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Die Neurobiologie hinter Angst und Depression 

Teil 2:  Depression – neurobiologisch gesehen 

Auf den ersten Blick sind Angst und Depression ziemlich verschiedene Emotionen und fühlen sich auch subjektiv ganz unterschiedlich an. Dennoch treten sie sehr oft gemeinsam auf,  entwickelt sich die eine Krankheit aus der anderen. Eine gewisse Verwandtschaft scheint also gegeben zu sein. Dafür spricht auch, dass für beide Erkrankungen dieselben Medikamente eingesetzt werden (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer). Vielleicht gibt es neurobiologisch gesehen mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst vermuten würde.

Die folgenden zwei Texte wollen dieser Frage nachgehen: Was passiert eigentlich bei starker Angst und bei Panik im Gehirn, im Nervensystem? Und was bei Depression? Ähneln sich die Vorgänge? Teil 1 beschäftigt sich mit der Angst, Teil 2 mit der Depression. Die Texte können aber auch unabhängig voneinander gelesen werden.

02.06.2022 – Autorin: Antonia Koschnick

Neurobiologische Hintergründe einer Depression

Die Depression ist eine multifaktorielle Erkrankung, sie wird nicht von einer Ursache ausgelöst, sondern mehrere Faktoren spielen bei ihrer Entstehung eine Rolle. Einer davon sind Veränderungen in den Vorgängen des zentralen Nervensystems. Doch trotz der zunehmenden wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für die Erforschung der Zusammenhänge und die  Therapie psychischer Erkrankungen, bleibt bis heute noch einiges offen. Hinzu kommt, dass verschiedene Erkenntnisse nicht unbedingt auf den Einzelfall zutreffen, da jede Depression individuell ist und einer individuellen Therapie bedarf – aber das ist dir vielleicht schon selbst aufgefallen. Dennoch kann es spannend und hilfreich sein, die neurobiologische Materie als Hintergrund des Quälgeistes Depression ein wenig besser zu verstehen.

Welche Hirnregionen sind an der Depression beteiligt?

Zu den bekannten Hirnbereichen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Symptome beteiligt sind, gehören:

  • Die Amygdala (Mandelkern), welche zuständig für die Entstehung von Emotionen ist und das Emotionsgedächtnis bildet, das Erlebnisse mit Gefühlen verknüpft und dadurch deren Erinnerung im Langzeitgedächtnis festigt. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass es Zusammenhänge zwischen Volumenveränderungen der Amygdala und affektiven Erkrankungen wie der Depression gibt. 
  • Das gesamte limbische System, welches auf die Stressregulation, Empfindung und Verarbeitung von Emotionen einwirkt. In bildgebenden Verfahren konnte hier bei depressiven Patienten eine veränderte Aktivität festgestellt werden, eine Dysbalance an relevanten Neurotransmittern und eine verminderte Bildung neuer Neuronen.
  • Der Hypothalamus, welcher wichtig für Appetit, motivationales Verhalten, Schlafrhythmus, Hormonregulation und Libido ist. Studien konnten zeigen, dass der Hypothalamus bei depressiven Patienten vergrößert ist. Dies könnte eine Erklärung sein, warum der Spiegel des Stresshormons Cortisol permanent erhöht ist.
  • Bestimmte Gebiete der Großhirnrinde (Cortex): Dazu zählen zum Beispiel der präfrontale Cortex und andere Areale, die in höhere kognitive Leistungen involviert sind. Hier finden sich bei depressiven Patienten ebenfalls Veränderungen in der Aktivität, aber auch im Volumen.

Wichtig: Für die Entstehung depressiver Symptome sind jedoch nie nur einzelne Hirnareale verantwortlich, sondern das Zusammenspiel von Netzwerken im Gehirn ist fehlreguliert. 

Was passiert bei einer Depression auf Ebene der Nervenzelle?

