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Ich fühlte mich ohnmächtig wie ein Spielball

Guido erzählt, wie seine Zukunftsängste ihn immer mehr herabzogen

In unserer Rubrik “Erfahrungsberichte” erzählen Betroffene aus ihrem Leben mit Angst und Panik. Es sind persönliche Geschichten – von Menschen und ihrem Weg durch die Angst

11.05.2023 – Autor: Guido

Am Anfang standen zwei Schicksalsschläge

Es ist jetzt einige Jahre her, als ich kurz hintereinander von zwei harten Schlägen getroffen wurde. Zunächst ist mein damaliger Partner und Lebensgefährte verstoben, was mich in ein tiefes Loch gestürzt hat. Und während ich noch mit meiner Trauer zu tun hatte, habe ich nach jahrelanger Berufstätigkeit meinen Arbeitsplatz verloren. Diese beiden Ereignisse kurz hintereinander waren ein einschneidendes Erlebnis. Besonders als ich mich daran machte, einen neuen Job zu suchen, war das ziemlich frustrierend. Etwa drei Jahre lang habe ich Bewerbung auf Bewerbung geschrieben und nur Absagen bekommen. Ich bin immer mehr abgerutscht, eine lange Zeit habe ich mich sehr einsam gefühlt und jede Perspektive verloren. Ich habe regelrechte Zukunftsängste entwickelt.

Diese Ängste betreffen zum einen mich selbst: Was ist mit mir, wenn ich alt bin, wie wird meine Lebenssituation sein? Es sind Befürchtungen v.a. finanzieller Art. Aber zugleich gehen die Ängste über meine eigene Situation hinaus, sie betreffen die Zukunft im Allgemeinen. Ich denke da an politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Da passiert ja im Moment sehr viel, ich nenne nur die Stichworte Inflation oder Klimawandel. Diese Entwicklungen im Großen haben direkte Auswirkungen auf meine eigene Situation, wenn etwa das Geld immer weniger Wert hat. Das alles macht mir richtig Angst.

Natürlich kann man nicht voraussagen, was alles passieren könnte, aber genau das ist es ja, was die Angst verursacht, diese Unsicherheit. Die Leute sagen, das ist eine abstrakte Angst, aber ich empfinde sie dennoch als bedrohlich, man steht den Entwicklungen völlig hilflos gegenüber. Manchmal fühle ich mich wie ein Spielball, ohnmächtig höheren Kräften ausgeliefert, auf die man keinen Einfluss hat. Und wenn man dann noch wie ich wenig soziale Kontakte hat, dann findet man schwer einen Ausweg. Die Gedanken kreisen ununterbrochen im Kopf wie eine endlose Spirale und bekommen immer neuen Input durch neue Hiobsmeldungen. Eine Zeit lang versuchte ich, Nachrichten komplett zu vermeiden, aber so ganz geht das doch nicht.

Immer wieder Grübeln

Am schlimmsten war es dabei vormittags, in der Früh bin ich schon mit einem unguten Gefühl aufgewacht. Jeder vorherige Tag war ja ein Misserfolg gewesen und so startete ich den neuen Tag mit neuen Befürchtungen. Erst die Aktivität hat mich aus der Spirale herausgeholt, das Suchen von Stellenangeboten, das Schreiben von Bewerbungen, denn da musste ich darauf alle meine Aufmerksamkeit richten statt aufs Grübeln. So wurde es dann besser im Laufe des Tages. Kam aber eine Absage, hat das wieder die Gedanken und Ängste in Gang gesetzt.

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Die Zukunft ist sowieso nicht vorhersehbar. Man kann Vermutungen anstellen, aber alles kann auch ganz anders laufen. Daher ist es sinnvoller, sich mehr auf das Heute zu konzentrieren und das Beste aus der Gegenwart zu machen statt über die Zukunft zu grübeln.

So ging das drei Jahre lang, bis ich doch eine neue Stelle fand. Aber dann kamen plötzlich die Zweifel, ob ich der neuen Situation, den neuen Anforderungen auch gewachsen sein würde. Diese Zweifel haben nochmals einen Angstschub ausgelöst. Wie wird die Zukunft, wenn ich versage? Und als es dann, nach einem Jahr, gerade anfing, besser zu werden, wurde ich wieder entlassen und die Ängste kamen massiv zurück. Es gab eine Situation, in der ich eine richtige Panikattacke hatte. Mein Arzt hat mir ein Medikament verschrieben, das ich seitdem nehme. Wahrscheinlich hat es mich vor weiteren Panikattacken bewahrt, aber die Ängste und die Unsicherheit blieben.

In dieser Situation habe ich beschlossen, eine Therapie zu machen, was mir sehr geholfen hat. Ich habe da gelernt, mit den Ängsten umzugehen. Eine Strategie ist es, sich immer klar zu machen, dass man die Zukunft sowieso nicht vorhersehen kann. Man kann Vermutungen anstellen, aber alles kann auch ganz anders laufen. Man sollte sich mehr auf das Heute konzentrieren und das Beste aus der Gegenwart machen statt über die Zukunft zu grübeln. Wichtig ist, sich alle Beispiele vor Augen zu führen, in denen es gut gelaufen ist, die Befürchtungen sich als unbegründet erwiesen. Eine zweite Strategie, aus der Gedankenspirale herauszukommen, ist die Beschäftigung mit anderen interessanten Tätigkeiten und Themen, die einen ablenken, etwa körperliche Aktivität oder mit anderen Leuten etwas unternehmen oder auch nur, sich in ein Buch zu vertiefen.

