Normal sein wollen
Meine Ängste haben mir in meiner Jugend und Kindheit viel genommen. Nicht nur Erfahrungen wie der erste Kuss, die erste Klassenfahrt oder das Übernachten bei Freundinnen wurden mir genommen, sondern auch mein Gefühl für mich selbst. Mein Selbstbewusstsein hat gelitten, wollte ich doch immer nur eins – dazugehören, nicht auffallen und mich normal fühlen.
Inzwischen bin ich 24 Jahre alt und habe es mit weit über 100 Therapiesitzungen geschafft, meinen Ängsten zu begegnen. Das hat mir ein großes Stück Freiheit gegeben, wofür ich unendlich dankbar bin. Gleichzeitig bin ich aber auch auf dem harten Boden der Realität aufgeschlagen und musste lernen, dass nicht automatisch Leichtigkeit in mein Leben kommt, wenn ich die Ängste in Angriff nehme.
Als ich im Juni 2022 die Diagnose einer mittelschweren depressiven Episode bekam, brach für mich eine Welt zusammen. Meine Ängste waren mir über viele Jahre so vertraut gewesen, dass ich nicht erschüttert war, als auf meiner Überweisung zur Psychotherapie die Worte „Angststörung“ und „Panikattacken“ auftauchten. Bei der Depression ist dies anders. Ich schäme mich vor mir selbst und drücke mir täglich die Stempel „Versager“ und „Schwächling“ auf. Auch wenn ich mich für die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen einsetze und mir sehr wohl bewusst darüber bin, dass ich mir meinen Zustand nicht ausgesucht habe und mich deshalb auch nicht schämen muss, fühle ich mich doch immer wieder so, als würde ich mich einfach nicht genug zusammenreißen. Und dabei vergesse ich oft, wie viel Kraft ich die letzten Jahre aufgewandt habe, um die Angsterkrankung nicht mehr mein ganzes Leben bestimmen zu lassen.
Vermutlich kommt das einigen Personen mit einer Angsterkrankung bekannt vor. Oft fallen Sätze wie „Das ist doch gar nicht so schlimm“ oder „Du musst da einfach durch“. Und ich habe mir dabei immer die eine Frage gestellt: Warum habe ich nicht genug Mut, um die Themen anzugehen?
Geringere Belastungsgrenzen als andere
Der Mut ist inzwischen gewachsen, aber was nicht genug ist, ist die Selbstliebe. Die Akzeptanz meiner Erkrankung. Im Alltag vergesse ich schnell, dass ich chronisch krank bin und eben nicht die Belastungsgrenzen habe, welche andere Menschen aufweisen. Denn in unserer Gesellschaft zählt heutzutage oft nur eins – weitermachen, Leistung erbringen, Lächeln ins Gesicht kleistern und sich nicht beschweren.
Also schluckte ich die letzten Tage die Sorge herunter, wieder arbeiten zu müssen. Durch mehrere Probleme sowohl auf der Arbeit als auch privat, fühle ich mich ab dem Moment gestresst, in dem der Wecker morgens klingelt und komme erst zur Ruhe, wenn ich abends erschöpft und ausgebrannt die Augen schließe. Ich spürte, wie sich mein Hals zuschnürte, sobald ich an die Arbeit dachte, ich verzweifelt ein Ventil für die innere Anspannung suchte. Dabei war ich doch schon zwei Tage krankgeschrieben. Das schlechte Gewissen, die Scham und auch die Angst vor Verurteilung, die Angst, meinen Job zu verlieren, brachen immer wieder über mich herein wie eine Flutwelle.