Foto: VR-Simulation der Firma Neomento

 

Virtuelle Realität (VR) in der Behandlung von Höhenangst

Ein Kernsymptom der Höhenangst (wie auch jeglicher Angststörung) ist Vermeidungsverhalten. Betroffenen fällt es in der Regel sehr schwer, mit der eigenen Angst umzugehen, weshalb in der Folge häufig angstauslösende Reize und angstbesetzte Situationen vermieden werden. Um dieses Vermeidungsverhalten zu durchbrechen, werden in der Psychotherapie Konfrontationsübungen durchgeführt. Seit einiger Zeit gibt es diese Konfrontationsübungen auch in der virtuellen Realität (VR). 

27.02.2023 – Autoren: Magdalena Sich, Julia Diemer, Peter Zwanzger (kbo-Inn-Salzach-Klinikum)

Die Rolle der Expositionstherapie 

Betroffene von Höhenangst nennen häufig folgende Situationen als besonders furchteinflößend: Gittertreppen, Talbrücken (mit dem Auto überqueren), Parkdecks von mehrstöckigen Parkhäusern (hier: am Rand parken), aus dem Fenster eines Hochhauses schauen, die Dachterrasse eines Hochhauses besuchen, ertragen, dass sich andere einem Abgrund nähern. Die Angst führt dazu, dass diese Situationen vermieden werden. Vermeidungsverhalten verhindert jedoch die Auseinandersetzung mit den Symptomen der Angst mit der Folge, dass die Angst stärker wird und sich ggf. generalisiert, d.h. immer neue Situationen hinzukommen, die Angst auslösen und deshalb von Betroffenen vermieden werden. So kommt es zu einem Teufelskreis aus Angst und Vermeidung.

In der Psychotherapie soll dieser Teufelskreis durch Konfrontationsübungen (Fachbegriff: Expositionstherapie) durchbrochen werden. Die Expositionstherapie ist das wirksamste psychotherapeutische Verfahren. Die Betroffenen stellen sich in einzelnen Expositionssitzungen ihren Ängsten, d.h. sie begeben sich in angstbesetzte Situationen und werden mit den Symptomen ihrer Angst konfrontiert. Hier gibt es kein standardisiertes Protokoll, sondern jede Psychotherapie wird individuell auf die Situationen und Symptome der Betroffenen zugeschnitten.

Während der Konfrontation machen die Betroffenen vor allem zwei Erfahrungen: Einerseits, dass die Angst selbst nicht gefährlich, sondern lediglich ein Gefühl ist. Andererseits, dass sie die Angst nicht vermeiden müssen, damit sie weniger häufig auftritt, sondern dass durch das Konfrontieren mit der Angst die Angst geringer wird. Die Betroffenen können also in der Psychotherapie einen hilfreichen Umgang mit ihrer eigenen Angst erlernen.

Diese Konfrontationsübungen können in der Realität (Fachbegriff: Exposition in vivo), gedanklich (Fachbegriff: Exposition in sensu) oder auch in der virtuellen Realität (Fachbegriff: Exposition in virtuo) durchgeführt werden. In der Regel finden die ersten Konfrontationssitzungen in Begleitung einer Therapeut:in statt. Zwischen den Sitzungen führen die Betroffenen selbstständig Übungen durch, die dann in der Therapiesitzung nachbesprochen werden.

Tritt die Angst beispielsweise beim Betreten einer Dachterrasse eines Hochhauses auf, würde die Therapeut:in gemeinsam mit dem/der Betroffenen genau diese Situation in der Realität aufsuchen. Ist dies nicht möglich, oder der/die Betroffene noch nicht bereit, kann diese Übung auch gedanklich in der Imagination durchgeführt werden.

Foto: Prof. Dr. Martin J. Herrmann, Universität Würzburg

Abbildung 1:  Simulationsumgebung CAVE der Universität Würzburg (Bild: Prof. Dr. Matin J. Herrmann)

Virtuelle Realität in der Expositionstherapie

Neuere Ansätze bieten nun diese Konfrontationsübungen auch in der virtuellen Realität an. In der Psychotherapie-Sitzung begibt sich der Patient in einer computergenerierten Welt in eine angstbesetzte Situation und geht beispielsweise in dieser virtuellen Realität auf die Dachterrasse eines Hochhauses (vgl. das Headerbild dieses Artikels, erstellt von der Firma Neomento).

