Schritt für Schritt der Angst entgegengehen Logotherapie in der Behandlung von Angststörungen

„Die Angst macht mich völlig fertig. Sie schnürt mir mein Leben ab!“ Dies ist eines von vielen Beispielen, wie Menschen das Erleben ihrer Angst- und Panikstörung beschreiben. Die Angst steht im Zentrum des Denkens und Fühlens. Die ängstlichen Gedanken mit den vielen negativen Bildern bringen den Körper immer wieder in Alarmbereitschaft, und die Energie, die für das alltägliche Leben benötigt würde, wird durch die Angst immer mehr verbraucht. Der negative Kreislauf hat sich geschlossen.

Super Huber

„Ich fühle mich wie in einem Kokon gefangen.“, so eine Patientin. Dieses Gefühl des Eingeengtseins, des Ausgeliefertseins der Angst gegenüber steht ganz oft im Mittelpunkt des quälenden Erlebens bei einer Angststörung.

Wie kann der betroffene Mensch den negativen Kreislauf aus eigener Kraft öffnen? Wie kann er das in seinem Leben wieder in den Blick nehmen, was wichtiger ist als die Angst, was ihm mehr Kraft, Zuversicht und Lebensfreude geben kann? Diese beiden Fragen stehen im Fokus der Logotherapie in der Behandlung von Angststörungen.

LebensMöglichkeiten sichtbar machen
Logotherapie nach Viktor E. Frankl ist sinnzentrierte Psychotherapie. Sie beruht auf einem philosophisch-anthropologischen Menschenbild, das den Menschen als körperlich-psychisch-geistige Einheit und Ganzheit versteht. Als körperliche und psychische Wesen sind wir Menschen zunächst gebunden an unwillkürlich auftretende Reaktionen. So reagieren wir bei einem Erleben von Angst reflexhaft mit körperlichen Symptomen und gefühlsmäßigen Empfindungen, die sich im weiteren Verlauf gegenseitig sogar noch verstärken können.

Doch darüber hinaus sind wir Menschen mit unseren geistigen Fähigkeiten vor allem freie und weltoffene Wesen. Diese geistigen Fähigkeiten befähigen uns grundsätzlich, ein Stück beiseite treten zu können, die körperlichen und psychischen Reaktionen anzuschauen und zu verstehen. Je mehr einem Menschen dies gelingt, umso weniger erlebt er sich den unwillkürlichen Reaktionen ausgeliefert, die sich in ihm abspielen.

Es ist eine Grundannahme der Logotherapie, dass wir Menschen unsere Lebensmöglichkeiten, unsere Aufgaben
aktiv erkennen können und auch gestalten wollen. Es geht dabei um das geistige „Bei-Sein“ als Fähigkeit des Menschen, sich einer Sache oder auch einem Menschen gegenüber zu öffnen. In der Logotherapie sprechen wir auch von der menschlichen Fähigkeit zur Selbsttranszendenz, die erlebbar ist in der Hingabe an etwas, das uns außerhalb von uns als wertvoll erscheint, sei es eine Sache oder ein Mensch, dem wir uns zuwenden. Damit sind auch kleine, alltägliche Aufgaben und Erlebnisse gemeint.

Bei der Erinnerung an eine Situation, bei der ein Mensch ganz „bei einer Sache“ war, bei der er konzentriert etwas getan oder auch beispielsweise hingehört hat, werden häufig folgende Empfindungen wach: „Dann war ich konzentriert. Gleichzeitig fühlte ich mich entspannt und losgelöst von meinen Ängsten und Belastungen“, „Ich habe mich selbst vergessen und war doch ganz ich selbst. “, „Im Anschluss daran empfand ich Zufriedenheit.“

Wenn wir Menschen uns angesprochen fühlen von etwas in der Welt und darauf aktiv unsere jeweiligen Antworten geben, dann geben wir dabei nicht nur unsere Aufmerksamkeit und unsere körperliche und psychische Energie. Wir bekommen immer auch etwas zurück, ein Erleben von Stimmigkeit und Zufriedenheit. Wenn wir genau hinschauen: Das Gefühl der Erschöpfung hat zum Beispiel nach dem Erledigen einer Aufgabe oder nach einem sportlichen Training eine ganz andere Qualität als ein depressives Erleben von Erschöpfung. Letzteres stärkt den Betreffenden nicht, es bringt ihm keine Zufriedenheit.

Durch diesen Vergleich kann auch ein wesentliches Anliegen der Logotherapie deutlich gemacht werden. Bei dem Erleben von Bei-Sein erfahren wir Menschen unser Leben als sinnvoll. Und dieses Erleben wiederum stärkt in wesentlichem Maße unser Selbst- und Lebenswertgefühl, es gibt uns Kraft, auch dann wenn wir die Aufgabe haben, mit negativen Gegebenheiten umzugehen.

