Generalisierte Angst – die Sorgenkrankheit

Alles über Symptome, Ursachen und Selbsthilfemöglichkeiten – sowie ein kleiner Test zur Selbsteinschätzung.

Immer mal wieder hört man die Aussage: „Der ist ja überängstlich!“ Gemeint sind Menschen, die sich um alles Sorgen machen, die ständig etwas Schlimmes befürchten, obwohl kein realer Grund vorliegt. Sie sehen Gefahren, wo keine sind, und grübeln andauernd darüber nach, was vielleicht passieren könnte. Das führt zu einer Dauerangst, die nicht mehr abstellbar ist. Solche Menschen leiden unter einer Generalisierten Angststörung. Was das genau ist und was man dagegen tun kann, liest du hier.

Wie erkenne ich eine generalisierte Angststörung:

Beantworte die folgenden Fragen mit Ja oder Nein:

  • Habe ich mich schon einmal für einen längeren Zeitraum (mehrere Monate) ununterbrochen besorgt und ängstlich gefühlt?
  • Betrafen die Sorgen in erster Linie Dinge des Alltags, z.B. Familie, Geld, Gesundheit?
  • War mir dabei klar, dass diese Sorgen eigentlich übertrieben sind?
  • Hatte ich Befürchtungen vor möglichen bedrohlichen Ereignissen in der Zukunft, obwohl das Risiko dafür sehr gering ist?
  • Habe ich viel Zeit am Tag (mehrere Stunden) über diese Befürchtungen gegrübelt?
  • Hatte ich das Gefühl, die Sorgen entgleiten meiner Kontrolle, wachsen mir über den Kopf?
  • Hab ich mich in Zeiten des Sorgens rastlos, nervös, unter Daueranspannung gefühlt?
  • Hatte ich sonstige körperliche Beschwerden wie Schlafschwierigkeiten, Muskelverspannung, Magenbeschwerden, Hitzewallungen, Kopfschmerzen u.a.?

Wer mehr als die Hälfte der Fragen mit Ja beantwortet, könnte an einer generalisierten Angststörung leiden.

Übermäßige Sorgen

Alle Menschen machen sich Sorgen über ihre aktuelle Lebenssituation bzw. die naher Angehöriger oder befürchten bestimmte Ereignisse in der Zukunft. Das ist völlig normal und nichts Krankhaftes. Ist eine tatsächliche Gefahr oder eine Befürchtung vorbei gegangen, können sie schnell wieder zur Ruhe finden und die Sache ist vergessen. Bei Menschen mit einer Generalisierten Angststörung ist das anders. An sich normale Sorgen und Befürchtungen sind bei ihnen außer Kontrolle geraten, überall sehen sie ernsthafte Bedrohungen, ohne dass ein tatsächlicher Grund für ihre Sorgen und Befürchtungen vorliegen würde. Es handelt sich also um eine unrealistische, übertriebene Besorgtheit vor scheinbaren Gefahren. Deshalb spricht man auch von Sorgenkrankheit.

Die Themen, auf die die Sorgen sich beziehen, sind keine anderen wie bei Menschen ohne Sorgenkrankheit: die eigene Gesundheit (oder die der Angehörigen), der Beruf, die finanzielle Situation, die Partnerschaft oder andere Beziehungen. Aber die Intensität der Sorgen ist erheblich stärker und die Einschätzung der Gefahr deutlich unrealistischer. Darüber hinaus beziehen sich die Sorgen nicht auf einzelne Situationen, sondern es sind viele Themen gleichzeitig, die zum Auslöser ängstlicher Gedanken werden, auch so banale Alltagsdinge wie Einkäufe, Termine, die Post oder Rechnungen. Die Ängste sind also nicht auf einige spezielle Situationen beschränkt, sondern „generalisiert“.

Auslöser der Ängste sind nicht wie bei den Phobien bestimmte äußere Reize (ein bestimmter Gegenstand, ein bestimmter Ort, eine soziale Situation), sondern die Befürchtungen und Sorgen treten ohne direkten Anlass auf. Sie speisen sich aus Gedanken, bei denen für alle möglichen Ereignisse des Alltags negative Abläufe phantasiert werden: Was ist, wenn mein Kind die Prüfung nicht schafft? Was ist, wenn mein Partner einen Unfall hat? Was ist, wenn alles teurer wird und das Geld nicht reicht? Es sind Befürchtungen, die in der Form „Was ist, wenn…“ ablaufen.

