„Mut beginnt im Herzen“ – Ein Interview mit Tessa Randau über Angst und Hoffnung

Tessa Randau ist Autorin – und selbst von Ängsten betroffen. In ihrem neuen Buch „Mut beginnt im Herzen“ erhalten Angsterkrankungen einen Raum. Unsere Ehrenamtliche Melanie hat das Buch für uns gelesen und eine Rezension geschrieben, welche du hier findest.
Zudem hat sich die Autorin die Zeit genommen, mit Melanie ein Interview zu führen, welches wir dir nicht vorenthalten möchten:

Tessa, dein Buch handelt von einer Frau in ihren 30ern, die während einer Zugreise ihre erste Panikattacke hat und im Verlauf der Geschichte lernt, den Angstkreislauf zu verstehen und mit ihren Ängsten umzugehen. Im Schlusswort sagst du von dir selbst, auch unter Angstattacken zu leiden. Ist die Geschichte deine eigene oder erfunden?

Die Handlung des Buches ist fiktional. Aber es sind auch viele persönliche Anteile enthalten. So sind beispielsweise die Erlebnisse der Protagonistin in Angstsituationen oft identisch mit meinen. Auch ihre Erfahrungen und Erkenntnisse, wie sie sich aus der Angsterkrankung gekämpft hat, sind von mir. Unser Job ist auch gleich – wir sind beide Journalistinnen. Und eine Lese-Rechtschreib-Schwäche verbindet uns ebenfalls.

Die Grenze gezogen habe ich bei privaten Themen wie meiner Familie und den Ursachen der Erkrankung. Mir war es wichtig, dass mein privates Leben geschützt bleibt.

Meine Wochenendbeziehung habe ich dafür offen in meinem Buch thematisiert. Diese Herausforderung kennen sicher einige Personen und so wollte ich auch Themen und Problematiken herausgreifen, welche die Gesellschaft betreffen.

In der Gesellschaft gibt es einige Vorurteile über psychische Erkrankungen im Allgemeinen. Gerade Menschen mit Ängsten erfahren oft eine Banalisierung ihrer Symptome oder hören Sätze wie „Stell dich nicht so an“, „Das ist doch nicht so schlimm“ oder „Du musst da einfach durch“. Hast du solche Vorurteile auch schon einmal zu hören bekommen?

Glücklicherweise nicht. Ich habe das Privileg, ein extrem reflektiertes soziales Umfeld zu haben, welches keine Vorurteile hat. Sowohl meine Familie als auch Freunde sind offen und stehen selbst zu Schwächen und Schwierigkeiten.

Durch meine feinen Antennen spüre ich aber auch schnell, wer mir gut tut und welche Personen eher nicht zu mir passen. Ich suche mir inzwischen mein Umfeld bewusst aus.

Bei Fremden war ich anfangs nicht so offen, hatte Sorge, dass negative Reaktionen kommen könnten. Doch dann dachte ich mir: „Du wünschst dir immer, dass unsere Gesellschaft toleranter mit psychischen Erkrankungen umgeht. Also musst du deinen Teil dazu beitragen und mit gutem Beispiel voran gehen. Nur so kann sich etwas ändern.“ Seitdem gehe ich auch in der Öffentlichkeit ganz locker mit dem Thema um. Denn nur, wenn wir alle verstehen, dass psychische Erkrankungen etwas vollkommen Normales sind, fallen die Schranken in den Köpfen der Menschen.

Hattest du denn in Bezug auf dein Buch auch Unsicherheiten?

Ja. Als ich selbst meine ersten Panikattacken hatte, war ich besorgt, dass ich nun auf meine Leser*innen unglaubwürdig wirke. Ich habe bereits mehrere Bücher geschrieben und dort als Expertin Ratschläge gegeben. Wie kann ich da plötzlich selbst Angst haben? Ich dachte mir zeitweise, dass ich diese Angst nicht haben darf – wie kann es sein, dass ich nun selbst betroffen bin?

Aber diese Gedanken konnte und durfte ich ablegen. Denn dank professioneller Hilfe habe ich verstanden, wie diese Ängste entstehen und dass sie oft einen Zweck haben.