Es gelang mir schließlich, wieder eine Arbeit zu finden und mit Hilfe der Therapie die Ängste in den Griff zu bekommen. Heute ist meine Situation einigermaßen stabil, aber überwunden sind die Ängste keineswegs. Meine unmittelbare berufliche Zukunft macht mir nach wie vor Sorgen, weil ich das Gefühl habe, in meinem Beruf eher nicht zu den Topleuten zu gehören, sondern zu den weniger Guten. Ich merke z.B. im Gespräch mit anderen, dass die viel mehr Bescheid wissen. Ich denke auch, dass ich zu langsam arbeite, und vermutlich sind einige meiner früheren Beschäftigungen daran gescheitert. Jedenfalls ist mein Selbstbewusstsein in meinem Beruf nicht sehr groß. Und obwohl ich auch Anerkennung bekomme von meinen Vorgesetzten, reicht mir das noch nicht, um mich wirklich sicher zu fühlen.

Versagensängste schon in der Kindheit

Dieses fehlende Selbstbewusstsein schleppe ich schon seit meiner Kindheit mit mir herum. Ich war immer ein sehr schüchternes Kind, was vielleicht auch mit dem frühen Tod meiner Mutter zusammenhängt, so dass ich bei verschiedenen Leuten aufwuchs, bei der Tante, bei der neuen Freundin meines Vaters. Ich bin immer hin und her geschoben worden. Auch in der Schule habe ich zu den Stillen gehört, habe nicht viel gesagt. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass die anderen sich über mich lustig machen, über meine Gesprächsbeiträge lachen. So hat sich bei mir der Gedanke verfestigt, was ich sage, taugt nichts, ist dumm und unintelligent.

Kaze Clicks/pexels.de

 

Dieses Gefühl von Unkontrollierbarkeit, von Ausgeliefertsein und Ohnmacht ist die gemeinsame Basis meiner Ängste, die sich einmal als Angst zu versagen, einmal als Zukunftssorgen äußern.

Das hat dann dazu geführt, dass ich mir, unbewusst, Bekannte gesucht habe, die mir intellektuell nicht überlegen waren. Die Kommunikation mit diesen war mehr oberflächlicher Art und ich musste nicht befürchten, etwas Falsches zu sagen. Bis heute habe ich das Gefühl, ich kann nicht mithalten, die anderen sind mir geistig überlegen. Gut, ich war auf dem Gymnasium und habe ein Fachstudium gemacht, aber dazu gehört nicht viel. Jedenfalls hatte ich immer den Eindruck, vom Wissen her unterlegen, minderwertig zu sein. Und das gerade auf dem Gebiet, auf dem ich mich eigentlich auskennen sollte, weil ich es studiert habe, nämlich Technik. Das Gefühl, sozusagen auf ureigenstem Gebiet Defizite zu haben, mangelnde Kompetenz, das nagt stark am Selbstbewusstsein, das hemmt mich im Gespräch mit Kollegen. Lieber sage ich nichts, als mich als unfähig zu erweisen. 

Und ich glaube nicht, dieses Defizit jemals aufholen zu können. Wie gesagt, habe ich mir ja oft Freunde gesucht, mit denen nicht über intellektuell anspruchsvolle Themen gesprochen wurde. Dadurch habe ich über meine Bekanntschaften nicht so viel hinzugelernt wie es mit anderen Gesprächspartnern der Fall gewesen wäre. Ich konnte mich also wissensmäßig gar nicht so entwickeln wie andere. Während die anderen Mitschüler im ICE davongerast sind, saß ich mein Leben lang im Bummelzug.

Der Kern aller Ängste: Unkontrollierbarkeit

Ich frage mich manchmal, ob meine Ängste im sozialen Bereich, meine Hemmungen mitzureden, die Angst, vor den Anforderungen zu versagen, also die Ängste, die ich schon als Kind hatte, und die neu aufgetauchten Zukunftsängste miteinander zusammenhängen. In der frühen Kindheit bin ich ja ziemlich hin und her geschubst worden, hatte keine Kontrolle über das, was mit mir geschah. Ebenso war ich in der Schule den negativen Reaktionen meiner Mitschüler hilflos ausgeliefert. Und die Zukunft ist ja auch etwas, über das man keine Kontrolle ausüben kann. Wahrscheinlich ist dieses Gefühl von Unkontrollierbarkeit, von Ausgeliefertsein und Ohnmacht die gemeinsame Basis meiner Ängste, die sich einmal als Angst zu versagen, einmal als Zukunftssorgen äußern. Wie auch immer, ob ich die Angst jemals loswerde, weiß ich nicht. Aber ich denke, ich kann heute besser mit ihr umgehen als früher. Und ich hoffe, in neuen Krisensituationen,  „normaler“ reagieren zu können.