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Riddikulus!

Über die heilsame Wirkung von Humor und seine Beziehung zu Achtsamkeit 

In den Harry Potter-Romanen von Joanne K. Rowlings gibt es den Riddukulus-Zauber. Mit diesem kann man seinen persönlichen Angstdämon, im Roman ein “Irrwicht”, in etwas Lächerliches verwandeln und ihn dadurch entmachten. Dieser Zauber funktioniert tatsächlich, auch ohne Zauberstab (obwohl der sicherlich nicht schadet). So empfiehlt man einem Kind, das sich etwa vor seinem Lehrer fürchtet, es solle sich denselben in Unterhosen oder auf der Toilette sitzend vorstellen. Da fällt jede Hierarchie! Und Angst verwandelt sich in Heiterkeit und Mut.

01.07.2023 – Autor: Michael Metzner

Angst und Mut

Menschen, die unter ausgeprägten Ängsten leiden – vielleicht deshalb auch in Behandlung sind –, denken teilweise über sich selbst, sie seien nicht mutig und dass sie nur ohne ihre Ängste mutig sein könnten. Das ist ein Irrtum. Tatsächlich gibt es ohne Angst keinen Mut! Sich an der Nase zu kratzen zeugt beispielsweise nicht von besonderem Mut, weil es keine besondere Herausforderung darstellt (außer man hat irgend so ein fieses, aggressives Geschwür an der Nase). Und einem hungrigen Krokodil die Zähne zu putzen, ist ebenfalls nicht mutig, sondern dumm (oder zumindest sehr naiv). Stellen wir uns hingegen einer Situation mit all unseren Ängsten, so ist das wahrhaft mutig und tapfer. Und dabei macht es auch keinen Unterschied, ob andere in derselben Situation ähnlich empfinden würden oder nicht.

Die bekannte Fantasy-Geschichte Der Herr der Ringe von John R. R. Tolkien illustriert das auf eindrucksvolle Weise. Der sensible und ängstliche kleine Hobbit Frodo Beutlin vermag darin als einziger, der Versuchung eines machtvollen Ringes zu widerstehen, der die Menschheit an das Böse bindet. Und mit (nicht trotz!) seiner ganzen Ängstlichkeit ist er es, der diesen Ring schließlich zum Schicksalsberg bringt, wo er dann im Feuer eines Vulkans vernichtet wird.

Wenn wir bereit sind, mit unserer Angst nach dem zu handeln, was uns etwas bedeutet, sind wir wahrhafte “Krieger des Lichts”. Um psychisch die dafür nötige Flexibilität zu besitzen, müssen wir uns innerlich von unseren Gedanken und Gefühlen etwas distanzieren können. Sonst nehmen sie uns gefangen. Zu dieser gesunden Distanz verhelfen uns die zwei wichtigsten Bestandteile des geistigen Immunsystems: Achtsamkeit und Humor.

Zwei Seiten einer Medaille: Achtsamkeit und Humor

Achtsamkeit ist diejenige Kraft, die uns mit dem gegenwärtigen Augenblick verbindet, so dass wir klar erkennen können, was real ist und was lediglich “Kopfkino”, wie man so schön sagt. Wer diesbezüglich Klarheit besitzt, lässt sich von den eigenen Gedanken und Gefühlen nicht gleich ins Boxhorn jagen, hat mehr inneren Raum. Alles, worauf ich zeigen kann, das bin ich nicht. Aus “Ich bin verängstigt” wird “Ich habe Angst” bzw. “Da ist Angst in mir”. Kultivieren lässt sich diese Haltung in der stillen Meditation, die in praktisch allen spirituellen Traditionen zu finden ist bzw. heutzutage auch in säkularen Programmen wie MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) und MBCT (Mindfulness Based Cognitive Therapy) vermittelt wird. Und Humor nimmt der – inneren wie äußeren – Situation ihren Schrecken. Man könnte ihn definieren als Fähigkeit, mit Herzensgüte Ungereimtes bzw. Absurdes zu erkennen und Mut sowie Offenheit zu besitzen, eigene Sichtweisen zu relativieren. Diese Liebe zur Unvollkommenheit ist es, die uns über die Widrigkeiten des Alltags sowie unsere eigenen Unzulänglichkeiten warmherzig schmunzeln lässt, anstatt daran zu zerbrechen.

