Ich will alles erzählen!

Dominique de Marné

Dominique de Marné hat eine Entscheidung getroffen. Die Bloggerin und Mental Health Aktivistin will die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft über psychische Erkrankungen kommunizieren, verändern und stellt sich dafür mit ihrer eigenen Lebensgeschichte in die Öffentlichkeit. Ein Weg, den nicht alle so mutig mitgehen. Die daz sprach mit ihr über Offenheit und Geheimnisse, ihre Motivation und ehrgeizigen Zukunftspläne in einer Münchner Kaffeerösterei.

Schön, dass du dir die Zeit nimmst mit uns über dieses kontroverse Thema zu sprechen. Ich will mich gleich outen: Ich bin momentan tierisch nervös. Wie geht´s dir gerade?

Ich bin ganz entspannt, muss ich sagen. Ich mag den Laden hier und freue mich auf das Gespräch. Ich wusste ja zum Glück auch, wen ich hier treffe. Das hilft mir natürlich sehr.

Ein für dich entscheidender Schritt in die Öffentlichkeit war vermutlich dein Blog „Traveling the Borderline“. Was sind das für zwei Welten, auf deren Grenze du gewandert bist?

Das sind wahrscheinlich viele Welten und Grenzen gewesen. Krank und gesund, normal und nicht normal, glücklich und unglücklich, hell und dunkel. Das Ding bei meiner Borderline-Störung ist ja, dass sich vieles in Extremen abspielt. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, dass diese Grenzen ganz schön breit sein dürfen und dass es da eigentlich sehr viel Platz gibt. Ich wollte auch immer bestimmen, wohin die Reise geht und mich nicht irgendwie hin und her schubsen lassen. Deswegen habe ich diesen aktiven Namen gewählt.

War dir dabei auch die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit wichtig?

Ne, weil ich mich ganz früh dafür entschieden habe, alles zu erzählen. Ich habe wirklich die Mission zu verändern, dass und wie wir über psychische Gesundheit reden. Meine Offenheit ist einfach nur ein Werkzeug dafür. Und ich nehme da auch kein Blatt vor den Mund, weil das ja ganz viele machen, sondern ich haue es raus. Das war so mein Ding dahinter.

Wenn du dir deine Störung als Person vorstellst, wie wäre die?

Auf jeden Fall sehr anstrengend, sehr wild, sehr turbulent, sehr vielseitig. Wenn ich die Borderline zeichnen müsste, dann wäre sie sehr wandelbar, mit fuchtelnden Armen und verschiedenen Farben. Dann kann sie aber auch ganz still werden und dunkelgrün mit einem Pflaster irgendwo in der Ecke sitzen. Ich stelle mir meine Krankheit tatsächlich auch immer so vor, weil mir das hilft, mich ein Stück weit davon abzugrenzen und zu erkennen, dass das eigentlich nicht ich bin. 

Und was habt ihr für ein Verhältnis zueinander?

Also früher gab es kein richtiges Verhältnis. Ich konnte nicht akzeptieren, dass sie irgendwie auch ein Teil von mir ist. Ich wollte sie einfach nur weg haben und habe auch ganz viel dagegen gekämpft. Inzwischen arbeiten wir aber gut zusammen. Wenn irgendwas schief läuft, versuche ich erst mal zu verstehen, was genau nicht stimmt und was sie jetzt von mir braucht, damit sich das dann alles für uns beide nicht total dysfunktional äußert. Und dann geht sie oft einfach wieder auf ihr Zimmer und lässt mich in Ruhe. Inzwischen hab ich aber auch gelernt, dass ich viel Gutes zurück bekomme. Ich erlebe meine Emotionen sehr intensiv und kann so die positiven Gefühle auch sehr genießen, wenn alles in Harmonie ist. Das Glück, die Freude, das Empathische, die Wertschätzung und die Kreativität. Das ist wirklich sehr schön. Deshalb bedanke ich mich ab und zu auch mal für all das, was ich durch sie schon erfahren habe. Es ist also ein Geben und Nehmen. 

Welche Rolle hat Angst bei deiner Entwicklung gespielt?

In meinem Studium habe ich mit einer Sozialphobie gekämpft. Andere Menschen waren damals der absolute Horror für mich. Da niemand wissen durfte, wie schlecht es mir ging, hatte ich ständig Angst, entdeckt zu werden. Weite Teile dieser Zeit habe ich deswegen alleine verbracht. Ein Schlüsselerlebnis für mich war dann das Gespräch mit einem Kommilitonen, dem nicht aufgefallen war, dass ich mit ihm zusammen studiere. Da ist mir bewusst geworden, dass ich im Leben der anderen gar keine so große Rolle spiele, wie es mir meine Angst immer eingeredet hat. Ich dachte, alle gucken und bewerten mich ständig, aber das ist gar nicht so. Jeder ist  viel zu beschäftigt mit sich selber. Und ich habe auch gelernt, in diesen Situationen mehr bei mir zu bleiben. Je ehrlicher ich zur mir selbst und nach außen wurde, desto mehr konnte ich diese Ängste überwinden. Heute weiß ich, dass Angst ein ganz normales Gefühl ist, wenn sie nicht zu stark wird, und dass sie einem irgendetwas sagen will.

War Angst also auch eine Chance für dich?

Ich glaube, ohne meine Ängste wäre ich in den zwischenmenschlichen Beziehungen nicht da, wo ich heute bin. Wenn alles nicht so schlimm gewesen wäre, hätte ich mich den Dingen nicht stellen und mich auch nicht verändern müssen. Dann hätte ich vielleicht niemals diese Qualität, die ich heute in Beziehungen leben kann. Also auf jeden Fall eine Chance. Das kann ich ganz klar sagen.

Das vollständige Interview findest Du in der aktuellen Ausgabe der Angst Zeitschrift Heft 87. Diese ist als Print und PDF Version erhältlich und kann hier bestellt werden.


© Text: Markus Hendel für die daz , © Foto: Arvid Uhlig