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Soziale Phobie per App behandeln 

Die Smartphone-App Mindable Health Soziale Phobie 

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wie beispielweise Apps für das Smartphone stellen eine neue Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Behandlung von psychischen Störungen und körperlichen Erkrankungen dar und können beispielsweise eine traditionelle Psychotherapie ergänzen. Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen können DiGAs per Rezept, ähnlich wie ein Medikament, verschreiben. Sie werden dann von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Voraussetzung dafür ist jedoch die wissenschaftliche Überprüfung der DiGA, insbesondere ob sie tatsächlich zu einer Reduktion der Symptomatik beitragen kann.

22.06.2023 –  Autoren: Studienteams der Goethe-Universität Frankfurt und der Technischen Universität Dresden

Was ist eine soziale Angststörung?

Die soziale Angststörung, oder auch soziale Phobie, ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Betroffene erleben soziale Situationen (wie z.B. eine Präsentation halten oder Small-Talk führen) als eine große Belastung. Sie befürchten zum Beispiel, sich in solchen Situationen unangemessen zu verhalten, zu erröten oder etwas peinliches zu sagen, und daraufhin von anderen Menschen negativ bewertet zu werden. Daher vermeiden sie diese Situationen entweder oder können sie nur mit intensiven Gefühlen von Angst ertragen. In stark ausgeprägten Fällen kann diese Angst dazu führen, dass das soziale Leben komplett eingestellt und vermieden wird.

Wie funktioniert die Behandlung der sozialen Angststörung?

Prof. Ulrich Stangier, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Goethe-Universität Frankfurt, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Erforschung von Therapieansätzen zur Behandlung der sozialen Angststörung. Er erklärt, dass Betroffene soziale Situationen vermeiden und so keine neuen, korrigierenden Erfahrungen sammeln können, wodurch sich das negative Selbstbild weiter festigt. Dadurch und durch das ständige Grübeln, was am eigenen Verhalten gerade als peinlich wahrgenommen werden könnte, kann sich die Angststörung chronifizieren.

Grundsätzlich gilt die soziale Angststörung als sehr gut behandelbar. Prof. Stangier beschreibt, dass es aus dem Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) gut evaluierte psychotherapeutische Behandlungsprogramme für die soziale Angststörung gibt. In einem solchen Behandlungsprogramm wird, basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen, genau beschrieben, welche Bestandteile eine Therapie beinhalten muss, um effektiv wirken zu können. Das Behandlungsprogramm, welches Prof. Stangier erforscht, beinhaltet unter anderem viele Informationen, die Betroffene erhalten (die sogenannte Psychoedukation), sowie die Erarbeitung eines individuellen Modells, um zu verstehen wie Gedanken, Gefühle und Verhalten in einer sozialen Situation zusammenwirken.

Das Herzstück der Behandlung sind jedoch die sogenannten Verhaltensexperimente. Bei einem Verhaltensexperiment setzen sich Betroffene bewusst sozialen Situationen aus und können so überprüfen, ob ihre Befürchtungen tatsächlich eintreten. Dadurch werden sogenannte „korrigierende Lernerfahrungen“ ermöglicht, also neue Erfahrungen, die Erwartungen verändern. Prof. Stangier beschreibt die Wirkung von Verhaltensexperimenten an einem Beispiel: So könnte eine Patientin in einem Verhaltensexperiment einen Vortrag halten und gezielt beobachten, ob die Zuschauer:innen die Stirn runzeln oder sie auslachen. Häufig reagieren die Zuschauenden jedoch ganz anders als befürchtet, was dazu führen kann, dass bisherige Erwartungen und Vorstellungen korrigiert werden. Aufgrund des starken Vermeidungsverhaltens können solche Erfahrungen im Alltag meist nicht gemacht werden.

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Bei einem Verhaltensexperiment setzen sich Betroffene bewusst sozialen Situationen aus und können so überprüfen, ob ihre Befürchtungen tatsächlich eintreten. Dadurch werden sogenannte „korrigierende Lernerfahrungen“ ermöglicht.

Wie kann eine Smartphone-App in der Behandlung eingesetzt werden?

Das Berliner Gesundheitsunternehmen Mindable Health hat in enger Zusammenarbeit mit Prof. Ulrich Stangier und Prof. Jürgen Hoyer (Technische Universität Dresden) eine App zur Behandlung der sozialen Angststörung entwickelt. Die App „Mindable: Soziale Phobie“ basiert auf den Richtlinien der kognitiven Verhaltenstherapie und unterliegt den strengen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen des Medizinproduktgesetztes. Basierend auf bereits erprobten Strategien zur Behandlung wurde die App speziell zur Behandlung von Menschen ab 18 Jahren, die unter einer sozialen Angststörung leiden, entwickelt. Gerade läuft die Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit der App, damit diese als DiGA-Produkt verschrieben werden kann. 

