Erfahrungsbericht als Gruppenleiter

Wer sich für die Gründung einer Selbsthilfegruppe entscheidet hat viele Fragen und oft auch Zweifel, ob es das richtige ist und ob man es überhaupt leisten kann.
Vielleicht hilft dir das folgende Interview mit Hans Peter dabei ein besseres Gefühl zu bekommen für die Aufgaben als Gruppenleiter bzw. Moderator einer Selbsthilfegruppe.

DASH: Hans-Peter, seit wann bist du Leiter einer ASHG?

H.P.: Seit Januar 2019.

DASH: Warst du vorher als Teilnehmer in einer Gruppe?

H.P.: Ja, ich war zuvor selbst ungefähr ein Teilnehmer einer Gruppe.

DASH: Wie hat dir die Gruppe damals geholfen?

H.P.: Sie hat mir sehr geholfen. Ich war damals einmal pro Woche in Therapie und habe gemerkt, dass das für mich nicht ausreicht. Ich suchte mir eine Selbsthilfegruppe, um mitzubekommen, wie es den anderen geht. In meiner Therapie ging es ja nur um mich. Ich wollte aber unter Menschen sein, denen es auch so geht wie mir. Ich habe online nach einer Gruppe in meiner Nähe gesucht und habe nicht sofort etwas gefunden. Ich habe bei MASH angerufen und suchte Rat, die mir weitergeholfen haben mit einer Selbsthilfegruppe Gründungsleitfaden und Hinweise auf Gruppen in meiner Nähe. . Ich war dann froh, eine Gruppe in Pasing gefunden zu haben. Der Anfang war eher nicht einfach. Die Gruppe war sehr heterogen. Die Menschen waren zwischen 22 und 80 Jahre alt und hatten die unterschiedlichsten Themen. Ich habe von mir geredet, habe aber auch viel zugehört und habe dann gemerkt, wie relativ einfach mein Thema im Vergleich zu anderen war. Mein Thema war plötzlich nicht mehr so groß.

DASH: Wie hast Du überhaupt vom Konzept der Angstselbsthilfe erfahren?

H.P.: Ich habe zunächst meine Therapeutin gefragt und habe auch im Internet nach Hilfe gesucht. Da habe ich von Selbsthilfe erfahren und dachte mir: Gruppe ist gut. Dann habe ich diese Gruppe einfach mal aufgesucht und war über den strukturierten Ablauf des Treffens erstaunt. Das strukturierte Sprechen hat mir gutgetan.

DASH: Dann aber hast Du beschlossen, selbst eine Gruppe als Moderator zu leiten. Lag es daran, dass die Gruppe in Pasing zu weit von Dir entfernt lag?

H.P.: Nein, weil eine Gruppenleiterin die Gruppe nur übergangsmäßig leiten wollte. Da ich in der Nähe wohne und in meiner Arbeit viel moderiert habe, wurde ich gefragt. Ich war mir aber nicht sicher, ob ich das kann und möchte. Wenn man an einer Selbsthilfegruppe teilnimmt, kann man das Gehörte in der Gruppe lassen, man denkt nicht so viel darüber nach. Ich hatte einen großen Respekt davor ein Moderator einer Gruppe zu werden. Man hat eine gewisse Verantwortung der Gruppe gegenüber und ich wusste nicht, was in so einer Gruppensituation alles passieren kann. Es ist ein großer Unterschied, ob man im beruflichen Kontext moderiert oder eine Gruppe von Menschen, die unter einer Angststörung leiden. Ich hatte hohen Respekt.

DASH: Bist Du weiterhin als Teilnehmer in Deine Gruppe gegangen, oder hast Du damit aufgehört, als Du selbst eine Gruppe übernommen hast?

H.P.: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das nicht funktioniert. Es fiel mir schwer, die beiden Rollen zu trennen, Teilnehmer und Gruppenleiter zu sein. Ich habe deshalb aufgehört, selbst an einer Gruppe teilzunehmen.

DASH: War das die Gruppe, bei der Du auch heute noch Gruppenleiter bist?

