Das Ziel sollte sein, positive Suggestionen und Bilder zu finden, die in der Prüfungssituation hilfreich wirken können. Sie bekam den Auftrag, sich vorzustellen, dass sie am Ende der Prüfung aus dem Raum geht und alles wunderbar gelaufen ist.
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Mikhail Nilov/pexels.de
Hypnotherapie ist eine traditionelle Behandlungsmethode der Psychotherapie, die seit einigen Jahrzehnten eine Renaissance erlebt und kontinuierlich erforscht und weiterentwickelt wird. Mit dieser sehr effektiven Methode können verschiedene Therapieverfahren – wie Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologie – bereichert werden. In diesem Text wird erklärt, was Hypnose eigentlich ist und wie Hypnose zur Therapie eingesetzt werden kann. Zwei Fallbeispiele mit Angststörungen illustrieren die Wirksamkeit der Hypnotherapie innerhalb kurzer Zeit.
01.04.2023 – Autor: Björn Riegel
Hypnose gilt als eines der ältesten Heilverfahren der Menschheit, wurde allerdings erst ab dem 18. Jahrhundert systematisch untersucht und angewendet. Der Begriff „Hypnose“ stammt von James Braid, einem schottischen Arzt, Mitte des 19. Jahrhunderts. Er benannte den Bewusstseinszustand, in dem er beispielsweise chirurgische Eingriffe durchführte, nach dem griechischen Gott des Schlafes Hypnos. Allerdings erkannte er schnell, dass es sich nicht um einen Schlafzustand, sondern eher um einen Zustand hoher Fokussierung handelt.
Man kann Hypnose als einen dissoziierten Bewusstseinszustand definieren, der durch die Induktionstechnik des Therapeuten oder des Probanden selbst herbeigeführt wird und eine Kommunikation mit dem Körper und den seelischen Strukturen gestattet. Als Hypnose – oder auch Trance – wird das gewünschte Ergebnis bezeichnet, ebenso aber auch die Prozeduren und Techniken, die zu diesem Zustand führen. Der Hypnoseprozess zeichnet sich dabei durch unwillkürliches Erleben aus. Je mehr der Klient sich auf seine eigenen Gefühle, Empfindungen und inneren Bilder konzentrieren kann, desto intensiver wird dieser Zustand der Selbst-Versunkenheit erlebt. Es handelt sich eigentlich um einen alltäglichen Zustand, vergleichbar mit dem Flow-Erleben oder einem intensiven Tagtraum.
Man geht davon aus, dass die Fähigkeit, hypnotisiert zu werden, in der Bevölkerung ein normalverteiltes Merkmal ist. Dementsprechend finden sich etwa 10% hochsuggestible Menschen und 10%, für die Hypnose nicht die geeignete Methode scheint. Die restlichen 80% verteilen sich dazwischen.
Hypnosetherapie nennt sich vieles, auch Angebote von nicht oder schlecht ausgebildeten Therapeuten oder gar Scharlatanen. Hypnotherapie ist dagegen der Begriff für den wissenschaftlich fundierten Einsatz der Hypnose.
Um einen seriösen Therapeuten zu erkennen, ist neben einer umfassenden Ausbildung in moderner Hypnotherapie – am besten in einer der großen Fachgesellschaften – zudem auf die Basisqualifikation zu achten. Hypnotherapie ist eine effektive Methode, aber keine eigene Therapieschule. Je spezieller der Hintergrund des Anbieters (z.B. Approbation als Arzt oder Psychotherapeut), desto wahrscheinlicher ist auch eine wissenschaftlich fundierte Anwendung (näheres im Text Hypnotherapie als psychotherapeutisches Verfahren).