Die wichtigsten in Verbindung mit Depressionen stehenden biochemischen Bestandteile sind die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin (wobei der Botenstoff Noradrenalin sowohl als Neurotransmitter, als auch als Hormon fungieren kann). Alle drei Neurotransmitter zählen zu der Gruppe der Monoamine, welche aus spezifischen Aminosäuren synthetisiert werden.

Bei der synaptischen Reizübertragung zwischen Nervenzellen wirken Neurotransmitter verstärkend oder modulierend. Dies geschieht abhängig davon, wie hoch ihre Konzentration im synaptischen Spalt ist oder wie lange sie dort aktiv sind, bevor sie wieder in das Endknöpfchen aufgenommen werden, aus dem sie ausgeschüttet wurden.

Eine der Ursachen einer Depression kann ein zu niedriger Monoamin-Spiegel (Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) im synaptischen Spalt sein. Daraus folgen Störungen neuronaler Schaltkreise und eine beeinträchtigte neuronale Reizübertragung.

Obduktionsbefunde zeigen, dass bei depressiven Patienten eine erhöhte Dichte bestimmter Noradrenalin-Rezeptoren in der Hirnrinde (Cortex) zu finden ist. Dies lässt sich dadurch erklären, dass das System versucht hat, den Mangelzustand an Noradrenalin durch eine Erhöhung der postsynaptischen Rezeptordichte auszugleichen, um jedes Molekül aufzufangen.

Aber Achtung: Es können unterschiedliche Formen gestörter Neurotransmitter-Aktivität vorliegen. Der Mechanismus ist nicht bei allen Betroffenen gleich, sondern muss individuell betrachtet werden. Man schreibt einer durch Serotonin-Mangel induzierten Depression beispielsweise eher depressive Verstimmung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit zu. Dagegen herrschen bei einer durch Noradrenalin-Mangel induzierten Depression eher Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche und Ängstlichkeit vor.

Schema einer Synapse

 

Präsynaptische Nervenzelle (oben)

enthält Bläschen gefüllt mit Neurotransmitter, die beim Ankommen eines elektrischen Impulses in den synatischen Spalt ausgeschüttet werden

Postsynaptische Nervenzelle (unten)

besitzt transmitterspezifische Rezeptoren, an die die  Transmitter andocken und erneut einen elektrischen Impuls auslösen

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Welche Veränderungen gibt es im Hormonsystem?

Die hormonelle Stress-Achse (HPA-Achse) zeigt bei einer Depression ebenfalls Veränderungen. CRF-produzierende Neuronen (Corticotropin-Releasing Factor) im Hypothalamus aktivieren die Hypophyse, die dann Corticotropin ausschüttet, das wiederum die Nebennierenrinde zu vermehrter Cortisol-Ausschüttung veranlasst. Der gesamte Organismus ist damit in Alarmbereitschaft, was sich bei einer Depression in Symptomen wie Unruhezuständen, Schlafstörungen und permanentem (unterbewussten) Stresserleben ohne vermeintliche Ursache zeigt. Eine chronische Aktivierung der HPA-Stress-Achse dient als Nährboden vieler Erkrankungen, vermutlich auch der Depression.

Die bedeutende Rolle des Hormonsystems bei der Entstehung einer Depression ist außerdem ersichtlich, wenn man sich die geschlechterbezogenen Prävalenzen (Auftretenswahrscheinlichkeiten) betrachtet. Die Geschlechtshormone haben neben den Stresshormonen offensichtlich auch Einfluss. Frauen sind öfter betroffen durch ein erhöhtes Risiko während Hormonumschwüngen, wie bei der Menarche, Menstruation, Schwangerschaft, Geburt oder Menopause. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die postnatale Depression, bei der das Hormonungleichgewicht nach der Entbindung einer der gesicherten Auslöser der Erkrankung ist.