In unterschiedlichen Modulen werden die für die Behandlung der sozialen Angststörung wichtigsten Faktoren aufgegriffen. Das erste Modul in „Mindable: Soziale Phobie“ umfasst eine kurze Psychoedukation, bei der Patient:innen einige allgemeine Informationen über die soziale Angststörung und ihre Behandlung erhalten und in diesem Zusammenhang wichtige Begriffe wie Selbstbeobachtung, Sicherheitsverhalten und (verzerrte) Verarbeitungsprozesse kennenlernen. Im Anschluss daran können die Nutzer:innen ihr persönliches Angstmodell erstellen und sich dabei genauer damit auseinandersetzen, in welchen Situationen die Angst am größten ist und womit dies möglicherweise zusammenhängt. Dieses Angstmodell wird in den späteren Modulen anhand von praktischen Übungen erneut aufgegriffen.

In den weiteren Modulen geht es zunächst darum, aufrechterhaltende Faktoren zu reduzieren, bevor das Modul Verhaltensexperimente eingeleitet wird, um die individuellen Befürchtungen aktiv zu überprüfen. „Mindable: Soziale Phobie“ leitet die Nutzer:innen dabei an, sich wiederholt in angstauslösende Situationen zu begeben. Durch diese Übungen werden korrigierende Lernerfahrungen ermöglicht, die langfristig dazu beitragen können, dass die Angst abgebaut wird. Das zuvor durchgeführte Aufmerksamkeitstraining verhilft während dieser Übungen und auch später im Alltag dazu, dass sich die Patient:innen weniger mit sich selbst beschäftigen und sich auf die tatsächlichen Reaktionen der anderen Personen konzentrieren können, die oftmals viel positiver ausfallen als erwartet. „Mindable: Soziale Phobie“ begleitet die Verhaltensexperimente zusätzlich mit Möglichkeiten zur Reflexion. Dadurch können die korrigierenden Lernerfahrungen verfestigt werden.

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Das zuvor durchgeführte Aufmerksamkeitstraining verhilft während dieser Übungen und auch später im Alltag dazu, dass sich die Patient:innen weniger mit sich selbst beschäftigen und sich auf die tatsächlichen Reaktionen der anderen Personen konzentrieren können.

Insgesamt hat „Mindable: Soziale Phobie“ als verhaltenstherapeutische App einen starken Alltagsbezug. Ein großer Teil der Behandlung besteht daher aus aktiven Übungen, in denen sich die Nutzer:innen in soziale Situationen begeben und neue Erfahrungen sammeln können. Kurze theoretische Einheiten dienen als Vorbereitung auf diese Übungen und helfen dabei die eigenen angstauslösenden Situationen besser zu verstehen.

Was sollte bei der Nutzung der App beachtet werden?

Mindable Health empfiehlt, die App täglich zu nutzen, gerne mehrmals am Tag. Um langfristige Erfolge zu erzielen und die Angst nachhaltig zu reduzieren, sollte die App für mindestens 12 Wochen intensiv genutzt werden. Dennoch weist Mindable Health explizit darauf hin, dass die App kein Ersatz für eine Psychotherapie ist. Betroffenen, die nicht bereits auf einer Warteliste stehen, wird empfohlen, sich um einen Therapieplatz zu bemühen. Falls Patient:innen bereits eine Therapie begonnen haben oder bald beginnen, kann die App zusammen mit den Psychotherapeut:innen weiter genutzt werden.  Prof. Stangier bestätigt, dass Apps zur Behandlung von sozialen Angststörungen besonders sinnvoll sind, um die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken. Zudem eignen sie sich auch sehr gut für Betroffene, denen es aus unterschiedlichen Gründen noch schwer fallen kann, regelmäßige Termine in einer Psychotherapie wahrzunehmen. 

Interview mit einem Nutzer der App

Darin spricht Jan, der seit einigen Monaten mit der App arbeitet, über seine persönlichen Erfahrungen. 

 

Interesse an einer Teilnahme an der Studie?

„Mindable: Soziale Phobie“ ist aktuell für Teilnehmer:innen einer wissenschaftlichen Studie nutzbar. In dieser Studie soll die Effektivität der App erprobt werden. Dafür werden noch weitere Teilnehmer:innen gesucht. Falls Sie an einer Studienteilnahme interessiert sind, finden sie alle wichtigen Informationen unter: www.tinygu.de/angst