Cannabis-Produkte als Angstmedikamente?

Von Borwin Bandelow

Können Cannabis-Produkte gegen Angst helfen? Das klingt zunächst einmal paradox. Menschen, die Haschisch rauchen – vor allem solche, die zum ersten Mal Cannabis konsumieren – berichten häufig über Symptome, die einer Panikattacke ähneln: Angst, Panik, Herzrasen, Übelkeit, Schwindel oder Mundtrockenheit. Wie könnte da aus der Hanfpflanze ein Medikament gegen Angst entstehen?

In letzter Zeit wird verstärkt über die positiven Wirkungen von Cannabis-Produkten berichtet. Hier muss man allerdings zwischen den verschiedenen Bestandteilen des Hanfs unterscheiden. Die Pflanze enthält über 80 verschiedene Chemikalien, die Cannabinoide genannt werden. Der wichtigste Bestandteil des Hanfs ist das Tetra-Hydrocannabinol (THC), dem die bekannte berauschende Wirkung zugeschrieben wird. Der am zweithäufigsten vorkommende Bestandteil des Cannabis ist das Cannabidiol (CBD). Es erzeugt im Gegensatz zu THC kein „High“-Gefühl, und diese Substanz könnte in der Zukunft vielleicht tatsächlich eine Rolle bei der Behandlung von Angststörungen spielen.

Cannabiskonsum ist ja grundsätzlich nicht frei von Nebenwirkungen. Im Vergleich zu „harten“ Drogen wie Heroin führt Haschisch- oder Marihuana-Rauchen zwar nicht regelmäßig zur Suchtentwicklung. Man schätzt allerdings, dass einer von zehn Cannabis-Konsumenten eine Abhängigkeit entwickelt. Der Entzug von Cannabis führt weniger zu körperlichen, aber immerhin zu psychischen Entzugssymptomen.

Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, ob der Gebrauch von Cannabis zu Psychosen (wie etwa Schizophrenie) führen kann. Bekannt ist, dass Menschen mit einer Schizophrenie häufiger Cannabis konsumieren. Allerdings kann man daraus nicht unbedingt einen Kausalzusammenhang folgern. Es könnte auch sein, dass Psychosen bei Menschen, die eine Veranlagung dazu haben, nach Cannabis-Konsum leichter ausbrechen.

Als weitere negative Folge werden Gedächtnisverluste benannt. Jemand, der schon einmal gekifft hat, weiß, dass man im Marihuanarausch manchmal sogar Dinge vergisst, die fünf Minuten vorher passiert sind. Nach manchen Studien können die Gedächtnisverluste bis zu einem Monat nach Beendigung des Konsums anhalten.

Auch wird diskutiert, ob Cannabis zu einem „amotivationalen Syndrom“ führen kann. Damit ist gemeint, dass schwere Kiffer einen starken Antriebs- und Energiemangel haben, worunter schulische und berufliche Ausbildungen leiden. Auch wurden Suizidgedanken bei langem Cannabismissbrauch beobachtet, wobei wiederum unklar ist, was hierbei Ursache und was Wirkung ist.

Manche Menschen sollten auf keinen Fall Cannabis konsumieren. Selbstverständlich ist, dass in der Schwangerschaft und Stillzeit der Konsum eingestellt werden sollte. Auch Betroffene, die unter einer Schizophrenie leiden, sollten von der Droge Abstand nehmen. Das gleiche gilt für Menschen, die unter anderen Suchterkrankungen leiden. Auch wird davon abgeraten, in jungem Alter Cannabis zu konsumieren, weil dadurch die Hirnreifung negativ beeinflusst werden kann.

Medizinische Cannabisprodukte

Dennoch werden zunehmend medizinische Anwendungen der Hanfdroge propagiert. Bereits jetzt werden Cannabis-Produkte bei einer Reihe von Krankheiten als Medikament eingesetzt (Hoch et al 2019). So war das Medikament Dronabinol, eine Sonderform des Hanfbestandteils THC, in einer Studie bei Anorexie (Magersucht) wirksam. Nabiximols (Sativex®), ist ein Medikament, das etwa zu gleichen Teilen THC und Cannabidiol  (CBD) enthält. Es war in Placebo-kontrollierten Studien hilfreich bei Patienten mit Multipler Sklerose, chronischen Schmerzen oder Übelkeit nach einer Chemotherapie. Nabilon ist ein synthetisch hergestelltes Cannabinoid, das dem THC aus dem Hanf eng verwandt ist und wie dieses auch berauschend wirken kann. Es kann gegen Übelkeit bei Chemotherapie-Patienten verordnet werden.

Cannabidiol (CBD) wird bereits als Medikament bei Kindern mit einer bestimmten Form der Epilepsie eingesetzt. Auch bei der Behandlung der Schizophrenie zeigte sich CBD als wirksam. Dieser Hanfbestandteil könnte durchaus in der Zukunft bei der Behandlung auch von Angsterkrankungen eine Rolle spielen.

