Spezifische Phobien – die Angst vor „gefährlichen Sachen“

Es sind Millionen:  Menschen, die vor einem bestimmten Objekt oder einer speziellen Situation unangemessen große Angst empfinden: Spinnen oder Schlangen, Wasser oder Höhen, Fahrstühle, Flugzeuge, Blut und Spritzen. Meist kann man damit im Alltag irgendwie umgehen. Doch einige Menschen behindert und quält ihre Angst so sehr, dass sie behandelt werden müssen. Was eine spezifische Phobie genau ist, ab wann sie behandelt werden muss und was man dagegen tun kann, erfährst du hier.

Wie erkenne ich eine Spezifische Phobie?

Beantworte die folgenden Fragen mit “Ja” oder “Nein”:

  • Hatte ich schon mal unbegründet starke Angst vor einem der folgenden Dinge: Schlangen, Spinnen oder andere Tiere, vor Wasser (z.B. dem Meer), vor Gewitter, vor Höhen oder dem Fliegen, vor dem Autofahren?
  • Hatte ich schon mal Angst in geschlossenen Räumen (Aufzug, Kabine oder ähnliches)?
  • Hatte ich einen starken Widerstand davor, Blut zu sehen, Blut abnehmen zu lassen oder eine Spritze zu bekommen?
  • Waren diese Ängste über längere Zeit (Monate oder Jahre) vorhanden?
  • Habe ich versucht, Situationen, in denen diese Ängste auftreten, zu vermeiden?
  • Hat diese Angst mein Leben belastet, mich z.B. privat oder beruflich stark eingeschränkt?
  • Habe ich wegen dieser Ängste Medikamente eingenommen?

Wer mehr als die Hälfte aller Fragen mit Ja beantwortet, könnte an einer spezifischen Phobie leiden.

Hunderte von spezifischen Phobien

Eine spezifische Phobie ist – wie der Name sagt – eine extrem starke Angst (Phobie) vor ganz spezifischen Objekten oder Situationen. Neben der starken Angst beinhaltet die spezifische Phobie auch bestimmte Gedanken wie die Befürchtung, eine Katastrophe könnte passieren, man könnte durchdrehen oder sterben. Deswegen möchten die Betroffenen den Kontakt mit dem Angst auslösenden Objekt oder der Angst auslösenden Situation um jeden Preis vermeiden, selbst wenn sie erkennen, dass die Angst übertrieben und irrational ist.

Es gibt fast nichts, was nicht Auslöser einer spezifischen Phobie sein kann. So kursieren z.B. im Internet lange Listen mit hunderten von Phobien, von denen manche nachvollziehbar, viele aber völlig skurril sind wie etwa die Chromatophobie (Angst vor Farben), die Nephophobie (Angst vor Wolken) und die Basophobie (Angst vor dem Gehen). Solche Ängste dürften wohl nicht allzu viele Personen betreffen. Es gibt jedoch einige Objekte und Situationen, die besonders häufig zum Auslöser von Phobien werden. Dementsprechend werden die spezifischen Phobien in der Wissenschaft in folgende fünf Untertypen eingeteilt:

  • Tierphobien: Betrifft in erster Linie Spinnen und Schlangen, aber auch Ratten, Katzen, Hunde, seltener Vögel. Neben der starken Furcht zeigt sich hier ein ausgeprägtes Ekelgefühl.
  • Umweltphobien: Gemeint ist damit die Furcht vor Naturphänomenen, insbesondere die Angst vor Wasser, vor Dunkelheit, vor Gewitter und die Angst vor großen Höhen (bei der oft ein Schwindelgefühl auftritt). Befürchtet wird v.a. die von der Naturgewalt ausgehende Gefährdung. Heutzutage kann man hier auch die Klimaangst anführen.
  • Blut-Spritzen-Verletzungsphobie: Hierher gehört die Furcht vor dem Anblick von Blut oder von Verletzungen, aber auch die Furcht vor dem Setzen von Spritzen (zur Blutabnahme, zur Impfung), die so weit gehen kann, dass der Besuch eines Arztes, speziell Zahnarztes, vermieden wird. Bei diesen Phobien tritt häufig eine psychisch bedingte Ohnmacht auf.
  • Situative spezifische Phobien: Diese Phobien betreffen ganz konkrete Situationen wie die Angst vor dem Eingeschlossensein in engen Räumen, z.B. einem Fahrstuhl (Klaustrophobie), die Angst vorm Autofahren oder die Angst vorm Fliegen. Letztere ist die am weitesten verbreitete aller spezifischen Phobien.
  • Sonstige spezifische Phobien: dieser Untertyp umfasst den ganzen Rest aller anderen Phobien, die nicht in eine der obigen Kategorien passen. Die häufigsten unter diesen ist die Angst vor dem Erbrechen (Emetophobie), die Angst vor dem Ersticken beim Essen (Schluckangst oder Phagophobie) und die Angst davor, krank zu werden (Nosophobie), etwa sich mit Corona anzustecken.