H.P.:  Ich habe versucht, eine neue Gruppe aufzubauen, das war aber schwierig. Meiner Meinung nach muss sich ein Gruppengefühl oder Gruppenpersönlichkeit entwickeln. Wenn einzelne TeilnehmerInnen zu stark oder zu ruhig sind, kommt dieses Gruppengefühl nicht zustande. Die Ausgangslage war schwierig, zwei TeilnehmerInnen hatten Trennungsängste und andere hatten sozialer Phobien. Es kamen hier zwei unterschiedliche Aspekte von Beziehungen zusammen, die schwer lösbar waren.  Die Gruppe brach dann leider auseinander.

DASH: Wie bist Du mit diesen vier Personen in Kontakt gekommen?

H.P.: Es gibt eine Telefonnummer, bei der man im Landkreis Dachau anrufen kann. Es ist die Nummer von Mutiger (Anm: Mutiger-Angstselbsthilfe e.V). Ich habe dann die, die angerufen haben zurückgerufen, um mehr über ihre Ängste herauszufinden. Wir machen ein Vorgespräch und laden dann die Person in die Gruppe ein. In dem vorhin geschilderten Fall waren es vier Leute, die wir eingeladen haben, um mit ihnen eine neue Gruppe zu gründen. Eine Teilnehmerin aus einer anderen Gruppe und ich eingeladen waren auf Seite der „Erfahrenen“ zu zweit.um die neue Gruppe bestmöglich zu unterstützen.

DASH: Ihr habt Euch dann zu einem verabredeten Zeitpunkt in einem dafür angemieteten Raum eingefunden, vermutlich habt Ihr auch einen Stuhlkreis gebildet?

H.P.: Richtig. Wir haben bei der örtlichen Caritas die Möglichkeit, einen Raum zu nutzen. Diesen Raum haben wir angemietet. Hier treffen wir uns. Beim ersten Treffen gab es eine Vorstellungsrunde, wir stellten vor was Selbsthilfe bedeutet. Wir erklärten den Ablauf der Gruppe, Blitzlicht, Themenfindung, Feedback-Regeln. Danach haben wir das Wort an die anderen Teilnehmenden abgegeben, die sich dann vorstellten.

DASH: Findest Du auch als Gruppenleiter den strukturierten Ablauf hilfreich?

H.P.: Ja.  Es tut z.B. gut zu sagen, wie es einem gerade geht – das ist ja im Blitzlicht enthalten – Wie geht’s mir heute? Was bedrückt mich? Aber auch: Was begeistert mich? Was hat mir gutgetan? Diese Runde ist wichtig.  Als Moderator bekomme ich so ein Gefühl für die Stimmung. Genauso wie bei der Abschlussrunde.

DASH: Wie oft trefft ihr euch?

H.P.: Wir treffen uns einmal pro Woche.

DASH: Welche Situationen empfindest Du als besonders schwierig? Was war bisher die herausforderndste Situation in einer ASHG?

H.P.: Wenn die Emotionalität sehr hoch ist. Wenn z.B. über sehr traumatische Erlebnisse berichtet wird. Ich erinnere mich an einen Fall, da berichtete eine Frau über ein hochtraumatisches Ereignis. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Soll ich sie in den Arm nehmen, oder lieber nicht? Die Gruppe hat betreten geschwiegen. Solche emotionalen Situationen finde ich schwierig.

Schwierig ist für mich auch, bei den Fragen – besonders bei neuen Mitgliedern – das richtige Maß zu finden. Wie weit will sich jemand öffnen? Ist es überhaupt meine Aufgabe nachzufragen? Muss ich das nicht viel mehr der Gruppe überlassen? Aber was, wenn die Gruppe überhaupt nicht reagiert? Wenn ein Thema im Raum ist, wenn die Fragen im Raum stehen, aber nicht gefragt werden. Ist das dann meine Aufgabe?

DASH: Wie löst Du dieses Dilemma?

HP Darauf habe ich für mich noch keine Antwort gefunden. Ich habe bei einem anderen Gruppenleiter beobachtet, dass er viel tiefer ins Thema eintaucht, viel intensiver nachfragt als die Gruppe oder ich.. Die angesprochene TeilnehmerIn hat aber alle Fragen beantwortet, das ließ mich nachdenklich werden. Also fragte ich mich:  Bin ich zu zögerlich? Halte ich mich zu sehr zurück? Was ist es, dass die Menschen wünschen? Wollen sie so intensiv befragt werden.

