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Mein Tanz gegen die Angst

03.11.2023 – Autorin: Heidi Bauer

Das Tanzparkett war mein zweites Zuhause

Sport in der Schule fand ich einfach nur doof, wozu soll das gut sein, fragte ich mich. Bis ich in meinem 15. Lebensjahr eine Sportart fand, die ich zu lieben begann – das Tanzen!

Auftritte, Bühne und Rampenlicht, die leichte Nervosität davor (nicht Angst oder Panik!) – es war herrlich für viele Jahre. Doch im Alter von 41 Jahren änderte sich alles. Ich hatte damals schon seit drei Jahren eine Angststörung. Anfangs waren nur die Arbeit und weite Reisen betroffen, doch ich spürte, wie die Angst sich generalisierte. Ich bemerkte zunehmend mehr Probleme bei alltäglichen Dingen wie Panik und Angst beim Einkaufen, Autofahren, Menschenmengen und ständige Sorgen. Bis auf eins, kaum zu glauben, aber was das Tanzen betraf, hatte ich keine Probleme (jeder Angstpatient weiß, dass manche Dinge gehen, und andere eben nicht, für Außenstehende schwer zu glauben!).

Immer wenn ich die große Glastür mit den vielen aufgeklebten bunten Schuhen darauf öffnete, ging ich in meine Traumwelt, eine Welt, die frei von Ängsten war. Eine Welt, in der ich Spaß hatte, alles vergessen konnte und nicht an Morgen dachte. Der Geruch von Schweiß, Kaffee und alten Schuhen und das bunte Leben, die klappernden Schuhe, die Kommandos der Trainer und die Musik, hier war mein zweites zuhause – auf dem Tanzparkett.

Plötzlich, einfach so, bekam ich mitten beim Tanzen eine gewaltige Panikattacke. Ich tanzte einfach weiter, wie weiß ich nicht mehr, aber da ich schon einige Zeit in einer Verhaltenstherapie war, wusste ich, dass ich die Situation nicht verlassen durfte und meine Gedanken hinterfragen sollte. Wow, das war Multitasking, kaum zu glauben, aber ich schaffte es. Ich blieb, tat so als ob nichts gewesen wäre und tanzte weiter, obwohl ich das Gefühl hatte, nicht mehr in meinem Körper zu sein. Wahrscheinlich hat er es automatisch gemacht. 

Nun muss man ja laut Verhaltenstherapie in solch einer Situation warten, bis die Angst abgeflaut ist, also von Stärke 10 bis 5. Das dauerte gefühlt ewig. Was aber so richtig schlimm für mich war, die Angst hatte mich eingeholt, sie hat mich verfolgt in meine Traumwelt, nun hatte ich keine “angstfreie Zone” mehr und schlimmer noch, ich hatte jetzt schon Angst und Panik vor dem nächsten Betreten der Tanzschule. Unter fünf ging die Angstskala in den nächsten Tagen nicht, eher lag sie bei 7 bis 8, wenn ich nur daran dachte, die Tanzschule wieder zu betreten.

Yan Krukau/pexels.de

 

Was aber so richtig schlimm für mich war, die Angst hatte mich eingeholt, sie hat mich verfolgt in meine Traumwelt, nun hatte ich keine "angstfreie Zone" mehr.

Die körperliche Bewegung tat mir gut

Als ich die Verhaltenstherapie begann, hatte ich erfahren, dass ich keine Angst-Situation mehr vermeiden darf. Daher hatte ich meinen Mann und meine Freundinnen gebeten, dass sie mich notfalls unter Zwang in die Tanzschule bringen, sollte dieser Fall mal eintreten. Und nun war es soweit, ich war wirklich krank vor Angst. Aber mein Mann fuhr mich mit dem Auto hin und vor der Tanzschule warteten meine zwei Freundinnen und brachten mich zur Tür. Es ging wirklich nur mit ihrer Hilfe und meinem eisernen Willen. Nachher war ich unglaublich stolz und froh, aber diese schwere Situation begleitete mich über viele Monate, bis ich die Situation und mein Hobby wieder alleine bewältigen konnte.

In dieser schweren Zeit bemerkte ich immer wieder, wie wichtig körperliche Bewegung bei einer Angststörung ist. Wir Angstpatienten haben durch den ständigen Stress viel zu viel Adrenalin im Körper, durch Bewegung lässt sich das sehr gut abbauen. Es gab nie eine Situation, in der es mir nach dem Sport nicht besser ging. Durch etliche Angstsituationen hatte ich über Jahre zu viel Adrenalin im Körper und wurde immer feinfühliger, was das betrifft. Viele vermeiden daraufhin Sport, denn dadurch bekommt man noch mehr Herzklopfen. Aber das ist falsch, denn der Sport schädigt nicht. Im Gegenteil, die körperliche Anspannung lässt nach, das Herz schlägt nachher ruhiger und der Blutdruck sinkt wieder.

Ganz wichtig zu erwähnen sind auch die Endorphine (die Glückshormone), die beim Sport freigesetzt werden. Wer das Haus nicht verlassen kann, findet auch zu Hause eine Möglichkeit. Ich habe oft nur auf der Stelle gehüpft, auch das hat funktioniert, um Adrenalin abzubauen. Aber egal welche Sportart ihr betreibt – sie muss Spaß machen.