Störung des Zeitsinns
Den Menschen zeichnet aus, dass sich sein Zeitgefühl in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft teilt. Phänomenologisch kann zwischen impliziter Zeit und expliziter Zeit unterschieden werden.
Die implizierte Zeit ist prä-reflexiv, wir leben sie selbstvergessen, sind im Moment. Anders als die explizite Zeit: sie wird erlebt. Das Zeitgefühl hat aber auch eine intersubjektive und räumliche Komponente: Menschen synchronisieren sich zeitlich – einerseits mit anderen Menschen (Bsp. Gespräche, Verabredungen), andererseits mit der Umwelt (Bsp. Wach-Schlaf-Rhythmus, Jahreszeiten).
Das Zeitgefühl ist also eine Dimension, die den Menschen mit den Mitmenschen und der Welt verbindet. Aber auch viele Risiken bereithält, wenn die Synchronisierung misslingt. Angst befällt oder packt plötzlich. Sie unterbricht damit jäh das Zeitgefühl und wirft den Menschen brutal auf die Gegenwart zurück. Ein Zukunftsbezug ist nur eingeschränkt möglich und extrem negativ.
Störungen des Zeitgefühls sind ein Merkmal von krankhaften Zukunftsängste und der Generalisierten Angststörung (GAS). Betroffene werden von imaginären Katastrophenszenarien und einem diffusen Angstgefühl geplagt.
Willens- und Handlungsfreiheit – Verlust an Möglichkeiten
Willens- und Handlungsfreiheit sind die Grundlage unserer existenziellen Freiheit. Sie sind unweigerlich mit uns als Subjekt verknüpft, mit unserer zeitlichen und emotionalen Verfassung sowie unserer Lebenswelt.
Sich entscheiden und handeln zu können, setzt aber auch voraus, einen Möglichkeitsraum wahrzunehmen, auf sich selbst zu vertrauen, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen und vieles mehr. Wie stark die Willens- und Handlungsfreiheit bei psychischen Krankheiten beeinflusst wird, zeigt sich u.a. in der Angst.
Viele Angstpatienten fühlen sich nicht frei und sind in ihrer Lebensführung stark beeinträchtigt. Vermeidungsverhalten ist ein typisches Beispiel für den Verlust an Möglichkeiten, den Betroffene erfahren. Auch Zwangsstörungen (als vermeintlicher Bewältigungs- oder Schutzmechanismus) schränken Handlungsmöglichkeiten ein.
Ausblick
Das Verhältnis des Menschen zur Welt und zu sich selbst ist sehr empfindlich. Wie empfindlich, zeigt sich im sozialen Zusammenleben oder eben bei psychischen Krankheiten. Ängste sind immer durch eine Entfremdung des Selbst- und Welterlebens gekennzeichnet.
Etwas in uns selbst ist plötzlich unserem Selbsterleben entzogen und tritt uns als Anderes gegenüber. Doch egal, was wir auch versuchen, dieses Andere kann die Kontrolle an sich reißen oder Teile von uns beherrschen.
Gleichzeitig gibt uns die Phänomenologie nicht nur ein prägnantes Bild davon, was es für Menschen bedeutet, mit pathologischen Ängsten zu leben – sie zeigt auch Wege der Behandlung auf, die gezielt auf die veränderte Erlebniswelt eingehen. Insbesondere humanistisch-existenzielle Methoden sind hier zu nennen, etwa Logotherapie und Existenzanalyse (Viktor Frankl), Daseinsanalyse (Ludwig Binswanger), gestalttheoretische Ansätze, multimodale Methoden uvm.