CBD wirkt auch gegen angst

In einer Fallstudie zeigte sich, dass bei Patienten mit Angststörungen die zusätzliche Gabe von Cannabidiol die Angst besserte (Shannon et al 2019). In einer anderen Studie bekamen Menschen mit einer sozialen Phobie einmalig eine Dosis Cannabidiol oder Placebo. Unter Cannabidiol war die Angst vor öffentlichem Sprechen geringer (Bergamaschi et al 2011). Auch in einer weiteren Studie besserte die einmalige Gabe von Cannabidiol die Ängste bei Menschen mit einer sozialen Phobie (Crippa et al 2011).

Bevor man allerdings davon ausgehen kann, dass Cannabidiol als Medikament zur Behandlung von Angsterkrankungen routinemäßig eingesetzt werden kann, muss der Stoff noch den „Elchtest“ bestehen. Das heißt, es müssen mehrere Doppelblindstudien durchgeführt werden, bei denen Hunderte von Patienten über mehrere Wochen Cannabidiol oder Placebo erhalten. Nur wenn sich dann ein bedeutsamer Unterschied zum Scheinmedikament zeigt, wäre der Beweis erbracht, dass Cannabidiol auch als Angstmedikament zugelassen werden kann.

Seit März 2017 dürfen Ärzte in Deutschland in bestimmten Fällen Cannabis-Produkte auf Rezept verordnen. Diese Verordnungen stellen einen Sonderfall dar. Bevor ein Arzneimittel in Deutschland auf den Markt kommt, muss es in der Regel eine Reihe von Prüfungen durchlaufen. In jahrelangen Tests muss zunächst einmal herausgefunden werden, ob es nicht zu starke Nebenwirkungen hat. Dann muss die Wirkung in Doppelblindstudien im Vergleich mit Placebos und anderen etablierten Medikamenten getestet werden. Erst dann kann eine Zulassung der europäischen Behörde erfolgen. Zuletzt muss noch der Gemeinsame Bundesausschuss zustimmen.

Beim Cannabis wählte man überraschenderweise einen völlig anderen Weg. Obwohl für keine Krankheit bisher ausreichende Doppelblindstudien vorliegen und auch die zahlreichen Sicherheitstests, die bei normalen Medikamenten wegen der möglichen Nebenwirkungen vorgenommen werden müssen, nicht vorlagen, beschloss man im Bundestag, dass Krankenversicherte auf eine Versorgung mit Cannabis Anspruch haben – in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten oder in Form von Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon –, wenn eine anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach Einschätzung der Ärzte nicht zur Anwendung kommen kann. Zudem muss eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht“ auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen. Dann kann Cannabis zulasten der Krankenkasse verordnet werden.

wirkungen zu wenig erforscht

Dabei berief man sich auf positive Fallberichte von Patienten – zum Beispiel bei chronischen Schmerzen oder bei Übelkeit durch Chemotherapie. Allerdings wird man für jede Chemikalie, jedes Nahrungsmittel oder jedes Medikament immer einzelne Menschen finden, die eine positive Wirkung berichtet hatten. Placebo-Pillen können Berge versetzen. Vor dem Hintergrund, dass die möglichen Langzeitwirkungen von Cannabis noch nicht ausreichend erforscht sind, ist dies bedenklich. Daher sollte man es besser dabei belassen, dass die Wirkung von Medikamenten weiterhin durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt werden muss.

Immerhin werden jetzt schon pro Jahr in Deutschland fast 100.000 Cannabis-Rezepte ausgestellt. Siebzig Prozent der Verordnungen betreffen Patienten mit chronischen Schmerzen, allerdings brechen auch 40 Prozent der Patienten die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab.

Dennoch sollte die Forschung über Cannabis-Produkte weitergehen. Vielleicht ergibt sich eines Tages tatsächlich, dass man Angststörungen mit einem Medikament aus Bestandteilen des Hanfs bekämpfen kann. Bis dahin ist aber noch ein weiter Weg.

Quellen:

– Bergamaschi MM, Queiroz RH, Chagas MH, de Oliveira DC, De Martinis BS, Kapczinski F, Quevedo J, Roesler R, Schroder N, Nardi AE, Martin-Santos R, Hallak JE, Zuardi AW, Crippa JA (2011): Cannabidiol reduces the anxiety induced by simulated public speaking in treatment-naive social phobia patients. Neuropsychopharmacology 36:1219-26.

–    Crippa JA, Derenusson GN, Ferrari TB, et al (2011): Neural basis of anxiolytic effects of cannabidiol (CBD) in generalized social anxiety disorder: a preliminary report. J Psychopharmacol 25:121-30.

–    Hoch E, Niemann D, von Keller R, Schneider M, Friemel CM, Preuss UW, Hasan A, Pogarell O (2019): How effective and safe is medical cannabis as a treatment of mental disorders? A systematic review. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 269:87-105.

–   Shannon S, Lewis N, Lee H, Hughes S (2019): Cannabidiol in Anxiety and Sleep: A Large Case Series. Perm J 23:18-041.

Prof. Dr.  borwin bandelow

ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Diplompsychologe und Psychotherapeut. Er ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Göttingen,  Gründer und Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für Angstforschung und hat als Experte für Angsterkrankungen zahlreiche Bücher verfasst.