“Herr G. hat Angst” – Interview mit dem Autor Thorsten Glotzmann
In einer Zeit, in der Angst allgegenwärtig und oft überwältigend ist, stellt Glotzmann die entscheidenden Fragen: Woher kommt diese Angst, und wie können wir lernen, mit ihr zu leben, ohne uns von ihr beherrschen zu lassen? Im Interview mit Thorsten Glotzmann gewährt uns der Autor von Herr G. hat Angst tiefe Einblicke in die Entstehung seines Buches und die Beweggründe, die ihn dazu brachten, sich intensiv mit dem Thema Angst auseinanderzusetzen.
In dem Gespräch teilt er seine persönlichen Erfahrungen, erzählt von seiner Recherche, die ihn durch verschiedene Disziplinen führte. Glotzmanns Ansatz, der sich bewusst von der Schwere und dem Stigma traditioneller Diskussionen über psychische Gesundheit abhebt, bietet erfrischende Perspektiven und macht Hoffnung auf einen konstruktiven Umgang mit der eigenen Angst.
Das Interview ist eine Einladung, sich auf den Weg zu machen – mit Mut, Humor und einer neuen Sichtweise auf das Leben mit Angst.
- Herr Glotzmann, könnten Sie uns zunächst erzählen, was Sie dazu inspiriert hat, “Herr G. hat Angst” zu schreiben?
Die kurze Antwort: Die Angst hat mich dazu inspiriert. Sie hat mein Leben derart bestimmt, dass ich keine andere Wahl hatte, als mich mit ihr zu beschäftigen. Und da ich im Schreiben immer schon Trost, Erleichterung und Glück gefunden habe, fing ich an, über die Angst zu schreiben. Das war auch deshalb hilfreich, weil ich die Angst dadurch auf Distanz bringen konnte. Ich war nicht mehr mit ihr verschmolzen, sondern beobachtete sie wie der Autor eines Romans. So ist – beinahe wie von selbst – eine Erzählung und bald ein ganzes Buch daraus geworden. - Für welche Leserschaft haben Sie das Buch geschrieben?
Für alle Menschen, die sich in Sorgenspiralen und Katastrophenszenarien verlieren, die Panikattacken, Verlust- und Versagensängste kennen. Die sich manchmal wie gelähmt fühlen und emotional erschöpft sind von den Weltuntergangsbotschaften überall. Für alle Menschen, die sich nach innerer Freiheit sehnen, die endlich wieder handlungsfähig sein wollen. Das Buch richtet sich also an sehr, sehr viele – und nicht nur an Menschen mit diagnostizierter “Angststörung”. Ich glaube, dass sich viele Leser:innen mit Herrn G. verbinden können, weil wir alle ein bisschen so sind wie er: Wir alle stolpern durch dieses eigenartige Leben, machen Fehler und lassen uns von dieser fiesen Stimme in unseren Köpfen terrorisieren, die uns Vorwürfe macht und allerlei Ängste einredet. Wir alle gehen viel zu oft ungetröstet ins Bett – und wir alle müssen sterben. Das macht uns große Angst, die besänftigt werden will. - Ihr Buch bewegt sich ja zwischen Philosophie, Wissenschaft und Spiritualität, Achtsamkeit und Self-Care, wie auf dem Cover zu sehen ist. Wie muß man sich eine Recherche für eine solche Vielfalt vorstellen? Welche Quellen haben Sie genutzt? Und wie haben Sie entschieden, welche Aspekte Sie aufnehmen, und welche Sie herauslassen.
Tatsächlich versuche ich mich der Angst in meinem Buch nicht nur aus einer, sondern aus vielen verschiedenen Perspektiven anzunähern, Brücken zu schlagen von der Philosophie über die Soziologe in die Psychologie. Das Buch hat dabei nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit, es ist auch kein Ratgeber. Es erzählt vielmehr von einer subjektiven Reise, in der meine Figur Herr G. von einem “Abenteuer” zum nächsten zieht. Getrieben von seiner Angst, die ihm keine andere Wahl lässt, als nach Lösungen zu suchen. Davon habe ich mich leiten lassen – und genau so habe ich recherchiert: Ausgehend von meinem Leben und meinen Erfahrungen habe ich viele Bücher gelesen, eine Verhaltenstherapie gemacht, Podcasts gehört, Dokumentarfilme geschaut, den Rat weiser Menschen gesucht und Meditationsretreats besucht. Oft führte dabei eines zum anderen, manchmal kam ich vom Weg ab. So wie das auf Reisen eben ist. Welche Aspekte ich aufnehme und welche ich weglasse, ergab sich auf dem Weg und aus meiner Figur heraus. Was nicht zu ihr passte, fand auch keinen Eingang in die Geschichte. - Welche Bewältigungsstrategien empfanden Sie als nicht hilfreich und warum?