DASH: Das kann vermutlich nicht genau festgelegt werden. Jede Gruppenleitung wird das gemäß ihrer eigenen Persönlichkeit handhaben.

HP: Es ist besonders am Anfang sehr schwierig. Die Menschen kennen sich noch nicht. Es gibt noch keine Vertrauensbasis. Sie haben noch Scheu und getrauen sich nicht zu reden. Andere wiederum sprechen die ganze Zeit, weil sie endlich ein Forum zum Reden haben. Auch hier die Fragen: Wie verhalte ich mich hier richtig? Halte ich diese Personen eher zurück? Wie sind diese ganzen gruppendynamischen Prozesse auszubalancieren? Darüber muss ich viel nachdenken. Jede Gruppe ist anders und neu. Jede Gruppe hat ihre eigene Persönlichkeit und Persönlichkeiten. Neue Gruppen müssen erstmal eine Persönlichkeit entwickeln. 

DASH: Habt Ihr Gruppenregeln aufgestellt?

HP: Wir haben Feedbackregeln, auf die ich auch sehr stark achte. Es gibt Regeln, wie man miteinander spricht, dass man sich nicht unterbricht, nicht miteinander tuschelt,…..

DASH: Du hast gesagt, Ihr startet mit einer Blitzlichtrunde. Greifst Du da ein Thema auf? Und was, wenn es kein konkretes Thema zum Bearbeiten gibt, sprichst Du dann auch mal eine Person gezielt an?

HP:  Manchmal bringen ein, zwei Personen ein Thema mit, dann greife ich diese Themen auf und frage zunächst bei einer Person nach. Nach einiger Zeit lenke ich dann das Gespräch auf das Thema der anderen Person. Ich habe festgestellt, dass es der Gruppe nicht guttut, wenn eine einzelne Person durch ihr Thema über längere Zeit dominiert. Da schalten die anderen dann ab und fragen sich, was geht mich das an. Ich habe gelernt, dass ich darauf achten muss, dass die Gruppe nicht ermüdet und dass ein anderes Thema Platz bekommt. Die Schwierigkeit hier ist natürlich, jemanden nicht zu verletzten, wenn man ihn bittet, aufzuhören.

Schwierig ist auch, wenn in der Gruppe gar nichts passiert. Wenn alle in der Blitzlichtrunde sagen: Eigentlich geht es mir ganz gut. Eigentlich war es eine ganz gute Woche. In so einem Fall habe ich ein paar Themen, die ich ins Gespräch bringe. Z.B. Achtsamkeit oder Verzeihen oder Kränkungen. Solche Themen betreffen jeden. Jeder kann dazu eine eigene Geschichte erzählen. Ich spreche dann oft Teilnehmender dazu an. Wenn das Gespräch dann läuft, ziehe ich mich wieder zurück und höre zu.

Eine Belastung ist auch, wenn im Abschlussblitzlicht negatives Feedback zu dem Treffen gegeben wird. Mein Problem ist, dass ich mich dann verantwortlich fühle. Da ich den Lauf der Gruppe nicht wirklich beeinflussen kann, ist das etwas, dem ich mich jedes Mal aussetze. Diese Verantwortung belastet mich. Ich habe ein gewisses Maß an Professionalität und ein gewisses Maß an Emotionalität. Die Balance zu finden ist schwierig.         

DASH: Bereitest du die Treffen vor oder nach?

HP: Selten. Für mich ist jede Stunde neu und überraschend. Das ist mein Ansatz. Ich notiere mir, wer da war. Mich würde das Aufschreiben der Themen jedes Mal neu triggern. Ich versuche die Themen dort zu lassen.

DASH: Hast Du einen hohen Verwaltungsaufwand?

HP: Nein. Der Verwaltungsaufwand ist gering. Es gibt ein Aufnahmeformular mit den wichtigsten Informationen, auch um für Verbindlichkeit zu sorgen. Wir erheben einen kleinen finanziellen Beitrag, der für die Raummiete und für gemeinsame Ausflüge verwendet wird.