Der moderne hypnotherapeutische Ansatz geht zu großen Anteilen auf den amerikanischen Psychiater Milton H. Erickson (1901 – 1980) zurück. Erickson arbeitete an einer differenzierten und stark auf die subjektive Realität des Klienten zugeschnittenen Form der Hypnose. Seine ganzheitliche Sichtweise berücksichtigt sowohl die aktuelle Lebensphase des Klienten wie auch dessen soziale Besonderheiten. Neben dieser individuellen Ausrichtung lässt sich sein Ansatz als ziel- und ressourcenorientiert beschreiben. Eine Grundannahme besteht in der Überzeugung, dass der Klient bzw. dessen Unbewusstes bereits genug Informationen, Fähigkeiten und Ressourcen zur Lösung des Problems besitzt.
Eine übergeordnete Bedeutung hat bei Erickson der Utilisationsansatz, bei dem die Einstellungen und Verhaltensweisen des Klienten nutzbar gemacht werden. Sowohl die Auswahl der Suggestionen als auch der Interventionen soll die eigenen geistigen Mechanismen und Verhaltensprozesse des Klienten stimulieren. Die Behandlung ist demnach auf den Patienten zugeschnitten und es wird all das genutzt, was dieser bereits in sich trägt. Dieser Anspruch setzt eine genaue Beobachtung des Gegenübers voraus. Der Utilisationsansatz gilt als einer der wichtigsten Beiträge Ericksons zur klinischen Hypnose.
Inhaltlich verwandt damit ist die Potenzialhypothese, also die Annahme Ericksons, dass alle Grundkompetenzmuster für eine gesunde Lösung von psychischen, psychosomatischen oder interaktionellen Problemen im Erfahrungsspektrum der Beteiligten gespeichert sind. Diese können dann in der hypnotischen Trance aktiviert und zielgeleitet eingesetzt werden.
Manche Menschen verbinden jedoch mit dem Begriff Hypnose eher beängstigende Vorstellungen der Willenlosigkeit und vollkommenen Kontrolle durch den Therapeuten. Diese Aspekte entstammen der einseitigen Darstellung verschiedener Medien und dem Ruf der Bühnenhypnose.
Das Ziel des Bühnenhypnotiseurs ist Entertainment, mit dem er seinen Lebensunterhalt verdient. In der Selbstdarstellung und Werbung behaupten sie, über Fähigkeiten zu verfügen, die eine Willenskontrolle ermöglichen. Viele dieser Angebote erscheinen nicht nur unseriös, sondern bergen auch Gefahren für die Teilnehmer. Der Wirkmechanismus der Bühnenhypnose ist ein unterhaltsam verpackter Test für hypnotische Empfänglichkeit, in dessen Verlauf die scheinbare Macht des Hypnotiseurs demonstriert wird und all jene Versuchspersonen ausgesucht werden, die zu den Hochsuggestiblen gehören. Mit diesen Teilnehmern werden dann Experimente und Vorführungen durchgeführt. Die so demonstrierten Phänomene (z.B. starre Körperteile, extreme Vorstellungen bis hin zu Halluzinationen) können jedoch auch ohne Anwendung von Hypnose bei Versuchspersonen hervorgerufen werden.
Diese Show- oder Bühnenhypnose hat sowohl von der Zielsetzung als auch von der Durchführung nicht viel mit der klinischen Hypnose gemeinsam. Denn „Macht“ ist kein Wesenszug der klinischen Hypnose. Ganz im Gegenteil soll der Klient das Gefühl haben, in der Behandlung selbst etwas erkannt oder geschafft zu haben.
Auf gemeinsamen Antrag der Milton-Erickson-Gesellschaft (MEG) und der Deutschen Gesellschaft für Hypnose (DHG) hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP), das maßgebliches Gremium für die Anerkennung psychotherapeutischer Methoden, 2006 über die Anerkennung der Hypnotherapie als wissenschaftlich fundiertes Verfahren entschieden. Dabei konnten überzeugende Beweise für die Wirksamkeit im Bereich der Sucht- und Schmerzbehandlung erbracht werden, während andere Störungsbilder noch weiter erforscht werden müssen. Insbesondere im Bereich der Angststörungen existieren neuere Effektivitätsbelege, die noch nicht in das Gutachten des WBP einbezogen worden sind.
