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Meine Angst vor Höhe

 – und wie ich durch sie verstanden habe, mit meiner Angst besser umzugehen

Ängste sind schon so eine Sache. Auch wenn sie eine sinnvolle Reaktion des Körpers sind, so fühlen sie sich dennoch ziemlich unangenehm an, was dazu führt, dass man Situationen, die besonders starke Angstgefühle auslösen, vermeidet. Diese Auslöser können sehr unterschiedlich sein und sich ganz individuell gestalten. Besonders Ängste wie die vor Spinnen, Dunkelheit oder auch dem Sprechen vor größeren Gruppen sind bekannt und weit verbreitet. Bei manchen Menschen ist es die Angst vor Höhe. 

08.02.2023 – Autorin: Melanie

Die eigenen Ängste genauer ansehen 

So auch bei mir. Seit Kindertagen habe ich alles vermieden, was mit Höhe zu tun hat. Während andere Kinder in der Schule im Sportunterricht Sprossenwände hinaufgeklettert sind, habe ich lieber festen Boden unter den Füßen gehabt. Während meine Freunde nach dem Abitur in den Urlaub geflogen sind, bin ich zuhause geblieben. Während andere den Ausblick von höheren Stockwerken genossen, versuchte ich mit weichen Knien, gegen das mulmige Gefühl in meinem Bauch anzukämpfen.

Im April 2017 habe ich eine generalisierte Angststörung diagnostiziert bekommen. Entscheidend für die Diagnose waren Themen wie meine Emetophobie, Panikattacken und diverse andere Ängste. Die Höhenangst spielte dabei keine Rolle, hatte ich in der Vergangenheit doch meistens Situationen umgehen können, welche mit Höhe zu tun haben. So war diese Angst für mich auch nicht allzu präsent. Erst als ich begann, mich mit meiner Erkrankung im Allgemeinen auseinanderzusetzen, stieß ich immer wieder auch auf die Höhenangst und mir wurde klar, wie lange mich diese schon begleitet. Doch heute, im Alter von 24 Jahren, kann ich stolz behaupten, dass ich im vergangenen Jahr von der Elbphilharmonie in Hamburg einen wunderbaren Ausblick aus 37 Metern Höhe über den Hamburger Hafen hatte – und trotz der Höhe diesen Moment genießen konnte. Und das hatte nur einen Grund: Ich habe meine Angst zum ersten Mal aktiv beachtet.

Mithilfe einer Psychotherapie lernte ich zum ersten Mal etwas über Ängste und wie ich ihnen begegnen kann. Ein wichtiger Bestandteil war, die Angst zu hinterfragen und sie nicht unterdrücken zu wollen. Ein guter Vergleich hierfür: Versucht mal, Fußbälle unter Wasser zu drücken. Dies erfordert viel Kraft und sobald man etwas nachgibt, schießen sie mit noch mehr Wucht wieder an die Oberfläche. Genauso verhält es sich mit unseren Ängsten. In der Vergangenheit habe ich mit all meinen Mitteln versucht, „normal“ zu sein und die Ängste nicht zuzulassen, um in der Gesellschaft nicht weiter aufzufallen und zu funktionieren. Aber wirklich gelungen ist dies eher selten. Als ich jedoch zum ersten Mal genauer hingesehen habe, wurde mir bewusst, dass die Angst vor Höhe gar nicht ausschließlich aus der Entfernung zum Boden resultiert, sondern auch aus Themen wie Kontrollverlust, der Angst vor dem Fallen oder auch, wie es bei mir sehr stark der Fall ist, der Angst vor stärkeren Verletzungen, die aus einem doppelt gebrochenen Bein im Kleinkindalter resultiert. Seitdem bin ich sehr vorsichtig geworden und gehe ungern Risiken ein, welche meiner Gesundheit schaden könnten.

Ron Lach/pexels.de

Ich werde die Pflanze Neugierde in mir weiter kräftig gießen, damit irgendwann ein solider Baum mit tiefen Wurzeln daraus wird. Damit aus sachter Neugierde starker Mut wird. 

Neugierde versus Angst

Durch die intensive Arbeit an diesen Themen sowie das Erlernen unterschiedlicher Methoden wie Atem- und Entspannungsübungen, Visualisierungen und Glaubenssätze konnte ich einigen Ängsten begegnen. Nur die Höhenangst war ein Stein im Weg, welchen ich nicht so recht wegräumen wollte. Als im Mai 2022 ein Urlaub an der Ostsee anstand, legten mein Mann und ich einen Zwischenstopp in Hamburg ein, um uns den Hafen anzuschauen. So war auch ein Besuch in der Elbphilharmonie ein Attraktionspunkt für uns – welcher beim Entdecken der Aussichtsplattform in 37 Metern Höhe direkt unattraktiv für mich wurde. Allerdings war in den letzten Jahren auch eine Neugierde wie eine zarte Pflanze langsam, aber stetig gewachsen, meine Ängste nicht länger mein Leben bestimmen zu lassen. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und kaufte mir ein Ticket für die Plattform.

Während der Fahrt mit der Rolltreppe nach oben führte ich meine Atemübungen durch, mein Partner hielt meine Hand und ich ließ die Entspanntheit und Freude aus den Tagen am Meer durch mich hindurchfließen. Als ich durch die Türen hinaus auf die Plattform trat, gab es für mich keinen Grund zur Hektik, weshalb ich erstmal an die Wand gelehnt die Augen schloss und die kühle Luft einatmete sowie das leise Rauschen des Wassers im Hafen hörte. Mit viel Geduld nahm ich meine Angst dann bei der Hand, redete ihr gut zu und ging in kleinen Schritten immer näher an die Brüstung heran, bis ich das Metall unter meinen Händen spürte. Ich drückte meine Fußsohlen in den Boden, fühlte die feste Erde unter meinen Füßen und ließ den Blick über Hamburg schweifen. Das mulmige Gefühl im Bauch blieb, jedoch bewertete ich es nicht weiter und setzte ein Lächeln auf. Ich stand hier, inmitten der anderen Menschen, und hatte den Schritt aus freien Stücken gewagt. Das war eine unglaubliche Erfahrung.

Meine Angst ist hierdurch nicht verschwunden, hat jedoch nicht mehr die Macht über mich, die mich in der Vergangenheit oft handlungsunfähig gemacht hat. Eher lernen wir inzwischen voneinander und ich werde die Pflanze in mir weiter kräftig gießen, damit irgendwann ein solider Baum mit tiefen Wurzeln daraus wird. Damit aus sachter Neugierde starker Mut wird.
Ach, und mein Mann stand übrigens schweißgebadet an der Wand, traute sich keinen Schritt nach vorne zur Brüstung und war sehr erleichtert, als wir die Elbphilharmonie wieder verlassen hatten, denn er konnte seine Höhenangst an diesem Tag nicht überwinden. Aber nun kann ich für ihn eine Stütze sein und ihm festen Halt geben, wenn er sich unsicher fühlt.