Auswirkungen im Alltag
Da Übelkeit und Bauchbeschwerden zu einer Reduktion, gar Restriktion der Nahrungsaufnahme führen, verlieren die Betroffenen mitunter an Gewicht. Sie meiden die Nahrung – anders als bei einer Magersucht – nicht aufgrund des Fettgehalts oder der Kalorienanzahl. Bei der Emetophobie steckt die Angst vor unverträglichen Lebensmitteln/Reizstoffen dahinter, die Betroffene als Übelkeitsauslöser fürchten. Im Kopf führen sie eine Liste mit „gefährlichen“ und „sicheren“ Lebensmitteln, auf die sie sich sicherheitshalber beschränken. Die Einstufungen sind dabei komplett individuell und orientieren sich daran, ob bisher gute Erfahrungen bezüglich der Verträglichkeit gemacht wurden.
Betroffene sortieren akribisch Haltbarkeitsdaten und essen niemals etwas Abgelaufenes. Vertrauen auf die eigenen Sinne ist unmöglich. Zubereitete Speisen eines anderen Menschen sind eine unbestreitbare Challenge. Unbekannte Lebensmittel sind angsteinflößende Feinde, die möglicherweise Gefahren auslösen. Die tägliche Nahrungsaufnahme wird einseitig, durch Mangelerscheinungen verstärken die Symptome sich noch weiter. Ein Teufelskreis entsteht und Betroffene entwickeln eine regelrechte Angst vor dem Essen. Bei der Nahrungsaufnahme bauen sie verschiedene Rituale ein, die in ängstlichen Momenten in einem kompletten Vermeidungsverhalten enden.
Abgrenzungen zu anderen psychischen Störungen
Magersucht: Auch wenn die Magersucht ebenfalls eine Form der Angst ist, besteht diese jedoch darin, an Gewicht zuzunehmen oder dick zu sein bzw. zu werden. Betroffene haben Angst, von einem Kontrollverlust über das Essen übermannt zu werden. Die sichtbare Auswirkung zeigt sich dementsprechend mit deutlich zu geringem Gewicht, das die Betroffenen allerdings immer noch als viel zu hoch ansehen. Die Körperwahrnehmung ist gestört und im Spiegel zeigt sich nicht der abgemagerte Körper, sondern eine vielfache Dimension davon, was zur Einschätzung „zu dick“ führt. In der Folge schränken die Betroffenen ihre Nahrungsaufnahme weiter ein und verlieren kontinuierlich an Gewicht.
Zwar kontrollieren auch Emetophobie-Betroffene ihr Essen und ritualisieren ihre Nahrungsaufnahme, allerdings aus anderen Impulsen. Ihre Kategorisierungen haben nichts mit dem Fettgehalt, der Kalorienzahl oder Menge zu tun. Die Gefahr sieht der Emetophobiker in der Übelkeit. Die Betroffenen halten sich an dem Glauben fest: „Je weniger reinkommt, desto weniger kann wieder herauskommen.“
Ein weiterer sehr ausschlaggebender Unterschied liegt darin, dass den an Magersucht erkrankten Patienten sehr häufig die Einsicht in das Ausmaß ihrer Krankheit fehlt. Ganz anders ist das bei den an Emetophobie Erkrankten: Der Wunsch „normal“ essen zu können, ist unbeschreiblich und die Verzweiflung wächst, es nicht zu können und deshalb abzunehmen. Der starke Gewichtsverlust ist für einen Magersucht-Patient ein Erfolg, für viele an Emetophobie-Leidende dagegen eine zusätzliche Beeinträchtigung.
Zwangsstörung: Eine Gemeinsamkeit von Magersüchtigen und Emetophobikern findet sich in der Entwicklung von Ritualen rund um die Nahrungsaufnahme. Beide Gruppen essen meistens sehr langsam, kauen sorgfältig und schneiden die Bestandteile in unzählige Schnipsel. Mahlzeiten werden nur noch (oder wenn überhaupt) an bestimmten Orten und zu genauen Zeiten zu sich genommen. Für Magersüchtige beherrschen das Kalorienzählen und die Nährstoffanalyse die Mahlzeiten. Für Emetophobiker gelten die Händedesinfektion und Reinigung der Lebensmittel als Rituale. Deswegen denken bei diesen Handlungen viele Ärzte voreilig an einen Waschzwang, also eine Zwangsstörung.
Soziale Phobie: Nicht nur die Magersucht führt häufig zu Verwechslung. Viele Betroffene ziehen sich beruflich und sozial komplett zurück, vermeiden gesellschaftlichen Kontakt, Restaurantbesuche, öffentliche Verkehrsmittel, Supermärkte, Wartebereiche usw. Überall lauern potenzielle Gefahren, dass man selbst oder ein anderer sich übergeben könnte. Das mündet zuletzt im völligen Einnisten in den eigenen „sicheren“ vier Wänden. Und der Rückzug erfolgt in Gesellschaft des Alltagsbegleiters: der Übelkeit.
Schulangst: Gerade bei Kindern ist ein genaues Hinsehen gefragt. Nicht selten wird eine soziale Phobie oder Schulangst vermutet, wenn das Kind jeden Morgen über Übelkeit klagt, das Butterbrot nicht anrührt und weint, wenn der nächste Schultag ansteht.