Seitdem sind mehr als 20 randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs) über die Wirksamkeit der Hypnotherapie bei Angsterkrankungen als alleinige Behandlung oder als Element einer übergeordneten Therapie veröffentlicht worden. RCTs sind in der medizinischen Forschung Studien mit höchster Qualität, da man mittels einer aufwändigen Studienkonzeption bereits im Vorfeld versucht, möglichst viele Fehlerquellen auszuschließen. Übersichtsarbeiten (Meta-Analysen, Reviews) fassen die bestehende Studienlage zusammen und kommen zu einer uneinheitlichen Aussage über die Wirksamkeit. Dies spricht für weitere Forschungsbemühungen, da die klinischen Erfahrungen durchaus vielversprechend sind. Ein generelles Problem bei der Untersuchung der Hypnotherapie ist allerdings das individuell angepasste Vorgehen, das kaum in ein standardisiertes Studiendesign gepresst werden kann. Gleichzeitig bietet nur ein hoher Grad der Standardisierung eine wissenschaftlich verlässliche Aussage und Vergleichbarkeit. Insofern scheint derzeit noch eine Diskrepanz zwischen den klinischen Erfahrungen und der wissenschaftlichen Fundierung zu geben.
Eine Studentin, 31 Jahre alt, besuchte einen Kurs, in dem Techniken der Hypnose und Selbsthypnose vermittelt wurden. Sie berichtete, der Anlass dafür sei ihre Angst vor Prüfungssituationen. Diese Angst sei bereits im Vorfeld lähmend und sorgt auch dafür, dass sie nicht den Stoff und die Leistung abrufen kann, über die sie verfügt. Nun ständen in wenigen Wochen die ersten Diplomprüfungen an. Allein der Gedanke daran bereite ihr Bauchschmerzen. In diesem Fall erschien eine intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit und den auslösenden Faktoren nicht vordergründig wichtig. Stattdessen sollte die Klientin eine Ressource erhalten, mit der sie sich selbst helfen kann.
Bisher brachte sie es nur zustande, sich unbewusst mit wenig hilfreichen Selbstsuggestionen in einen unangenehmen und vor allem kontraproduktiven Zustand zu versetzen. Sie fokussierte ihre Gedanken von Anfang an auf die Angst, so dass es keine Überraschung war, wenn diese dann auch übermächtig wurde. Das Ziel sollte also sein, positive Suggestionen und Bilder zu finden, die in der Prüfungssituation hilfreich wirken können. Sie bekam den Auftrag, sich vorzustellen, dass sie am Ende der Prüfung aus dem Raum geht und alles wunderbar gelaufen ist, so dass sie zufrieden ist und mit der Note eins bestanden hat. Wenn sie dieses Bild vor ihrem inneren Auge hat, sollte sie in der Zeit rückwärts gehen und sich vorstellen, was alles passieren muss, damit dieses Resultat eintritt.
George Milton/pexels.de
Das Ziel sollte sein, positive Suggestionen und Bilder zu finden, die in der Prüfungssituation hilfreich wirken können. Sie bekam den Auftrag, sich vorzustellen, dass sie am Ende der Prüfung aus dem Raum geht und alles wunderbar gelaufen ist.
In einer leichten Trance konnte sie dies in der Übungsgruppe beschreiben und wurde dabei immer aktiver und besser gelaunt. Sie wurde sehr aktiv in ihrer Vorstellung und kam schließlich aus der Trance zurück und sagte voller Energie, wie gut ihr diese Vorstellung gefallen habe. Sie sei selbst überrascht, dass sie nun fast schon darauf brenne, dies auch in die Realität umzusetzen.
Analysiert man diese kurze, aber wirksame Intervention, dann erkennt man, dass die junge Frau genau das getan hat, was sie vorher so belastete: Sie hat sich das Resultat vorgestellt und hat dann unbewusst exploriert, was geschehen muss, dass es eintritt. Im Unterschied zu vergangenen Prüfungen hat sie aber jetzt eine Möglichkeit, dies zu steuern. Voraussetzung für die Konstanz dieser neuen Idee ist das regelmäßige Anwenden von Selbsthypnose als Verfahren der Beeinflussung der eigenen Gedanken und Emotionen. Einige Monate später berichtete sie von den gut gemeisterten Prüfungen und nun sogar von Gedanken an eine Promotion.