Chronische Anspannung und Angstzustände

Im Unterschied zur Panikstörung oder zu den verschiedenen Phobien erleben Betroffene der Generalisierten Angststörung kaum heftige Angstanfälle. Vielmehr ist die Angst dauerhaft vorhanden, es ist ein Zustand der ständigen inneren Anspannung und Nervosität, der über Tage und Wochen anhält und von körperlichen Erscheinungen wie Zittern, Schwitzen, Atemnot, Stechen in der Brust, Schwächegefühle begleitet wird. Mit der Zeit kommt es außerdem zu Störungen wie Magenbeschwerden, Übelkeit, Verspannungen, Schmerzen und Schlafschwierigkeiten. Die Betroffenen fühlen sich wie „ständig auf dem Sprung“, sind ruhelos und leicht reizbar. Schlaf bringt keine Erholung. Sie ermüden schnell und können sich schlecht konzentrieren. Das sind zwar allesamt völlig normale Reaktionen eines Körpers, der andauernd Alarmsignale empfängt. Aber für die Betroffenen geben die körperlichen Folgen Anlass zu weiterer Sorge: Habe ich was am Magen, am Herzen, mit dem Kreislauf? Diese Befürchtungen treiben das Sorgenkarusell noch weiter an.

Die Belastung ist nicht immer gleich hoch, sie kann im Laufe der Monate schwanken und auch ganz verschwinden. Dann sind es oft äußere Ereignisse, die die Ängste neu auslösen. Das kann einfach ein zuviel an Stress sein, aber auch eine an sich harmlose Nachricht von Krankheit oder Unfall eines Bekannten, die bei Menschen, die zum Sorgen und Grübeln neigen, Ängste neu anfachen oder weiter verstärken.

Keine leichte Störung

Auch wenn die Generalisierte Angst nach außen hin nicht so auffällig ist wie bei anderen Angststörungen, die Betroffenen auch kein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten zeigen, so ist die Generalisierte Angst keinesfalls als weniger schlimme Störung anzusehen. Neben den genannten körperlichen Folgen leiden die Betroffenen auch unter einer starken Beeinträchtigung ihres sozialen und beruflichen Lebens. Der Versuch, die Ängste mit Alkohol oder Medikamenten zu minimieren, kann eine Suchtproblematik nach sich ziehen. Bei über der Hälfte der Betroffenen kommt mit der Zeit eine Depression hinzu, weil das Gefühl, der Sorgen und Befürchtungen nicht mehr Herr zu werden, zu Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung führt. Manche Betroffene werden wegen ihrer andauernden Ängste arbeitsunfähig und mehr Betroffene als bei anderen Angststörungen unternehmen einen Selbstmordversuch.

Meine Ängste vor der Zukunft betreffen zum einen mich selbst: Was ist mit mir, wenn ich alt bin? Wie wird meine Lebenssituation dann sein? Wird meine Ehe halten? Doch meine Ängste beziehen sich auch auf die Zukunft im Allgemeinen. Ich denke da an politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die mir allesamt Sorgen bereiten. Es passiert ja im Moment so ungeheuer vieles auf einmal. Natürlich kann man nicht voraussagen, was alles passieren könnte. Aber genau das ist es ja, was die Angst verursacht. Manche Leute sagen mir, es ist eine abstrakte Angst. Aber ich empfinde sie dennoch als bedrohlich. Man steht den Geschehnissen so völlig hilflos gegenüber und findet schwer einen Ausweg. Die Gedanken kreisen ununterbrochen im Kopf wie eine endlose Spirale. Morgens wache ich schon mit einem unguten Gefühl auf und der Tag startet mit neuen Befürchtungen, was heute alles sein könnte. Ich fühle mich den Ereignissen hilflos ausgeliefert, wie ein Spielball äußerer Mächte.

Klaus

Endloses Grübeln

Eines der auffälligsten Symptome der Generalisierten Angststörung ist das Grübeln. Betroffene verlieren viel Zeit damit, über mögliche Probleme oder Risiken nachzudenken. Oft sind dies mehrere Stunden am Tag. Das Entscheidende beim Grübeln ist, dass es (im Gegensatz zum konstruktiven Nachdenken) zu keinem sinnvollen Ergebnis führt. Grüben ist ein unaufhörliches Aneinanderreihen von Gedanken, die sich immer wieder um dasselbe Thema drehen oder von einem Thema zum nächsten springen, ohne dass eine sinnvolle Lösung für ein Problem gefunden werden würde. Neben dem Verlust an Zeit, die für sonstige Aufgaben fehlt, kostet das Grübeln auch viel Energie, was zu Unkonzentriertheit und körperlicher Erschöpfung führt. Die Beschäftigung mit den immer gleichen negativen Themen drückt die Stimmung und verstärkt Gefühle wie Angst und Trauer, was wiederum die Gedankenspirale weiter anfeuert.

Den Betroffenen ist dieser negative Effekt des Grübelns aber nicht bewusst. Im Gegenteil gehen sie davon aus, mit Hilfe des Grübelns Gefahren besser einschätzen und sich darauf vorbereiten zu können. Tatsächlich aber steigern sie sich nur immer stärker in ihre negativen Gedanken und Sorgen hinein. Statt an einer sinnvollen Lösung zu arbeiten, malen sich die Betroffenen beim Grübeln das befürchtete Ereignis erst in aller Klarheit und Buntheit aus. Statt die übertriebenen Sorgen durch eine realistische Einschätzung zu entkräften, steigern sie sich immer mehr in ein katastrophales Ende hinein und verlieren so vollends die Kontrolle über ihre Ängste (Katastrophisieren).

Erklärungsversuche

Zwei Faktoren spielen bei der Generalisierten Angst eine wesentliche Rolle: eine verzerrte und übersteigerte Wahrnehmung von Bedrohungen und eine falsche Einschätzung von den eigenen Möglichkeiten, mit der Gefährlichkeit von Ereignissen umzugehen.

Verzerrte Wahrnehmung: Betroffene sind meist überwachsam (Hypervigilanz) ihrer Umwelt gegenüber und nehmen diese deutlich bedrohlicher und gefährlicher wahr als andere Menschen. Sie leben in einer ständigen Erwartung, dass irgendetwas Schreckliches passieren könnte. Sie überschätzen das Risiko für das Eintreten einer Gefahr wie auch deren negative Auswirkungen. Sicherlich haben alle Aktivitäten im Leben ein Restrisiko, etwas Unvorhergesehenes und Gefährliches kann immer passieren, absolute Sicherheit gibt es nicht. Doch Menschen mit einer Generalisierten Angst überschätzen dieses Restrisiko massiv und sehen immer zuerst die Unwägbarkeiten und Gefahren, die ihnen drohen könnten.

Falsche Einschätzung der eigenen Kompetenz: Hinzu kommt, dass Betroffene ihre eigenen Fähigkeiten völlig unterschätzen. Sie sehen sich dem äußeren Geschehen hilflos ausgeliefert, versuchen irgendwie mit den beängstigenden Ereignissen zurechtzukommen, etwa durch Grübeln, aber auch durch das Vermeiden von negativen Informationen (z.B. indem sie keine Nachrichten hören) oder durch das Anklammern an andere Menschen. Ihr eigenes Gefühl von Kontrolle ist äußerst schwach entwickelt, letztlich fehlt ihnen die innere Sicherheit und das Vertrauen in sich selbst, mit einer bestimmten Situation aus eigener Kraft fertig zu werden und das Richtige zu tun. Menschen mit einer Generalisierten Angststörung haben ein kaum ausgeprägten Selbstwirksamkeitsgefühl. Statt dessen ist Hilflosigkeit zum beherrschenden Gefühl geworden. Was andere Menschen in Krisensituationen erleben, erleben sie quasi ununterbrochen. Gefühlt ist ihr Leben eine einzige Dauerkrise.

Die Gründe, warum Menschen mit einer Generalisierten Angststörung ein so schwaches Selbstwirksamkeitsgefühl haben, sind wohl zum einen eine angeborene Veranlagung zur Ängstlichkeit, zum anderen Lernerfahrungen, die einen überängstlichen Blick auf die Welt und die eigene Person ausgeprägt haben. Möglicherweise waren sie als Kind mit den gegebenen Umständen überfordert (etwa durch zu häufigen Wechsel der äußeren Umwelt) oder es wurde zu viel von ihnen verlangt (etwa die Rolle eines Erwachsenen zu übernehmen). Möglicherweise war der Erziehungsstil überkritisch und wenig ermutigend, so dass sich kein Kompetenzgefühl aufbauen konnte. Jedenfalls bildete sich ein Grundgefühl der generellen Unsicherheit heraus statt eines Gefühls des Urvertrauens. So sehen sich die Betroffenen permanent gefährdet und bedroht und einen Satz wie „Das wird schon werden“ gibt es nicht.

Selbsthilfe – was man bei einer Generalisierten Angststörung selbst tun kann

Das zentrale Element der Erkrankung ist das Katastrophisieren, also die Fehleinschätzung von Gefahren und Restrisiken. Es geht darum, den Realitätsgehalt solcher Gedanken und Vorstellungen zu überprüfen und eine realistische Überzeugung zu etablieren. Was man dazu selbst tun kannst, liest du hier.