DASH: Bekommt Ihr finanzielle Unterstützung, oder finanziert Ihr Euch rein über die Beiträge?

HP: Wir bekommen Förderungen zum Beispiel vom Selbsthilfezentrum München und finanzieren uns auch über die Beiträge. Wir erhalten auch freundlicherweise vom Landratsamt Unterstützung. Dadurch konnten wir als Träger ein subventioniertes therapeutisches Wochenende anbieten. Auch konnten der Verein Expositionen (Fahren) sehr preisgünstig anbieten, was hilfreich ist für die Menschen, die aufgrund ihrer Ängste Schwierigkeiten haben, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder sich in der Öffentlichkeit zu bewegen.  Expositionen sind Teil der Gruppenarbeit. Außerdem bieten wir noch einen monatlichen Stammtisch als geselliges Beisammensein, Referate oder das therapeutische Wochenende an.

DASH: Wie viele Gruppen habt Ihr bei Mutiger?

HP: Wir haben 7 aktive Gruppen und eine reine Online-Gruppe

DASH: Wie lange gibt es Euch schon als Verein?

HP: Seit 2005

DASH: Gibt es etwas zu essen und zu trinken? Warum ja, warum nein?

HP: Man kann sich selbst bei den Selbsthilfegruppen etwas zu trinken mitbringen, essen würde stören.

DASH: Was bringt Dir die Gruppenleitung persönlich?

HP: Mir gibt die Gruppe, dass ich an den Leben der anderen teilnehmen kann und ich dadurch eine andere Perspektive auf mein eigenes Leben bekomme. . Ich werde mit allen Themen dieser Gruppe konfrontiert. Es sind vor allem Themen, die Menschen in meiner Altersgruppe Ü60 betreffen. Schwieriger ist es bei Gruppen, deren Teilnehmer deutlich jünger sind. Man könnte da leicht in eine väterliche Rolle rutschen.

DASH: Verstehe ich Dich richtig, dass Du für eine altershomogene Gruppeneinteilung bist und auch denkst, dass der Gruppenleiter dieser Altersgruppe angehören soll?

H.P.: Ja, das denke ich. Es gibt die Lebensphasen – Ausbildung, Beruf, Familiengründung, 50+, Rente. Das meine ich als Beispiele für homogene Gruppen. Bei inhomogenen Gruppen braucht es viel mehr Toleranz. Der Gruppenleiter sollte zur Gruppe passen.  Ich bin heute nicht mehr in der Erlebenswelt der 20—40-jährigen. Bei diesen Themen kann ich nicht mehr mitreden. Ich war zu einer ganz anderen Zeit in diesem Alter. Die Ängste von heute sind andere als damals.

DASH: Wie viele Stunden pro Woche investierst du in die ASHG (vom eigentlichen Treffen abgesehen)?

H.P.: Das ist sind ungefähr die 1,5 Stunden des Treffens plus eine halbe Stunde.

DASH: Hast Du eine spezielle Empfehlung für Gruppengründer?

H.P Sei Dir über Dich selbst im Klaren, warum Du eine Gruppe gründen willst.  Informiere Dich, wo es welche Hilfe gibt, Lies Dir den Leitfaden für Gruppengründer der NAKOS (Nationale Kontakt und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen) durch. Wenn Du eine Gruppe gründest, denk daran, dass Du nicht starten und dann gleich wieder aufhören kannst. Es dauert, braucht Zeit. Überleg Dir, wie viel Du von Dir selber in diese Selbsthilfegruppe hineingeben kannst. Wie groß ist Dein Helferwunsch? Wie groß ist Dein eigenes Thema, das Du noch bearbeiten musst? Kannst Du die Perspektive wechseln? Kannst Du nachvollziehen, welche Themen die anderen haben? Es sollte Dir klar sein, dass wie bei einem Eisberg bei vielen nur ein kleiner Teil der Probleme an der Oberfläche sind.  Und Du musst Dir bewusst sein, dass der Rest auch plötzlich an die Oberfläche kommen kann. Das musst Du dann aushalten.