Wenn allerdings bei einem Menschen die Angst mehr und mehr das Steuer übernommen hat und zunehmend die Aufmerksamkeit des betreffenden Menschen fordert, dann ist dieser immer weniger in der Lage, sich seinen Möglichkeiten in der Welt gegenüber zu öffnen.

Dem zuwenden, was wertvoll ist
Jeder Mensch ist einzigartig, und so wird selbstverständlich zu Beginn der logotherapeutischen Arbeit die Lebensgeschichte eines jeden Patienten im Sinne der Anamnese besprochen. Häufig werden bei der Schilderung des bisher gelebten Lebens weitere innere und äußere Gefahren- und Konfliktsituationen deutlich, die über die im Vordergrund bestehende Symptomatik hinausgehen, und die auch häufig in nicht geringem Maße zum Zustandekommen der Erkrankung beigetragen haben. Bei dem Vorliegen einer Angststörung werden diese aus logotherapeutischer Sicht zunächst wahrgenommen, in den allermeisten Fällen aber erst zu einem späteren Zeitpunkt der Behandlung besprochen. Denn im Vordergrund steht die Angst, der negative Kreislauf, der dem Patienten bisher viel Kraft und Lebensfreude genommen hat.

Der erste Schritt der Behandlung aus logotherapeutischer Sicht besteht dann darin, den Patienten zu ermutigen, nicht weiter vor seinen Ängsten davonzulaufen, sondern vielmehr innezuhalten und zu versuchen, seine Ängste anzuschauen, sie zu verstehen. Angst gehört zu unserem Leben dazu. Da ist zunächst die reflexhafte Angst, die eine Schutzfunktion für alle Lebewesen hat. Darüber hinaus gibt es eine weitere Art von Ängsten. Wir Menschen können denken und wir haben ein Bewusstsein von uns und unserem Leben. Wir können erkennen, dass unser Leben endlich und vergänglich ist, dass wir bei Entscheidungen immer etwas loslassen müssen und wir gleichzeitig nie ganz sicher sein können, dass das, wofür wir uns entschieden haben, auch das „Richtige“ ist. Und, wir Menschen wollen immer geachtet, anerkannt und geliebt sein, aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es auch dafür nicht. Das Bewusstsein von diesen grundsätzlichen Unsicherheiten unseres Lebens und die damit verbundenen Gedanken können mehr oder weniger stark ängstigen.

Ein Leben ohne Angst gibt es nicht. Jeder Mensch darf sich ängstigen, erst recht vor Situationen oder vor Verlusten von etwas, das für ihn besonders wertvoll ist und ihm besonders am Herzen liegt. Aber das mögliche Versagen, der mögliche Verlust darf die Gedanken des Betreffenden nicht zu lange vereinnahmen. Wenn der Betreffende durchschaut hat, dass ihm seine negativen und ängstlichen Gedanken ständig etwas Negatives vorspielen, das nur mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit eintreten wird, dann kann er seinerseits seine Gedankenfähigkeit derart einsetzen, dass er mit Hilfe der Phantasie seiner Angst einen Namen gibt, sie anspricht und ihr dann einen Platz in weiter Ferne zuweist. Dies eröffnet ihm den Freiraum, sich wieder mehr und mehr den aktuellen Lebensmöglichkeiten zuwenden zu können, das in den Blick zu nehmen, was ihm als wertvoll erscheint, was er gestalten kann und will. Je mehr dies gelingt, umso mehr verliert die Angst ihre negative Kraft, und der Betreffende gewinnt wieder mehr Zuversicht und Lebensfreude. Diese kann ihn darin unterstützen, weitere Gefahren- und Konfliktsituationen in seinem Leben zu diesem Zeitpunkt der Therapie auch ansprechen zu können.

Nochmals: Ein Leben ohne Angst gibt es nicht. Wir Menschen können lernen, Ängste, denen wir begegnen, zu verstehen und angemessen mit ihnen umzugehen. Wir können lernen die Ängste, die uns vor Gefahren warnen wollen, ernst zu nehmen und zu beachten. Und wir können lernen, die Ängste zu ignorieren, die sich in unseren Gedanken in unangemessener Weise immer weiter aufbauen und uns ständig das Allerschlimmste, was passieren könnte, vor Augen halten.

Wenn dies gelingt, dann wird in unserem Blick immer wieder das Leben mit seinen Möglichkeiten sichtbar. Dann können wir jeweils eigenständig entscheiden, was wir gestalten und erleben wollen. Wir können an der Sinnfülle des Lebens teilhaben, und dies wiederum gibt uns Vertrauen und Zuversicht, möglichen Gefahren entgegentreten zu können.