Als nicht besonders hilfreich habe ich es empfunden, zu sehr auf die Willenskraft zu setzen, auf das Einhaltgebieten oder Verändernwollen von Gedanken. So gibt es im verhaltenstherapeutischen Kontext zum Beispiel die “10-Minuten-Regel”: Wenn ich mich beim Grübeln ertappe und nach zehn Minuten feststelle, dass ich zu keiner neuen Lösung für mein “Problem” gefunden habe, soll ich die Grübeleien durch ein “Stopp!” beenden. Doch jahrzehntelang eingeübte Angstgedanken lassen sich davon nicht beirren. Genauso wenig hilfreich war es, mir bewusst vorzunehmen, positivere Gedanken zu kultivieren. Nach meiner Erfahrung kann man sich so etwas nicht verordnen. Es braucht andere Strategien, die dabei helfen, sich in ein anderes Verhältnis zu den Gedanken zu setzen, statt zu versuchen, ihren Inhalt zu verändern. - Sie sind auch als Journalist, Autor und Regisseur tätig sind. Wie haben Ihre beruflichen Erfahrungen dazu beigetragen, die Thematik von “Herr G. hat Angst” anzugehen?
Ich versuche in allem, was ich tue, ob es Dokumentarfilme (wie z.B. “Streetphilosophy” oder “Unhappy” für arte), Podcasts oder Texte sind, nicht nur zu problematisieren, sondern konstruktive Ideen und Impulse zu geben, zu ermutigen und zu erfrischen. Bedrückende, destruktive und unnötig katastrophisierende Botschaften gibt es schon mehr als genug. Dazu gehört es, unterhaltsam zu sein und die Dinge manchmal ein bisschen zu vereinfachen, um sie verständlich zu machen. Aus dieser positiven, humorvollen Haltung heraus ist “Herr G. hat Angst” entstanden. Als Journalist ist man außerdem immer neugierig – und Neugier ist eine Art “Superpower”, die mit Offenheit und Weite einhergeht, mit der sich Ungewissheit besser ertragen lässt. Sie kann der Enge der Angst entgegenwirken. - Angststörungen und psychische Gesundheit im Allgemeinen sind oft von Stigmatisierung betroffen. Bücher und andere Veröffentlichungen helfen im allgemeinen Stigmatisierung abzubauen. Was müsste aus Ihrer Sicht noch getan werden, um Stigmatisierung in Bezug auf psychische Erkrankungen zu verringern?
Ich würde sagen: viel darüber sprechen und schreiben! Ich glaube aber, dass es dafür einen anderen Ton, eine andere Melodie, ein anderes Vokabular braucht. Mehr Fantasie und Humor! Und weniger Bedrückung! Wir sind Geschichten erzählende Wesen, die sich über Sprache verständigen und sich davon stark beeinflussen lassen. Wenn ich höre, ich sei “betroffen” oder habe eine “Störung”, dann hat das aus meiner Sicht etwas Brandmarkendes und Abschreckendes. Es legt mich auf eine Identität fest, ordnet mich in eine Diagnose-Schublade ein. Ich bin aber viel mehr als “angstgestört” und “betroffen”. Das klingt auch so passiv, als wäre ich ausgeliefert, als hätte ich keine Gestaltungsmacht. Dabei bin ich sehr wohl handlungsfähig. Ich habe es in der Hand, wie ich mich zur Angst verhalte, ob ich mich von ihr auffressen lasse, oder ob ich sie neugierig erforsche und dadurch auf Distanz bringe. Ich spüre in mir einen großen Widerwillen, mich als “erkrankt” oder “gestört” bezeichnen zu lassen. Ich fühle mich wohler mit Formulierungen wie: “Ich habe eine größere Sensibilität für die Angst.” Oder: “Ich habe mir die Angst zu einer Gewohnheit werden lassen.” Das bedeutet nämlich, dass es die Möglichkeit der Veränderung gibt. Wer nicht weiter stigmatisieren will, muss meiner Meinung nach sensibler mit Sprache umgehen und andere Begrifflichkeiten verwenden. - Gibt es etwas, dass Sie mit dem Buch bei den Lesern bewirken, oder erreichen möchten?
Da mein Buch eine subjektive Erzählung und kein allgemeingültiger Ratgeber ist, gebe ich keinen bestimmten Weg und kein bestimmtes Ziel vor. Ich ermutige aber dazu, sich auf den Weg zu machen. Es wäre schön, wenn meine Geschichte gegen die emotionale und mentale Erschöpfung wirksam wäre. Wenn es Impulse geben und mögliche Wege der Befreiung aufzeigen könnte. Vor allem aber hoffe ich, dass es Menschen unterhält, dass sie beim Lesen ein bisschen lachen können und darin Erleichterung finden. Wenn ich auf diese Weise ein klein wenig zum Wohlbefinden anderer beitragen kann, wäre das fantastisch!
Thorsten Glotzmann ist Journalist, Buchautor und Regisseur von Dokumentarfilmen, vor allem für ARTE (Unhappy, Streetphilosophy, Projekt Aufklärung). Darüber hinaus war er Showrunner des WDR-Sinn-Podcasts Carpe What? Er hat Philosophie, Deutsche und Französische Literatur studiert und die Deutsche Journalistenschule in München besucht. Heute lebt und arbeitet er in Berlin.