Wann wird die Angst zur Krankheit?

Viele Menschen mögen keine Spinnen oder andere Insekten, haben ein mulmiges Gefühl in der Höhe oder beim Fliegen, vermeiden den Anblick von Blut – solche unangenehmen Gefühle sind noch keine Phobie. Um von einer krankhaften Angststörung zu sprechen, müssen noch weitere Faktoren erfüllt sein. Zum einen muss die Angst sehr stark sein, bis hin zu Panikreaktionen, so dass sie den normalen Tagesablauf und die üblichen sozialen Aktivitäten erheblich beeinträchtigt. Außerdem müssen die Betroffenen erkennen können, dass ihre Angst unverhältnismäßig und irrational ist, also durch die Angst stark psychisch belastet sein.

Da die Objekte und Situationen der Angst relativ eng umgrenzt sind, kann man trotz einer krankhaft starken Angst durchaus ein normales Leben führen, wenn man den Kontakt mit dem phobischen Objekt vermeidet. Betroffene von spezifischen Phobien begeben sich daher im Allgemeinen nicht in therapeutische Behandlung, obwohl tatsächlich die Hälfte aller Angststörungen auf spezifische Phobien entfallen (ca. 8% der Bevölkerung).

Ab wann ist es sinnvoll, aktiv etwas gegen die Ängste zu unternehmen? Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Letztlich hängt es vom Grad der Einschränkung ab, die man durch die Störung erleidet, von der Schwere der emotionalen Belastung. Entscheidend ist also der persönliche Leidensdruck. Wer z.B. wegen Angst vor Erbrechen kein Restaurant mehr besuchen, auch nicht mehr auf Reisen gehen kann, erlebt eine erhebliche Einschränkung seiner Lebensqualität. Ist außerdem der Besuch der Kantine mit Kollegen oder das Geschäftsessen mit Kunden nicht mehr möglich und hat man eventuell sogar soziale und berufliche Konsequenzen zu erwarten, ist eine solche Angststörung zweifellos behandlungsbedürftig.

Elly führt eigentlich ein normales Leben. Sie ist verheiratet, berufstätig, fühlt sich in nichts eingeengt, geht aus, hat reichlich Bekannte und Freunde, ist nicht krank, in keiner Behandlung. Trotzdem ist Elly eine Phobikerin, denn sie hat massive Höhenangst, kann nicht zu Fuß über eine Brücke gehen. Furchtbare Angst hinunter zu springen oder „hinabgezogen“ zu werden, macht ihr die Überquerung unmöglich. Sie fürchtet, die Kontrolle zu verlieren. Lange Zeit war das kein Problem, fuhr sie mit dem Auto über die Brücke und nahm zu Fuß einen anderen Weg. Bis sie eines Tages – mitten auf der Brücke – in einen Stau geriet und längere Zeit dort festsaß. Damit war der Ausweg Auto dahin, was Ellys Bewegungsradius extrem einschränkte. Sie begab sich in Behandlung.

Der Kern der Spezifischen Phobie: Angst vor der Angst

Was genau befürchten Betroffene von spezifischen Phobien? Dem Phobiker ist durchaus klar, dass sein Verhalten in keiner Beziehung zur tatsächlichen Gefahr steht. Von unseren einheimischen Spinnen, Schlangen und Ratten geht keinerlei echte Bedrohung aus, auch ein Hundeangriff ist äußerst unwahrscheinlich und das Flugzeug ist das sicherste aller Verkehrsmittel. Der Phobiker weiß dies alles rational, dennoch kann er nicht anders: Kommt er mit seinem Angstobjekt in Kontakt, löst dies sofort eine heftige Reaktion aus: Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, Schwindel, Panik, manchmal auch Ohnmacht. Die Angst wird stärker mit der Annäherung an das Objekt und schwindet mit dessen Entfernung. Je größer, je höher, je näher – desto schlimmer.