Du sprichst das Thema professionelle Hilfe an. Du hast also eine Therapie gemacht?

Ja, das ist richtig.

Hattest du Schwierigkeiten, einen Therapieplatz zu finden? In vielen Gegenden Deutschlands ist der Beginn einer Therapie mit einer langen Wartezeit verbunden.

Meiner Meinung nach ist die Suche nach einem geeigneten Therapieplatz der schwerste Teil der Erkrankung und ein riesiger Missstand in unserer Gesellschaft. Hier wünsche ich mir dringend eine Veränderung.

Bei meiner Suche damals hatte ich das Glück, noch am Anfang der Erkrankung zu sein und ein Umfeld zu haben, welches mich sofort unterstützt hat. Trotzdem hat mich jede Absage und die Wartezeit immer wieder herausgefordert.

Ich leide mit jeder Person mit, die auf der Suche nach einem Therapieplatz ist und sich dabei einsam und verlassen fühlt. Jede Absage ist frustrierend und zerrt an den ohnehin schon strapazierten Kräften.

Es gibt viele unterschiedliche Tools und Methoden, an seinen Ängsten zu arbeiten. Was hat dir persönlich besonders geholfen?

Auch, wenn es oft schwierig war, hat es mir am meisten geholfen, gegen mein Vermeidungsverhalten anzugehen. So habe ich zum Beispiel gelernt, wieder auf der Autobahn zu fahren. Das war vorher undenkbar. Natürlich ist mir noch heute manchmal mulmig dabei, aber ich bezeichne es inzwischen als „therapeutisches Fahren“. Ich stelle mich meiner Angst und das hilft mir. Eben keine Situation, vor der ich Angst habe, vermeiden, denn sonst wird es auf Dauer nur schlimmer.

Mein wichtigster Reminder dabei an mich selbst: Ich sterbe nicht. Ich sage mir dann: „Tessa, du kannst das. Diese Situation kann jetzt fies werden, vielleicht wird dir übel, du bekommst Herzrasen oder Schwindel. Aber du wirst nicht sterben.“

In Momenten, in denen die Angst zunimmt, wünsche ich mir Ablenkung und möchte weg von der Angst. Für mich sind Atemübungen daher manchmal schwer. Bei Zugfahrten habe ich beispielsweise das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Dann konzentriere ich mich lieber nicht zu sehr auf meinen Körper und suche Dinge, die mich ablenken. Aktuell habe ich dafür eine neue Strategie, nämlich ein simples Spiel, welches ich kostenlos auf meinem Smartphone spielen kann.

In meiner Therapie habe ich aber auch Suggestionsübungen kennengelernt und damit ebenfalls gute Erfahrungen gesammelt.

Jede betroffene Person darf schauen, was ihr persönlich gut hilft und in angstbesetzten Situationen für Erleichterung sorgt. Jede*r darf sein Bausteinchen nehmen – meine Therapeutin hat auch gesagt: Was wirkt, ist gut. Und das sieht für jeden nun mal anders aus.

In deinem Buch „Mut beginnt im Herzen“ ruft die Protagonistin in einer für sie schwierigen Situation die Telefonseelsorge an auf der Suche nach Unterstützung. Hast du das auch schonmal erlebt?

Tatsächlich ist diese Szene im Buch mir genauso passiert. In dieser Situation hatte ich wirklich Angst, verrückt zu werden. Alles drehte sich um meine Angst. Rational wusste ich zwar, dass alles, was meine Angst mir einredet, nicht stimmt – aber als mir die freundliche, ruhige Stimme am anderen Ende der Leitung aus der Fachperspektive bestätigte, dass ich gerade nicht sterbe und mir jemand zuhört, hat mir das sehr geholfen. Es war wie ein Verband, der eine tiefsitzende Wunde erstversorgt. Das Telefonat hat meine Angsterkrankung nicht geheilt, aber ich wusste, dass ich jederzeit wieder dort anrufen kann, besonders, solange ich noch keinen Therapieplatz habe. Es war mir eine große Hilfe, denn ich wollte mein Umfeld ja auch nicht ständig belasten.