Ohne Humor sind wir immer etwas verbissen, stecken in einer Sichtweise fest. Lassen Sie uns hierzu ein kleines Experiment durchführen: Halten Sie eine Hand horizontal mit der Handfläche nach unten direkt vor Ihren Mund. Nun beißen Sie zu! (Bitte nicht zu fest!) Und jetzt mit dem Kopf nach rechts und links blicken – ohne die Hand zu bewegen. Na, geht nicht? Genau. Wenn wir uns in etwas verbeißen, können wir nicht mehr das ganze Umfeld sehen, sind also eingeschränkt in unserem Blickfeld. Wenn wir den Mund zum Lachen öffnen, steht uns das ganze Panorama zur Verfügung!

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie – eine moderne, achtsamkeitsorientierte Form der Verhaltenstherapie – bietet eine ganze Reihe an Interventionen in dieser Richtung: Da werden Angstgedanken z.B. auf die Melodie von Happy Birthday to You gesungen bzw. mit piepsiger Micky-Maus-Stimme gesprochen und damit entschärft. Oder Panik auslösende Wörter ganz oft und schnell wiederholt – etwa der Begriff AIDS bei einem Patienten mit Hypochondrie –, bis sich deren Bedeutung wie Schall und Rauch verflüchtigt.

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Wer über eigene Fehler schmunzeln kann, ist gütiger mit sich selbst und weiß, dass ihn genau dieser Makel mit anderen Menschen verbindet und vielleicht sogar sympathisch macht. Selbstabwertung ist humorlos und zieht unnötig runter.

Humor und Selbstmitgefühl

Im Hamsterrad ständiger An- und Überforderung gefangen, erkämpfen wir unseren Selbstwert meistens dadurch, dass wir uns mit anderen vergleichen und besser als der Durchschnitt sein wollen. Gelingt uns das nicht, urteilen wir uns ab und greifen uns selbst an. Damit sind wir Angreifer und Angegriffene zugleich und kurbeln somit zweifach unser Kampf-Flucht-System an (mit Adrenalin und Cortisol). Unser Körper zeigt uns dies nicht selten mit allgemeiner Anspannung, Schlafstörungen, muskulären Verspannungen oder Bluthochdruck an. Als Alternative dazu wird in der buddhistischen Tradition Selbstmitgefühl (self-compassion) praktiziert, dessen drei wesentliche Komponenten Kristin Neff, Professorin für Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung an der Universität von Austin, beschrieben hat:

  • Freundlichkeit sich selbst gegenüber (Herzensgüte)
  • verbindende Menschlichkeit (Liebe zur Unvollkommenheit)
  • Achtsamkeit

Diese Haltung aktiviert als biologisches Erbe der Säugetiere das Bindungssystem (durch Oxytocin und Opiate), durch das wir uns sicher und geborgen fühlen und beginnen, die Umgebung in Mamas Nähe zu explorieren. Damit weist Selbstmitgefühl eine extrem enge Verwandtschaft zum Humor auf. Wer über eigene Fehler schmunzeln kann, ist gütiger mit sich selbst und weiß, dass ihn genau dieser Makel mit anderen Menschen verbindet und vielleicht sogar sympathisch macht. Selbstabwertung ist humorlos und zieht unnötig runter.

Ein Blick ins Gehirn

Interessant sind einige Überschneidungen von Achtsamkeit und Humor im menschlichen Gehirn. So werden bei der Praxis von Achtsamkeit mehrere soziale Schaltkreise aktiviert, die etwa bei Eltern im Umgang mit ihren Kindern für ein Aufeinander-Einschwingen, eine Resonanz sorgen – und damit für die Basis einer sicheren Bindung. Diese Schaltkreise laufen an der mittleren Vorderseite des Stirnhirns (dem medialen Präfrontalkortex) zusammen, etwa dort, wo man das sogenannte “Dritte Auge” aufzeichnen würde (oder wo man rauskommt, wenn man extrem weit in der Nase bohrt). Auch bei der Verarbeitung humorvollen Materials – z.B. einer ironischen Bemerkung – sind Gehirnareale beteiligt, die sonst Aufgaben im zwischenmenschlichen Bereich erfüllen. Für das Verständnis von Ironie benötigen wir nämlich eine ganz spezielle Fähigkeit: Wir müssen einen Perspektivenwechsel vornehmen können und eine Idee davon haben, was der andere denkt, fühlt und will. Das nennt man “Theory of Mind” (TOM). Erst dann können wir verstehen, was eigentlich gemeint ist – nämlich das Gegenteil vom Gesagten. Zusammengefasst und integriert werden die ganzen Informationen dann ebenfalls wieder im besagten medialen Präfrontalkortex, der unter Umständen (wenn’s witzig ist) unser Gefühlszentrum – das limbische System – dazu veranlasst, ein Gefühl der Belustigung zu erzeugen.