In der Folge entwickelt sich eine Erwartungsangst: Wenn die Betroffenen das „gefährliche“ Objekt an einem Ort nur erwarten, steigt schon die Angst in ihnen hoch und treibt sie fort von diesem Ort, auch wenn sie das Objekt gar nicht unmittelbar sehen. Es ist also gar nicht das Objekt, vor dem sie sich fürchten, es ist vielmehr das als übermächtig erlebte Gefühl der Angst selbst und der Gedanke, in der Flut der Angst völlig die Kontrolle zu verlieren, vollständig hilflos und gelähmt zu sein. Der Kern jeder spezifischen Phobie – letztlich jeder Angststörung – ist die Angst vor der Angst.

Ursachen der spezifischen Phobie

Bei den spezifischen Phobien ist sicher von einer starken genetischen Basis auszugehen. Das zeigt sich schon daran, dass weltweit die genannten Untertypen vorherrschen. Spinnen, Schlangen, Naturgewalten oder Dunkelheit waren für die frühen Menschen sicherlich Gefahrenquellen, vor denen diese „Urängste“ uns warnen sollen. Wären negative Erfahrungen allein die Ursache für die Entstehung solcher Ängste, müssten wir vor Messern, Leitern oder Autos viel mehr Angst haben als vor Spinnen oder Gewitter. In der Wissenschaft spricht man daher von Prepardness (Vorbereitetsein), was bedeutet, dass der Mensch von Natur aus auf bestimmte Reize schneller mit Angst reagiert als auf andere.

Zu der genetischen Disposition müssen aber noch negative Lernerfahrungen hinzukommen, denn nicht alle Menschen entwickeln ja eine spezifische Phobie. Viele Betroffene können ein konkretes Ereignis benennen, das zum Auslöser ihrer Angststörung wurde: ein Hundebiss, das Feststecken in einem Aufzug, beim Schwimmen in eine Strömung geraten u.ä. Wenn die Angst stark genug war, kann ein einziges solches „traumatisches“ Ereignis genügen, eine dauerhafte Angststörung zu entwickeln.

Eine spezifische Phobie kann aber auch ganz ohne eigene negative Erfahrung entstehen. Gerade Kinder, die ihre Umwelt noch nicht so gut kennen, schauen oft danach, wie ihre Bezugspersonen (Eltern, ältere Geschwister) auf bestimmte Situationen reagieren. Zeigt die Mutter z.B. eine panische Reaktion vor Mäusen, so wird das Kind Mäuse mit Gefahr assoziieren und sie ebenfalls meiden. Selbst ein rein verbales immer wieder Hinweisen auf eine angebliche Gefahr kann ausreichen, ein bestimmtes Objekt zu vermeiden. So etwa, wenn ein Bekannter immer wieder über seinen „dramatischen“ Flug berichtet, bei dem er „beinahe abgestürzt“ wäre und nur „mit Glück überlebt“ hat.

Vermeidung und Konfrontation

Wie auch immer eine bestimmte spezifische Phobie im Einzelnen entstanden sein mag, die starke Angst führt dazu, dass alle Objekte oder Situationen dieser Art vermieden werden. Und wo dies nicht möglich ist, entwickelt der Betroffene alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen, um die Angst möglichst gering zu halten, etwa eine Begleitperson, ein Talisman oder ein bestimmtes Ritual, das die Angst ruhig stellt. Auf diese Weise kann man zwar einzelne Situationen überstehen, die Angst bleibt aber vorhanden, ja kann sogar – etwa durch das Ausmalen negativer Folgen – immer größer werden. Durch Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten bleibt die Angst also bestehen.

Letztlich kann nur eine Konfrontation mit der Angst zu einer Verbesserung führen. Da die – krankhafte – Angst auf einer negativen Lernerfahrung beruht, kann dieser übertriebene, irrationale Anteil der Angst, die Angst vor der Angst, auch wieder verlernt werden. Dazu müssen die Betroffenen sich aber der Angst stellen, sie müssen  die Angst durchleben und dabei erfahren, dass die Katastrophengedanken (ich werde sterben, durchdrehen) nicht der Realität entsprechen. Ohne einem Sich-stellen der Angst, gibt es keine Verbesserung,

Selbsthilfe – Was hilft bei Spezifischen Phobien?

Jeder kann selbst etwas gegen seine Angst tun, etwa mit Entspannungstechniken das Ansteigen der Angst abbremsen oder den Wirklichkeitsgehalt ängstigender Gedanken überprüfen. Näheres dazu erfährst du unter Selbsthilfe.