Was sind Angststörungen?
Jeder Mensch kennt das Gefühl von Angst in bedrohlichen Situationen. Bei manchen ist sie stärker ausgeprägt, manche fürchten sich seltener. Für manche Menschen wird die Angst so übermächtig, dass ihre Möglichkeiten, ein normales Leben mit schönen Erlebnissen zu führen, stark verringert sind.
Normale Angst – krankhafte Angst
Angst ist ein sinnvoller angeborener Mechanismus, der für unser Überleben wichtig ist, weil er uns vor Gefahren und vor Verlusten warnt und uns antreibt, Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten. Dieses Angstprogramm läuft ganz automatisch ab, wir können es nicht einfach ausschalten. Ein Leben ohne Angst wäre im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich und deswegen auch gar nicht erstrebenswert. Angst soll unser Leben beschützen, aber nicht bestimmen.
Doch was unterscheidet nun diese normale und gesunde Angst von einer krankhaften und übersteigerten Angst? Wenn die normale Angst die Aufgabe hat, uns zu warnen und zu aktivieren, dann ist die übersteigerte Angst eine, die zu oft warnt und zu stark aktiviert. Sie ist der realen Situation nicht mehr angemessen, sie hat sich verselbstständigt.
Die Unangemessenheit einer krankhaften Angst zeigt sich quantitativ wie qualitativ:
- quantitativ: Die Angst tritt über einen längeren Zeitraum hinweg unangemessen häufig und lange auf.
- qualitativ: Die Angst ist für die gegebene Situation unangemessen intensiv. Wer beim Anblick einer Spinne, beim Fahren in der U-Bahn oder bei einem öffentlichen Auftritt Herzrasen bekommt, kaum noch atmen kann und schweißgebadet ist, hat eine für die Situation unangemessen intensive Angst.
Die Folge dieser übertriebenen Angst ist Vermeidungsverhalten. Der Betroffene meidet alle Situationen, in denen das von ihm Befürchtete eintreten könnte, oder er flieht aus der Situation, sobald sie eingetreten ist. Weitet sich dieses Verhalten aus, kommt es zu sozialem Rückzug, zu Isolation und Einsamkeit. Dass dies andere psychische Probleme nach sich zieht, liegt auf der Hand.
Übersteigerte Angst
Betrachten wir die Sache anhand einer ganz einfachen Angst: der Angst vor Spinnen. Normal ist, dass ich kurz zusammenzucke, wenn ich eine Spinne z.B. im Keller sehe. Normal ist, dass sich ein Gefühl des Unbehagens bis hin zu Angst einstellt, das mich einerseits warnt (Vorsicht – gefährliches Objekt), andererseits mich dazu bringt, mir Gegenmaßnahmen einfallen zu lassen. So könnte ich die Spinne erschlagen oder sie mit Hilfe eines Behälters einfangen und aus dem Haus schaffen. Ist die Gefahr beseitigt, die Situation geklärt, flaut die Angst ab und die Sache ist vergessen.
Wenn ich beim Anblick der Spinne allerdings Panik bekomme, schreiend davon renne oder sonst keinerlei konstruktive Bewältigungsmöglichkeiten habe, dann ist von einer übersteigerten Angst auszugehen. In der Folge wird der Betroffene versuchen, jede weitere Begegnung mit einer Spinne zu vermeiden. Der Keller wird ab jetzt tabu sein, vielleicht wird er in Zukunft auch nicht mehr in den Garten gehen oder einen Spaziergang in den Wald machen, weil dort überall Spinnen lauern könnten. Mit der Zeit wird aus der an sich harmlosen Spinne in der Vorstellung ein regelrechtes Monster.
Schließlich wird das ganze Leben umorganisiert, nur um in Zukunft so etwas nie mehr erleben zu müssen. Eine krankhafte Angst ist entstanden: eine die übertrieben stark ist, die im Kopf ständig präsent ist und die die gefürchtete Sache in einer völlig verzerrten Art und Weise wahrnimmt, etwa als aggressive Riesenspinne.
Angst vor der Angst
Für die Leute in der Umgebung ist dieses Verhalten schwer nachzuvollziehen. Und auch der Betroffene selbst ist durchaus in der Lage, sein Verhalten als irrational einzusehen, er kann aber nichts dagegen tun. Auf die Frage: „Welche Gefahr geht denn wirklich von der Spinne aus?“, kann er klar antworten: “Eigentlich keine, aber die Angst ist trotzdem da.” Deswegen ist die Frage nicht richtig gestellt. Denn tatsächlich ist es nicht die Spinne, vor der er Angst hat, sondern es ist die Angst selbst. Es ist dieses entsetzliche, überwältigende Gefühl der Angst, es ist die totale Hilflosigkeit und Lähmung, in der man nur noch erstarrt ist, zu keinerlei konstruktiver Handlung mehr fähig. Es ist die Angst davor, in der Flut der Angst jegliche Kontrolle zu verlieren, sich in der Angst völlig aufzulösen, im schlimmsten Fall zu sterben. Es ist die Angst vor dem nochmaligen Erleben dieser übermächtigen Angst. Sie ist es, die das starke Vermeidungsverhalten auslöst, das nach außen hin so irrational aussieht. Die Angst vor der Angst ist der Kern jeder Angststörung.
Ab wann ist Hilfe nötig?
Die genannte Angst vor der Spinne dürfte im Allgemeinen nicht behandlungsbedürftig sein, außer das Vermeidungsverhalten würde das Leben massiv einschränken. Immer dann, wenn eine Angst sich so sehr verselbstständigt hat, dass sie die Lebensqualität und die gesamte Lebensplanung beeinträchtigt, weil bestimmte Aktivitäten nicht mehr möglich sind, ist das Aufsuchen von Hilfe ratsam. Das kann aber letztlich nur jeder für sich selbst entscheiden. Es kommt also auf den subjektiven Leidensdruck an, wie sehr die Angst das Leben behindert. Entscheidend ist die Frage: Kontrolliere ich die Angst oder kontrolliert die Angst mich?