können wir schnell hinfallen, umso mehr sollten wir ein Fallen in der Höhe vermeiden. Es ist daher ganz einleuchtend, dass uns die Natur zusammen mit dem aufrechten Gang eine Angst vor solchen Orten eingepflanzt hat, bei denen ein Hinfallen keine guten Folgen hätte – abschüssige Hänge, hohe Berge, steile Abbrüche. Und durch unsere Technik sind noch weitere solche „gefährlichen“ Orte hinzugekommen.: Türme, Hochhäuser, hohe Balkone oder hohe Brücken.
Von dieser normalen, weit verbreiteten Höhenangst zu unterscheiden, ist die krankhafte Höhenangst. Bei dieser ist das Angstgefühl völlig aus dem Ruder gelaufen, die Betroffenen erleben intensive Angst (mit Herzrasen, Zittern, Schwindel, Atemnot usw.), gepaart mit Gedanken, die Kontrolle zu verlieren, sich aufzulösen (Derealisation). Typisch für eine echte Höhenangst sind Vorstellungen, ins Bodenlose zu stürzen, irrationale Befürchtungen, etwa das Geländer eines Balkons könnte abbrechen, ein Windstoß den Turm zum Umfallen bringen oder sie selbst könnten vor lauter Panik in die Tiefe springen. Menschen mit krankhafter Höhenangst können oft nicht mehr in die oberen Stockwerke eines Hochhauses gehen oder nicht mehr über hohe Brücken fahren und unternehmen alles, dies zu vermeiden. Aus der Angst in der Höhe ist so eine Angst vor der Höhe geworden.
Wissenschaftlich betrachtet gehört die Höhenangst zu den spezifischen Phobien, weil sie sich auf eine ganz spezifische Situation beschränkt. Sie gehört – zusammen mit der ihr nahe verwandten Flugangst – zu den häufigsten Angststörungen überhaupt. Umso erstaunlicher ist es, dass über Höhenangst kaum fachlich fundierte aktuelle Literatur zu finden ist. Diese Lücke wollen wir mit dem neuen Schwerpunktthema füllen und haben dazu hochkarätige Autoren gewonnen.
In verschiedenen Artikeln erfahrt ihr alles Wissenswerte rund um das Thema Höhenangst: Wie eine krankhafte Höhenangst entsteht, wen sie besonders betrifft und was ihre typischen Kennzeichen sind, legt übersichtlich Prof. Jens Plag dar. Über den Nutzen der Höhenangst am Berg erzählt uns in einem Interview einer der weltbesten Felskletterer der Welt, Alexander Huber. Und wie die Angst am Berg überwunden werden kann, erläutert ausführlich Christian Zottl, DASH-Geschäftsführer und zugleich Höhenangst-Coach des DAV-Summit Clubs. Außerdem stellen wir einen neuen Ansatz bei der Behandlung von Höhenangst vor: die Virtuelle Therapie, bei der die Patienten mit Hilfe einer VR-Brille Höhensituationen erleben und sich der Angst stellen. Erfahrungsberichte von Betroffenen runden das Thema ab.
Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!