Diese Gehirnregion (der mediale Präfrontalkortex) hat aber noch mehr zu bieten: Sie hat die Fähigkeit, Angst zu dämpfen, die im limbischen System durch die Erregung der sogenannten “Mandelkerne” (das sind unsere Angst- und Schreckgeneratoren) zustande kommt. Wenn wir erheitert sind, entspannen wir uns. Darum macht der Einsatz von Klinik-Clowns auf Kinderstationen auch so viel Sinn.

Der mittlere Vorderstirnbereich scheint übrigens besonders aktiv zu sein, wenn das Gehirn im Leerlauf arbeitet und nicht anderweitig beschäftigt ist – also zum Beispiel bei der Meditation. Und diese Aktivierung geht mit angenehmen Gefühlen einher. Nicht umsonst spricht man von “heiterer Gelassenheit”.

Das Buch zum Thema

 

Michael Stefan Metzner:
Achtsamkeit und Humor. Das Immunsystem des Geistes (2016)

“Achtsamkeit und Humor sind für mich die beiden wichtigsten Kräfte des psychischen Immunsystems. Die “AcH-Lympho­zyten” sozusagen. Achtsamkeit lässt uns im Hier-und-Jetzt ganz lebendig sein. Und Humor verhindert, dass wir uns und unsere Probleme allzu wichtig und ernst nehmen.”

Humor in der Psychotherapie

In einer (insbesondere achtsamkeitsorientierten) Psychotherapie besteht die Gefahr, dass der Therapeut zu einem allwissenden Übermenschen oder “Guru” hochstilisiert wird. Eine Atmosphäre, die von liebevollem Humor geprägt ist, schützt in diesem Zusammenhang vor therapeutischem Absolutismus und sorgt für Bodenständigkeit. Zudem fördert das gemeinsame Lachen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Menschen, die sich selbst als “Angsthasen” betrachten, schätzen dies besonders.

Was für therapeutische Prozesse ebenfalls sehr wichtig ist: Humor schafft ein optimales Lernklima. Durch seine anregende und gleichzeitig entängstigende Wirkung bringt er uns nämlich in einen Zustand mittlerer und damit optimaler Aktivierung zum Einprägen und Abrufen von Informationen. In der Allgemeinen Psychologie wird dieser Zusammenhang zwischen Anspannung und Lernleistung durch das Yerkes-Dodson-Gesetz beschrieben. Sind wir zu aufgeregt, entspannt uns ein Lachen. Ist uns langweilig, werden wir durch Erheiterndes angeregt – damit bleibt es spannend und interessant.

Gerade auch im Kontext der Konfrontationsbehandlung, die die Wissenschaft als Königsweg zur Angstbewältigung ansieht, können Achtsamkeit und wohldosierter Humor vor dem inneren “Dichtmachen” oder Einfrieren (freeze) schützen, das als Folge übermäßiger Aktivierung des Kampf-Flucht-Programms auftreten kann. Schließlich führt nur ein offenes, neugieriges Er- und Durchleben der Angst zu einer emotionalen Neubewertung von kritischen Situationen und zur entsprechenden Modifikation des Angstnetzwerkes im Gehirn. Dieses nichtdefensive, achtsame Gewahrsein wird durch die “geliehene Achtsamkeit” des Therapeuten – seine aufmerksamkeitsleitenden Fragen zu Gedanken, Gefühlen und Körperreaktionen der Patientin – und eine Distanzierung von eigenen Katastrophengedanken (z.B. durch eine Prise Humor) gefördert. Eine Überdosierung des Humors würde als kognitiv-emotionale Vermeidungsstrategie natürlich den Erfolg der Exposition schmälern.

Alles lustig oder was?

Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen: Nicht jedes Lachen zeugt von Humor! Ohne Achtsamkeit kann Humor bösartig werden und in den Zynismus abgleiten. Diese Haltung ist giftig und hat mit der Herzensgüte wahren Humors nichts mehr gemeinsam. Und so schließt sich der Kreis, der Achtsamkeit und Humor als zwei Seiten einer Medaille zeigt. Gemeinsam eröffnen sie uns das, wonach wir uns alle im Leben sehnen: nach Lebendigkeit und Leichtigkeit.

Zwei Mütter unterhalten sich über ihre erwachsenen Söhne. Sagt die eine: “Mein Sohn hat jetzt angefangen zu meditieren. Ich weiß zwar nicht, was das ist, aber besser, als wenn er immer nur rumsitzt und nichts tut!”

Einen weiteren Text des Autors zum Thema Emetophobie findest du hier