Wir haben jetzt schon öfter über dein Buch gesprochen. Magst du uns einmal sagen, für wen deine Geschichte geeignet ist?

Mit „Mut beginnt im Herzen“ wollte ich ein Wohlfühlbuch schaffen, eine Geschichte, in der ich exemplarisch am Schicksal einer Person zeigen wollte, wie sich eine Angststörung anfühlen kann und die, wie es der Titel schon sagt, Mut machen soll. Für mich persönlich war es wichtig, mit meinem Buch Aufklärung zu betreiben – sowohl für Betroffene, als auch für Angehörige von Menschen mit einer Angsterkrankung. Denn gerade für diese ist es oft schwer, von außen betrachtet, die Ausmaße der Ängste zu verstehen. Immerhin versuchen wir Menschen, logisch zu denken – da erscheinen manche Ängste und Reaktionen im ersten Moment unlogisch und sind dadurch für viele nicht greifbar.

Ich merke das als Betroffene ja selbst manchmal – in Momenten, in denen es mir gut geht, frage ich mich häufig selbst, wieso ich Angst habe. Gleichzeitig greifen bei Panikattacken logische Argumente meistens nicht. Ich weiß selbst, dass ich beispielsweise nicht sterbe, auch wenn es sich so anfühlt, denn Angst habe ich trotzdem.

Also schaffst du mit deinen Büchern kleine Auszeiten vom Alltag, die Themen aufgreifen, aber nicht dafür sorgen, dass sie sich wie Ballast anfühlen. Magst du uns noch erzählen, wie du eigentlich zum Schreiben gekommen bist?

Ich habe als Kind bereits gerne Aufsätze geschrieben. Als ich neun Jahre alt war, dachte ich zum ersten Mal „Ich schreibe jetzt ein Buch über meinen Hasen“ – dazu ist es zwar nie gekommen, aber ich habe in den folgenden Jahren immer wieder Ansätze und Ideen für Geschichten verfolgt. Aber irgendwie war die anfangs vorhandene Flamme schnell wieder erloschen und ich bin nicht drangeblieben.

Erst als ich das passende Genre für mich gefunden habe, wurde ich letztendlich Autorin. Nun schreibe ich erzählende Sachbücher. Für mich sind sie eine perfekte Mischung aus Ratgeber und Roman. Mir ist es wichtig, mit meinen Geschichten eine Botschaft zu vermitteln und einen Wohlfühlort zu schaffen. Ich schreibe eher kurze Bücher, welche nicht allzu sehr in die Tiefe gehen. Keine Fachliteratur, die alle Aspekte eines Themas beleuchtet, sondern eher Geschichten, die Inspirationen und Denkanstöße liefern und einen Einstieg in ein Thema ermöglichen. Im besten Fall machen meine Bücher Lust auf mehr und tun beim Lesen einfach der Seele gut. Jede*r Leser*in soll ein gutes Gefühl beim Beenden des Buches haben.

Tessa, vielen lieben Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für dieses Interview. Hast du vielleicht noch etwas, dass du den Leser*innen mitgeben magst?

Für mich ist die Angst inzwischen eine Chance – auch, wenn sie sich schlimm anfühlt und anstrengend ist. Dank ihr haben wir aber die Möglichkeit genauer hinzuschauen, wovor wir vielleicht schon lange die Augen verschließen. Wenn wir uns trauen, diese Themen anzugehen, kann unser Leben besser werden!


Tessa Randau, Jahrgang 1976, begann ihre Karriere als Journalistin und war zuletzt Ressortleiterin einer Frauenzeitschrift. 2016 entschied sie sich für einen neuen Weg und machte sich als Beraterin für Stress- und Burnout-Prävention selbstständig. Mit ihrem ersten Buch „Der Wald, vier Fragen, das Leben und ich“, das 2020 erschien, gelang ihr direkt ein großer Erfolg – es hielt sich über sechs Monate in den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Auch ihre nachfolgenden Werke „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ sowie „Das Meer und ich“ fanden ein breites Publikum und schafften es unter die meistverkauften Bücher. Seit ihrem literarischen Durchbruch widmet sie sich vollständig dem Schreiben.