Eine Patientin mittleren Alters stand nach langer Zeit vor der Wiedereingliederung beim Arbeitgeber. Dies löste bei ihr eine große Verunsicherung und Versagensängste aus. In der Trance wurde sie gebeten, sich einen Ort vorzustellen, der genau zu ihrer aktuellen Befindlichkeit passt. Sie beschrieb einen Wald im Herbst mit aufgeweichtem Boden, auf dem man keinen festen Stand hat. Sie rutschte in der Vorstellung immer wieder aus oder blieb im Morast stecken. Alles war unangenehm, kalt und unübersichtlich. Daraufhin wurde sie gebeten, sich einen Ort vorzustellen, der das Gegenteil verkörpert. Daraufhin entstand die Vorstellung eines gepflegten Golfrasens mit weiter Sicht an einem sonnigen Tag. Da sie sich in der Trance nur schwer vorstellen konnte, wie sie aus dem Wald auf den Golfrasen kommt, hat der Therapeut ihr vorgeschlagen, nach der Stunde zu einem nahegelegenen Waldstück zu fahren, an den ein Golfplatz grenzt.
In der folgenden Stunde kam die Patientin wieder zur Therapie und war erfreut, wie gut ihre Wiedereingliederung bisher funktioniert hat. Zudem schilderte sie, wie sie nach der Stunde zu einem Waldstück gefahren ist. Sie war sich nicht sicher, ob es das richtige war, aber sie machte eine erstaunliche Erfahrung: Der Boden war genau so, wie sie es sich in der Trance vorgestellt hat. Allerdings konnte sie in der Realität Möglichkeiten finden, das Gleichgewicht zu halten oder auch Steine entdecken, auf denen sie Halt finden konnte, um ihren Weg zu gehen. Dabei konnte sie sich sogar an Details im Wald erfreuen und frei durchatmen. Somit musste sie gar nicht den Golfrasen aus der Trance finden, sondern konnte neue Erfahrungen im Wald sammeln, die innerlich zu mehr Sicherheit und Zuversicht geführt haben.
Die beiden Fallbeispiele verdeutlichen zwei relativ umgrenzte Ängste, wobei Hypnotherapie auch bei komplexeren Fragestellungen, z.B. bei Posttraumatischer Belastungsstörung, eine hohe Effektivität aufweist. Eindrucksvoll ist, in welch kurzer Zeit eine bedeutende Veränderung stattgefunden hat. Man erkennt hier auch die Nähe zu anderen Therapieverfahren. Im Fall der Prüfungsangst finden sich beispielsweise Aspekte der kognitiven Verhaltenstherapie wieder. Die Studentin hat gelernt, wie einfach sie andere Gedanken und innere Bilder für sich entwerfen kann. Als Folge daraus hat sie erlebt, wie sie selbst ihre Emotionen regulieren kann. Sie veränderte eine stark angstbesetzte und hemmende Situation in ihrer Vorstellung so, dass sie sich sogar darauf freute.
Außerdem hat sie einen Einblick in ihre eigenen Mechanismen der Selbsthypnose bekommen, die sie unbewusst bisher betrieben hatte. Diese Mechanismen werden in variierendem Umfang von allen Menschen angewendet. Die Hypnotherapie zeigt, wie einfach man dies auch zum eigenen Vorteil nutzen kann, wenn man den richtigen Zugang zu den inneren Bildern und Leitsätzen bekommt.
Mehr zum Thema Hypnotherapie in Teil 2.
Foto: privat
Dr. phil. Björn Riegel, Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Schleswig-Holstein.
Dozent und Supervisor in verschiedenen Aussbildungsinstituten für Psychotherapie sowie Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein.