Die Angst weglaufen

Wie ich durch Sport neu lernte, meinem Körper zu vertrauen

Von Karolina Köster

Wenn die Panik mich überflutet hat, habe ich meine Sportschuhe angezogen, meine Laufplaylist angemacht und bin einfach losgerannt – in den Wald, übers Feld, durch die Stadt, so lange und so weit ich wollte und meine Beine mich getragen haben. Ich habe die Angst wortwörtlich „weggelaufen.“ Mir hilft Sport mittlerweile sehr, mit meiner Panikstörung umzugehen. Für mich ist er ein Weg geworden, die Angst als Kraft zu nutzen.

Meistens ist bei Angststörungen das körpereigene Stresssystem übermäßig aktiv. Dies führt dazu, dass es zu einem Ungleichgewicht im sogenannten autonomen Nervensystem kommt, bei dem die Signale des aktivierenden und auf Kampf und Flucht eingestellten Sympathikus über die Signale des beruhigenden und die Regeneration fördernden Parasympathikus dominieren. In Studien wurde festgestellt, dass Bewegung (z.B. Laufen) die Ausschüttung der Botenstoffe Serotonin und Dopamin im Gehirn anregt und die Konzentration von Endorphinen im Blut steigert. Diese Stoffe können helfen, Stress und Ängste abzubauen – womit Sport so ähnlich wirken kann wie Medikamente, die den Serotonin-Haushalt im Gehirn ansprechen (sogenannte Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, kurz SSRI).

Sport: Auch Ein Trigger für Angst

Doch ganz so leicht ist es nicht. Sicherlich ist Sport für Menschen, die von Angsterkrankungen betroffen sind, ein wichtiger Faktor zur Reduktion der Angstsymptome und für ein besseres Wohlbefinden. Das ist allerdings nicht immer so. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass mir Sport in Phasen, in denen ich anfälliger für meine Angst war, überhaupt nicht gut getan hat, im Gegenteil. Sport war für mich ein riesiger Trigger von Angst statt ein Ventil.

Beschleunigte Atmung, erhöhter Puls, spürbarer und schneller Herzschlag, Schwitzen, Erschöpfung – dies sind Reaktionen des Körpers bei sportlicher Anstrengung, allerdings genauso Reaktionen bei einem Panikzustand. Wenn der Körper hochfährt und aktiviert wird, sind diese Körperreaktionen völlig natürlich und gesund, bei Angstbetroffenen jedoch sind sie oft der Auslöser für den Angst-Teufelskreis.

Die Angst davor, dass die unkontrollierbare Angst wiederkommt, also die Angst vor der Angst, führt oft zu einem totalen Fokus auf jede Veränderung im Körper, die ein eventuelles Anzeichen einer plötzlich auftauchenden Panikattacke sein könnte. Mit diesem Tunnelblick und der Einstellung „Bloß keine Angst!“ kann jede gespürte körperliche Regung schnell zum Auslöser für Angstgedanken werden. Bewerte ich dieses Körpergefühl nicht als das, was es ist, nämlich eine normale Körperreaktion bei Anstrengungen wie etwa beim Treppensteigen, schnellen Aufstehen oder zügigem Gehen, sondern als Angst, als Anfang einer Panikattacke, dann nimmt die Angst vor der Angst schnell eine Eigendynamik an. Denn starke Angst oder Panik beinhaltet oft die Vorstellung, die Kontrolle über sich und den eigenen Körper zu verlieren und dieser Gedanke des Kontrollverlusts erzeugt noch mehr Angst.

Das ist der Grund, weshalb an sich harmlose Körperreaktionen bei sportlicher Betätigung, die objektiv überhaupt nicht gefährlich sind, für Menschen mit Angststörungen subjektiv als Gefahr wahrgenommen werden. Da das Spüren des eigenen Körpers oft mit Angst verbunden ist, führt die „erlernte“ Erfahrung, dass körperliche Anstrengung der Auslöser für eine gefürchtete, wiederkehrende Panikattacke sein kann, dazu, jede Anstrengung zu vermeiden, um dem Risiko aus dem Weg zu gehen. Aber durch zu viel „Schonung“ verliert der Körper an Fitness und schon geringe körperliche Belastungen werden als Herzrasen, Schwitzen, Erschöpfung oder Müdigkeit umso schneller und stärker spürbar – der Einstieg in den Teufelskreis der Angst erfolgt immer früher.

Körperspüren

Die Frage „Habe ich Angst, weil mein Herz rast, oder rast mein Herz, weil ich Angst habe?“ lässt sich also nicht wirklich beantworten. Letztlich ist sie für den Betroffenen auch irrelevant, für den es darum geht, aus dieser Spirale herauszukommen.

Ein Teil meiner „Angstreise“ hat bedeutet, mich meinem entfremdeten Körper langsam wieder anzunähern. Ich habe gemerkt, dass der befürchtete Herzinfarkt oder ein physisches Zusammenbrechen nicht passieren, sondern sich eher positive Gefühle einstellen, wenn ich die Angst aushalte, wenn ich weiterjogge und hinterher das Gefühl eines Erfolgserlebnisses habe.

Auf dem Weg habe ich Schritt für Schritt erfahren, wie es sich anfühlen kann, Wahrnehmungen im Körper und insgesamt das bewusste „Körperspüren“ wieder zu einem angenehmen Gefühl werden zu lassen und meinen Körper nicht mehr als „Angstmaschine“ oder Feind zu sehen, sondern als Freund.

Egal bei welcher Sportart mit ganz unterschiedlichen Intensitäten der Anstrengung – von Yoga, Progressiver Muskel-
entspannung nach Jacobsen, Schwimmen, Teamsport wie Volleyball oder einer ruhigen Wanderung, bei der man „einfach mal rauskommt“ – es geht darum, sich langsam wieder auf Körperwahrnehmungen einzulassen, sie da sein zu lassen.

[Auszug aus der daz 04/2019. ]