Dafür werden zum Teil aufwändige Aufbauten von VR genutzt, die überwiegend in der klinischen Forschung zum Einsatz kommen (Abbildung 1: Studie PAN-VR am Zentrum für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Würzburg). Es sind auch einfachere VR-Systeme in Verwendung, die die Betroffenen durch eine VR-Brille (sog. Head-Mounted-Display) in die virtuelle Realität versetzen (Abbildung 2: kbo-Inn-Salzach-Klinikum).

Der Einsatz von VR für die Expositionstherapie wird seit nun mehr als 20 Jahren erforscht. Durch VR wird die Illusion erzeugt, dass die Anwender:in – im klinischen Fall die Patient:in – sich in einem 360° – Raum bewegt. Das Besondere an VR ist, dass die Patient:in mit dem Szenario interagieren kann. Das unterscheidet VR von anderen Medien wie etwa dem Internet. Die Patient:in ist nicht mehr nur Beobachter:in, sondern aktive Akteur:in in VR. Es entsteht der Eindruck, in die virtuelle Realität einzutauchen, sodass die Welt hinter einem weitergeht. Das Eintauchen in VR wird Präsenz genannt. Präsenz beschreibt das subjektive Empfinden, sich in der virtuellen Umgebung tatsächlich anwesend zu fühlen. Die Präsenz gilt als sehr zentral. Je präsenter sich die Patient:innen in VR fühlen, desto besser funktioniert die Angstaktivierung. Diese ist wichtig, damit auch in VR der Umgang mit der eigenen Angst geübt werden kann.

Foto: kbo-Inn-Salzach-Klinikum

Abbildung 2:  VR-Labor mit Head-Mounted Display (kbo-Inn-Salzach-Klinikum)

Warum VR zur Behandlung von Angststörungen?

Dass Expositionstherapie in vivo (also in der Realität) wirksam zur Behandlung der Höhenangst ist, gilt als belegt. Und auch für die Expositionstherapie in VR gibt es zahlreiche Wirksamkeitsnachweise. Die Expositionstherapie in VR ist, was ihre Wirksamkeit betrifft, genauso effektiv wie die Expositionstherapie in vivo. Die Patient:innen können das in VR Gelernte auf die Realität übertragen und so auch in realen Höhensituationen von den Expositionsübungen in VR profitieren und das sogar genauso gut, als hätten sie den Umgang mit ihrer Höhenangst gleich in der Realität geübt.

Der Vormarsch von VR für die Expositionstherapie, wie auch das wachsende Forschungsinteresse liegt unter anderem darin begründet, dass VR einige Vorteile bietet. Sie kann im Behandlungszimmer der Therapeut:in stattfinden, d.h. die Therapie ist weniger aufwändig und bietet mehr Privatsphäre. Auch können die einzelnen Szenarien beliebig oft wiederholt werden und einzelne angstauslösende Reize, wie etwa starker Wind oder die Anzahl an Menschen, können so eingestellt werden, wie es für die Behandlung relevant ist. Auch genießt die Expositionstherapie in VR einen Akzeptanzvorteil gegenüber der Exposition in der Realität. Patient:innen würden sich demnach lieber virtuell als real ihrer Angst stellen, sodass davon auszugehen ist, dass durch VR die Hemmschwelle von Betroffenen zur Expositionstherapie gesenkt werden könnte.

Abschließend lässt der aktuelle Stand der Forschung eine positive Bewertung von Expositionsübungen in VR für die Behandlung der Höhenangst zu. Das bedeutet, der Einsatz von VR für die Expositionstherapie bietet eine Chance für alle Betroffene, den Teufelskreis aus Angst und Vermeidung zu durchbrechen und einen hilfreichen Umgang mit der eigenen Angst zu erlernen.