Folgen auf der Verhaltensebene

Die Begegnung mit Unbekanntem kann, wie du bestimmt aus eigener Erfahrung weißt, je nach Situation und Erleben eine neugierige, aber auch eine  angstvolle Reaktion hervorrufen. Angst als Gegenspieler zur explorativen Neugier nimmt uns leicht die Freude an Erkundung, Genuss, Kreativität und am Lernen, wobei ein gewisses Spiel mit Angstgefühlen je nach Charakter auch gerne aufgesucht wird (Sensation Seeking, z.B. Fallschirmsprünge). Im subjektiven Erleben kann Angst in einem großen Ausmaß die Persönlichkeit verändern und Motivation, Bereitschaft und Handlungsweisen einer Person stark beeinträchtigen. Hier geben sich Depression und Angst auf Verhaltensebene die Hand: Wenn explorative Gefühle und Neugier durch permanente Angst oder Panikattacken verschwinden, ist die Motivation und der natürliche Drang nach draußen zu gehen, Menschen zu treffen und das Leben zu leben deutlich gemindert. Nicht selten fühlen sich Menschen mit einer Depression zusätzlich von Angst beherrscht, sind völlig energie- und antriebslos. Es fällt schwer sich über etwas zu freuen und neugierig zu sein.

Lina Kivaka/pexels.de

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Fazit: Neurobiologische Gemeinsamkeiten zwischen Angst, Panik und Depression

Ungeachtet dessen, welche individuellen Zusammenhänge die Erkrankung verursacht haben, entstehen sowohl bei Depression wie bei Angst und Panik biochemische Veränderungen im zentralen Nervensystem. Bei beiden psychischen Erkrankungen liegt ein Ungleichgewicht im Neurotransmitter-Haushalt vor, insbesondere ein Serotonin-Mangel.

Zudem sind die Aktivität und manchmal sogar das Volumen bestimmter Hirnareale verändert, was die Schaltkreise und Netzwerke des Gehirns in ihrer normalen Funktion beeinträchtigt.

Außerdem liegt bei Angst und Depression eine veränderte synaptische Plastizität vor. Zu einem höheren Risiko für Depression und Angsterkrankungen führt laut aktueller Studien eine relativ häufige Veränderung im Gen für die Synthese des Proteins BDNF (brain-derived neurotrophic factor), welches neuronales Wachstum fördert. Eine veränderte neuronale Plastizität bedeutet, dass weniger Neuronen gebildet werden, weniger Synapsen als neue Verknüpfung entstehen und Neuronen über dendritische Verästelungen weniger stark verbunden sind.

Zuletzt ist die Überaktivierung der HPA-Achse und die damit verbundene übermäßige Ausschüttung von Cortisol bei Angsterkrankungen und Depressionen ähnlich vorhanden. Wobei schwierig zu beurteilen ist, ob die Übererregung der Stress-Achse die Angst oder Depression ausgelöst hat oder umgekehrt. Generell gilt: Eine veränderte Biochemie kann sowohl Ursache wie Wirkung der Erkrankung sein. Sie kann einerseits, etwa angeborenermaßen, die Krankheit (mit)verursachen, sie kann andererseits eine erst durch die Erkrankung eingetretene Folge sein. 

Was du auf Basis dieser Erkenntnisse tun kannst

Für die Therapie beider Erkrankungen und die Prävention einer entstehenden Komorbidität, also das zusätzliche Auftreten von Depressionen oder Angst bei einer Grunderkrankung, ist die HPA-Achse ein guter globaler Ansatzpunkt zur Selbsthilfe. Stressbewältigung, Entspannungsmethoden, Bewegung, Achtsamkeit und alles, was dir guttut, können dir hier helfen, positiv Einfluss zu nehmen und langfristig etwas für deine Gesundheit zu tun. Darüber hinaus ist professionelle Hilfe selbstverständlich sinnvoll.

In Teil 1 erfährst du, was neurobiologisch bei Ängsten und Panikattacken passiert