Angst vor dem Coronavirus – Häufig gestellte Fragen

Prof. Borwin Bandelow

Warum haben so viele Menschen Angst, sich anzustecken?

Immer wenn eine Gefahr auftaucht, die neu und unbeherrschbar ist, haben die Menschen davor mehr Angst als vor bekannten Gefahren. Es gibt viele Risiken, die im täglichen Leben auf uns lauern: Autounfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle und vieles andere mehr. Trotzdem denken wir nicht den ganzen Tag darüber nach. Im Gehirn gibt es einen vernünftigen, intelligenten Teil, der Fakten verstehen und abwägen kann, das Vernunft-Gehirn. Und dann gibt es das Angstsystem, das sehr einfach strukturiert ist und deswegen die Fakten nicht versteht, aber manchmal Vorrang hat, weil es ein Überlebenssystem ist. Beide Systeme arbeiten leider nicht immer zusammen. Das Vernunft-Gehirn sagt zum Beispiel: „Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass du mit jungen Jahren an dem Virus stirbst, ist sehr gering. Und selbst wenn du es kriegst, wirst du es sehr wahrscheinlich überstehen.“ Das Angstsystem dagegen versteht die Fakten nicht und sagt: „Du wirst das nächste Opfer!“

Angst kann auch ansteckend wirken. Angst ist außerdem ein soziales Phänomen, man kann sich da wechselseitig hineinsteigern.

Natürlich gibt es Menschen, die zu der Risikogruppe gehören, zum Beispiel, weil sie älter sind und verschiedene Vorerkrankungen haben, die sie anfälliger für das Virus machen. Aber auch hier ist keine Panik angebracht: Wenn man sich gut schützt, vor allem, indem man sämtliche Außenkontakte vermeidet und gesund lebt, gibt es eine reelle Chance, unbeschadet durch die Corona-Krise zu gehen.

Was geschieht derzeit mit Menschen, die eine Angststörung haben?

Im Gehirn scheint es verschiedene Angstsysteme zu geben – während das eine für reale Ängste (wie zum Beispiel, sich mit dem Corona-Virus anzustecken) zuständig ist, entstehen Angsterkrankungen wie zum Beispiel die Panikstörung in einem anderen Gebiet des Gehirns. D. h. mit anderen Worten: Menschen mit einer Panikstörung haben nicht unbedingt mehr Angst als andere, sich anzustecken.

Es gibt natürlich Ausnahmen: Menschen mit einer generalisierten Angststörung haben häufig sehr ausgeprägte Ängste, dass ihren Kindern, Partnern oder anderen lieben Menschen etwas zustößt – oder auch, dass sie selbst krank werden könnten. Diese sind derzeit natürlich in großer Sorge.

Auch gibt es Menschen, die allgemein schon immer eine große Angst davor hatten, bestimmte Erkrankungen zu haben (obwohl sie von Ärzten untersucht worden sind und nichts gefunden wurde). Es ist verständlich, dass diese Betroffenen jetzt besonders große Angst haben.

Auch gibt es Menschen mit Zwangserkrankungen, die schon immer befürchtet haben, sich mit Keimen anzustecken. Auch bei diesen Betroffenen ist natürlich die Angst derzeit stark ausgeprägt.

Wenn Sie zu diesen Gruppen gehören, sollten Sie sich vielleicht damit trösten, dass für gesunde Menschen das Risiko, an dem Virus zu sterben, äußerst gering ist.

Warum machen die Menschen Hamsterkäufe?

Die Erklärung für die Hamsterkäufe geht wahrscheinlich in die Urzeit zurück: Vor tausenden Jahren mussten die Menschen für den Winter vorsorgen. Wer genug Nahrungsmittel für die nächsten sechs Monate gehamstert hatte, der hat überlebt. Das waren die Ängstlichen, die Bedenkenträger. Die Fröhlichen, Unbekümmerten, die keine Vorräte gesammelt hatten, sind verhungert. Da Ängste sich vererben, ist es so, dass sich die Linie der Ängstlichen fortsetzte, während die Nicht-Ängstlichen ausgestorben sind. Unser Gehirn schaltet in einer Krise auf einen Überlebensmodus, der im einfach strukturierten Angstgehirn abläuft und nicht im intelligenten Vernunftgehirn. Das führt dazu, dass die Menschen die Lebensmittelregale leer kaufen, obwohl ihnen immer wieder versichert wird, dass die Vorräte reichen und wir nicht verhungern werden.

Was hilft gegen aufkommende Ängste in Zeiten der Corona-Krise?

Man sollte mit einem gesunden Fatalismus nach vorne schauen. Man muss sich immer wieder sagen, dass es viele andere Gefahren gibt, die die zum Teil häufiger sind, von denen wir nicht ständig Angst haben. Wir fahren jeden Tag mit dem Auto oder Fahrrad los, ohne ständig über Unfälle nachzudenken

Allerdings sollte man die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einhalten, wie den nötigen Sicherheitsabstand einhalten, beim Niesen aufpassen und die sich lange und gründlich Hände waschen.

Was macht es mit den Menschen, wenn sie in den nächsten Wochen sozial isoliert werden?

Menschen sind soziale Wesen, wir sind aufeinander angewiesen. Viele Menschen werden in den nächsten Wochen und Monaten sehr stark isoliert und einsam sein. Dies stellt für viele Menschen ein großes Problem dar, vor allem ältere, die keinen Besuch mehr empfangen sollen, um sich nicht anzustecken.

Eine Möglichkeit ist natürlich, über die sozialen Medien Kontakt aufrechtzuerhalten. Selbst viele ältere Menschen können mittlerweile mit diesen Medien hervorragend umgehen. Vielleicht hilft es älteren Verwandten oder Bekannten, die im Altersheim sind, sie häufig anzurufen.

Wie können die Menschen mit ihrer erzwungenen Freizeit umgehen?

Viele Menschen haben jetzt einen unfreiwilligen Urlaub. Menschen können erstaunlich kreativ und fantasiebegabt sein, wenn sie nun überlegen, was sie mit ihrer unfreiwillig gewonnenen Freizeit anfangen können. Sie helfen zum Beispiel ihren älteren Nachbarn oder betreuen Kinder. Manche betreuen ältere Menschen, indem sie für sie Einkäufe und andere Dinge erledigen. Dieses Helfen kann zudem ein gutes Gefühl bei Helfenden erzeugen – im Gehirn werden Endorphine (Wohlfühlhormone) ausgeschüttet.

Für manche Menschen hat der Zwangsurlaub vielleicht sogar positive Effekte: Paare, die sich sonst kaum sehen, weil sie in Arbeit ertrinken, haben jetzt mehr Zeit für einander. Kinder freuen sich, wenn sie ihre Eltern mehr für sich haben.

Natürlich können sich auch Konflikte ergeben, wenn man es in der Familie oder Partnerschaft nun auf beengtem Raum aushalten muss. Da sollte jeder versuchen, möglichst die Ruhe zu bewahren und jedem Streit aus dem Wege zu gehen. Paare, die sich jetzt zunehmend auf die Nerven gehen, sollten eine geplante Trennung auf die Zeit nach Corona verschieben.

Wie lange können Menschen diese Angst aushalten?

Menschen sind erstaunlich anpassungsfähig, was die Angst angeht. Nach einigen Wochen werden wir uns an diesem Zustand gewöhnt haben, ohne eine starke Einschränkung unser Lebensqualität zu verspüren. Menschen, die in Kabul, Rio de Janeiro oder Johannesburg leben, haben auch nicht ständig Angst, obwohl dort das Leben sehr viel gefährlicher ist als bei uns.

Wie erkläre ich den Kindern, was gerade passiert?

Kinder bekommen oft mehr mit, als ihre Eltern denken. Es hilft nicht, ihnen das derzeitige Problem mit dem Virus zu verschweigen. Man sollte mit ihnen in einer altersentsprechenden Sprache alles erklären; man muss keine Angst haben, dass sie dadurch überfordert werden. Schlimmer wäre es, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen etwas verschwiegen wird.